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Mit Fernet Hunter etablierten Raphael Holzer und sein Vater Gilbert den in Österreich hergestellten Bitter vorrangig in Asien. Nach dem plötzlichen Tod des Vaters muss Holzer das Unternehmen nun eigenständig leiten.

Ein totes Reh, eine alte Familientradition und ein junger Österreicher, der seine Neuinterpretation eines klassischen Italian Bitters überwiegend in Asien verkauft: Die Geschichte von Fernet Hunter ist eine österreichische – und doch findet sie ihren Ursprung, wie auch Fernet Branca, in Italien. Der Österreicher Oskar Holzer war in der norditalienischen Hafenstadt Triest am Aufbau des Imperiums des Spirituosenherstellers Stock (erwirtschaftet heute einen Umsatz von über 282 Millionen €) beteiligt. Gegründet wurde das Unternehmen 1884 von Lionello Stock, rund 40 Jahre nachdem der Italiener Bernardino Branca erstmals Fernet Branca hergestellt hatte. Der Sohn von Oskar Holzer, Guido Holzer, trat in die Fußstapfen seines Vaters und wurde ebenfalls Destillateur. Sein Sohn Gilbert tat es ihm gleich, eröffnete später jedoch ein Wirtshaus. Doch das war erst der Anfang von Fernet Hunter.

Ein Stück Österreich in Asien

Denn es sollte Gilberts Sohn Raphael werden, der mit dem Wissen seiner Vorfahren ein Produkt kreierte, welches ab 2016 in Hongkong und mittlerweile auch in anderen Städten Chinas sowie Taiwan, Singapur, Vietnam und auf den Philippinen vertrieben wird. Doch nicht nur in Asien, auch in Österreich ist Fernet Hunter in ausgewählten Geschäften und via Onlineshop für 34,90 € erhältlich. Der Fokus auf den asiatischen Markt kommt nicht von ungefähr: Raphael Holzer arbeitete zwar einige Jahre im Wirtshaus seiner Eltern, zog mit 20 Jahren aber in die USA, um in Florida eine zweijährige Ausbildung im Bereich Food & Beverage (F&B) zu absolvieren. Anschließend erhielt er ein Angebot für eine Managerposition im japanischen Restaurant Zuma in Dubai und zog nach weiteren Jahren nach Peking, um dort den neuen Ableger des Restaurants zu führen.

Danach folgte die Eröffnung und Geschäftsleitung der Restaurants Yardbird (Peking) und Ronin (Hongkong) sowie des Convience Stores Sunday's Grocery (Hongkong). Mittlerweile lebt er seit knapp zehn Jahren in Asien, neun davon in Hongkong. „Wir haben mit Fernet Hunter nicht in Österreich begonnen, weil ich keinen Bezug zum Markt hatte und zudem wusste, dass das Label ‚Made in Austria‘ in Hongkong ein sehr hohes Ansehen genießt“, erzählte Raphael Holzer, als wir ihn zum Interview im heimischen Wirtshaus in Bad Leonfelden im Brunnwald trafen; in der Ortschaft, in der auch Fernet Hunter seinen Sitz hat. Zu der Zeit war sein Vater noch mit der Produktion beschäftigt – wenige Monate später stirbt er an den Folgen eines Unfalls bei Holzarbeiten im heimischen Wald. Dabei war es sein Wissen, von dem Fernet Hunter maßgeblich profitierte – während sich Gilbert Holzer in der heimischen Produktionsstätte um die Herstellung der Spirituose kümmerte, etablierte Raphael das Getränk mit seinem Geschäftspartner Neville Kotewell, den er in Hongkong kennen­gelernt hatte, in den genannten Ländern.

