Gier gewinnt

Es heißt, Angst und Gier seien die Treiber an den Aktienmärkten. Das Investmenthaus Orbis Investment Management aus San Francisco hat erkannt, dass der Schlüssel zum Erfolg darin liegt, sich gerade die Angst zunutze zu machen.

Wie wird man in einem Marktumfeld zum erfolgreichen Stock-Picker, in dem die durch passive Anlagestrategien erzielten Renditen im S&P 500 fast unmöglich zu schlagen sind? Für den 39 Milliarden US-$ schweren Vermögensverwalter Orbis Investment Management aus San Francisco lässt sich die Antwort auf einen zentralen Begriff reduzieren: Paranoia.

Zur Veranschaulichung bietet sich der Spießrutenlauf an, den der 29-jährige Analyst Eric Marais zu absolvieren hatte, als er Nike dank angeblich bevorstehender Trendwende als einen guten Kandidaten für Orbis’ Kernstrategie vorschlug. Marais’ Hypothese lautete, dass Nike endlich den Weg aus der jahre­langen Krise finden werde. Der Rapper Kanye West hatte mit den unter der Marke Yeezy verkauften Schuhen Adidas zu einer neuen Fashion-­Renaissance verholfen, und Under Armour hatte es verstanden, einen berühmten Basketballer wie Stephen Curry für sich einzuspannen. Nur bei Nike reihte sich weiterhin ein ­schwaches Ergebnis ans andere.
Zwischen Weihnachten 2015 und Juni 2017 stürzte die Aktie um 17 Prozent ab, während der S&P 500 um 18 Prozent zulegte.

Für Marais lag die Lösung der Probleme bei nike.com: Kurzfristig könne es riskant sein, auf den Onlineverkauf als zentrale und vor allem direkte Schnittstelle zum Endkunden zu setzen, da dadurch Zwischenhändlern wie etwa der amerikanischen Einzelhandelskette Dick’s Sporting Goods das Geschäft abgegraben werde. Langfristig aber könne Nike so wieder die Kontrolle über die eigene Marke übernehmen und Gewinnspannen bis zu 50 Prozent erreichen. Die Onlineumsätze und Nikes neue Schuhmodelle VaporMax und Flyknit, so Marais’ Prognose, böten die entscheidende Grundlage für den Turnaround des Konzerns. Für Orbis ergebe sich somit die Gelegenheit, zu einem äußerst günstigen Kurs einzusteigen.

Marais hatte kaum zu seiner Präsentation in dem Sitzungsraum im 38. Stock des Transamerica-Pyra­mid-Gebäudes angesetzt, da brach auch schon ein Sturm der Kritik seitens seiner Kollegen über ihn herein. „So cool sehen die neuen Schuhe nicht aus!“, meinte ein Analyst. „Wie soll denn das Onlinegeschäft um mehr
als das Dreifache gesteigert werden?“, blaffte ihn ein anderer Kollege an, der Marais’ diesbezügliche ­Prognose, die Onlineumsätze würden bis 2020 auf sieben Milliarden US-$ anwachsen, in Zweifel zog. Ein weiterer Analyst lieferte sogar Argumente dafür, Nike zu shorten.

Wir wären sehr froh, wenn auch Orbis zahlreiche Nachahmer hätte.

Vor der Präsentation war eine Mehrzahl der Analysten dafür, Nike-Aktien zu kaufen, danach waren die meisten dagegen. „Hier werden ohne eine handfeste Grundlage große Erwartungen geschürt“, so der Kommentar eines Portfoliomanagers. Marais ließ sich allerdings nicht aus dem Konzept bringen. „Für Nike wird eine stärkere Verlagerung auf den Onlinehandel letztlich positiv sein“, erklärte er. „Anleger tendieren dazu, die Ergebnisse der jüngsten Vergangenheit fortzuschreiben, und Adidas ist nun schon einige Jahre sehr erfolgreich unterwegs … Es ist unwahrscheinlich, dass diese Form von Fashionzyklus sich fortsetzt.“

Es mag verwundern, aber Orbis begann wenige Tage danach, eine Beteiligung an Nike im Ausmaß von 500 Millionen US-$ aufzubauen. Der Kurs des Konzerns lag zu der Zeit knapp über 50 US-$. Warum diese Entscheidung? Weil die Strategie des „Contrarian Value Investing“ besagt, dass eine gute Portion Skepsis und gleichzeitig ein völlig offenes Herangehen an potenzielle Risiken Grundbedingungen dafür sind, um mit großen, konzentrierten Anlage­positionen übermäßige Renditen einzufahren.

Als Nike Wochen später hohe Erträge meldete, lieferte der Konzern begeisterten Anlegern folgende Er­klärung: „Indem die Nachfrage über nike.com gedeckt wird, werden fast doppelt so hohe Erträge und zudem signifikant höhere Spannen bei jeder einzelnen Transaktion erzielt. Wir erwarten, dass das Wachstum im digitalen Bereich mittelfristig zu höheren Konzerngewinnen bei Nike beitragen wird.“ Im vergangenen Quartal legten die Umsätze auf nike.com um 18 Prozent zu, und das Wachstum in Nordamerika beschleunigt sich weiter. Die Aktie wird mittlerweile um 66 US-$ gehandelt, was bedeutet, dass Orbis’ Anteil um etwa 25 Prozent im Wert gestiegen ist.

