Ich kann

Wie überall im Leben gehört für Milagros Caiña-Andree auch im Job das bisschen Fortune dazu. Die Spanierin ist als globale HR-Chefin die erste – und bisher einzige – Frau im Vorstand der BMW AG.

Ob er denn mit ihrer Arbeit nicht zufrieden sei, wollte sie von ihrem damaligen Vorstand wissen, als sich ankündigte, dass ein aus ihrer Sicht fachlich weniger geeigneter älterer Mann ihr neuer Chef werden sollte, erinnert sich Milagros Caiña-Andree amüsiert an jene Zeit zurück, als sie ihre erste Führungsposition im oberen Management durchsetzten konnte. „Ich war damals richtig erbost“, sagt sie heute, 20 Jahre später, „das hat mich angetrieben, erst recht dafür zu kämpfen.“ Caiña-Andrees Vorstoß beeindruckte ihr Gegenüber – sie hingegen dachte: „Die schmeißen mich raus.“ Am Ende bekam sie den Job – und hat das C-Level seitdem nicht mehr verlassen.

2012 zog die 1962 im spanischen Boboras geborene Galizierin als erste Frau in den Vorstand von BMW ein – und war damit die erst zehnte Frau in einem Manage­mentboard der 30 DAX-Konzerne. Bis heute ist die global für Personal und Sozial­wesen Verantwortliche sowie Arbeits­direktorin der BMW AG die einzige Frau im insgesamt siebenköpfigen Vorstand. Dass es Human Resources (HR) als Arbeitsfeld werden sollte, war zu Beginn ihrer Karriere eigentlich gar nicht geplant, erzählt Caiña-Andree. „Ich wollte in den inter­nationalen Vertrieb, wollte reisen – all das, was man sich als knapp über 20-Jährige nun mal so vorstellt.“ Es habe sie dann aber doch der Ruf in die HR ereilt, und dem sei sie dann auch gefolgt.

Das erste Mal mit dem Thema in Berührung kam Caiña-Andree als kaufmännisch Auszubildende gleich nach dem Abitur. Bei der Wahl des Studiums noch unsicher, entschloss sie sich auf Rat ihrer Eltern, einmal in ein Unternehmen hineinzuschnuppern, auszuprobieren, was Betriebswirtschaft – die sie ja so interessierte – im Alltag überhaupt bedeutet. Nach anderthalb Jahren hatte sie die Ausbildung in der Tasche, den Abschluss zur Betriebswirtin absolvierte die Spanierin letztlich berufsbegleitend. „Das Unternehmen war damals in einer Umbruchphase, kämpfte im Spannungsfeld zwischen strategischer Neuausrichtung und dem Bewahren. Damals konnte ich erstmals sehen, wie wichtig es ist, den Spagat zwischen Tradition und einem Sich-in-neue-Gefilde-Wagen zu meistern und die Mitarbeiter dafür zu begeistern. Das hat damals den Unternehmenserfolg ausgemacht, das macht ihn auch heute noch aus.“

1984 stieg Caiña-Andree beim Bahninfrastrukturanbieter Vossloh ein, wurde 1999 als HR-Verantwort­liche in den dortigen Vorstand berufen. Bis zu ihrem Einstieg bei BMW folgten unterschiedliche Führungspositionen bei der Deutsche Bahn AG. Auf ihren Werdegang zurückblickend sagt die heutige BMW-Vorständin: „Wie überall im Leben braucht man auch hier sicher Glück – das bisschen Fortune.“ Natürlich müsse man etwas leisten, es fliege einem nichts zu. Aber: „Wahrscheinlich ist es mir gelungen, in den entscheidenden Momenten ‚Hier!‘ zu schreien, zu sagen: ‚Ich werde das machen, ich traue mir das zu.‘ Ganz sicher ist man exponiert und geht ins Risiko. Doch man muss auch dafür bereit sein, dass es schiefgehen kann.“

Im Moment geht bei BMW aber nichts schief, sondern läuft vielmehr alles rund. 2017 stieg der Konzern­umsatz um 4,8 Prozent auf rund 98,7 Milliarden € – historischer Bestwert. Auch beim Absatz erreichte der Münchner Automobilhersteller – die Marken Mini und Rolls-Royce mitgezählt – mit insgesamt über 2,4 Millionen Fahrzeugen Platz eins im Premiumsegment. Kurzum: Trotz leicht sinkender Gewinnmarge, die laut dem Unternehmen auf zusätzliche Investitionen in Höhe von rund einer Milliarde € in Forschung und Entwicklung zurückzuführen sind, wurde das operative Ergebnis gesteigert.

