Grenzenlos Zug fahren

Mit 19 Jahren hat Elias Bohun beschlossen, dass internationale Zugreisen so einfach zu buchen sein müssen wie Flugreisen. Innerhalb weniger Jahre wurde aus dem Ein-Personen-Reisebüro eine skalierbare Onlineplattform: Traivelling verbindet Bahnsysteme über Ländergrenzen hin­weg – nun sucht das Gründungsteam nach Investoren, die seine Mission teilen.

Übergroße Rucksäcke, Mittagessen vom Bahnhofsbistro, ein längst zerknittertes Ticket und das süße Gefühl von Freiheit – spricht man sie darauf an, bekommen viele, die das Abenteuer Interrail erlebt haben, noch Jahre später diesen unverkennbar verträumten Blick. Der „Interrail-Effekt“ beschränkt sich aber nicht auf Nostalgiker: Neurowissenschaftler des University College London haben 2021 festgestellt, dass es positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben kann, das Transportmittel Zug zu wählen – zumindest für Pendler.

Noch schwerer wiegt für viele der Klimaschutz: „Pendler und Reisende sollen aus dem Umweltgedanken heraus die Bahn nehmen, heißt es“, sagt Elias Bohun, Co-Gründer der Buchungsplattform Traivelling. „Aber über Landesgrenzen hinweg ist das so kompliziert, dass es derzeit viele Leute abschreckt.“ Traivelling bietet seinen Nutzern ein integriertes Buchungssystem, über das internationale Reisen mit verschiedenen Bahn­betreibern auf einmal gebucht werden können. Wer etwa von Wien nach Edinburgh reisen möchte, tippt besagte Destinationen ein und lässt sich mögliche ­Routen mit dem dazugehörigen Preis ausgeben – ­ähnlich wie beim Flugbuchungsportal Opodo.

Bekanntheit hat Traivelling vor allem durch exo­tische Langstrecken­reisen erlangt – aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine sind Routen gen Asien allerdings ge­schlossen, und der europäische Markt bietet ohnehin die lukrativere Spielfläche. „Die Reisen, die unsere Kunden viel häufiger anfragen, gehen nach Großbritannien, Spanien, Griechenland“, so Bohun. Als Einzel­person Reisen zu verkaufen, habe ihm Spaß gemacht, aber damit habe er nicht die Masse erreicht. „Es war klar, dass es nicht so weitergehen kann“, sagt Bohun. Der junge Visionär holte die IT-Consultants Matthias Schötta und Jürgen Grünberger ins Team – zu dritt gründeten sie 2021 die GmbH. Nun war das Ziel, Tausende Anfragen gleichzeitig abzuwickeln. „Also haben wir begonnen, zu skalieren und die Plattform zu bauen“, so Grünberger. Aus einem Ein-Mann-Reisebüro wurde eine ernst zu nehmende Geschäftsidee.

Über Landesgrenzen hinweg mit dem Zug zu reisen ist so kompliziert, dass es derzeit viele Leute abschreckt.

Elias Bohun

Der Grundgedanke ist unbestritten gut: Wer etwa eine Zugreise von Wien nach Lissabon buchen möchte, stößt bei der Recherche auf mindestens vier benötigte Anbieter – und nervlich an seine Grenzen. Den Flug zu buchen wäre hingegen mit wenigen Klicks erledigt gewesen. Und trotzdem siegt bei manchen Reisenden die „Flyg­skam“ (wie die Schweden das schlechte Gewissen nennen, trotz bewiesener Umweltschäden in den Flieger zu steigen): Sie investieren nicht nur erhebliche Zeit in die Reiseplanung, sondern häufig auch viel Geld.

Vor mittlerweile sechs Jahren hat Elias Bohun ­beschlossen, das zu ändern – Bohun, der damals Umweltaktivist war und sich als „Zug-Freak“ bezeichnet, gründete die Erstversion von Traivelling nach seinem Zivildienst beim Verkehrsclub Österreich, einem gemeinnützigen Verein rund um Mobilität und Transport. Anfangs war es un­gewohnt für ihn zu arbeiten, während Freunde und Freundin an die Universität wechselten; aber: „Warum nicht probieren?“, habe er sich gefragt. Mit Unter­stützung seines Vaters gründete er Traivelling als Reisebüro, das Fernreisen mit dem Zug organisiert. Mittlerweile verantwortet er alles Vertragsrechtliche, die Buchhaltung, Routenplanung und die inhaltliche Entwicklung neuer Plattform-Features. „Ich analysiere, was die Nutzer beschäftigt und was noch verbesserungswürdig ist“, erzählt Bohun.

