JEDERFRAU

Delia Fischer ist keine gewöhnliche Gründerin: Die Frau mit dem Faible für Einrichtungsideen und der Abneigung gegen Excel baute mit Westwing ein börsennotiertes Unternehmen auf.

Angefangen hat alles etwas holprig. Da war zwar die glorreiche Geschäftsidee, da war der passende Partner, da war auch die klare Überzeugung, es gemeinsam schaffen zu wollen – da war dann aber auch der erste Termin mit potenziellen Geldgebern, da war ein Meetingraum mit Männern eines gewissen Alters, da waren verständnislose oder gelangweilte Blicke. Gegründet hat Delia Fischer letztendlich dann doch, mittlerweile hat ihr Unternehmen Westwing rund 1.100 Mitarbeiter und notiert an der Börse. Zudem gilt Westwing in seiner Zielgruppe (Frauen) als ‚die‘ Marke, wenn es um die Einrichtung der eigenen vier Wände geht.

Denn die Runde von Männern, denen Fischer 2011 ihre Geschäftsidee gemeinsam mit Mitgründer Stefan Smalla vorstellte, hatte keine Ahnung, warum ein Start-up, das online Möbel und Einrichtungsgegenstände verkaufen wollte, eine sinnvolle Idee sein soll. Die Frauen und Freundinnen ebendieser Investoren, die die Geschichte kurz danach erzählt bekamen, waren jedoch Feuer und Flamme. Und so bekamen Fischer und Smalla doch ihr Geld. Dabei sieht sich die an der Spitze der ehemaligen Rocket-Tochter Westwing stehende Fischer nicht für den Job gemacht: „Ich bin nicht der klassische Start-up-Gründer. Ich kann bis heute noch kein Excel, habe nicht BWL studiert.“ Dennoch ging Westwing im Oktober 2018 an die Börse, hat heute eine Marktkapitalisierung von rund 240 Millionen €. Wie geht das?

Bild: Delia Fischer, Westwing, Lifestyle, Interview

Delia Fischer
... wuchs in Bayern auf, studierte Modejournalismus und Medienkommunikation in München und heuerte bei der „Elle“ an. 2011 gründete sie mit Stefan Smalla, Tim Schäfer, Matthias Siepe und Georg Biersack Westwing. Heute zählt das Unternehmen rund 1.100 Mitarbeiter und macht 254 Millionen € Umsatz.

In seinem Brief an die Aktionäre schreibt das Westwing-Gründerteam, das neben Stefan Smalla (CEO) und Delia Fischer (Chief Creative Officer) unter anderem Florian Drabeck (CFO) umfasst, folgende Worte: „Wir bieten unseren Kundinnen etwas an, das ein sehr emotionaler und immer präsenter Teil ihres Lebens ist. Deshalb ist Westwing primär eine Marke.“

Auch Fischer rückt den Unternehmenskern in den Fokus, der weitab von EBITDA-Margen und Umsatzprognosen stattfindet: „Das eigene Zuhause ist – nach dem Liebesleben – wohl das Emotionalste, was man verkaufen kann. Und wenn man sein Zuhause einrichtet, brauchen die Kunden viel Hilfe und Inspiration.“

Diese starke Emotionalisierung des eigenen Kerngeschäfts ist es, die Westwing bei den Kunden so beliebt macht. 90 % davon sind Frauen, im Schnitt 43 Jahre alt. 85 % des eigenen Umsatzes erzielt Westwing zudem mit Stammkunden – also jenen Käufern, die die Webseite über 100 Mal pro Jahr besuchen. Das Unternehmen definiert sich nicht nur als „Shoppable Magazine“, indem die Kunden auf der Plattform inspiriert werden sollen, sondern auch als Shopping-Club, wo die Kunden mehr sein sollen, nämlich Mitglieder der Marke.

Vor allem die Inspiration der Kunden ist es, die Fischer auch im Gespräch immer wieder unterstreicht. Im Gegensatz zu Amazon, wo alle Daten dazu dienen, den Kunden noch schneller zu einem für ihn relevanten Produkt zu führen, will Westwing den Menschen Ideen bieten, von denen sie vielleicht gar nicht wussten, dass sie ihnen gefallen könnten. Fischer nennt den Ansatz „inspiration-based“, gegenüber dem sonst gängigen „Search-based“-Vorgehen von Amazon und Co. Was wiederum zu Schwierigkeiten führen kann, denn während klassische E-Commerce-Modelle mit mehr Daten auch mächtiger werden, geht die Gleichung in Westwings Fall nicht ganz auf. Auf die Frage, ob sich Inspiration automatisieren lasse, sagt Fischer: „Ich kann es mir schlecht vorstellen. Ich glaube, dass wir, was Technologie angeht, uns eher auf Technologie fokussieren, die der Inspiration dient.“ Der Inspiration dienen in Westwings Fall etwa Social Media oder Augmented Reality. Insbesondere Instagram spielt eine gewichtige Rolle: Fischers Profil kommt auf rund 111.000 Follower, Westwing kommt mit allen Länder-Instagram-Accounts auf rund 1,6 Millionen Fans.

