INTELLIGENTES DESIGN

An einem Strand in Perth wurde der Grundstein für Melanie Perkins' Design-App Canva gelegt, eines der wertvollsten Software-Start-ups der Welt. Ihr Erfolg ist eine potenzielle Bedrohung für Adobe und Microsoft.

An einem lauen Maimorgen im Jahr 2013 trieb Canva-CEO Melanie Perkins auf einem Kiteboard im Meer zwischen den privaten Inseln Necker Island und Mosquito Island des Milliardärs Richard Branson. Die ostkaribische Strömung war gnadenlos – stundenlang wartete die ­26-jährige Unternehmerin deshalb auf ihre Rettung. Immerhin: Das gefährliche Hobby war der Zugang zum Funding ihres Designsoftware-Start-ups, das sie zusammen mit ihrem Freund Cliff Obrecht gegründet hatte. Mit Sitz in Australien war ­Canva Tausende von Kilometern vom Tech-Zentrum ­Silicon Valley entfernt. So gestaltete es sich schwierig, ein Meeting mit Investoren – geschweige denn Kapital – zu bekommen. Über 100 Investoren hatten bereits abgelehnt, als Perkins Bill Tai, einen Venture Capitalist und begeisterten Kitesurfer, kennenlernte. Also widmete sich auch die 26-Jährige diesem Hobby, wenngleich es härter war als ursprünglich gedacht. Doch das Kitesurfen würde ihr einen Zugang ermöglichen, der davor nicht existierte.

Melanie Perkins
... absolvierte ein Bachelorstudium in Communications, Psychology, Marketing & Management an der University of Western Australia und gründete 2007 mit Fusion Books ein System, mit dem Jahrbücher designt werden können. Im Mai 2012 folgte dann die Gründung der Designplattform Canva. Perkins ist zudem eine Forbes-„Under 30“-Alumna.

Seine Anfänge nahm Canva als schlichtes Jahrbuch-Design-Unternehmen in Perth. Von dort aus ging es schlussendlich in alle Welt: Canva hat sich zu einem globalen Hit entwickelt. Mehr als 20 Millionen Nutzer aus 190 Ländern verwenden die App, um von bunten Pinterest-Grafiken bis hin zu eleganten Speisekarten alles zu designen. Neben einer großen Auswahl an kostenlosen Designmöglichkeiten ist Canvas wichtigster Anziehungspunkt, der Konkurrenten wie Adobe in den Schatten stellt, die einfache Handhabung. Vor Canva mussten Amateure mühsam Designs über Microsoft Word zusammenstellen oder saftige Beträge für unübersichtliche Profitools bezahlen. Heute kann sich jeder Canvas App herunterladen und innerhalb von wenigen Minuten Designs kreieren. Einnahmen generiert das Unternehmen mit dem Angebot einer Premiumversion, die mehr Funktionen und Designs enthält und zehn US-$ pro Monat kostet, und seit Kurzem auch mit dem Verkauf einem Angebot für ein Firmenkonto. Dieses Jahr erwartet Canva eine Verdopplung seiner Einnahmen auf 200 Millionen US-$, die jüngste Finanzierungsrunde von 85 Millionen US-$ wurde mit 3,2 Milliarden US-$ bewertet. Perkins, eine „30 Under 30“-Alumna des Jahres 2016, hält einen geschätzten Anteil von 15 % an Canva, der 430 Millionen US-$ wert ist. Dazu kommt noch ihr Mitgründer und Verlobter Cliff Obrecht, der einen ähnlichen Anteil besitzt – gemeinsam sind sie vermutlich über 800 Millionen US-$ schwer. Doch wie bei Atlassian, Slack und Zoom besteht auch bei Canva das klassische Dilemma des „Freemium“-Modells: Die App geht viral, Millionen User springen auf, doch die meisten von ihnen zahlen niemals auch nur einen Cent.

Und obwohl Canva heute nach eigenen Angaben Nutzer in beinahe allen großen Unternehmen hat, sind das meistens nur Individuen oder kleine Teams und keine offiziellen Firmenaccounts. Zudem bedeutet für Canva der Aufstieg im Markt vor allem, immer mehr mit Adobe, dem 149 Milliarden US-$ schweren Grafikgiganten (Marktkapitalisierung, Anm.), in Konkurrenz zu geraten. Adobe hat im dritten Quartal 2019 allein über seine Designsparte 1,65 Milliarden US-$ eingenommen. Daneben befinden sich auch noch Design-Start-ups wie Figma und Sketch auf einem Höhenflug. Abgesehen davon hat Canva zudem durch seine Erweiterungen für Videos und Präsentationen weitere Rivalen: von kleinen Apps zur Erstellung von Instagram-Videos bis hin zu Microsoft. „Meiner Meinung nach haben wir großartige Arbeit geleistet, aber wir haben bei Weitem noch nicht alles erreicht, was wir wollen. Unsere Mission ist es, die Welt für Design zu begeistern. Und damit meine ich wirklich die ganze Welt“, so Perkins. Sie begann bereits 2007, an Canva zu arbeiten. Als Tochter einer australischen Lehrerin und eines malaysischen Ingenieurs mit philippinischer und singhalesischer Abstammung wollte sie ursprünglich professionelle Eiskunstläuferin werden. Doch als sie als Studentin an der University of Western Australia ihren Studienkollegen die Grund­lagen von Design erläuterte, hatte sie eine Idee. Der Prozess von einer Designidee bis zum gedruckten Poster oder Flyer – in Adobe Photoshop oder Microsoft Word erstellen, konvertieren, als PDF abspeichern, zu einem Copyshop bringen und drucken lassen – erschien ihr in Zeiten des Internets unnötig kompliziert. Perkins wollte ihn vereinfachen. Doch das Problem schien so offensichtlich, dass sie anfänglich Sorge hatte, jemand anderes würde eine Lösung für das Problem veröffent­lichen, bevor sie es tat. Also heuerte sie Freelancer an, die ihr eine Webseite bauten, damit sie auf jene Nische abzielen konnte, die in ihren Augen sicher und zugleich unausgeschöpft schien: Jahrbücher von Schulen, die normalerweise in der Verantwortung von freiwilligen Schülerteams liegen. Zusammen mit Obrecht gründete sie Fusion Books und fand sofort einen Markt dafür. Schließlich hatte das Unternehmen 400 Schulen als Partner, doch ohne eine Risikokapitalfinanzierung waren weitere Vergrößerungen nicht umsetzbar – und das war genau das, was in Perth, einer Stadt, die auf den Säulen Bergbau und Petrochemie aufgebaut wurde, alles andere als leicht zu finden war.