Grünberger und Schötta gestalten als Chief Technology Officers die digitalen Prozesse des Unternehmens. Über 90 Prozent der Prozesse, wie das Planen, Buchen und Bezahlen von Reisen auf der Traivelling-Webseite, funktionieren automatisch. Nur in Ausnahmefällen bucht Bohun noch manuell – etwa wenn eine sehr große Reisegruppe gemeinsam verreisen oder jemand seinen Hund mitnehmen möchte. Im Bereich Technologie kooperiert das Team unter anderem mit dem Mobility Lab in Salzburg – denn aus technischer Sicht sind internationale Reisen mit dem Zug schwieriger zu automatisieren als Flugreisen, erklärt Grünberger: Während der Flughafencode der IATA (International Air Transport Association) Flughäfen weltweit ein­deutig kennzeichnet, fehlt eine ähnliche Zuordnung bei Bahn­stationen, so der Co-Gründer. Eine kurze Recherche verrät: Allein der Stationsname Ashford kommt im Vereinigten Königreich mehrmals vor. Während das bekannteste Ashford in Kent im Südosten Englands liegt, sind andere in den Grafschaften Surrey, Hampshire und Devon zu finden. Wer versehentlich Devon statt Kent ansteuert, hat mehr als 400 Kilometer zu viel zurückgelegt.

Die größte Herausforderung lauert aber nicht in (fehlenden orientierungsgebenden) Buchstaben, sondern im Kleingedruckten: den Verträgen. Um die Daten eines Bahnunternehmens an ihre Plattform anzuschließen, ist ein Vertrag über die Schnittstelle notwendig. Durch die Teilnahme am Start-up-Inkubator Greenstart des Bundesministeriums für Innovation, Mobilität und Infrastruktur (BMIMI) knüpfte das Traivelling-Team bereits 2020 Kontakte zu den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB). Aufgrund der stark international ausgerichteten ÖBB-Fahrpläne hätten sie dort Anklang gefunden – das sei aber nicht repräsentativ, sagen die Gründer: „Wir stoßen nicht immer auf Begeisterung; nach dem Motto ,Die Züge sind doch eh voll‘“, so Bohun.

Traivelling will internationale Zugreisen einfacher buchbar machen – doch für mehr Kapazitäten sind Bahnbetreiber und Politik verantwortlich. „Die Bahn ist quasi Opfer ihres eigenen Erfolgs“, so Grünberger. Wenn Traivelling Reisen über die Deutsche Bahn bucht, reserviert die Plattform automatisch einen Sitzplatz.

Die großen Markteintrittsbarrieren stimmen Bohun und Grünberger zuversichtlich, dass ihnen so schnell kein Mitbewerber mögliche Marktanteile streitig macht – das europäische Zugnetz ist stark nationalstaatlich organisiert, europaweit verfügbare ­Plattformen wie Trainline und Omio bieten keine ­Bahnreisen über mehrere Landesgrenzen hinweg an.

Dass die Traivelling-Gründer einen Nerv treffen, darauf deutet auch der finanziell gute Start der GmbH hin: 2023 spielte dem Unternehmen das „Crowd­funding für Gemeinwohl“ der Genossenschaft für Gemeinwohl rund 200.000 € ein. Hinzu kamen rund 450.000 € aus rückzahlbaren Förderungen, die zu einem günstigen Zinssatz getilgt werden. Bis jetzt hat dieses Geld gereicht. „Wir generieren Umsatz, und die Plattform funktioniert“, so Grünberger. Monatlich verkauft Traivelling nach eigenen Angaben Tickets in fünfstelligem Wert.

„Jetzt suchen wir jemanden, der uns hilft, die Plattform noch bekannter zu machen“, ergänzt der CTO. Dafür reichen die Einnahmen aus Provisionen für besonders komplexe Reisebuchungen und die prozentuale Beteiligung an den Umsätzen der angeschlossenen Bahn­betreiber, die Haupteinnahmequellen des Unternehmens, nicht aus – es braucht Investoren. Ein Climate-VC-Fund und ein privater Investor bekundeten bereits Interesse; die Gründer hoffen, dass weitere Interessenten hinzukommen.

