Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen Sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.
IBM iX gehört zu einem internationalen Konzern – doch das Unternehmen hat in der DACH-Region einen Teil seiner Wurzeln in Österreich und ist immer noch hierzulande verankert, sagt Chief Experience Officer Samira Imsirovic-Kaya. Ein Gespräch über KI und darüber, warum sie Frauen in der Tech-Branche vernetzen möchte.
Künstliche Intelligenz (KI) ist auf dem Vormarsch. In Österreich nutzen laut Statistik Austria 20 % der Unternehmen KI-Technologien. Besonders größere Betriebe und der Dienstleistungssektor treiben die Entwicklung voran. Doch viele Mittelständler kämpfen mit geringer Digitalisierungsintensität: 41 % dieser Unternehmen weisen eine sehr geringe Nutzung digitaler Technologien auf (ebenfalls Statistik Austria). „Unternehmen sollten frühzeitig aktiv mitgestalten. Niemand kann hier auf Nummer sicher gehen, sonst verliert er den Anschluss“, sagt Samira Imsirovic-Kaya. Und Unternehmen müssen sich an die ständige Veränderung anpassen, denn: KI ist gekommen, um zu bleiben.
Imsirovic-Kaya ist seit fast 20 Jahren in der IT-Branche unterwegs. Seit 2024 ist sie Chief Experience Officer (CXO) von IBM iX im DACH-Raum. Gemeinsam mit CEO Markus Dietrich leitet sie ein Unternehmen mit rund 1.000 Mitarbeitern, das Kunden von der Digitalstrategie bis zur technischen Umsetzung begleitet. IBM iX entwickelt B2B-Portale, Onlineservices und berät Unternehmen sowie den öffentlichen Sektor dabei, wie sie ihre Prozesse digitalisieren können. Die Kunden kommen vor allem aus dem Enterprise-Umfeld und dem Mittelstand – Unternehmen wie METRO, Barmer, Siemens, Doka oder Lenzing setzen auf die Digitalagentur.
IBM iX ist eine Tochter von IBM, dem US-amerikanischen Tech-Unternehmen, positioniert sich in der DACH-Region aber weitgehend mit eigener Marke und eigenem Portfolio, sagt Imsirovic-Kaya. Sie und ihr Team können agil und unternehmerisch agieren, profitieren aber von der globalen Innovationskraft, der Infrastruktur und der technologischen Tiefe des Konzerns.
Die Wurzeln des Teams, das sie heute mit führt, liegen in Deutschland und Österreich: 1995 wurde die Digitalagentur „Ecx.io“ in Wels und Köln gegründet, im selben Jahr Aperto in Berlin. 2016 übernahm IBM beide Unternehmen, um Services für die digitale Transformation auszubauen. 2022 wurden die Agenturen unter der Marke IBM iX zusammengeführt.
Wie so ziemlich jeden Geschäftsbereich stellt KI auch die Industrie, in der Imsirovic-Kaya sich bewegt, auf den Kopf. Wie geht sie damit um? Und wie hat das Unternehmen es geschafft, dass fast die Hälfte aller Angestellten Frauen sind?
Imsirovic-Kaya begann ihre Karriere als Programmiererin, nachdem sie die HTL Leonding in Oberösterreich besucht und in Wien Wirtschaftsrecht studiert hatte. Sie arbeitete bei mehreren Digitalagenturen, bevor sie 2013 als Account-Managerin bei „Ecx.io“ andockte. Schnell merkte sie, dass ihr das Menschliche – Kundengespräche, Projektmanagement, strategisches Arbeiten – mehr Spaß machten als das Programmieren. Damals hatte „Ecx.io“ etwa 100 Mitarbeiter. Die Wachstumsambition der Eigentümer habe auch sie immer angetrieben, sagt die Oberösterreicherin. Schritt für Schritt übernahm sie mehr Verantwortung und stieg ins Leadership auf.
Als „Ecx.io“ von IBM übernommen wurde, blieb sie an Bord. Als Executive Director betreute sie Kunden in der Mobilitätsbranche sowie im Gesundheits- und Versicherungssektor. Es folgten mehrere Führungspositionen, darunter als Chief Customer Officer (CCO) und Chief Technology Officer (CTO). Seit 2021 ist Imsirovic-Kaya Mitglied der Geschäftsführung und seit April 2024 CXO.
