„Ich verteufle Plastik nicht“

Jessica Farda hat sich mit ihrem Tech-Start-up Noriware der Erforschung und Herstellung von Plastikalternativen aus Algen – und damit auch dem Schutz der Weltmeere – verschrieben. Ihre Vision ist es, die 1,1 Billionen US-$ schwere Verpackungsindustrie (wovon aktuell gerade einmal 1 % Bioplastik ausmacht) nachhaltig umzukrempeln.

Eine Studie eines niederländischen Forschungsteams hat aufgezeigt, dass im Zeitraum von 1980 bis 2020 pro Jahr durchschnittlich 500.000 Tonnen Plastikmüll in den Meeren gelandet sind. Das bedeutet eine extreme Belastung für Fauna und Flora; insbesondere, weil beispielsweise eine herkömmliche PET-Flasche bis zu 450 Jahre zum Abbau in ihrer Umgebung benötigt. Auch Mikroplastik – laut Definition der Europäischen Union alle syn­thetischen Polymerpartikel mit einer Größe von unter 5 mm – stellt ein immer stärker wachsendes Problem, insbesondere im Grundwasser, dar.

„Wir sind in einer Generation aufgewachsen, in der Plastikall­gegenwärtig ist. Dieser Stoff hat uns nicht nur Wohlstand, sondern auch gewisse Hygiene­standards ermöglicht, weshalb ich Plastik per se nicht verteufle“, statuiert Jessica Farda, Gründerin von Noriware, ihren Standpunkt gegenüber Kunststoff. Doch die 25-Jährige ergänzt, dass der Einsatz des synthetischen Stoffs in vielen Anwendungsbereichen nicht notwendig und aus der Bequemlichkeit der Industrie und der Gesellschaft entstanden ist.

Die Idee rund um Noriware kam im Urlaub im mexikanischen Tulum auf: Als Unmengen von Algen an den Strand gespült ­wurden, stellte sich die damals 23-Jährige die Frage, wie diese sinnvoll verwendet werden könnten. Als Farda nach der ersten Recherche auf ein Paper stieß, in dem auf die natürlich in Algen vorkommenden Polysaccharide eingegangen wurde, hatte sie sich „in die Thematik verliebt“. Poly­saccharide dienen sowohl in ­pflanzlichen als auch in tierischen Körpern dem Aufbau von festen Strukturen und eignen sich daher zur Herstellung von Plastikalter­nativen. Als daraufhin auch das erste Experiment zur Herstellung eines dünnen, plastikähnlichen Films aus Algen in der eigenen WG-Küche erfolgreich war, stand Fardas Vision fest: „Ich möchte mit Noriware nicht nur Alter­­nativen zu Kunststoff her­stellen, sondern durch den Anbau von Algen auch das Ökosystem der Meere fördern.“

Für die Herstellung einer Noriware-Verpackung werden die Algen, die aus europäischen Meeren bezogen werden, zunächst getrocknet und gemahlen, um daraufhin das Algenpulver mit Additiven anzureichern und chemisch zu verändern. Als nächster Schritt wird das Zwischenprodukt gepresst und geschnitten, sodass ein Granulat entsteht, welches in herkömm­lichen Plas­tikerzeugungsmaschinen zu Ver­packungsalternativen ver­arbeitet werden kann. Genauer kann die Gründerin nicht auf den Prozess hinter Noriware eingehen, denn die Konkurrenz in der Branche schläft nicht – doch der Wettbewerb am Markt stellte insbesondere in den Anfangszeiten des Start-ups einen Vorteil für Farda und ihr Team dar, da anhand diesem die technische Durch­führbarkeit der Plastikalternativen aus Algen veranschaulicht werden konnte.

