Hoffen auf den Bilbao-Effekt

Was man nicht alles aus den Augen verliert? Der Architekt Peter Eisenman versuchte sich 2013 an dem spanischen Prestigeprojekt „City of Culture of Galicia“ – konnte damit aber nicht überzeugen.

Das Projekt lockte das „Who’s who“ der Architekturszene an: Mike Guyer, Rem Koolhaas, Daniel Libeskind, Jean Nouvel – sie alle wollten den von der galicischen Landesregierung 1999 ausgeschriebenen Gestaltungs- und Realisierungswettbewerb für sich gewinnen. Den Anstoß zu „City of Culture of Galicia“ gab der damalige Regierungschef der autonomen Region, Manuel Fraga Iribarnes. Es sollte – in Anlehnung an das Guggenheim Museum in Bilbao – erneut ein kultureller Publikumsmagnet für die Region geschaffen werden. Aber warum nahm sich die „City of Culture of Galicia“ genau dieses Projekt als Vorbild? Das Guggenheim Museum lockt seit seiner Eröffnung im Oktober 1997 jährlich mehr als eine Million Besucher an, schuf 9.000 neue Jobs und erwirtschaftet dazu jährlich 485 Millionen € an Einnahmen. Kurzum: Es wurde zum Aushängeschild eines gelungenen Museumsprojekts. Heute ist der Einfluss des architektonischen Publikumsmagnetes auf die Wirtschaft einer Region unter dem Begriff „Bilbao Effekt“ bekannt. Das Projekt „City of Culture of Galicia“ für sich entschied schlussendlich der Architekt Peter Eisenman, der sich gegen eine hochkarätige Konkurrenz aus elf Architekten durchsetzte.

Ein galicischer Traum
Der Hügel Monte Gaiás, nur knapp drei Kilometer vom Zentrum der galicischen Hauptstadt Santiago de Compostela entfernt, überschaut die mittelalterlich geprägte Stadt. Ziel des Architekturwettbewerbs war es, eine entsprechende Strategie für das Areal rund um den Hügel zu entwickeln. Der Jakobsweg sowie die fast 1.000 Jahre alte Kathedrale, in der die Gebeine des heiligen Apostels Jakobus liegen sollen, locken – neben mehreren Millionen Besuchern und Tagesgästen – jährlich 300.000 Pilger nach Santiago des Compostela. Die somit vermeintlich gesicherten Touristenzahlen machten die Idee wirtschaftlich interessant.

Die Überzeugung, die Stadt bedürfe eines „Guggenheims“, ließ die Regierung und Bevölkerung Galiciens nicht mehr los. Eisenman präsentierte einen Entwurf, der 700.000 m² überbaute Fläche umfassen und unter dem Namen „City of Culture of Galicia“ eine neue Marke entstehen lassen sollte. Santiago de Compostela, bis zu diesem Zeitpunkt als christliche Pilgerstätte bekannt, sollte die Chance bekommen, auch zu einem kulturellen Mekka zu werden. Zu diesem Zweck waren sechs Baukörper geplant:  je ein Museums-, Kunst- und Theaterbau sowie eine Bibliothek, ein separates Archiv und ein Forschungszentrum zum Thema „galicisches Kulturerbe“.

Die Vision des Architekten
Eisenmans Methode sah vor, das urbane Vorbild Santiago de Compostelas in das Gliederungsprinzip der „City of Culture“ einzubauen. Dies sollte in drei Schritten geschehen: Zuerst zeichnete Eisenman hierzu die mittelalterliche Stadtstruktur Santiago de Compostelas nach. Über diese Zeichnung legte er in einem zweiten Schritt ein kartesisches Gitter mit immer gleichen Seitenlängen. Eine 3D-Software ermöglichte es ihm nun, diese Ebenen miteinander zu verbinden. Das daraus resultierende Schnittmuster wendete er zuletzt auf den Monte Gaiás an. Die Translokation der Charakteristika des Stadtkerns auf den Hügel und die Verschmelzung mit dessen Topographie, hatten folgendes Ergebnis: Die Computervisualisierung ließ Täler und Schluchten entstehen, die der Architekt als Vorlage für seine Baukörper nutzte.  

Das Besondere daran war, dass die Form und das Volumen der Bauten an das Symbol der Stadt – die Jakobsmuschel – erinnern sollten. Die Kombination all dieser Größen hätte ein nie dagewesenes Bild ergeben, in dem sich Geschichte, Gegenwart und Symbolik miteinander vereinen. Eisenman nutzte die Möglichkeiten seiner Zeit, architektonische Entwurfsprozesse mit dem Computer sichtbar zu machen.

