HERBERT DIESS: NEUES MODELL FÜR VW

Vom staubigen Autobauer zum modernen Tech-Unternehmen: Herbert Diess will Volkswagen nachhaltig transformieren. Dabei setzt der CEO auf Milliardeninvestitionen und kantige Aussagen.

Es gibt in der Regel wenig, was über den CEO des Volkswagen-Konzerns nicht schon geschrieben wurde. Als wir den aktuellen Vorstandsvorsitzenden von VW, Herbert Diess, jedoch nach seinem Führungsstil fragen, ist seine Antwort – wie so oft mit einem Lächeln serviert – unerwartet: „Ich habe kürzlich ein Zitat von Ingeborg Bachmann gelesen, das mir gefällt: ,Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.‘“ Tatsächlich kann man Diess, der – wie auch Bachmann – die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, nicht vorwerfen, seinem Umfeld die Wahrheit zu verschweigen. Das zeigt sich intern in Form intensiver Auseinander­setzungen, in der Öffentlichkeit durch provokante Aussagen – etwa als Diess die Chance, dass die deutsche Autoindustrie auch in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehört, mit 50 Prozent bezifferte. Eine für einen Chef des weltgrößten Autoherstellers und obersten Mitarbeiter der deutschen Ikone lange Zeit völlig undenkbare Aussage – wenn auch wohl nicht ganz zu Unrecht getätigt. Auch Diess’ jüngstes Statement, VW könnte aus dem Verband der deutschen Automobilindus­trie (VDA) austreten, weil dieser sich zu wenig auf Elektromobilität fokussiere, sorgte für einen medialen Aufschrei.

Zuletzt musste sich Diess für die ­Aussage „Ebit macht frei“ entschuldigen (aufgrund der vermuteten Parallele zur Phrase „Arbeit macht frei“, die am Eingangstor des Konzentrationslagers Auschwitz stand, Anm.). Die Financial Times zitierte hin- und hergerissene Investoren: Der ­Sager sei ein Rücktrittsgrund, so der Tenor. Gleichzeitig sei Diess aber einer der wenigen Manager, die Volkswagen endlich in die richtige Richtung steuern könnten.

Herbert Diess ist das Cover unserer März-Ausgabe 2019.

Diess polarisiert. Das muss nicht schlecht sein. Denn es ist keine Neuigkeit, dass sich die ­Automobilbranche im Allgemeinen und ­Volkswagen im Speziellen neu erfinden muss – angesichts der Herausforderungen einer elektrischen, vernetzten, autonomen und dienstleistungsorientierten Mobilität. Volkswagen stand lange Zeit sinnbildlich für die alte Welt – ein Image, das durch den Diesel­skandal 2015 nur verstärkt wurde.

Nun will Diess daraus ein Elektromobilitäts- und Tech-­Unternehmen machen. Dazu investiert VW bis 2023 44 Milliarden € in Elektromobilität, ­Mobilitätsservices und autonomes ­Fahren. Das entspricht einem Drittel der insgesamt bis 2023 geplanten Ausgaben von 130 ­Milliarden €. Auch personell ist Diess kompromisslos: Kürzlich wurde bekannt, dass konzernweit rund 7.000 ­Stellen nicht nachbesetzt werden, die in der ­Mobilität der Zukunft keinen Platz mehr haben. Für ­manche ist Diess’ Gangart zu hart. Insbesondere der VW-Betriebsrat rund um den mächtigen Bernd Osterloh leistet Widerstand. Laut Osterloh soll der Vorstand Fehler aus der Vergangenheit beheben, bevor die Belegschaft ihren Teil beiträgt. Konkret sprach er Milliardenverluste wegen der Umrüstung auf den neuen Abgasstandard WLTP (Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure – ein neues Messverfahren zur Bestimmung der Abgasemissionen und des Kraftstoff-/Stromverbrauchs von Kfz, Anm.) an.

Andere spüren frischen Wind. ­Oliver Blume, Porsche-CEO und Vorstandsmitglied im Mutterkonzern, sagt: „Herbert Diess hat einen klaren Plan, wo er Volkswagen hinführen möchte. Er setzt dem Konzern auch klare Ziele – und wir werden dabei tatkräftig unterstützen, sie zu erreichen.“ Aktuell ist eine Verlängerung des bis 2023 laufenden Vertrags für Diess kein Thema. Doch reicht die Zeit, um den Konzern mit seinen rund 650.000 Mitarbeitern umzubauen? Sind Herbert Diess’ Pläne Volkswagen denn zumutbar?