Doch Farda bekennt sich zu den Vorteilen von Noriware gegen­über der Konkurrenz: „Un­sere Technologie ermöglicht es besser, das Algenpolymer enorm effizient und kostengünstig zu skalieren, als das andere Unter­nehmen aktuell können.“

Der kommerzielle Markt­eintritt von Noriware erfolgt 2024 mit einem Low-Tech-Verpackungs­typ, der wasserlöslich und dementsprechend nur für trockene Objekte geeignet ist. Dadurch ist die Ver­packung aus Algen aber vollständig kompostierbar. 2025 oder 2026 wird die Hightech-Version der ersten Verpackung gelauncht, die Flüssigkeiten über einen längeren Zeit­raum halten kann. Laut Farda liegt der Hauptanwendungsbereich des fortgeschrittenen Verpackungs­typs allerdings nicht darin, herkömmliche PET-Flaschen zu ersetzen; Genaueres kann die Gründerin allerdings noch nicht bekannt geben.

Noriware ist in Zusammen­arbeit mit unterschiedlichen Hochschulen und Forschungs­zentren entstanden. „Die Entwicklung und die Finanzierung wären ausschließlich privatwirtschaftlich nicht möglich gewesen“, berichtet die Gründerin. Die anfängliche Zusammenarbeit in der Grund­lagenforschung mit der Schweizer Universität ETH wurde aufgrund der Verteilung der Rechte des geistigen Eigentums beendet, „denn ansonsten wären wir einfach nicht investierbar gewesen“, so Farda. Aktuell besteht stattdessen eine Kooperation mit der Fachhoch­schule Nordwestschweiz (FHNW).

Doch im Gründungsprozess von Noriware taten sich auch Hindernisse auf: „Ich kann gar nicht zählen, wie viele Tiefen wir dieses Jahr durchstehen mussten“, zeigt Farda die Schattenseiten des Unternehmertums auf. Insbeson­dere die erste Investitionsrunde des Start-ups, die im Winter 2022 gestartet hatte, sich allerdings bis Mai dieses Jahres zog, war herausfordernd. Aufgrund der steigenden Inflation, der Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und der Coronapandemie war die Stimmung unter den Investoren getrübt. Dies wurde zusätzlich dadurch verstärkt, dass die Technologie hinter Noriware zum da­maligen Zeitpunkt noch nicht vollständig ausgereift war: „Auf der einen Seite hatten wir Kunden, die unser Produkt wollten, auf der anderen Seite verweigerten sie uns, eine Bestätigung zu unterschreiben, da unser Produkt noch am Anfang der Entwicklung stand – das war ein ewiger Teufelskreis“, erzählt die Gründerin. Allen Hin­dernissen zum Trotz konnten 1,1 Mio. CHF durch Investitionen gesammelt werden, und darüber hinaus berichtet Farda stolz, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft eine Förderung in Höhe von 1,4 Mio. CHF zur Weiterentwicklung des Start-ups zugesichert hat.

Als herausfordernd stellte sich für Jessica Farda außerdem die Zusammenstellung ihres Teams aufgrund des damals fehlenden Markenbrandings von Noriware und auch ihre Stellung als junge weib­liche Gründerin in einer männer­dominierten Branche dar. „Wir kennen es gar nicht anders, als dass Männer Unternehmen gründen“, zeigt Farda die stereotypischen Bilder in der Gesellschaft auf. Doch in der Weiterentwicklung konnten auch diese Hindernisse überwunden werden, sodass Farda heute ein siebenköpfiges Team leitet.

„Als Unternehmerin erlebt man viele Tiefen, aber die Höhen sind absolut unschlagbar, da man das Resultat der eigenen Arbeit physisch vor sich hat“, resümiert Farda. Doch auch die Schattenseiten dürften nicht außer Acht gelassen werden: „Von außen betrachtet sieht immer alles glänzend aus, doch meine grauen Haare zeugen von weniger Glamour“, so die 25-jährige Gründerin lächelnd.

Jessica Farda, 25, ist Gründerin des Tech-Start-ups Noriware, das Plastikalternativen aus Algen herstellt. Damit hat sie sich auch dem Schutz der Meeresökosysteme verschrieben.

Fotos: Miriam Kamba Danielsson

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