Gründerväter

Nach schwierigen Jahren wollen die Earlybird-Gründer Hendrik Brandis und Christian Nagel wieder durchstarten. Neben einem neuen Fonds setzt der VC auf eine strategische Partnerschaft mit Draper Esprit.

Nicht harte Fakten, satte Renditen oder ausgeklügelte Businesspläne sind es, die für Hendrik Brandis und Christian Nagel – beide Gründungspartner des deutschen Venture-Capital-Unternehmens (VC) Earlybird – am Ende des Tages den Unterschied ausmachen. Denn gefragt nach dem entscheidenden Faktor, der bei Investments mitspielt, antwortet Hendrik Brandis zwar wenig überraschend, aber durchaus nachvollziehbar: „Wir investieren in Menschen, das ist das entscheidende Kriterium. Potenziell erfolgreiche Gründer suchen sich in der Regel keine schlechten Ideen aus oder korrigieren diese zumindest in kurzer Zeit. Die Menschen machen den Unterschied in unserem Geschäft.“

Seit 1997 suchen Brandis und ­Nagel nach diesen Menschen. Das ­Vehikel, mit dem die beiden das tun, ist Earlybird – einer der größten VCs Deutschlands. Dabei verwaltet das Unternehmen mit seinen 46 Mitarbeitern (aufgeteilt auf Büros in Berlin, München und Istanbul) Assets im Wert von über einer Milliarde €, machte in seiner Geschichte Investitionen in fast 170 Unternehmen, wobei insgesamt sieben Börsengänge und 22 sonstige Exits („Trade Sales“) verzeichnet wurden.

Doch als wir Brandis und Nagel im Earlybird-Büro in Berlin treffen, haben die beiden Investoren, die auch beim Segeln ein erfolgreiches Duo bilden, ihr Schiff gerade erst in ruhige Gewässer gebracht. Das liegt vor allem am Closing des neuen „Digital West“-Fonds in der Höhe von 175 Millionen € sowie einer neu verkündeten Partnerschaft mit dem britischen VC-Riesen Draper Esprit. Es scheint, als könnten Brandis und ­Nagel wieder ­ruhiger schlafen. Denn in den letzten drei Jahren hatte ­Earlybird mit einigen Schwierig­keiten zu kämpfen. Bereits 2015 gab das Unternehmen bekannt, die neue Generation des auf Westeuropa fokussierten Fonds lancieren zu wollen. Doch dann verließen zwei Partner – Ciarán O’Leary und Jason Whitmire – das ­Unternehmen überraschend, zudem unterschätzte Earlybird den Aufwand für durch EU-Regularien notwendig gewordene Zulassungen des Fonds. Es sollte drei Jahre dauern, bis der Fonds im Juli 2018 endgültig ge­closet wurde.

In der Zwischenzeit hatten die beiden aber bereits an der Zukunft des Unternehmens geschraubt. Mit dem Zusammenschluss mit dem von Fabian und Ferry Heilemann geführten „Heilemann Ventures“ (die Brüder hatten ihr Geld vor allem mit dem Exit des Start-ups Dailydeal verdient, Anm.) holte man schon 2016 Ersatz für die abgewanderten Partner. Zudem investierte man bereits aus dem privaten Pool des neuen Fonds, der auch ohne EU-Regularien zugelassen war, um den eigenen Track Record weiter aufzubauen. Für Christian Nagel war die Situation daher auch ­etwas weniger dramatisch als in mehreren Medienberichten dargestellt: „Wir waren in dieser schwierigen ­Situation trotz allem einigermaßen entspannt, denn wir konnten ja aus dem privaten Pool unseres Fonds weiterinvestieren.“

Heute zeigt sich Nagel jedenfalls zufrieden über die personelle Aufstellung: „Mit dem Hinzukommen von Fabian und Ferry Heilemann ­haben wir unsere unternehmerische DNA noch weiter gestärkt. Das ist etwas, das nicht so viele Fonds von sich sagen können – und das hilft. Da kann man Gründer aus der eigenen unternehmerischen Erfahrung heraus beraten und begleiten.“ Diesen „Begleitschutz“ will ­Earlybird in der sechsten Generation seines ­„Digital West“-Fonds noch stärker fördern. Bereits 2016 sagte Nagel, der Fonds würde noch stärker gründerzentriert sein. Der Fokus soll dabei auf Deeptech-Start-ups liegen, von E-Commerce und endkundenzentrierten Geschäftsmodellen rückt man ab. Das ist etwas ungewöhnlich für einen VC, der in der breiten Öffentlichkeit vor ­allem für Beteiligungen in ebensolche ­Unternehmen bekannt ist. Denn ­Earlybird war ­einer der ersten Investoren in die Digitalbank N26, die heute eine Million Kunden zählt. Auch das Umzugs-Start-up Movinga oder die Kryptowährungsbörse Shape­shift sind endkunden­fokussierte Geschäftsmodelle.