Sie teilt sich die Geschäftsführung mit Markus Dietrich. Als CEO ist er für Umsatz und Business Development zuständig; sie wiederum kümmert sich stärker um den Ausbau der fachlichen Expertise und das Portfolio. Obwohl der deutsche Markt größer ist, sieht IBM iX viel Potenzial im Nachbarland. „Wir haben in Österreich ein starkes Fundament, und dem Mittelstand hier treu zu bleiben ist uns wichtig“, so Imsirovic-Kaya. Dafür möchte IBM iX die Marke in Österreich stärker aktivieren. „Viele kennen uns lokal noch als ‚Ecx.io‘“, sagt sie. IBM ist eine starke Marke und sie und ihr Team wollen diesen Hebel noch besser nutzen.
„Insbesondere für Industrie, Handel, Mobilität und die öffentliche Verwaltung bieten wir digitale Innovationskraft“, sagt sie. Gerade im Bereich der öffentlichen Verwaltung sieht die CXO großes Potenzial. Österreich sei im DACH-Raum führend, was Digitalisierung betrifft. Wissensmanagement und digitale Kompetenz müssten jetzt gestärkt werden, bevor durch die Pensionswelle und den Fachkräftemangel wertvolles Know-how verloren geht. „Die nächste Entwicklungsphase stellt nicht mehr die Technologie, sondern den Menschen ins Zentrum. Akzeptanz, Vertrauen und Nutzererlebnis werden entscheidend. Genau da liegt unsere große Stärke“, sagt Imsirovic-Kaya.
KI ist für sie die größte Revolution der letzten 30 Jahre. 60 bis 70 % der weltweiten CEOs haben erkannt, dass sie ohne KI kein Unternehmen mehr führen können, sagt sie. „Machine Learning und KI ist in der DNA von IBM verankert – und damit auch in der von IBM iX. Das verschafft uns einen Vorsprung am Markt“, so Imsirovic-Kaya. Sie beschreibt die Technologie als „Enabler“: Im Marketing können Datenanalysen automatisiert werden; im Vertrieb die Lead-Generation. Das verschaffe Angestellten mehr Zeit für strategische und zwischenmenschliche Aufgaben wie Kundenbesuche.
IBM iX hat die letzten zwei Jahre genutzt, um mit der Technologie zu experimentieren und Pilotprojekte aufzustellen. „Wir haben gemeinsam mit unseren Kunden ausprobiert, was alles möglich ist“, sagt Imsirovic-Kaya. Jetzt gehe es darum, die Projekte voll funktionsfähig zu machen und KI effizient und skalierbar einzubinden. „Vieles davon müssen wir in zwei Jahren, wenn sich die Technologie weiterentwickelt hat, wahrscheinlich wieder neu denken. Aber nur so lernen wir dazu. Als Agentur müssen wir immer zwei Schritte voraus sein. Uns ist wichtig, dass wir mit unseren Kunden eine Vision entwickeln – und diese auch umsetzen können“, so Imsirovic-Kaya.
Als Beispiel nennt sie ISA, einen KI-Assistenten für digitale Therapiebegleitung, der in kürzester Zeit im hochregulierten Gesundheitsumfeld entstanden ist. Ein weiteres Beispiel aus dem Retail-Sektor ist ein Konzeptnachweis (Proof of Concept) für einen KI-gestützten Content-Prozess auf Basis von Watsonx, einer Lösung von IBM. Damit wird es Marketingverantwortlichen ermöglicht, effizienter und in großem Maßstab personalisierte Inhalte für unterschiedliche Märkte zu erstellen.
Wir haben in Österreich ein starkes Fundament – und dem Mittelstand hier treu zu bleiben ist uns wichtig.
