Investieren ins ewige Leben

Tobias Reichmuth möchte 120 Jahre alt werden. Mit seinem neuesten Projekt Maximon baut der Seriengründer Unternehmen im Langlebigkeits-Bereich auf – und möchte dafür in den nächsten Jahren 100 Mio. CHF investieren.

«The Boat of a Million Years» folgt elf unsterblichen Menschen durch die Geschichte. Über die Millennien treffen sich die Charaktere aus Poul Andersons Roman immer wieder und bilden eine Art Familie – ihre realen Angehörigen sind schliesslich längst verstorben. Die Unsterblichen fragen sich, was der Sinn ihres ewigen Lebens ist: Ist die Endlichkeit, die ein natürlicher Tod mit sich bringt, etwas Gutes? Ist es gerecht, dass sie ewig leben, während die Generationen um sie herum sterben?

Die Suche nach dem ewigen Leben (oder zumindest nach einem längeren Leben) ist so alt wie die Menschheit selbst. Der Markt dahinter, den es wohl ebenso immer schon gab, ist in den letzten Jahren allerdings regelrecht explodiert. Eine genaue Abgrenzung zum Gesundheitsbereich ist schwierig, aber einer Schätzung zufolge könnte die weltweite Anti-Aging-Industrie bis 2025 rund 610 Mrd. US-$ schwer sein. Das am besten finanzierte Start-up der Welt stammt aus diesem Bereich: Altos Labs entwickelt Therapien zur Verjüngung von Zellen. Startkapital: drei Mrd. US-$.

Dass viel Geld im Spiel ist, zeigt auch eine jährliche Langlebigkeits-Konferenz in Gstaad. 4.300 CHF kostet ein Ticket für die Veranstaltung, auf der Stars der Szene (und auch einige Kritiker) als Speaker auftreten. Millionär Bryan Johnson war letztes Jahr dort, genauso David Sinclair, Professor für Genetik an der Harvard Medical School.

Neben dem Ticketpreis müssen Besucher ein frei verfügbares Vermögen von mindestens einer Mio. CHF aufweisen, das sie in Langlebigkeits-Unternehmen investieren können.

Einer der Organisatoren dieser Longevity Investors Conference ist Tobias Reichmuth. Er möchte nicht ewig leben, er strebt «nur» 120 Jahre an. «Das ist ungefähr das Alter, das der Körper ohne Organersatz erreichen kann», begründet Reichmuth seine Bescheidenheit. Dafür hat er gemeinsam mit Marc Bernegger, Jörg Rieker und Caroline Wagner Maximon gegründet. Bei dem VC-Fonds sind die Geldgeber auch operativ in den Unternehmen tätig, in die sie investieren. Fünf Unternehmen hat der Schweizer, der laut Bilanz mit einem Vermögen von 125 Mio. CHF zu den 300 reichsten Bewohnern des Landes gehört, in den letzten drei Jahren mitbegründet. Knapp 30 Mio. CHF hat Maximon investiert, 70 Mio. CHF kommen über die nächsten vier Jahre noch dazu.

Aber es gibt auch Kritik am Geschäft mit der Langlebigkeit. Christina Röcke, Co-Direktorin des Healthy Longevity Center an der Uni Zürich, sagte in einem Interview mit Watson, dass vor allem die mentale Gesundheit im hohen Alter ein Problem sei. Viele Langlebigkeitstherapien wie etwa die Zellverjüngung, an der Altos Labs forscht, konzentrieren sich jedoch auf die Physis. Charles Brenner vom Beckman Research Institute sagte auf der Konferenz in Gstaad, dass die Evidenz für die Wirksamkeit vieler Langlebigkeitstherapien auf wackeligen Beinen stehe. Die  meisten Experimente, die positive Ergebnisse zeigen, werden an Mäusen durchgeführt. Reichmuth selbst sagt über den Bereich: «Man darf nicht in Euphorie verfallen, vieles muss noch bewiesen werden oder ist in Entwicklung.» Der Investor ist trotzdem bullish.

Reichmuth ist Seriengründer. Sein erstes Unternehmen gründete er während seines Studiums in St. Gallen, damals war er 21 Jahre alt. Nach dem Studium arbeitete er zwei Jahre lang für die Boston Consulting Group, von 2006 bis 2008 reiste Reichmuth um die Welt und sammelte Gelder für SOS-Kinderdorf. Dann legte er los: Im Jahr 2009 gründete er SUSI Partners, einen Vermögensmanager, der in Projekte der Energiewende investiert; es folgten Unternehmen im Krypto- und Finanzbereich. Die meisten Schweizer kennen Reichmuth wahrscheinlich aus der «Höhle der Löwen», wo er seit 2019 Juror ist.

