Innovation gegen Schmerz

Mit ihrem kleinen, selbst finanzierten Start-up Menstruflow stellt sich Polina Sergeeva einem globalen Leid: Dysmenorrhö, dem Regelschmerz von Millionen Frauen. Ihr Gerät Oneflow verspricht Linderung – ganz ohne Medikamente. Sergeeva will damit nicht weniger als ein gesellschaftliches Umdenken anstoßen.

Frauen menstruieren im Schnitt sechs Jahre ihres Lebens, davon rund 130 Wochen mit Schmerzen. Schmerzmittel kosten sie über diese Zeit etwa 1.150 €, dazu kommen über 450 abgesagte Termine, Treffen, Sporteinheiten oder Bewerbungsgespräche, zählt Polina Sergeeva auf. „Wenn der Schmerz so schlimm ist, dass man nicht zur Arbeit kann, keine Freunde trifft, keinen Sport macht, dann muss sich etwas ändern“, so die Menstruflow-Gründerin. Das Start-up, das 2023 mit einem fünfstelligen Umsatz in der Cyber Week und dem Weihnachtsgeschäft startete, soll das Tabuthema Periodenschmerzen neu denken – technologisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich. Denn, findet Gründerin Polina Sergeeva, Frauen mit Regelschmerzen werden nicht ernst genug genommen. Es seien immer die gleichen Empfehlungen: Schmerzmittel, hormonelle Verhütung oder „Einfach mal durchatmen“. „Wir leben im Zeitalter von künstlicher Intelligenz – und niemand hat eine Antwort auf dieses allgegenwärtige Problem“, sagt sie. Menstruflow möchte eine Antwort sein.

Oneflow ist ein smartes TENS-Gerät zur medikamentenfreien Linderung von Periodenschmerzen. TENS steht für transkutane elektrische Nervenstimulation – eine in der Physiotherapie seit Jahrzehnten etablierte Technologie. „Sanfte elektrische Impulse unterbrechen Schmerzsignale und regen gleichzeitig die Ausschüttung körpereigener Endorphine an“, erklärt Sergeeva. Der Effekt ist eine spürbare Entlastung, oft schon nach 20 Minuten. Das Gerät kann diskret unter der Kleidung getragen werden und ist via App mit sechs verschiedenen Modi steuerbar. Zwei unterschiedliche Pad-Formen ermöglichen eine flexible Nutzung: Die „Flow Pads“ eignen sich für großflächige Anwendungen, die kompakteren „Drop Pads“ für punktuelle Schmerzen.

Von der elektromedizinischen Reizstromtherapie TENS spricht man seit den 1970er-Jahren. Unter Profisportlern und Ärzten ist TENS nichts Neues, doch im Kontext von Menstruation blieb die Anwendung bisher unbeachtet. „Diese Technologie gehört genau ­hierhin“, sagt Ulrike Lange, Menstruflow-Mitgründerin und Gynäkologin. Oneflow ist CE- und TGA-zertifiziert, FDA-zugelassen – und vor allem nutzerinnenzentriert. „Im Mittelpunkt stehen für uns immer die Kundinnen“, sagt Sergeeva. Im Abomodell erhalten Nutzerinnen regelmäßig Nachschub an Pads, die jeweils rund 40 Mal verwendbar sind. Ein Rechner auf der Website hilft, das Abo individuell an Zyklus und Nutzung anzupassen.

Aktuell zählt das Unternehmen rund 400 bis 450 Bestellungen pro Monat. Der durchschnittliche Warenkorb liegt bei etwa 70 €, die Conversion-Rate im Webshop bei über 9 %, so Sergeeva. Rund 7.000 Kundinnen nutzen das Gerät bereits, der Umsatz hat sich im letzten Jahr verdoppelt – alles ohne Investoren.

Wenn der Schmerz so schlimm ist, dass man nicht zur Arbeit kann, keine Freunde trifft, keinen Sport macht, dann muss sich etwas ändern.

Polina Sergeeva

Sergeeva startete mit 25.000 € Kapital, seitdem finanziert sich Menstruflow ausschließlich aus eigenen Mitteln. „Wir haben nie Geld herausgenommen. Alles wird ins Produkt reinvestiert“, sagt die Gründerin. Seit November 2024 zahle sie sich selbst ein monatliches Gehalt von 556 € – der Rest fließt in Pads, Verpackung, Plattform, Marketing.

Sergeeva steht bei Messen selbst am Stand, übernimmt den Nachrichtenverkehr im Kundenchat und verschickt nach wie vor die Produkte, sagt sie. Das Feedback der Community ist fester Bestandteil der Produktentwicklung: „Ich war als Patientin oft auf mich allein gestellt. Jetzt höre ich aktiv zu – und wir verbessern Oneflow mit jeder Nutzerinnenstimme“, sagt Sergeeva.

Menstruflows Umsätze kommen aus dem Verkauf der TENS-Geräte und den Pad-Abos (ein Flow-Pad kostet 13,90 €, ein Drop-Pad 12,90 €, ein Bundle 21,90 €), ergänzt durch B2B-Kooperationen mit Benefit-Plattformen, Workshops und Corporate-Health-Programmen. Zusätzlich zum eigenen Onlineshop ist Oneflow in Österreich im Onlineshop des Drogeriemarkts DM erhältlich, Gespräche mit weiteren Vertriebspartnern laufen, so Sergeeva. Zudem arbeitet Menstruflow mit Unternehmen an einem Pilotprogramm zur betrieb­lichen Gesundheitsförderung. Sergeeva: „Wir wollen Aufklärung dorthin bringen, wo wir Frauen uns tag­täglich aufhalten – also auch in die Arbeitswelt.“

Laut Unternehmensangaben berichten 74 % der Oneflow-Nutzerinnen von einer spürbaren Schmerz­linderung innerhalb von 20 Minuten; die Wirkung hält im Schnitt über sieben Stunden. Diese Ergebnisse möchte Sergeeva nun wissenschaftlich validieren lassen: Im Rahmen einer bevorstehenden Studie an der Charité in Berlin sollen Evidenzen geschaffen werden, die für eine mögliche Erstattung durch Krankenkassen und eine Aufnahme in den Apothekenvertrieb sorgen würden.

Sergeevas unternehmerischer Weg begann eigentlich spontan – nach einer Mentoringstunde gründete sie zunächst einen Shop für Ohrenschmuck, später dann Menstruflow. Nach acht Jahren in der Unternehmensberatung wollte sie Verantwortung übernehmen, schneller Entscheidungen treffen. „Jetzt aber brenne ich für das, was ich tue“, sagt sie. „Es braucht eine Vision, ein ,Warum?‘ – und viel Durchhaltevermögen.“

Dass ein Investor in Menstruflow einsteigt, ist derzeit nicht geplant, doch Sergeeva schließt die Möglichkeit auch nicht aus. „Wir wachsen organisch, Schritt für Schritt.“ Sergeeva geht es ohnehin nicht nur um wirtschaftlichen Erfolg: „Sag ‚Stop!‘ zu Periodenschmerzen!“ ist ihr Claim, sie macht auf Events – etwa OMR, Big Bang oder Female Founder Space – und auf der Straße auf das Problem aufmerksam. „Damit möchte ich aufklären und aufzeigen, wie Frauen sich fühlen“, sagt sie. Und: „Das Wichtigste ist: Wir wissen, warum wir das tun, was wir tun. Schluss mit dem Stillschweigen weiblicher Empfindungen und Bedürfnisse!

Fotos: Menstruflow

Forbes Editors

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