Unsere Mission ist es, die Welt für Design zu begeistern. Und damit meine ich wirklich die ganze Welt.

2011 nutzte Perkins eine Gelegenheit, die unmöglich erschien: Als Bill Tai, ein erfahrener Risikokapitalgeber und begeisterter Kitesurfer aus dem Silicon Valley, nach Perth kam, fanden Perkins und Obrecht heraus, wo er eine Dinnerparty veranstaltete, und überraschten die Gäste mit einem Pitch, in dem sie Canva mit einer Pizza verglichen: Die ­Designelemente waren die Toppings und die verschiedenen Dokumente, die designt werden können – Flyer, Visitenkarten, Speisekarten – symbolisierten den Teig. Perkins und Obrecht gingen damals ohne Kapital, aber mit einer neu gefundenen Begeisterung für Extremwassersport nach Hause. Bald wurden sie zum festen Bestandteil von Tais Kitesurfing-Treffen, an denen auch prominente ­Führungskräfte aus dem Tech-Bereich, die in neue Start-ups investieren wollten, teilnahmen. Letzten Endes sollte sich dies auszahlen: Durch die ­regelmäßigen Treffen lernten sie Cameron Adams kennen, einen Ex-Google-Mann, der ein Start-up mit Sitz in Sydney gegründet hatte. Im März 2012 stieg Adams als Berater ein, im darauffolgenden Juni wurde er als dritter Mitgründer gehandelt. Nun hatte Canva einen technischen Leiter – und erzielte damit den großen Durchbruch: Canva erhielt insgesamt drei Millionen US-$ an Startfinanzierung. Zusätzlich wurde von der australischen Regierung ein entscheidender Zuschuss beigesteuert. Doch der große Andrang blieb zunächst aus – dennoch war das Timing perfekt. Denn der Aufstieg von ­Instagram und Twitter veränderte die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Kunden erreichen – allen war plötzlich ihre Onlinepräsenz wichtig, und Canva war eine erschwingliche Möglichkeit, im Internet gut auszusehen. Die Zahl der ­Anmeldungen wuchs im ersten Monat auf 50.000 Benutzer. 2014 – als Canva weitere drei Millionen US-$ erhielt – hatten bereits 600.000 Nutzer über 3,5 Millionen Designs erstellt.

Doch wenn es darum geht, große Unternehmen zu bedienen, ist Canva immer noch ein Neuling. So wurde Canva for Enterprise erst im Oktober 2018 im Rahmen eines privaten Events in New York gelauncht. Canvas langfristiges Wachstum hängt davon ab, ob die Unternehmen von einigen Einzelaccounts zu Konten für Tausende von Angestellten wechseln werden. Nach Jahren kontinuierlicher Erweiterung des Angebots setzt Perkins für die Unternehmen auf einen umgekehrten Ansatz: Ein begrenzter Satz aus Vorlagen und Optionen soll Mitarbeiter dazu animieren, ihre eigenen Inhalte zu erstellen.

Die Canva-Gründer: Cameron Adams (links), und seine Mitgründer Cliff Obrecht und Melanie Perkins.

Adobe schläft aber währenddessen nicht: Seit 2016 bietet das Unternehmen mit Adobe Spark seine eigene kostenlose App mit diversen Vorlagen an. Laut Canva werden Perkins’ Tools an 50.000 Universitäten und 25.000 gemeinnützigen Einrichtungen eingesetzt – Adobe hat indes laut eigenen Angaben 23 Millionen kostenlose Spark-Konten an Studenten und Lehrer vergeben.

Die, die Perkins nahestehen, sind sicher, dass sie mit dem Druck umgehen kann. Guy Kawasaki, der seine Karriere bei Apple startete und in den 80er-Jahren um die Welt reiste, um alles zu bewerben, was mit Apple zu tun hatte, meint als Investor und „Chief Evangelist“ von Canva: „Die Demokratisierung des Designs können mehr Menschen nutzen als einen Macintosh. Du musst jetzt nicht mehr im Silicon Valley sein – ja, du musst nicht einmal mehr in Amerika sein –, um Erfolg zu haben. Das ist Wahnsinn!“

Text: Alex Konrad / Forbes US
Foto: Dean Mackenzie / Forbes US

Der Artikel ist in unserer Jänner-Ausgabe 2020 „Radical Change“ erschienen.

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