Ich leiste, also bin ich… etwas wert?

Es ist ein weit verbreitetes Phänomen: Wer leistet, erhält Anerkennung. Doch manchmal ist weniger mehr – durch die immer vollen To-Do-Listen werden Produktivität und Kreativität nicht unbedingt gefördert. Ein Gastkommentar von Nina Haidinger.

Die Covid-19 Zeit begann für mich als Unternehmerin mit einem Schock: Alle Aufträge abgesagt. Die dadurch entstandene Leere stimmte mich jedoch schnell positiv: Endlich die Dinge erledigen, für die ich sonst nie Zeit habe. Anfang Mai dann die bittere Realität: Trotz der Erledigung „all der Dinge“, waren meine To-Do-Liste und mein Stresslevel auf einem Allzeithoch.

Unsere Realität: Die unendliche To-Do-Liste
Ehrlicherweise war dies kein neues Phänomen - weder für mich noch für viele andere Führungskräfte. Unser Leben gleicht manchmal einer nie endenden Liste an Aufgaben. Zeit ist unsere begrenzte Ressource – wir müssen sie deshalb konstant optimieren. Wichtig ist, zu leisten, auf keinen Fall dürfen wir „faul“ sein. Das „zur Ruhe kommen“ wartet auf uns in der Zukunft, nach getaner Arbeit. Nur kommen wir dort nie an, denn für jede erledigte Aufgabe, wird direkt eine neue definiert.

Ich leiste, also bin ich… etwas wert?
Unser Drang, zu leisten stammt genau genommen aus unserer Kindheit, in der wir durch unsere Umgebung gelernt haben, dass wir Anerkennung erhalten, solange wir leisten. Dieser Glaubenssatz wird im Gehirn im limbischen System verankert und gilt ab dann als unanfechtbar „überlebenswichtig“. Ein leere To-Do-Liste löst somit Stress aus, weil sie uns suggeriert, dass wir nicht leisten. Eine volle Liste jedoch stresst zusätzlich.

Dass uns dieses Verhalten auslaugt, spüren wir alle und zeigt die Statistik der ständig steigenden stressbedingten Krankheiten. Stress hemmt auch unsere Führungsstärke: Keine Zeit für Kreativität, Wachstum und emotionale Intelligenz. Unser Leistungszwang blockiert somit unsere persönliche, unternehmerische und gesellschaftliche Entfaltung. Wir sind nicht dank ihm erfolgreich, sondern trotz ihm.

Doch wie gelingt der Ausbruch aus diesem überspannten Leistungsdrang? Die Antwort ist so einfach, dass wir sie oft übersehen: Präsenz.

Nina Haidinger
... ist ein Executive Coach und Trainer mit besonderem Fokus auf Erfolgsstrategien für Leistungsträger. In der Vergangenheit war sie als Managerin bei der Boston Consulting Group tätig, wo sie sich auf globale Transformationen konzentrierte. Haidinger hat einen Master-Abschluss in Betriebswirtschaft der JKU Linz.

Die Vergegenwärtigung der Lösung
Unser Retter heißt: präfrontaler Cortex. Dieser Teil des Gehirns durchbricht die Autopilot-Schleife und ermöglicht uns bewusst zu handeln. Aktiviert wird er über Präsenz – am simpelsten gelingt dies etwa, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf den Atem lenken und uns fragen: „Wie geht es mir? Was will ich? Was brauche ich dafür?“ Diese Fragen an andere gerichtet, kennzeichnen den Kern emotional intelligenter Führung - die Kür: „Wie kann ich andere unterstützen?“

Durch Präsenz bemerken wir nicht nur, dass wir aus diesem Leistungsdruck kommen können, sondern sehen ebenso, dass wir in dem, was wir tun, gut genug sind. Das gibt Raum für Kreativität, persönliche Entfaltung und Zufriedenheit. Dem Irrglauben in der Zukunft erst „was wert“ sein zu können, begegnen wir nämlich am radikalsten in dem wir es einfach im Hier und Jetzt sind.

Klingt verdächtig einfach? Ist es auch. Und wieso macht es dann nicht jeder? Na, wenn es so einfach ist, ist es ja keine Leistung.

Text: Nina Haidinger

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