Milagros Caiña-Andree
...wurde 1962 in Boboras, Spanien, geboren und ist seit 2012 im Vorstand der BMW AG vor allem für die globale strategische HR verantwortlich. Mit ihrem Einzug in den BMW-Vorstand wurde sie zur erst zehnten Frau im Vorstand der 30 DAX-Unternehmen.

Und das Unternehmen wächst weiter. In Mitarbeiterzahlen drückt sich das so aus: Als Caiña-Andree 2012 bei BMW anheuerte, zählte das Unternehmen laut dem Daten­anbie­ter Statista weltweit 105.876 Mitarbeiter – im Jahr 2017 waren es 129.932. Durchschnittlich kamen somit in den vergangenen sechs Jahren jährlich rund 4.000 Mitarbeiter zum BMW-Konzern, rund 1.000 davon alleine in die IT. „Allein für den Bereich des automatisierten Fahrens brauche ich heute mindestens so viele IT-Leute wie Ingenieure“, so Caiña-Andree. „Und damit sind nicht SAP-Programmierer gemeint, sondern Experten in den Bereichen Data Management, Data Architecture, KI oder Robotics.“ Der Wandel, der mit den konzernweiten strategischen Themenfeldern „ACES“ (Autonomes Fahren, Connectivity, Elektrifizierung und Shared Economy) einhergeht, wird vor allem und immer stärker in der HR zur Herausforderung.

Im Angebotsmarkt, in dem Google und Co. zu Mitbewerbern werden, müsse man hart daran arbeiten, Begehrlichkeiten bei potenziellen Mitarbeitern zu schaffen. „Sie müssen alles dafür tun, empfohlen zu werden, auf allen möglichen Kanälen bis hin zu YouTube gute Bewertungen zu bekommen, Sie müssen ein cooler Arbeitgeber sein – für solche Berufsbilder sind diese Kriterien das A und O.“ All das habe auch einen Wandel in der HR-Abteilung mit sich gebracht, so Caiña-Andree weiter. „Sie brauchen jetzt Menschen, die netzwerken können müssen, die sich gewandt in den sozialen Medien bewegen und mehr den Charakter eines Talent­scoutsmitbringen. Und: Sie müssen am Ende auch das bieten können, was sie den Bewerbern versprechen“, sagt sie. Im März 2018 wurde – als einer dieser Fakten – in Unterschleißheim der BMW Autonomous Driving Campus eröffnet, wo 1.500 IT-Spezialisten – „wir haben einen großen Teil von ihnen innerhalb kürzester Zeit eingestellt“ – Software entwickeln – und das in völlig anderen Arbeits- und Organisationsformen als an anderen Standorten. „Das beginnt bei den Räumlichkeiten für kollaboratives Arbeiten bis hin zum ‚Large Scale Scrum Framework‘. Zudem muss sichergestellt sein, dass die Führungskräfte auch wirklich vor Ort gehen“, so Caiña-Andree weiter, „und mit den Leuten auch die Ideen durchdiskutieren. Das muss geleistet werden“, sagt sie. „Nicht nur reden, es muss auch passieren.“ Früher habe sie immer gesagt: In dieser Welt verändert sich die Kultur in zehn Jahren. „Heute sage ich: Diese Zeit haben wir nicht mehr.“

Seit dem Beginn ihrer Karriere haben sich – durch den technologischen Wandel befeuert – die Anforderungen an die HR-Arbeit deutlich verändert. Traditionell stehen die Automobilproduzenten in Sachen Transformation stets an vorderster Front und sind in der Einbringung neuer Technologien und Produktions­weisen mit höchstem Investitions­risiko oft „first mover“. Caiña-Andree: „Das eine ist die technologische Entwicklung, die eine unglaubliche Dynamik – im Sinne von Geschwindigkeit – mit sich bringt. Das andere ein Umfeld, das nicht stabil ist, im Hinblick auf die wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen.“ Dass man sich dann auch noch auf die Fahnen schreibt, vom Autoproduzenten zu einem Tech-Unternehmen zu werden, erhöht den Druck weiter.