Vater und Sohn

Seine Verbindungen in der F&B-Szene sind dabei natürlich von Vorteil. „Ich bin immer noch als Berater für Bareröffnungen tätig, und wenn ich die Konzepte entwickle, bringe ich auch Fernet Hunter ein.“ Eine Tatsache, die vor allem auch funktioniert, weil Fernet Hunter für Cocktails konzipiert wurde: „Nimmt man klassischen Fernet für Cocktails, werden diese zu schwer und schmecken nur nach dem Bitter. Wir haben ihn frischer und leichter umgesetzt“, erklärt Raphael Holzer. Das Geheimnis liegt dabei unter anderem bei der Kräuterwahl – Arnika, Iriswurzel und Lavendel, welche zur Jagdsaison gesammelt werden (was auch das tote Reh auf dem Etikett erklärt) –, aber auch die Lagerung und die Qualität des verwendeten Wassers sowie der Herstellungsprozess spielen für den Geschmack eine wichtige Rolle. „Destillation ist ein Vorgang. Was falsch läuft, kann in einem nachgelagerten Schritt nicht mehr behoben werden“, sagte Gilbert Holzer damals im Interview. „Ohne das Wissen meines Vaters hätte Fernet Hunter nie funktioniert. Wir haben die Produktion zweimal zusammen durchgeführt. Ich muss aber noch einiges lernen; vor allem praktisch, denn in der Theorie weiß ich bereits einiges“, ergänzte Raphael Holzer damals, nur einige Wochen vor dem Unfalltod seines Vaters. Ein Umstand, der nicht nur ein persönlicher Verlust ist, sondern für Raphael Holzer auch geschäftlich große Folgen hat. Sein Vater hatte das Wissen über den gesamten Destillationsprozess gehabt – wie sollte es also mit Fernet Hunter weitergehen?

Der Umgang mit dem Schicksal

Sechs Monate nach dem Schicksalsschlag befindet sich Fernet Hunter dennoch weiterhin auf Wachstumskurs. So hat Holzer in den letzten Monaten knapp 20.000 Flaschen hergestellt, verkauft wurden 2019 in Fernet Hunters größten Märkten China und der Sonderverwaltungszone Hongkong bisher 15.000 Flaschen. „Ich besitze die Aufzeichnungen der Rezepturen meines Vaters und habe zunächst mit einem kleinen Sample versucht, das Produkt herzustellen“, erzählt Holzer. „Mittlerweile merkt man keinen wirklichen Unterschied mehr. Es wird jedoch nie wieder zu 100 % das gleiche Produkt sein wie zuvor, denn das war schließlich das Handwerk meines Vaters.“ Mit der Produktion gänzlich aufzuhören stand jedoch nie im Raum, wie Holzer betont. Und so launcht er gerade mit Fernet Hunter Granit ein neues Produkt mit ­reduziertem Zuckergehalt und Fokus auf Bitterstoffen. Es basiert auf der Grundlage der letzten Rezeptur, an der Holzers Vater vor seinem Tod getüftelt hatte.

In Erinnerung bleiben

Um auch strukturell mit dem Wachstum mithalten zu können, wird derzeit unterhalb des Wohnhauses der Familie Holzer an einer 200 Quadratmeter großen Produktions- und Lagerstätte gebaut, die im November 2019 fertiggestellt werden soll. Holzers Bruder leitet den Bau, auch die Schwester unterstützt tatkräftig. Zudem stellte Holzer in Hongkong Personal für das Business Development ein – derzeit arbeiten also abgesehen von Holzers Geschwistern drei Personen bei Fernet Hunter. Teilnahmen an internationalen Trade Shows sollen folgen. Vor allem die USA, Japan und Australien werden stärker in den Fokus rücken, die große Expansion am österreichischen Markt soll erst danach folgen. „Die Eintrittsschwelle in Österreich für neue Produkte ist höher als in Asien. Deshalb war der Plan schon immer, Fernet Hunter zuerst in Asien zu etablieren und dann nach Europa zu kommen. Wenn die Menschen sehen, dass das Produkt anderswo etabliert ist, akzeptieren sie es leichter. Hat man einmal das Vertrauen, sind die Österreicher dann ­loyal – anders als in vielen Ländern Asiens: Dort muss man immer sichergehen, dass man in Erinnerung bleibt“, so Holzer. Die Chancen dazu scheinen gut zu stehen – trotz oder gerade wegen der turbulenten Familiengeschichte der Holzers.

Text: Andrea Gläsemann
Fotos: David Visnjic, Justine K. Tai

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Leitende Redakteurin

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