Im Fahrersitz

„In keiner anderen Region wird Traditionskleidung so gelebt wie hier“, sagt Max Gössl über die Tracht. Der Salzburger leitet den gleichnamigen Trachtenhersteller in dritter Generation und hat Großes vor. Insbesondere ein deutliches Wachstum, ganz konkret eine Verdoppelung im Kernmarkt, hält der Unternehmer für möglich – trotz Covid-Pandemie und Fachkräftemangel.

Auf dem Weg zum Fotoshooting zögert Max Gössl einen kurzen Moment, bevor er sich umdreht und sagt: „Ich muss mich noch kurz umziehen.“ Der Grund für Gössls Wunsch nach neuer Bekleidung hat jedoch nichts mit Eitelkeit zu tun: „Was ich heute trage, haben wir nicht mehr im Sortiment. Wir bekommen aber oft Nachfragen, da die Kunden genau das kaufen möchten, was sie an mir oder unseren Verkäufern sehen.“ Da Gössl seinen Kunden ungern Wünsche abschlägt, lässt er sich also von einem Mitarbeiter in ein aktuelles Stück stecken, bevor es mit dem Shooting losgeht.

Dieses findet – wie auch das Interview – im heutigen „Gwandhaus“ im Süden Salzburgs statt. Der gelbe Barockbau aus dem 17. Jahrhundert, der unter dem Namen Lasserhof gebaut wurde, kam 2004 in den Besitz des Salzburger Trachtenherstellers Gössl und ist seither als „Gwandhaus“ bekannt. 2018 verkaufte das Familienunternehmen das Objekt an den Immobilienentwickler Thomas Hofer, das Zuhause der Marke wird das Gebäude aber auch in Zukunft bleiben. „Wir sind weiterhin im Gwandhaus beheimatet“, so Gössl.

Das Unternehmen, das Max Gössl in drit­ter Generation führt, feiert dieses Jahr seinen 75. Geburtstag, doch von Müdigkeit ist bei dem Unternehmer wie auch im Unternehmen Gössl nichts zu spüren. Gössl möchte den sehr weit fortgeschrittenen Prozess, von einem Hersteller zu einem vertikalen Unternehmen zu werden, weiter vorantreiben. Dieser sei „noch nicht abgeschlossen“ – zudem solle die Marke stärker online präsent sein, auch wenn Gössl betont, dass Trachtenkaufen auch in Zukunft ein Erlebnis bleiben soll. Und: Das Luxussegment soll weiter ausgebaut werden. Doch auch Herausforderungen sind keine Mangelware: Die Covid-Pandemie beschäftigt das Unternehmen weiterhin, hinzu kommen hohe Energiekosten und Fachkräftemangel. Dennoch glaubt Gössl, dass das Wachstumspotenzial groß ist. Im Kernmarkt, der aus Österreich, Süddeutschland, der Schweiz und Südtirol besteht, hält der Unternehmer eine Verdoppelung für machbar. „Ich denke, dass wir ein Potenzial für 80 bis 100 Geschäfte im Kernmarkt haben“, so Gössl. Doch auch exotischere Standorte kann Gössl sich für die Zukunft vorstellen, ganz konkret etwa auch in Asien oder den USA: „Das ist noch Zukunftsmusik – wenn Sie mich aber jetzt schnell fragen würden, würde ich vermutlich einen Store in einem Skigebiet in den USA andenken.“ Was bei allen Gedankenexperimenten jedoch nicht infrage kommt, ist ein Abweichen vom Markenkern, obwohl dieser durchaus intensiv diskutiert wird. Aber der Tracht wird Gössl treu bleiben: „Wir diskutieren oft, was Tracht eigentlich ist. Aber klar ist, dass es nur wenige Regionen auf der Welt gibt, in denen die Traditionskleidung so gelebt wird wie bei uns.“

Die Anfangsphase der Beziehung zwischen Max Gössl und der Tracht kann getrost als Hassliebe bezeichnet werden. Gössl, dessen Großmutter Grete das gleichnamige Salzburger Unternehmen bereits 1947 als Spezialist für Blusen gegründet hatte, trug in seiner Kindheit quasi immer Lederhose. Als Gössl in den Kindergarten kam – das Unternehmen hatte zu diesem Zeitpunkt längst auf Trachtenkleidung erweitert und war bereits in den Händen der zweiten Generation, stand also unter der Leitung der Geschwister Gerhard und Gisela Gössl –, wurde gerade der Spielplatz neu gebaut. Ob er das Unternehmen viel später mal übernehmen würde, stand Gössl junior stets frei; als er nach langem Warten dann aber die Rutsche auspro­bieren wollte, blieb er als einziges Kind mit seiner „Ledernen“ kleben – und weigerte sich daraufhin, jemals wieder eine Lederhose anzuziehen.