Samira Imsirovic-Kaya
Dabei sei es zentral, der KI nicht blind zu vertrauen – es sind Menschen, die die Kontrolle und Verantwortung behalten sollten. Obwohl KI-Agenten in Sekunden das Internet durchforsten und Antworten auf viele Fragen liefern können, wissen Menschen oft mehr. „Keine KI kann Lebenserfahrung ersetzen“, so die CXO. Ein erfahrener Mitarbeiter kann seinen Kunden besser einschätzen oder weiß aus der Historie heraus, wo die Herausforderungen in der Prozessgestaltung liegen. „Die Frage lautet: Wie bringt man diese Erfahrung mit Technologie zusammen?“, so Imsirovic-Kaya. „Hier kann KI ein Schlüssel sein, um Automatisierung systematisch voranzutreiben und Zeit für echte Wertschöpfung freizumachen.“
Die größte Herausforderung aber sei es, die Menschen „mitzunehmen“. Sie spüre bei vielen Kunden aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage eine Zurückhaltung, dem nächsten vermeintlichen Hype zu unterliegen. Dazu kommt, dass viele Angestellte Angst haben, ihren Job an die KI zu verlieren. Aber, so Imsirovic-Kaya: „Wenn ich zuerst abwarte, wie sich der Markt entwickelt und wie andere Unternehmen die Technologie einsetzen – dann habe ich schon verloren.“
Neben KI liegt Imsirovic-Kaya ein anderes Thema am Herzen: Women in Tech. Seit drei Jahren baut IBM iX ein Netzwerk für Frauen in der Digitalbranche auf. „Wir haben ganz klein begonnen“, erinnert sie sich. Das Unternehmen organisierte Veranstaltungen und lud Kunden, Partner und Angestellte ein. „Was mich freut, ist, dass wir inzwischen Networking-Events an fast all unseren Standorten in Deutschland, Österreich und Kroatien etabliert haben. Viele Teilnehmerinnen kommen wieder, und inzwischen haben wir auch außerhalb der Events eine digitale Community aufgebaut“, so Imsirovic-Kaya.
Die Veranstaltungen haben immer ein bestimmtes Thema. „Neben dem Stärken des eigenen Netzwerks geht es vor allem darum, auch inhaltlich etwas mitzunehmen“, so die CXO. IBM iX lädt Speaker ein, die über Themen wie Data Science, KI oder Empathie im Leadership sprechen.
Wichtig ist auch, dass die Women-in-Tech-Events nicht ausschließlich für Frauen bestimmt sind – alle sind willkommen, betont Imsirovic-Kaya: „Wir brauchen Allies.“ Mit CEO Markus Dietrich und dem gesamten Leadership-Team gibt es keine Diskussion darüber, ob diverse Perspektiven wichtig sind.
In ihrer Firma gibt es keine formale Frauenquote. Stattdessen denken sie und Dietrich diesen Aspekt bei jeder Entscheidung mit. „Wir wollten das von Anfang an in der Kultur verankern, und ich hatte das Glück, dass es der Geschäftsführung immer wichtig war, die Belegschaft möglichst vielfältig aufzustellen“, sagt Imsirovic-Kaya. Denn diverse Teams performen auch besser, weiß sie. Wenn Menschen mit verschiedenen Hintergründen zusammenkommen, ist die Ideenvielfalt größer, die Kundenbetreuung besser und die kreativen Prozesse liefern innovativere Ergebnisse.
Eine starke Verantwortung liege bei den Führungskräften: Diese müssen lernen, so die CXO, Entscheidungen möglichst unvoreingenommen zu treffen und eine faire Feedbackkultur zu etablieren. „Wir müssen sichergehen, dass wir niemanden übersehen und jedem die gleichen Chancen bieten“, so Imsirovic-Kaya. Je früher dieses Mindset Teil der DNA eines Unternehmens wird, desto leichter sei es, es fest zu verankern.
„Als ich angefangen habe zu arbeiten, gab es nicht viele Frauen in der Digitalbranche“, sagt die CXO über ihre eigenen Erfahrungen. Doch, erzählt sie weiter, sie wurde immer gefordert und konnte ihren Ambitionen nachgehen. „Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, die ich gewonnen habe: Man muss Menschen die Möglichkeit geben, Dinge auszuprobieren – und auch mal zu scheitern.“ Das sei besonders in Bezug auf Frauen wichtig, die in Sachen Tech mitunter nach wie vor spüren, dass ihnen weniger zugetraut wird als Männern.
Um KI-Technologien wirklich tief in Österreichs Unternehmen zu verankern, muss noch einiges getan werden. Es wird Talente brauchen – und die müssen auch gefördert werden. Imsirovic-Kaya: „Ich möchte eine Kultur schaffen, die auf Vertrauen, Wertschätzung und Offenheit basiert. Denn dort, wo Menschen sie selbst sein können, entfalten sie auch ihr volles Potenzial.“
Text: Forbes-Redaktion
Fotos: Gianmaria Gava