„Geld macht Städte, Städte machen Geld“

Warum sich der Neubau der Europäischen Zentralbank im Frankfurter Ostend gelohnt hat und warum er heute trotzdem nicht mehr gebaut werden würde: Ein Gespräch mit Architekt Wolf D. Prix.

Am 1. Januar dieses Jahres feierte der Euro sein 20jähriges Bestehen. Einst von elf Mitgliedsstaaten im Jahr 1989 begründet, ist er mittlerweile Währung von 340 Millionen Europäern in 19 Mitgliedstaaten – zudem sind rund 60 Länder weltweit mit ihrer Währung auf die eine oder andere Weise dem Euro verbunden. Den Grundstein für die Einführung des Euros legte der Vertrag von Maastricht im Jahr 1992, damit wurde auch das vorrangige Ziel der europäischen Zentralbank definiert: Preisstabilität zu gewährleisten. Und da es für die rund 3.000 Mitarbeiter, die täglich an diesem Ziel arbeiten, einen standesgemäßen Sitz brauchte (und weil der Europäische Rechnungshof allen europäischen Institutionen die Nutzung eigener Gebäude empfahl, Anm.), zog die 1998 gegründete Währungsbehörde der EU-Mitgliedstaaten im November 2014 vom Frankfurter Eurotower in einen futuristischen Neubau im Frankfurter Ostend um.

Frankfurter Großmarkthalle

Für diesen Neubau erwarb die EZB bereits im Jahr 2001 das Areal der ehemaligen Frankfurter Großmarkthalle im Osten – ein Gebäude mit Geschichte: Vom deutschen Architekten Martin Elsaesser im Jahr 1928 als zentraler Handelsplatz für Obst und Gemüse erbaut, galt es mit 220 Metern Länge, 50 Metern Breite und 23,5 Metern Höhe lange als größte stützenfreie Eisenbetonkonstruktion Europas. Dann verwendeten die Nationalsozialisten von 1941 bis 1945 die Kellerräume der Großmarkthalle, um dort jüdische Männer, Frauen und Kinder zu sammeln und schließlich zu deportieren. Im Zweiten Weltkrieg wurden Teile der Halle zerstört, die man danach wieder aufbaute, bis schließlich im Jahr 1984 die Begründung des Denkmalschutzes folgte. Kein Wunder also, dass sich unter den zahlreichen Anforderungen der EZB-Ausschreibung im Jahr 2002 auch jene befand, bei dem Neubau das grundlegende Erscheinungsbild der Großmarkthalle nicht zu verändern.

Wolf D. Prix
... der gebürtige Wiener ist Design Director und CEO von COOP HIMMELB(L)AU. COOP HIMMELB(L)AU wurde 1968 in Wien gegründet und arbeitet seither in den Bereichen Architektur, Stadtplanung, Design und Kunst. Zu den bekanntesten Werken gehören der Dachausbau Falkestraße in Wien, die BMW Welt in München, das Dalian International Conference Center in China, das Musée des Confluences in Lyon, Frankreich, die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt/ Main, Deutschland, das Museum für moderne Kunst & Stadtplanung (MOCAPE) in Shenzhen, China sowie das PANEUM – Wunderkammer des Brotes in Asten.

2004 stand dann der Sieger der Ausschreibung fest: Das Architektenbüro Coop Himmelb(l)au. Der Entwurf der Wiener sah vor, einen Quader mit einem kurvigen Schnitt in zwei Hälften zu teilen, auseinander zu ziehen und umzudrehen, damit die kurvigen Flächen nach außen zeigen. Weil man darüber hinaus einen der beiden Türme auf den Kopf stellte, sieht das durch ein Konferenzzentrum mit der Großmarkthalle verbundenes Gebäude von jeder Seite anders aus. Viel ist seither medial über den Bau geschrieben worden, manche belächelten ihn als „spiritualistisches Harmoniesymbol“ andere wiederum sahen in ihm ein „paradoxes Inbild der Stärke“.

„Jede Kultur braucht ihre Ikonen“, entgegnet Wolf Prix, Mitgründer und mittlerweile alleiniger CEO des 1968 gemeinsam mit Helmut Swiczinsky und Michael Holzer gegründeten Architektenbüros. Wir treffen ihn in seinem Atelier im fünften Wiener Gemeindebezirk. „Und Ikonen werden nur dann zu Ikonen, wenn sie nach einer anderen, neuen Geometrie gebaut werden“.