„Ich liebe es, wenn die Bären-­Theo­rie die Bullen-Theorie schlägt“, sagt dazu Adam Karr, 46, der als Managing Director bei Orbis das Anlageteam für die USA leitet und als Portfoliomanager für die Global-­Equity-Strategie des Unternehmens zuständig ist.

Orbis ist im Bereich des aktiven Anlagemanagements eine Ausnahme. Mit gezielten Aktienkäufen auf der Grundlage der Contrarian-Strategie schafft es das Unternehmen, den aktuell von Netflix, Amazon und Co. angetriebenen Markt zu schlagen. Der 1990 aufgelegte Orbis Global Equity Fund, der Flagship-Fonds des Unternehmens mit einem Gesamt­volumen von 24 Milliarden US-$, hat bis dato eine Rendite von 12,2 Prozent nach Gebühren erzielt und den MSCI World Index jährlich um 5,6 Prozentpunkte geschlagen. In den letzten fünf Jahren brachte die Strategie eine jährliche Nettorendite von 12,8 Prozent und schlug den Index um 3,1 Prozentpunkte pro Jahr. 2017 betrug der Ertrag mehr als 30 Prozent, womit man boomende Märkte weltweit hinter sich ließ.

Das Unternehmen ist ein Ableger der größten privaten Invest­mentgesellschaft Südafrikas, Allan Gray Ltd., die 1973 vom ehemaligen Fidelity-Fondsmanager Allan Gray gegründet wurde und weltweit für annualisierte Erträge von 20 Prozent und mehr bekannt ist. Im Bemühen um Diversifizierung außerhalb des vom Apartheidsystem geprägten Südafrika expandierte Gray 1989 in die USA und gründete Orbis.

 

Orbis’ Adam Karr
Adam Karr von Orbis vor einer Tafel mit einer Analyse von Halbleiter-Aktien am Hauptsitz des Unternehmens in San Francisco: Engagement für Aktien mit einer schlechten Performance bedeutet für ihn oft, sie erst recht verstärkt zu kaufen.

Die heftige Diskussion rund um die Nike-Präsentation ist nur ein Beispiel für das konstante Bemühen bei Orbis, als Teil einer Art der Qualitätskontrolle die verschiedensten Daten ans Licht zu bringen und damit die Diskussion über die eigenen Anlageentscheidungen anzustoßen.

Seit 1992 betreiben die Portfolio­manager und Analysten bei Orbis penibel beobachtete simulierte Aktienportfolios. Das Abschneiden ist maßgeblich für am Jahresende ausbezahlte Boni oder die Entscheidung, junge Analysten wie Marais zu befördern. Ganz ähnlich verhält es sich mit Abstimmungen bei Anlagemeetings. Bei diesen insgesamt Tausenden von Stock Calls fließt kein Geld von Kunden. Vielmehr werden die Entscheidungen aber genau analysiert, um Fähigkeiten, besondere Eigenschaften oder Neigungen auszuwerten.

Für Karr zeigen die Daten, dass er zu etwa 60 Prozent mit seiner gezielten Aktienauswahl erfolgreich ist und die prächtigsten Gewinne insbesondere durch ein eigenes Engagement bei Positionen mit einer unterdurchschnittlichen Performance erzielt. Das war etwa auch bei den Krankenversicherern Anthem und Aetna zum Zeitpunkt der Verabschiedung von Obamacare der Fall. Der größte Anleger XPO Logistics zog die Hälfte des bei Orbis investierten Kapitals zurück, bevor Karrs Team seinen Einsatz verdoppelte. So hält Orbis heute Aktien im Wert von zwei Milliarden US-$, die es um lediglich etwa 550 Millionen US-$ gekauft hat.

Sich die Macht der Angst zunutze zu machen geht bei Orbis über reine Anlageentscheidungen hinaus. So bietet das Unternehmen eine Geld-­zurück-Garantie für Gebühren an, die der Angst von Kunden vor einem Geldverlust entgegenkommt. Orbis verlangt 0,45 Prozent Managementgebühren und dazu 25 Prozent auf die Performance über dem MSCI World Index. Diese erfolgsabhängige Gebühr fließt aber großteils in eine Rücklage. Ist die Entwicklung schwächer als erwartet, erstattet Orbis die mit dem Fehlbetrag zusammenhängenden Gebühren zurück.

Die Verhaltenspsychologie gibt Orbis bei seinem Geld-zurück-­Marketinggag recht: Es ist hinlänglich bekannt, dass Anleger dazu tendieren, zu Hochzeiten zu kaufen und zu verkaufen, wenn die Preise im Keller sind. Die Folge ist oft eine unterdurchschnittliche Rendite, obwohl man eigentlich in tolle Fonds investiert ist. „Volvo hat den Sicherheitsgurt erfunden, und alle haben ihn nachgemacht“, sagt Orbis-Kunde Dan Ricciardi, Vermögensverwalter für die 800 Millionen US-$ schwere Stiftung des College of the Holy Cross. „Wir wären sehr froh, wenn auch Orbis zahlreiche Nachahmer hätte.“

Text: Antoine Gara

Dieser Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe 2018 „Handel“ erschienen.

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