GOLDENE GANS

Dani Reiss von Canada Goose wollte ursprünglich nichts mit dem langweiligen Jackengeschäft seiner Familie zu tun haben. Dann erkannte er seine Chance, aus der Marke ein Milliarden-Dollar-Unternehmen aufzubauen.

Es ist ein verschneiter, stürmischer Tag in Toronto. Dani Reiss hat es sicher und warm in einer ­seiner Canada-Goose-Fabriken und zeigt, wie man ­einen Haufen ultraleichter Hutterite-Daunen in eine ­Jacke steckt, ohne dabei Chaos zu verursachen. Er tritt auf ein abgenutztes Pedal und bereitet sich auf den Aufprall vor. Mit einem Ruck und einem lauten Surren schießen fünf Gramm weiße Flusen aus einem Metallrohr in einen unfertigen Ärmel – wie eine Kugel, die aus einer Waffe austritt. „Ich habe das als Kind immer aus Spaß gemacht“, ruft er über das Summen der Maschine hinweg.

Vieles hat sich verändert, seit er als Kind in der Fabrik ausgeholfen hat. Damals besaß seine Familie einen kleinen Hersteller von ­hochwertiger Outdoorbekleidung. Metro Sportswear, gegründet von seinem Großvater, fertigte hauptsächlich Mäntel für Einzelhändler wie L. L. Bean und Eddie Bauer an. Das Unternehmen hatte auch seine eigene Parkas-Marke Snow Goose gegründet, die eine kleine, aber treue Anhängerschaft entwickelt hatte. Nämlich unter jenen Menschen, die in den am wenigsten gastfreundlichen Klimazonen des Planeten arbeiteten: kanadische Arktisranger, die Polizei von Ontario, ein paar ­Prominente wie Laurie Skreslet, der als erster Kanadier den Everest bestieg, und Wissenschaftler der Mc­Murdo-Station in der Antarktis.

Zuerst hatte er nicht die Absicht, je das ­Geschäft zu führen. „Es war das Letzte, was ich jemals tun wollte“, sagt Reiss, 45, der davon träumte, Schriftsteller zu werden. Aber als er das Unternehmen vor fast 20 Jahren übernahm, zeigte er ein Talent für die Umsetzung von Marketingmaßnahmen. Er ­drängte das Unternehmen, das er in ­Canada ­Goose umbenannte, aus seiner komfortablen ­Nische. Reiss führte die Marke in den gehobenen Markt, ­erhöhte den Preis seiner Daunenjacken auf 1.000 US-$ und zielte auf wohlhabende Stadt­bewohner in kalten Klimazonen ab. Die Firma hob ab: Canada Goose erzielte 2018 einen Umsatz von 460 Millionen US-$ – mehr als dreimal so viel wie vier Jahre zuvor. Die Kleidung ist zur Mode geworden, und Prominente wie Angelina Jolie oder Daniel Radcliffe werden regelmäßig mit Canada-Goose-Jacken gesehen.

Der Kundenstamm des Unternehmens hat sich zwar drastisch verändert, aber ihr Kernprodukt – die Jacken, welche inzwischen in Geschäften wie Nordstrom ausverkauft sind – bleibt weitgehend unverändert. Dies hat dazu beigetragen, dass Canada Goose seine Gewinnspanne von 23 % halten konnte – damit ist sie fast doppelt so hoch wie bei Columbia Sportswear und sogar noch höher als jene von Luxusriesen wie LVMH oder Burberry. Vor zwei Jahren sammelten Reiss und das Investmentunternehmen Bain Capital bei einem Börsengang 250 Millionen US-$ ein. Die an den Börsen von New York und Toronto notierte Aktie von Canada Goose hat trotz einer Reihe von Aktien­verkäufen von Bain und Reiss ein schwindelerregendes Niveau erreicht – Reiss wurde zum Milliardär. Canada Goose ist nun in das Pantheon der globalen Luxusmarken eingetreten – so muss Reiss die Marke geschickt durch einen unerbittlichen Einzelhandelsmarkt navigieren. In einer Zeit der kurzlebigen Mode und der zügellosen Fälschung muss er verhindern, dass das Premium-­Image von Canada Goose dauerhaft leidet.