Seine Faszination für Langlebigkeit begann ein Jahr später, auch wenn er bereits zuvor mit dem Thema in Kontakt war. «Ich habe 2016 zum ersten Mal von Longevity gehört, damals war das für mich eine Offenbarung», erzählt Reichmuth. «Ich habe mich ein wenig mit dem Thema befasst, aber war zu stark mit meinen anderen Unternehmen beschäftigt.» Als das Coronavirus die Welt in den Lockdown schickte, hatte der Unternehmer schlagartig mehr Zeit. «Du hast immer Zeit, ein Buch zu lesen – aber wenn du dich über zwei, drei Monate mit einem Thema befasst, kommen die guten und vielleicht bahnbrechenden Ideen», sagt Reichmuth. Er begann, Altern als eine Krankheit zu sehen, für die es eine Heilung gibt.

Diese Theorie wurde von David Sinclair popularisiert. In seinem Buch «Das Ende des Alterns» (englischer Titel «Lifespan: Why We Age – and Why We Don’t Have To») beschreibt er, dass Menschen alt werden, weil in der Zellteilung immer wieder etwas schiefläuft. Es gebe jedoch einen Weg, die Zellen regelmässig neu zu programmieren, um ihre Lebensdauer zu verlängern – und somit auch die der Menschen. Laut Sinclair sind bereits die ersten Menschen auf der Welt, die 150 Jahre alt werden könnten.

Reichmuth wollte dabei sein. 2020 setzte er sich mit Marc Bernegger zusammen, mit dem er auch schon SUSI Partners und die Crypto Finance AG gegründet hat. «Wir haben mit den Vorbereitungen für einen VC-Fonds begonnen», so Reichmuth, «und haben schnell gemerkt: Es gibt einfach noch verdammt wenige Ventures in dem Bereich.» Reichmuth und Bernegger wussten aber: Wenn sie in Unternehmen investieren wollen, müssen sie diese zuerst gründen. Gleich zeitig waren die beiden überzeugt, dass der Longevity-Markt «riesengross» ist. «Wenn wir zwischen ‹alt und krank› und ‹jung und gesund› wählen könnten – jeder würde jung und gesund sein wollen», so der Investor. «Der potenzielle Markt umfasst wahrscheinlich 100 % der Menschheit.»

Reichmuth nennt Maximon einen «Company Builder». Der Fonds ist kein reiner Kapitalgeber, denn das Team von Maximon steigt auch operativ in die Unternehmen ein, in die es sein Geld steckt. «Meistens kommt ein Wissenschaftler auf uns zu», erklärt Reichmuth den Investmentprozess. Es folgt eine Validierung, die mindestens sechs Monate lang dauert. «In dieser Zeit arbeiten wir mit dem Wissenschaftler zusammen und versuchen, alles zu verstehen, was es zu dem Thema zu verstehen gibt.» Sehen die Schweizer eine Chance – sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus wirtschaftlicher Perspektive –, investieren sie. Die Unternehmen können über die Jahre dabei bis zu zehn Mio. CHF erhalten.

Fünf Start-ups im Langlebigkeitsbereich sind so seit der Gründung von Maximon im Jahr 2021 entstanden: Avea Life produziert Nahrungsergänzungsmittel, Biolytica erfasst und visualisiert Gesundheitsdaten, Ayun soll eine Kette an Longevity-Kliniken werden, Mana Living definiert Altersheime neu und Frieda Health unterstützt Frauen in den Wechseljahren.

Dabei setzt Reichmuth stark auf das, was laut ihm der grösste Trend im Langlebigkeitsmarkt ist: «Die personalisierte Prävention ist wahrscheinlich der Megatrend», sagt er. «Heute gehst du zum Arzt, weil es dir schlecht geht, und er gibt dir Medikamente, die meistens, aber eben nicht immer passen. In der Zukunft gehst du zum Arzt, obwohl es dir gut geht – er sagt dir nur, was du persönlich, basierend auf deinen Genen, Blutwerten und so weiter, tun musst, damit es dir auch weiterhin gut geht.»

Wenn wir zwischen ‹alt und krank› und ‹jung und gesund› wählen könnten – jeder würde jung und gesund sein wollen!