Um die notwendige ­Ambidextrie, einerseits das Kerngeschäft mit großer Exzellenz voranzutreiben und andererseits als Großunternehmen die Innovationskraft zu halten und zu stärken, erklärt Caiña-Andree weiter, muss an einer kulturellen Transformation gearbeitet werden; auf gesellschaftlich oder politisch getriebene Themen – etwa Facharbeitermangel bei steigender Akademiker­quote – bis hin zu Kundenwünschen („Es kann sein, dass der Kunde ein neues Modell nicht mag“) – so schnell und so nachhaltig wie möglich reagiert werden. Dafür schafft die allem zugrunde liegende Strategie und ihre Implementierung die Basis: Bei BMW fiel der Startschuss dafür 2016 – und zwar global. Aus „Strategy Number One“ wurde so „Strategy Number One Next“. In Zahlen ausgedrückt stellt sich die Größenordnung des Projekts so dar: Zunächst wurde die Strategie mit den obersten 400 Führungskräften in Strategy Camps, wo technologischer Wandel auch sichtbar ist – etwa in Berlin oder Shanghai – diskutiert. In einem nächsten Schritt wurden weitere 15.000 Führungskräfte in Deutschland zusammen gebracht, um sie über sämtliche Facetten des Wandels zu informieren – von Strategie über Technologie bis hin zu erforderlichen Veränderungen in der Unternehmes- und der Führungskultur. „Täglich wurden 240 Führungskräfte trainiert. Dafür wurden 500 interne Mitarbeiter extra geschult; der Multiplikatoreneffekt war uns da wichtig. Mitte 2017 war die einmalige weltweite Kommunikationsoffensive abgeschlossen“, so Caiña-Andree weiter. Und schließlich wurde zu Beginn des letzten Quartals 2017 noch eine weltweite Befragung – mit einer Beteiligung von 90.000 Mitarbeitern – durchgeführt, um Feedback einzuholen. Caiña-Andree lehnt sich für einen kurzen Augenblick zufrieden zurück: „Wir haben sehr gute Rückmeldungen bekommen.“

Neben der Ermöglichung dieser Ambidextrie gilt es, auch ­strategisch klug vorauszuschauen. ­Caiña-Andree bringt dazu das Beispiel des BMW-Werks in Mexiko. Sie und ihr Team waren dort gleich mehrfach eingebunden. Neben HR verantwortet Caiña-Andree nämlich auch die Bereiche Bauen, Immobilien, Energie- und Infrastrukturmanagement sowie Sicherheit. „Das macht auch Sinn, denn Arbeit und Arbeitsumfeld müssen perfekt zusammen passen, wenn sie erfolgreich sein wollen.“ Neben der technischen und logistischen Infrastruktur gehören auch Faktoren wie die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften oder die Rahmendedigungen für die Mitarbeiter zu den Entscheidungsfaktoren, so Caiña-Andree weiter. Die Wahl fiel auf San Luis Potosi. „Am Anfang standen wir vor 400.000 Quadratmeter Steppe“, erinnert sie sich. „Da muss einiges getan werden, bis 2019 das erste Fahrzeug vom Band rollt.“

2015 wurden die ersten Mitarbeiter rekrutiert und parallel dazu in Kooperation mit zwei Hochschulen die duale Berufsausbildung in Mexiko eingeführt, um die künftigen Mitarbeiter für ihre Aufgaben aus­zubilden. „Zur Werkseröffnung werden wir zwei fertig ausgebildete Jahrgänge vor Ort haben. Das ist schon ein Kraftakt, so ein Werk von null auf die Steppe zu stellen und ­parallel dazu die Belegschaft zu rekrutieren und auszubilden“, so Caiña-Andree. „Wir haben aber inzwischen eine Art Blueprint entwickelt für kommende Werke“, sagt sie. Das nächste wird in Ungarn entstehen.

Dieser Artikel ist in unserer September-Ausgabe 2018 „Women“ erschienen.

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