Er blieb bis zur Matura konsequent, bekam dann aber von seinem Vater eine Lederhose ge­schenkt – von einem Schneider gefertigt; Gössl hatte Lederhosen damals noch nicht im Angebot. Gössl studierte in Graz Wirtschaft und Philosophie und heuerte nach der Schule bei der Münchner Bekleidungsmarke Willy Bogner an. Gössl: „Ich wollte nie nur der Sohn vom Chef sein. Und wenn ich einmal wirklich Chef sein sollte, wollte ich selbst einen gehabt haben, um zu wissen, wie das ist.“ Er bekam nach seinem Traineeship ein Jobangebot, das er annahm – doch da war bereits klar, dass er später die Leitung des Familien­unternehmens übernehmen würde. 2013 trat er schließlich in die Gössl-Geschäftsführung ein; heute ist Max Gössl Geschäftsführer der beiden Gössl-GmbHs, wovon eine auch in seinem alleinigen Besitz steht, während die zweite einer Familienstiftung gehört.

Das Franchisesystem des Unternehmenns erwirtschaftet rund 14 Mio. € Umsatz, die Stammfirma als Hersteller rund zehn Mio. €. Genäht wird die Kleidung im Lohn­betrieb in Ungarn. Gössls Schwester ist aktuell in Karenz, der Vater ist „nur noch bei Bedarf aktiv“, wie Gössl junior sagt. Um Rat gebeten wird er aber dennoch gerne; Gössl bezeichnet ihn als Sparringspartner, der insbesondere während der Krise eine wichtige Unterstützung war. Doch Gössl stellt auch klar: „Ich bin im Fahrersitz.“ Und in diesem muss Gössl noch einige Manöver hinbekommen. Der „Rucksack“, den das Unternehmen noch aus der Covid-Pandemie mitschleppt, soll 2024 endgültig abgelegt werden. Doch die Expansion stockt – denn trotz des Potenzials, das Gössl für die eigene Marke sieht, behindert insbesondere der Mangel an guten Mitarbeitern das Wachstum. Es sei aktuell schwerer denn je, gute Mitarbeiter und insbe­sondere Franchisenehmer zu bekommen: „Ich habe eine solche Situation in meiner Karriere noch nie erlebt. Wir mussten Stores wochen-
weise schließen, weil wir zu wenige geeignete Mitarbeiter finden.“

Den Boom, den Trachten in jüngerer Vergangenheit erlebten, will Gössl nicht über­bewerten, er sei eher Teil einer Wellenbewegung. Die Gössl-Kundschaft suche sowieso nach hoch­wertigen Kleidungsstücken, Konkurrenz sieht Gössl daher eher in hochwertigen Modemarken aus anderen Bereichen. „Wir hatten viele Jahre ein Geschäft direkt neben einem Trachten-Outletcenter. Die beiden Stores liefen völlig unabhängig voneinander.“ Ob er selbst an die nächste Generation übergeben kann – Gössl ist Vater von zwei kleinen Kindern –, will der Unternehmer aber noch nicht beantworten: „Diese Frage stellt sich noch nicht.“ Ein Blick in die Historie des Unternehmens zeigt jedoch, dass die Chancen einer vierten Gössl-Generation zumindest nicht schlecht stehen – gewisse Traditionen werden beim Hersteller von Traditionsbekleidung konsequenterweise großgeschrieben.

Wir mussten Stores wochenweise schließen, weil wir zu wenige geeignete Mitarbeiter finden.

Max Gössl

Max Gössl studierte an der Universität Graz Betriebswirtschaftslehre und Philosophie, bevor er seine Karriere in München bei Willy Bogner startete. 2013 trat er ins Familienunternehmen Gössl ein, das er heute in dritter Generation führt.

Fotos: Dirk Bruniecki

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