Tobias Reichmuth

Reichmuths Glaube an diesen «Megatrend» spiegelt sich vor allem bei Ayun wider. Im Zentrum Zürichs baut das Start-up seine erste Longevity-Klinik, in der auf 580 Quadratmetern personalisierte Gesundheit angeboten werden soll. Basierend auf Analysen des Bluts, der Gene oder des Körperfetts können sich Ärzte ein genaues Bild von der Gesundheit der Kunden machen. «Wir versuchen, deine gesamten Gesundheitsparameter mit einzubeziehen», so Reichmuth. «Nach der umfangreichen Analyse entwickeln wir eine personalisierte Strategie.» Kunden können diese vor Ort umsetzen. Ayun bietet unter anderem Rotlicht- und Sauerstofftherapien, Zugang zu Kältekammern oder personalisierte Infusionen. «Wir haben auch Ernährungscoaches und Personal Trainer und arbeiten mit Psychologen zusammen», rundet Reichmuth das Angebot ab. Das Ziel  sei nicht, dass Kunden die Klinik ein- oder zweimal im Jahr besuchen, so Reichmuth: «Einmal im Jahr ist nett; aber besser ist, du kommst jede Woche.» Ein Monatsabo soll zwischen 390 und 700 CHF kosten, eröffnen soll die Klinik Mitte Juni.

Das bekannteste Gesicht der Langlebigkeits-Szene ist wohl Bryan Johnson. Der US-Amerikaner verkaufte 2013 sein Unternehmen für 800 Mio. US-$. Seitdem investiert er rund zwei Mio. US-$ im Jahr in seinen Körper. Ein Team von 30 Ärzten betreut ihn, sein Alltag wird minutiös geplant. Angeblich schluckt er über 100 Pillen am Tag. Reichmuth lebt nicht ganz so «extrem», wie er sagt: «Ich bin der Meinung, dass 80 % der Longevity-Maßnahmen ‹low hanging fruits› sind, die meinen Alltag nicht wahnsinnig stark einschränken. Die letzten 20 %, die wirklich viel Arbeit oder harte Einschnitte für meine Lebensqualität bedeuten, gehe ich nicht mehr mit», so Reichmuth. Er hält jeden Tag Mittagsschlaf, betreibt Intervallfasten und nimmt einige Nahrungsergänzungsmittel zu sich. Täglich betreibt er Kraft- und Ausdauersport; bei Letzterem ist auch sein Hund Fritz dabei, der uns beim Gespräch brav zuhört. Aber Reichmuth trinkt auch gerne ein Glas Wein, obwohl er selbst sagt: «Dafür gibt es aus gesundheitlicher Perspektive keine Rechtfertigung»; alkoholfreien Wein verbiete ihm sein Gaumen. Laut seiner eigenen Schätzung investiert der Schweizer rund 10.000 CHF im Jahr darin, seinen Körper jung zu halten.

Zur Kritik am Geschäft mit dem ewigen Leben sagt Reichmuth: «Bei Maximon verstehen wir Longevity als Extension of Health Span» – anstatt das Leben zu verlängern, sollen die Menschen länger gesund bleiben. «Wenn ich mit 83 Jahren sterbe», fährt der Investor fort, «aber bis zum Schluss ein gesundes Leben hatte, wäre ich zwar ein bisschen enttäuscht, aber nicht wütend.» Die Theorie ist, dass ein gesünderes Leben (an sich schon kein schlechtes Ziel) auch zu einem längeren Leben führt.

Dass dieser Weg bei Mäusen funktioniert, hat die Wissenschaft bereits bewiesen; will man den Effekt eines gesunden Lebensstils in jungen Jahren auf das Sterbealter eines Menschen beobachten, muss man Jahrzehnte warten. Anhand von Biomarkern können Ärzte aber das biologische Alter von Muskeln und Organen messen. Bryan Johnson, wahrscheinlich der Mensch, der am meisten Zeit und Geld in die Verjüngung seines Körpers steckt, hat demnach das Herz eines 37-Jährigen, die Haut eines 28-Jährigen und die Fitness eines sportlichen Teenagers. Der 45-Jährige hat also die Alterung nicht nur aufgehalten, sondern in manchen Teilen seines Körpers umgekehrt. Reichmuth, ebenfalls 45, hat laut ähnlichen Messungen den Körper eines 38-Jährigen.

Die Unsterblichen in «The Boat of a Million Years» fliegen am Ende des Romans in einem Raumschiff ins All – hoffnungsvoll, dass sie andere Menschen wie sich, neue Herausforderungen und neues Wissen finden. Reichmuth hat kein Raumschiff, noch ist er auch nicht unsterblich. Aber um möglichst lange gesund zu bleiben, geht er nach unserem Gespräch ins Fitnessstudio.

Tobias Reichmuth gründete sein erstes Unternehmen, als er 21 Jahre alt war. Seitdem hat der Seriengründer Unternehmen in den Bereichen Finanzen, Krypto und Langlebigkeit aufgebaut. Mit seinem «Company Builder» Maximon investiert der Schweizer nicht nur in Langlebigkeits-Start-ups, er steigt auch operativ in die jeweilige Geschäftsleitung ein. Hund Fritz begleitet Reichmuth fast überall – mit täglichem Lauf- und Radsport hält der Vierbeiner sein Herrchen fit.

Foto: Lukas Lienhard

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