Die Großmarkthalle wurde, nachdem man einen Konflikt mit den Elsässer-Erben beilegen konnte, vollständig saniert und restauriert. Im Keller richtete man – in enger Abstimmung mit der Stadt und der jüdischen Gemeinde – eine Erinnerungsstätte ein. Und die beiden Glastürme – 165 und 185 Meter hoch – wurden durch vier Ebenen (auf den Stockwerken 3, 15, 27 und 38) verbunden, um informelle Treffpunkte für die Mitarbeiter zu schaffen. 1,3 Milliarden € verschlang der Bau insgesamt, 850 Millionen Euro waren ursprünglich veranschlagt gewesen. Und dennoch, findet Prix, habe es sich für die EZB gelohnt. „Zumindest steht da jetzt ein exzellentes Hochhaus, das Themen anspricht, die für die nächste Generation der Hochhäuser notwendig sein werden: Beispielsweise die Auflösung des Zwangs zur Isolation“. Außerdem könne der Architekt nichts für die Grundkosten. „Wir beurteilen nur die Spitze des Eisbergs. Die unsichtbare Architektur aber, die unter der Sichtbarkeitsebene liegt, wie Politik, Markt, oder Baugesetze, die ist viel gefährlicher“.

Angst vor der eigenen Kleinheit

Und überhaupt: Warum sollte man eigentlich kleiner denken? „Die Abneigung gegenüber großen Strukturen“, so Prix, „kann ich mir nur erklären mit der Angst vor der eigenen Kleinheit. Das ist wie mit den Fenstern in den Neubauten, die angeblich aus Klima-Gründen so schmal gebaut werden. Ich denke, der psychologische Hintergrund zeigt sich deutlich, wenn man diese schmalen Fenster mit den Schießscharten in den Burgen vergleicht: Da geht es um Angst und Verteidigung. Und das spiegelt sich ja auch in der derzeitigen politischen Meinung wieder: die Angst vor Fremdheit. Selbstbewusst ist das jedenfalls nicht.“ Architektur aber müsse „fetzen, Architektur müsse leuchten, Architektur muss brennen“, so postulierte es schon das 1980 verfasste Manifest von Himmelb(l)au.

Gebrannt haben  zur Eröffnung des neuen Sitzes der EZB im März 2015 dann aber erstmal die Autos, während sich kapitalismuskritische Blockupy-Protestler sich Kämpfe mit der Polizei lieferten – und es stellt sich die Frage: Was wäre da wohl heute los? „Heute würde das nicht mehr gebaut werden“, ist Prix überzeugt. Inbesondere die Abschottungspolitik des Hauses – Prix spricht von „wahnsinnigen Sicherheitsvorkehrungen“  stieß und stößt bei vielen immer noch auf Unverständnis. Sie würde sich auch darin manifestieren, so die Meinung der Kritiker, dass sich die EZB dazu entschloss, ihren Hauptsitz im Frankfurter Osten, also in sicherer Distanz zur Frankfurter Innenstadt zu bauen. „Das hat einen städtebaulichen Grund“, erklärt hingegen Prix, „monozentrische Städte sind geschlossene Systeme. Man braucht polyzentrische Städte, damit in den Zwischenräumen Energie entstehen kann. Denn Zentren tendieren dazu, zusammenzuwachsen.“

Neues Viertel

Und so hat sich auch das ehemalige Arbeiterviertel im Frankfurter Osten schnell gewandelt. „Der Euro hat sein neues Zentrum dort, wo es an Euro mangelt“ , schrieb einst die Wochenzeitung Die Zeit – mittlerweile wurden dort 2.000 neue Wohnungen gebaut und die Quadratmeterpreise liegen bei 5.000 €. „Geld macht Städte, Städte machen Geld“, fasst Prix die Entwicklung knapp zusammen. In der Zukunft müsse man seiner Meinung nach aber andere Methoden anwenden. „Baut man hier ein Gebäude, dass die Umgebung teurer macht, muss man in anderen Gebieten ökonomischer bauen, damit sich das ausbalanciert.“ Überhaupt sei jetzt die Zeit, in der man ausprobieren könne. „Die alten Systeme sind noch nicht ganz tot und die neuen noch nicht ganz geboren. Für die neue Generation heißt es also andere Methoden denken. Englisch heißt das: ‚push the envelope’, das ist ein Ausdruck, der mir gefällt: Grenzen überschreiten. Man muss sich einfach abgewöhnen, dass irgendetwas nicht geht.“

Vielleicht lässt sich mit dieser Haltung der Europa-Gedanke und mit ihm seine architektonische Manifestation im Frankfurter Ostend am besten beschreiben. Vielleicht sprechen wir schon zum 30ten Jahrestag des Euro davon: „Misserfolg ist a priori nichts Schlechtes, wenn er später Erfolg generiert“, schließt Wolf Prix.

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