Impfpflicht: Richtig auf den zweiten Blick

Es ist eine interessante Runde an Ländern, in die sich Österreich mit der Einführung einer Impfpflicht für Covid-19 begibt. Denn bisher haben eine solche Pflicht lediglich folgende Staaten (oder ­Gebiete) umgesetzt: der Vatikan, Indone­sien, Tad­schikistan, Turkmenistan, Mikronesien und die zu Frankreich gehörende südpazifische ­Inselgruppe Neukaledonien. In Deutschland werden die Diskussionen langsam lauter – eine Entscheidung ist aber noch nicht gefallen.

Nun zeigen Beispiele wie Island und Portugal, dass eine hohe Durchimpfungsrate auch ohne Pflicht möglich ist. In Österreich ist dies ­jedoch höchst unwahrscheinlich: Mit rund 35 % un­geimpften Einwohnern zählt Österreich zu den Spitzenreitern Europas – übrigens neben Deutschland und der Schweiz. Die genauen Gründe lassen sich nur erahnen; die hohe Skepsis gegenüber der Wissenschaft und den Wissenschaftlern spielt aber sicher keine kleine Rolle. Nun kommt also eine Impfpflicht: Ab Februar sollen all jene, die sich nicht impfen lassen, eine ­Geldstrafe bezahlen müssen – die Höhe wird aktuell diskutiert, ­könnte aber bei rund 3.600 € liegen. Wer seine Impfung nicht auffrischt, soll etwa die Hälfte davon zahlen. Doch ist es richtig, eine solche Pflicht (das Wort „Zwang“ ist in dieser Hinsicht übrigens fehl am Platz) einzuführen?

Ich muss ehrlich sagen, dass ich diesbezüg­lich lange mit mir gerungen habe. Denn obwohl ich selbst geimpft und ein großer Befürworter ­dieser Impfung (und von Impfungen generell) bin, habe ich lange nachgedacht: Ist es nicht ein demo­kratisches Grundrecht, für sich selbst zu entscheiden, sich nicht impfen zu lassen? Selbst wenn das mit Einschränkungen, etwa dem Betretungs­verbot von Lokalen, einhergeht, sollte man die indivi­du­elle Freiheit haben, sich gegen eine Impfung zu entscheiden. Doch mit zunehmendem Fortschritt der Debatte wurde mir klar, dass das in diesem Fall nicht gilt. Die Impfung ist – aufgrund der Übertragbarkeit von Covid-19 – eben keine ­individuelle Entscheidung. Wer sich nicht ­impfen lässt, gefährdet sich selbst, aber auch alle Menschen in seinem Umfeld. Jeder Bürger, der die Impfung verweigert, trifft nicht nur eine Entscheidung über seine eigene Gesundheit, sondern auch über die Gesundheit seiner Mitmenschen.

Und da diese öffentliche Gesundheit ein Gut ist, das über die individuelle Freiheit zu stellen ist, ist eine Impfpflicht richtig und sinnvoll. Der Nichtraucherschutz in Europa – übrigens auch ein Thema, bei dem Menschen andere in ihrem Umfeld ­gesundheitlich beeinflussen – hat gezeigt, dass man die Menschen in Ausnahmefällen zu ihrem Glück zwingen muss. Das gilt auch für Corona. Denn letztendlich ist der Preis, den wir alle zahlen müssen, zu hoch. Nicht nur die Kosten für Lockdowns und wirtschaftliche Einschränkungen, auch die ­Belastungen des öffentlichen Gesundheitssystems sind zu hoch – und vermeidbar. Wer also für sich entscheidet, sich nicht impfen zu lassen, kann das tun, er muss aber eben für dieses Versäumnis bezahlen.

Und obwohl ich absolut kein Freund von (zu weitreichenden) staatlichen Eingriffen in das Leben der Bürger bin, finde ich, dass die Impfpflicht in diesem Fall mehr als gerechtfertigt ist. Es geht darum, Menschen zu retten und die Wirtschaft zu schonen. Und das ist ein gutes Argument, um gesundheitliche Freiheiten zu beschränken – auch, wenn ich ein wenig gebraucht habe, um das so klar zu erkennen.

Text: Klaus Fiala

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 9–21 zum Thema „Handel“.

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