Hendrik Brandis
...studierte Luft- und Raumfahrttechnik an der TU München. Nach seinem Abschluss war er drei Jahre lang als Ingenieur beim Airbus-Vorgänger EADS tätig, 1991 wechselte er zu McKinsey, wo er Christian Nagel kennenlernte. 1997 gründeten die beiden – gemeinsam mit Roland Manger und Rolf Mathies – Earlybird.

Brandis: „Wir sind letztendlich eine Reflexion des Marktes. Der noch stärkere Fokus auf Deeptech ist ­weniger eine missionarische Frage, wir sind da agnostisch. Zurzeit ist es aber schlicht so, dass das Chancen-­Risiko-Verhältnis bei sehr technologieorientierten Investments dramatisch besser geworden ist als noch vor zehn Jahren.“ Und somit setzt Earlybird stärker auf Start-ups wie Uipath, das im Bereich der robotergesteuerten Prozessautomatisierung (sprich: künstliche Intelligenz) tätig und hocherfolgreich ist. Zuletzt sammelte das Unternehmen in ­seiner Series-C-Finanzierungsrunde 225 Millionen US-$ ein.

Neben dem „Digital West“-Fonds ist Earlybird aber auch in zwei anderen Fonds aktiv: Der Health­tech-Fonds wird von Gründungspartner Rolf Mathies geleitet, der „Digital East“-Fonds von Co-Founder Rolf Manger. Letzterer fokussiert sich auf Osteuropa und die Türkei, elf Mitarbeiter zählt das Earlybird-Büro in Istanbul. Die Situation in der Türkei, deren wirtschaftliche Lage mitsamt Währungskrise und einer zunehmend autoritären Regierung internationalen Investoren Sorge bereitet, macht auch Earlybird keine große Freude. In Gefahr sehen Brandis und Nagel ihren dortigen Fonds aber nicht. Brandis: „Die Frage ist, ob die Entwicklungen in der Türkei das Geschäftsmodell ,Venturefonds in Osteuropa‘ infrage stellen. Und das glauben wir nicht. Dass wir uns eine andere Situation in dem Land wünschen würden, ist aber auch klar.“

Der generelle Fokus auf Europa – egal, ob Ost oder West – stand nie zur Debatte. Denn laut Nagel ­bietet der Kontinent ausreichend Möglichkeiten, erfolgreiche Invest­ments zu machen. Insbesondere die ­aktiver werdenden Corporates, Teams mit einer hohen Diversität, vermehrt vorkommende Serien­unternehmer sowie eine gut ausgestaltete Tech­nologie­kompetenz formen heute laut dem Investor ein Ökosystem, das durchaus vielversprechend ist.

Christian Nagel
...studierte an der Technischen Universität Hamburg, bevor er 1988 bei McKinsey einstieg. Zudem promovierte Nagel an der Universität St. Gallen. Ab 1994 war er Mitgründer und Managing Director bei der SMB Industrieholding GmbH (SMB Wildau). 1997 gründete er Earlybird mit.

Tatsächlich könnte Europa vor einem großen Schritt nach vorne stehen. Auch, weil die ­Konkurrenz schwächelt: Während chinesische Tech-Unternehmen zunehmend Schwierigkeiten haben, Märkte abseits ihres Heimatlandes zu erschließen, kämpft die Tech-Branche in den USA seit Längerem mit Imagepro­blemen. Verursacht wurde das durch einen zumindest fragwürdigen Umgang mit Skandalen (Uber, Facebook), offensichtlichen Schwächen von werbefinanzierten Geschäftsmodellen (Facebook), Lücken im Datenschutz (Google) sowie fehlender Diversität in den Teams. Und obwohl auch in Europa bei Weitem nicht alles perfekt läuft, weisen mehrere Zeichen auf einen Aufwärtstrend hin. Die Puzzleteile sind schon länger da: Die Region verfügt über exzellente Universitäten, eine hervorragende Infra­struktur, weitgehende politische Stabilität sowie einen ausreichend großen Binnenmarkt. Zwar sind die unterschiedlichen Sprachen eine Hürde, doch gerade in der Finanzbranche haben etwa Digitalbanken Vorteile. Denn mithilfe des „Passporting“ reicht eine Banklizenz in einem EU-Land aus, um in allen anderen aktiv zu werden. US-Start-ups in diesem Bereich müssen hingegen mit den Regulatoren aller Bundesstaaten sprechen. Doch nun zeigen sich auch Ergebnisse.