© Canada Goose, Jacken, Kanada, Daniel Reiss

Dani Reiss
... ist CEO des kanadischen Winterbekleidungsherstellers Canada Goose. Nachdem Reiss 1997 seinen Bachelor in englischer Literatur und Philosophie an der University of Toronto abgeschlossen hatte, entschloss er sich, sich für ein paar Monate dem Familienunternehmen (damals noch Snow Goose) anzuschließen. Seither ist er im Unternehmen tätig,
im Jahr 2000 übernahm er als CEO.

1992 schrieb sich Reiss an der University of Toronto ein, um englische Literatur und Philosophie zu studieren. Nach seinem Abschluss 1997 plante Reiss, die Welt zu bereisen, aber ein Mangel an Geld zwang ihn zurück zum Familienunternehmen in Toronto, wo er im Vertrieb arbeitete und sich dazu berufen fühlte, das Geschäft zu beleben. Eine Zielgruppe, mit der er Erfolg hatte, waren Fluggesellschaften: Piloten und das Bodenpersonal von kanadischen Flughäfen kannten die Snow-Goose-Daunenjacken bereits.
Im Jahr 2000 wurde Reiss neuer CEO und machte sich daran, eine eigene Marke aufzubauen. Der Umsatz lag bei zwei Millionen US-$. Es gab nur ein Problem: Kanadische Stadtbewohner waren nicht interessiert. Reiss entschied sich, sein Glück im Ausland zu versuchen, und brachte seine Waren auf Messen in Europa und Japan mit, wo er High-End-Einzelhändler ­dazu überredete, seine Jacken zu kaufen. Bald darauf entdeckte der Besitzer einer Boutique in der Innenstadt von Toronto die Jacken in Europa und gab eine Bestellung auf.

Bis zum Jahr 2008 entwickelte sich das Unternehmen mit einem Umsatz von rund 17 Millionen US-$ immer besser. Doch Reiss fing gerade erst an: Er konnte sich keine große Marketing­kampagne leisten, also begann er unter anderem, kostenlose ­Jacken an Menschen auszuteilen, die bei kühler Witterung draußen arbeiteten und gut sichtbar waren – Türsteher, Tickethändler. Während Canada Goose einen immensen Aufstieg hinlegte, verkaufte Reiss im Dezember 2013 70 % des Unternehmens an das Investmentunternehmen Bain Capital und sammelte so dringend benötigte Mittel für eine Expansion. Damit beschleunigte er ebenso den Börsengang des ­Unternehmens, der im März 2017 stattfand. Ryan Cotton, der Geschäftsführer von Bain Capital, sagt: „Selbst, wenn wir erst investiert hätten, als das Unternehmen an die Börse ging, wäre es (immer noch, Anm.) ein verdammt guter Deal gewesen.“

Reiss will auch international in Europa und insbesondere im von Marken besessenen China wachsen, wo das Unternehmen 2018 in den Markt eintrat. Reiss macht einen großen Schritt direkt in Richtung der Verbraucher. Das E-Commerce-­Geschäft und die elf firmeneigenen ­Geschäfte in Städten wie Boston, London und Tokio machen ­inzwischen 43 % des Umsatzes aus, im Jahr 2016 waren es 11 %. Reiss strebt bis zum Jahr 2020 20 Einzelhandelsstandorte an.

Wie in allen Branchen, in denen Geschmack eine wesentliche Rolle spielt, wird es Reiss’ ­größte Herausforderung sein, die Exklusivität der ­Marke Canada Goose zu erhalten und gleichzeitig die Einnahmen stark zu steigern. „Tief in Dani gibt es eine Art Stimmgabel, die ihm ein Gefühl ­dafür gibt, was für die Marke wahr und authentisch ist und was nicht“, sagt Cotton.

Der Artikel ist in unserer Juli/August-Ausgabe 2019 „Smart Cities“ erschienen.

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