Sein zum Jahrtausendwechsel entworfenes Konzept versprach allerdings eindeutig zu viel. Lässt man die architektonischen Kunstgriffe und ihre theoretische Erklärung einmal beiseite, so findet man sich als Besucher in einem Faltengebirge aus lediglich vier statt der ursprünglich geplanten sechs Baukörper wieder. Die Kosten sind so enorm gestiegen, dass man die Gebäudenutzungskonzepte umwidmen musste, um auf den kostspieligen Bau des gesamten Entwurfs verzichten zu können. Als Laie die Struktur des städtebaulichen Vorbilds Santiago de Compostelas hier wiederzufinden, ist schier unmöglich.

Wie steht es um die Rentabilität?
Heute, fast zwei Jahrzehnte später, hört und liest man nichts mehr über das damals fulminante Projekt. Das Gelände, so groß wie 100 Fußballfelder, verschwand schon kurz nach seiner Teilfertigstellung 2013 aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Eine kurze Bilanz lässt sich dennoch ziehen: Baubeginn war 2001, das Budget des Mammutprojekts belief sich auf 108 Millionen Euro und sollte zehn Jahre später fertiggestellt sein. Das Zeitfenster für den Bau konnte nicht eingehalten werden und die Kosten explodierten. Woran aber lag das?

  • Durch inkonsistente Terminplanung stiegen die Baustellengemeinkosten enorm. Gemeint sind damit laufende Kosten, die auch während des Baustellenstillstandes anfallen. Hierzu zählen beispielsweise Gerätemieten, Nebenkosten und Personalkosten, die allein durch die Aufrechterhaltung der Baustelle entstehen.

  • Steigende Materialkosten im Verlauf der Bauarbeiten – die Kosten für das Baumaterial schwanken je nach Verfügbarkeit. Insbesondere wenn sich ein Projekt über viele Jahre oder gar Jahrzehnte zieht, fällt eine Preisprognose häufig sehr schwer.

  • Die Arbeit mit individuell produzierten Bauteilen war kostspielig. Jedes Fenster der Gebäudefassaden soll laut den Projektverantwortlichen eine Einzelanfertigung gewesen sein.

  • Die immer neuen Planänderungen als Reaktion auf bereits entstandene Mängel verzögerten den Baufortschritt und trieben die Kosten in die Höhe.  

Konkret wurde das Budget 2013 um rund 400 Millionen € überschritten. Zum Vergleich: das Guggenheim Museum in Bilbao kostete insgesamt lediglich 89 Millionen €.

Das Ego des Architekten Eisenman und der Wunsch der Regierung setzten sich noch während der Bauphase gegen den eigentlichen Bedarf einer wirtschaftlich schwach entwickelten Region durch. Denn: Ein „zweites Bilbao“ hätte Santiago de Compostela nicht gebraucht. Vor allem während der Wirtschaftskrise 2008 hätten Gelder sinnvoller investiert werden können.

Insgesamt blieb die „City of Culture of Galicia“ eine Enttäuschung – und der erhoffte „Bilbao-Effekt“ löste sich in Luft auf. Das Kulturzentrum, das einen wirtschaftlichen Aufschwung versprach, belastet die Region noch heute jährlich mit Millionen Euro. Instandhaltung, Wartung und Events schlucken immense Summen. Die spanische Tageszeitung „La Voz de Galicia“ veröffentlichte zuletzt  bedenkliche Zahlen. Die Instandhaltung der Architektur nach Eisenman kostet die galicischen Kassen täglich 11.000 € – jährlich also knapp über vier Millionen €. Bei 1.300 Gästen am Tag – so die aktuellsten Angaben von Seiten der Tageszeitung – bedeutet das, dass jeder Gast erst nach seinem achten Euro, den er dort ausgibt, etwas zur „Blüte der Region“ beiträgt. Rechnete man noch die Kosten für Veranstaltungen, Konzerte und Ausstellungen hinzu, rückt eine gute Kapitalrentabilität in weite Ferne. 500 Millionen € Baukosten zu amortisieren, wird zu einer Herkulesaufgabe.

Abschließend bleibt jedoch zu hoffen, dass mögliche neue Strategien zukünftig den städtebaulichen Riesen revitalisieren könnten. Ob diese Interventionen auch diesmal von der Regierung kommen müssten, sei dahingestellt. Häufig gibt jedoch das kreative Milieu, so kennen wir es aus anderen Städten, Fehlschlägen wie diesem eine zweite Chance.

Text: Thomas Szabo

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