Rendite der VW-Töchter
(Quelle: Unternehmensangaben)

Während seine ­Konkurrenten BMW und Daimler versuchen, den Verbrennungsmotor zu retten, setzt Diess alles auf Elektrifizierung. In den nächsten zehn Jahren will der Konzern 70 Elektromodelle lancieren und 23 Millionen E-Autos produzieren. Bis 2050 soll VW zudem CO2-neutral werden. Dass gerade das von „Dieselgate“ gebeutelte Unternehmen (Diess gibt an, vom Skandal nichts gewusst zu haben, Anm.) zum Vorreiter der Elektromobilität wird, wirkt skurril. Doch wenn VW auch in Zukunft die Nummer eins bleiben will, muss angesichts der Konkurrenz durch Toyota, Honda oder auch Tesla etwas passieren.

Dazu braucht es vor allem eines: Batterien. Die sind jedoch nicht so leicht zu bekommen. Diess: „Ich bedaure, dass wir es nicht geschafft haben, einen europäischen Batteriehersteller aufzubauen. Der fehlt uns.“ Und tatsächlich sitzen die großen Produzenten allesamt in Asien: ­Panasonic, CATL, LG Chem, Samsung, BYD oder SKI. In der Pflicht sieht Diess eigentlich die europäischen Zulieferer. Doch die wollen nicht: Bosch zog sich nach langen Spekulationen aus dem Geschäft der Batterieproduktion zurück – die finanziellen Risiken seien schlicht zu hoch. Da Diess aber keine Abhängigkeiten mag – er behält gerne die ­Kontrolle –, wird an anderen Lösungen gearbeitet. Mit dem koreanischen Hersteller SKI gibt es „Joint-Venture-Strukturen“, um VWs Bedarf an Lithium-Ionen-Batterien abzudecken. Ähnliche Abkommen bestehen mit LG Chem, Samsung und CATL. Zudem forscht der Konzern an Festkörperbatteriezellen. Die haben im Gegensatz zu Lithium-Ionen-Batterien 25 bis 30 Prozent mehr Energiedichte, sind aber noch ein gutes Stück von der Marktreife entfernt. Seit 2012 ist VW dazu an dem US-amerikanischen Start-up Quantumscape beteiligt, insgesamt werden 100 Millionen US-$ investiert, VWs Anteil beträgt rund 20 Prozent. Erste Pilotfertigungen könnten in Europa ab 2025 stattfinden. Diess bleibt pragmatisch: „Feststoffzellen werden das Thema Batteriezellen auch nicht revolutionieren.“

Bild: VW, Herbert Diess, CEO, Volkswagen, Wolfsburg

Herbert Diess
... studierte Maschinenbau und Fahrzeugtechnik an der Technischen Universität München. Er war bei Bosch und BMW tätig, bevor er 2015 zu Volkswagen wechselte. Dort leitete er die Konzernmarke; seit April 2018 ist Diess Volkswagen-CEO.

Neben einem umfassenden Systemumbau (Strom aus erneuerbaren Energien, flächendeckende Ladeinfrastruktur) benötigt VW auch Kosteneffizienz. Denn Elektromobilität ist teuer, der Umstieg kurzfristig gesehen eigentlich ein Horror. Dabei kämpft VW seit Jahren um eine verbesserte Effizienz. Konzernweit liegt das Ziel bei sieben bis acht Prozent. Zuletzt ging’s in die andere Richtung, 2018 sank die ­Rendite sämtlicher Tochtermarken. Die VW-Marke verfehlte das Renditeziel von vier Prozent, Audi fiel von 8,5 auf 7,9 Prozent, Porsche von 18,5 auf 17,4 Prozent (jeweils vor Sonder­­einflüssen, Anm.).

Herbert Diess scheint sich bewusst, dass ein Umdenken stattfinden muss. „Wir müssen in-house zu einem Softwareunternehmen werden. Der Kunde wird erwarten, dass sich sein Auto wie ein Smartphone verhält.“ Neben der Elektromobilität will Diess VW also vor allem zu einem Tech-Unternehmen machen, das Bereiche wie Datenmanagement, künstliche Intelligenz oder Cloud Computing zu Kernkompetenzen macht. Da das nicht der Fall ist, werden Mitarbeiter in Fortbildungszentren umgeschult, seit Diess’ Amtsantritt wurden 1.500 Software­ingenieure neu eingestellt. Denn Autos werden zu Datenträgern, so Diess: „Die Verwertung der Fahrzeugdaten wird das Autofahren unglaublich viel komfortabler, angenehmer und vor allem sicherer machen. Letztlich muss der Kunde aber immer seine Einwilligung geben.“

Bis 2023 will Volkswagen ...
(Quelle: Unternehmensangaben)

Doch die Konkurrenz schläft nicht – und verändert sich. Denn neben traditionellen Autobauern forschen auch Google, Apple oder Amazon am autonomen Fahren. Und die haben in Sachen Software gut zwei Jahrzehnte Vorsprung. Doch das Wissen, wie man ein Auto baut – also die Hardware –, fehlt den ­Silicon-Valley-Riesen. Eine Chance für VW. Um etwa die Expertise im Cloud-Geschäft zu verbessern, kooperiert Volkswagen mit Microsoft. Der IT-Riese soll dem Autobauer helfen, mit den Unmengen an Daten, die in vernetzten Fahrzeugen anfallen, richtig umzugehen. In einer „Automotive Cloud“ sollen die Daten gespeichert und verarbeitet werden. Überhaupt wendet sich Volkswagen von einem kompetitiven zu einem kooperativen Ansatz: So soll die Elektroauto-Plattform MEB (Modularer ­Elektrifizierungsbaukasten), die Produktionsschritte beim Bau von Elektro­autos automatisieren und so die Fahrzeuge leistbarer machen soll, der Branche zugänglich gemacht werden.