Und auch abseits der Fintech-­Welt zeigen sich Erfolge: Mit Spotify hat der Kontinent eine Weltmarke, und eines von europaweit 59 Unicorns – Unternehmen in Privatbesitz mit einer Bewertung jenseits von einer Milliarde US-$. In den USA liegt diese Zahl zwar mit 109 deutlich höher, doch die Wachstumsrate ist in Europa doppelt so hoch. Aber trotz dieser Erfolge hat die Region ein ­großes Problem: Das Geld für die richtig großen ­Finanzierungsrunden fehlt. Der „Funding Gap“, also der Rückstand Europas gegenüber den USA in Sachen VC-Finanzierung pro Kopf, liegt bei Faktor zehn. Und da Start-ups hier keine Wachstums­finanzierung erhalten, werden sie früher als ihre US-Pendants verkauft, und damit oft zu früh. Beispiele? Das hochprofitable ­niederländische Start-up Booking.com, das zuletzt rund sieben Milliarden US-$ Jahres­umsatz generierte, ging schon 2005 ans US-Unternehmen Priceline.com, das heute 80 Prozent seiner ­Erlöse über Booking.com einstreift. Auch Anteile an Supercell, einem finnischen Mobile-Gaming-Spezialisten, wurden bereits 2013 für 1,5 Millionen US-$ an Softbank und das japanische Unternehmen GungHoOnline Entertainment verkauft. Die beiden verkauften ihre Anteile 2016 an den chinesischen IT-Riesen Tencent weiter – für satte 10,5 Milliarden US-$.

Als europäischen VC beschäftigt das Thema naturgemäß auch Earlybird. Hendrik Brandis wird aufbrausend: „Volkswirtschaftlich ist das ein absolutes Desaster. Es ist ja irre, was wir machen: In Deutschland ­werden insgesamt pro Jahr ungefähr 30 Milliarden € in die Entwicklung von Technologien gesteckt. Gleichzeitig stehen nur eine bis zwei Milliarden € Venture Capital zur Nutzung und Entwicklung dieser Technologien in Unternehmen zur Verfügung. Die Innovationskette ist immer nur so gut wie das schwächste Glied.“

Auch Christian Nagel versteht die Situation nicht: „Vor 20 ­Jahren war der Abstand vielleicht gerechtfertigt, weil es nicht so viele gute Investitionsmöglichkeiten gab. Das ist heute aber nicht mehr so, das Ökosystem bildet sich immer mehr aus – und wir glauben, dass das ein nachhaltiger Trend ist.“ Um dem entgegenzuwirken, denken die Early­bird-Gründer schon länger über einen Wachstumsfonds nach, der Unternehmen in ebensolchen Phasen finanzielle Mittel bieten könnte.

Lange Zeit nur diskutiert, machte Earlybird kürzlich einen klaren Schritt in diese Richtung und schloss eine strategische Partnerschaft mit dem britischen VC-Haus Draper Esprit (Namenspartner Tim ­Draper gilt als Veteran in der Branche, Anm.). Vorerst soll über Co-Investments gemeinsam investiert werden. Auch mit den Heilemann-Brüdern startete Earlybird mit Co-Investments, bevor 2016 eine Fusion folgte. Eine Blaupause? „Ein Merger ist weder angelegt und beschlossen noch komplett ausgeschlossen. Klar ist: Für beide Seiten macht die Partner­schaft mit Draper Esprit wahnsinnig viel Sinn. Wir sind in allen Dimensionen komplementär.“ Tatsächlich überschneiden sich die Ansätze überraschend wenig: Während Earlybird sich auf ­Kontinentaleuropa fokussiert, ist Draper Esprit (zu dessen erfolgreicheren Investments auch N26-Konkurrent Revolut zählt) vor allem in Großbritannien und den „Nordics“ (Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden, Anm.) aktiv. Die Briten investieren zudem vorrangig in Later-Stage-­Phasen, ­könnten daher den Port­foliounternehmen von Earlybird, das bekannterweise früher einsteigt, Anschlussfinanzierungen bieten – im Austausch für bevorzugten Zugang zu neuen Start-ups. Als börsennotiertes Unternehmen finanziert ­Draper Esprit sich und seine Fonds vor allem aus öffentlichen Quellen, ­während Earlybird direkt mit großen ­institutionellen Investoren (Limited Partners, LPs) und Privatinvestoren arbeitet. Auch Christian Nagel will keine definitive Aussage tätigen, zeigt sich aber durchaus hoffnungsvoll: „Die Logik für einen Wachstumsfonds ist natürlich da, denn das ist der Flaschenhals in Europa.“

Wie lange dieses Geld noch fehlen wird und ob Earlybird tatsächlich einen Teil der Lücke schließt, ist somit offen. Es scheint aber, dass sowohl Brandis als auch Nagel eine Sehnsucht haben, einen solchen Fonds zu lancieren – und damit „­ihren“ Gründern aus der eigenen Tasche die Weiterentwicklung ihrer Technologien im großen Stil zu ­ermöglichen. Denn der Fokus von Earlybird – ­europäische Gründer mit digitalen, skalierbaren und innovativen Technologien – dürfte sich auch bei einem möglichen Wachstumsfonds nicht ändern. Und wer weiß – vielleicht sind es tatsächlich die europäischen Gründer, die Brandis und Nagel den entscheidenden Stoß nach vorne bescheren.

Dieser Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe 2018 „Handel“ erschienen.

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