Das öffentliche Bewusstsein für die Alternative Zug zu stärken ist ein Kernanliegen bei Traivelling – denn Bahnbetreiber bewerben einzelne Züge, mit Ausnahme von Nachtzügen aber keine internationalen Routen. Während eines Auslandsjahrs im Vereinigten Königreich saß Bohun zu Schulzeiten selbst regelmäßig im Flieger; bis ihm klar wurde, dass der Eurostar die Insel mit dem europäischen Festland verbindet. Heute fährt er, wie auch das restliche Traivelling-Team, fast ausschließlich mit dem Zug. „Diese Philosophie zu teilen motiviert ungemein für die Arbeit“, erzählt ein Mitarbeiter. Fünf Personen unterstützen das Gründerteam aktuell. Zwei von ihnen haben zum Unternehmen gefunden, nachdem sie es schon lange über die sozialen Medien verfolgt hatten.

Was aber wären typische Preise für „Traivelling-­Reisen“? Von Wien nach Edinburgh werden zum Beispiel 350 € hin und zurück für einen Platz im Liegewagen fällig; Reisen nach Süditalien sind für 100 bis 150 € möglich. Einen „prototypischen“ Kunden hat das Unternehmen nach eigenen Angaben nicht, die Mehrheit ist im DACH-Raum und Frankreich zu Hause.

In Österreich verzeichnete der Zugreisen-Boom im vergangenen Jahr eine kleine Delle: 2023 wurden noch 15,1 % der Urlaubsreisen mit dem Zug zurück­gelegt, 2024 waren es nur 13,6 %. Bohun und Grün­berger sehen trotzdem einen klaren Trend zu mehr Zugreisen: „Nach Corona haben wir eine große Ver­änderung gesehen – auch politisch“, sagt Bohun. Zu den beliebtesten Destinationen zählen das Vereinigte König­reich, Schweden sowie Griechenland, Spanien – und Portugal. „Leider“, seufzt Bohun augenzwinkernd: Gerade dort gestaltet sich das Planen nicht immer einfach.

Bei allem politischen Willen: Das europaweite Schienen­netz auszubauen wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen. „Und im letzten Jahrzehnt ist nichts passiert“, wirft Grünberger ein. Traivelling hilft sich mit einem intermodularen System: Sind bei Reiseabschnitten keine Züge verfügbar, kombiniert die Buchungsplattform Zug und Bus. Gerade im Baltikum erweist sich die Inter­modalität als Stärke, „auch wenn sich hier in den nächsten Jahren viel tun wird“, so Grünberger. In Zukunft wollen die Traivelling-Gründer auch Fähren inkludieren, um Irland und Griechenland besser anzubinden. In einigen Monaten soll es auch möglich sein, das Fahrrad bei der Buchung zu berücksichtigen. Nutzer der Plattform sollen außerdem zusätzliche Übernachtungen hinzufügen können, um längere Zwischenaufenthalte während der Reise einzuplanen. Durch Kooperationen mit Reiseversicherern und Affiliate Links für Reisende, die einen Zwischenaufenthalt samt Unterkunft planen, soll das Unternehmen dann zusätzlich Umsatz generieren.

Ob sie mit ihrem Produkt auch diejenigen überzeugen möchten, die nicht einmal im Alltag den Zug nutzen? Bohun und Grünberger nicken sofort. Ein einfacher Schritt wäre es, erklären sie, die Fahrgastrechte zu stärken – anders als Fluggäste haben Zugreisende keinen Anspruch auf eine Anschlussverbindung, wenn einer von mehreren gebuchten Zügen ausfällt. Das 2017 verabschiedete „Abkommen über die Weiterreise“ (Agreement on Journey Continuation, AJC) ist ein erster Schritt in diese Richtung, stellt aber eine freiwillige Selbstverpflichtung einzelner Bahnbetreiber dar.

Ähnlich unbekannt dürfte vielen Reisenden sein, dass für Interrail-Tickets keine Altersbeschränkung gilt – sie wurde 1999 aufgehoben. Die Traivelling-Plattform prüft daher bei jeder Buchungsanfrage, ob das Interrail-­Ticket die günstigere Option darstellt. „Interrail ist ein Preisdeckel, den wir zur Verfügung stellen wollen“, sagt Bohun. Noch gelingt es der Plattform nicht ausreichend, dieses Wissen an ihre Nutzer weiterzugeben – Reisende wählen häufig eine andere Option aus und verzichten unwissentlich auf das günstigste Angebot.

Mitgründer Grünberger würde das natürlich nicht passieren. Er fährt immer noch Interrail – zuletzt mit Frau und Kindern; ein Städtetrip nach London. „Ich bin froh, dass ich meinen Beitrag leisten kann, um inter­nationale Zugreisen zu vereinfachen und hoffentlich mehr Menschen zugänglich zu machen“, sagt er. Verbessern sich die Rahmenbedingungen weiter, könnte daraus ein tragfähiges Geschäftsmodell entstehen.

Fotos: Gianmaria Gava

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