Auch in Sachen autonomes Fahren führte Diess zahlreiche ­Gespräche, darunter mit der Google-Tochter ­Waymo, der der Manager einen „ein- bis zweijährigen“ Vorsprung bei der Entwicklung selbstfahrender Autos attestiert. Gerüchte, wonach Volkswagen eine Beteiligung an Waymo anstrebe, dementiert Diess. Vielmehr dürfte eine Kooperation mit Ford konkrete Formen annehmen. So könnte VW, neben der gemein­samen Fertigung von Fahrzeugen, in das von Ford unterstützte Start-up Argo AI investieren. Die Entscheidung soll noch 2019 fallen.

In China verkündete VW zudem eine Beteiligung an Apollo, einer Plattform für autonomes Fahren, die vom Techunternehmen Baidu entwickelt wurde. Diess ist langfristig orientiert: „Es ist noch viel zu tun, bis autonomes Fahren Bestandteil eines tragfähigen Geschäftsmodells wird.“ Wann das Thema für Volkswagen echte Relevanz haben wird? „Das wird noch länger dauern.“

VW-Mitarbeiterzahl
(Quelle: VW)

Seine Ferien verbrachte Herbert Diess immer in Österreich. Der Manager besitzt bis heute ausschließlich den österreichischen Pass. Der gebürtige ­Münchner studierte an der Technischen Universität München Fahrzeugtechnik und Maschinenbau. Er promovierte 1987 im Alter von 29 Jahren beim späteren BMW-Vorstandschef ­Joachim Milberg. Diess startete seine Karriere bei Bosch, bevor er 1996 zu BMW wechselte. Dort blieb er 19 Jahre und leitete neben den Werken in ­Birmingham und Oxford auch die Motorradsparte. 2007 stieg der Österreicher in den Vorstand auf, kümmerte sich um Einkauf und Lieferanten und sparte im großen Stil. 2012 wurde er Vorstand für Forschung und Entwicklung, 2015 kam er zu VW – angeblich auf Wunsch des ehemaligen CEOs ­Martin Winterkorn.

Wer Herbert Diess kennenlernt, merkt, dass er österreichischen Charme mit deutscher Disziplin verbindet. Medien beschreiben ihn als „harten Hund“ (Neue Zürcher Zeitung), als einen, „der seine Empathie ein- und ­ausschalten kann wie andere einen Lichtschalter“ (Handelsblatt). Doch Diess scheint tatsächlich das Zeug zu ­haben, ­Volkswagen nachhaltig zu transformieren – wenn er nicht über eine saloppe Aussage stolpert. Denn dem Österreicher wird nicht nur Expertise zugeschrieben, sondern auch die Fähigkeit, große Visionen zu denken. Die verfolgt er mit Nachdruck: Neben seiner CEO-Position leitet Diess auch die Konzernmarke und das China-Geschäft (40 Prozent des Absatzes stammen aus dem Reich der ­Mitte). Eine enorme Machtfülle.

Also: Ist Diess der richtige Mann, um VW zu ­transformieren? 2018 war solide, VW ­steigerte Umsatz (235,8 Milliarden €) und operatives Ergebnis (17,1 ­Milliarden €) leicht. Doch die Renditen fielen. Zudem ist Diess im Clinch mit den Arbeitnehmerver­tretern. Aufsichtsrat und Eigentümer­familien scheint er hingegen an Bord zu haben, den Analysten gefällt seine Radikalität. Patrick Hummel von der UBS schreibt: „Mit seinem kompromisslosen Plattformansatz MEB (…) ist ­Volkswagen von allen OEMs (Original Equipment Manufacturers, Anm.) am besten positioniert, die Skalierungs­kurve nach oben zu klettern.“ Das Kursziel liegt bei 210 €, das sind 50 Prozent Potenzial zum jüngsten Aktienkurs von 139 €. Laut Reuters geben von 29 Analysten 23 eine Kaufempfehlung für die VW-Aktie ab.

Auch Diess gibt sich gelassen, wenn man ihn auf die Zukunft anspricht. Der Mann mit dem Faible für die Wahrheit ist überzeugt von seinem Programm: „Die Welt hat noch Platz für viel Volkswagen.“

Der Artikel ist in unserer März-Ausgabe 2019 „KI“ erschienen.

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