Keine Excel-Tabelle kann mir sagen, was im nächsten Jahr ‚in‘ ist. Das muss man einfach fühlen.

Der Ansatz hängt auch eng mit der Unternehmenskultur zusammen. Da Westwing sich genauso als Kurations- wie als Verkaufsplattform sieht, braucht es viele kreative Köpfe, die die neuesten Trends kennen. Wo wieder die Frage zwischen Inspiration und Daten aufkommt. Fischer: „Wir sind sehr ‚data-driven‘. Aber wir machen das so, dass unsere Kreativen mit den Daten arbeiten können. Denn viele Sachen kann ich nicht aus Daten lesen. Keine Excel-Tabelle kann mir sagen, was im nächsten Jahr in ist. Das muss man einfach fühlen – und da muss man sich dann durchsetzen.“ Um die Kreativen, die laut Fischer in ihrer Arbeit meist auf Harmonie bedacht waren, in ihrer Meinung zu bestärken, galt bei Westwing früher mal ein radikales Motto: „When the creatives are speaking, business people have to shut the fuck up.“ Und obwohl Fischer sagt, dass sie das heute nicht mehr so formulieren würde, zeigt es doch, warum Westwing so eine ungeheure Beliebtheit bei Kunden hat, die in einer von Optimierungsprozessen geprägten Welt auch mal Zeit haben wollen, sich neue Ideen abzuholen. Doch diese Idee zu skalieren und insbesondere auf mehrere Länder auszurollen gestaltet sich als herausfordernde Aufgabe.

Der unternehmerische Funke sprang bei Fischer erst nach ihrem Studium über. Die Tochter eines (mittlerweile pensionierten) Polizisten und einer freiberuflichen Dozentin wuchs in der 1.000-Seelen-Gemeinde Löpsingen in Bayern auf. Sie studierte an der AMD Akademie Mode & Design Modejournalismus und Medien­kommunikation, absolvierte währenddessen ein Praktikum in einer PR-Agentur in Dubai. Diese wurde von zwei Frauen gegründet, was Fischer nachhaltig beeindruckte. „Das fand ich ziemlich cool und inspirierend. Und ich habe mir dann gedacht, ich hätte auch gerne eine eigene Firma.“ Der Unternehmergeist war geweckt; zuerst ging es aber für sechs Jahre zur Burda-Tochter „Elle“. „Ich habe mir damals Gedanken gemacht, was ich tun möchte, wollte etwa ein T-Shirt-Label gründen. Dann kam die Idee zu Westwing, und ich dachte, dass das funktionieren könnte.“

Bild: Delia Fischer, Lifestyle, Founder, Westwing, Start-up

Sie sprach Stefan Smalla an. Smalla hatte zuvor bereits ein Social-Networking-Start-up namens Friendity gegründet, war zuvor CTO bei der Preisvergleichsseite Dooyoo gewesen. Mittlerweile hatte er auch einige Jahre Erfahrung beim Beratungshaus Bain gesammelt. Fischer: „Stefan hat sich dann umgehört und gemeint, dass es da echt einen Demand geben würde. Dann haben wir das zusammen gestartet.“ Neben Smalla und Fischer umfasst das Gründerteam noch drei weitere Männer: Matthias Siepe, Tim Schäfer und Georg Biersack. Alle fünf sind heute noch im Unternehmen tätig: Während Siepe „Managing Director Clubs“ ist, ist Schäfer als Customer Director ­tätig; Biersack verantwortet den Bereich Tech Operations. Das Managementtrio der Westwing Group komplettiert neben Smalla und Fischer jedoch ein Nichtgründer: Florian Drabeck ist als CFO für die Zahlen verantwortlich. Fischer konzentriert sich auf die kreative Sprache des Unternehmens, Smalla waltet als CEO.

Obwohl Westwings Kunden zu 90 % Frauen sind und das Unternehmen etwa 60 % weibliche Mitarbeiter hat, ist der Anteil auf Führungsebene gering. Im Gründerteam sind es 20 %, im Vorstand 33 %. Fischer: „Ich habe zu Beginn einfach keine Frau gefunden, die mitmachen wollte. Vielen war es zu risikoreich.“ Um der Imbalance entgegenzuwirken, hat Westwing eine eigene Kindertagesstätte gegründet. Zudem gibt es eine Kooperation mit einer solchen Einrichtung, die im Zentrum Münchens liegt (Westwings Büro liegt etwas außerhalb, nahe dem Olympiapark im Nordosten Münchens). Fischer: „Unsere Mitarbeiter sind im Schnitt 30 Jahre alt. Das ist einfach ein Alter, in dem man an Familie denkt. ­Diese Maßnahmen sind nicht billig, aber uns ist das wichtig. Denn sonst verlieren wir unsere weiblichen Talente – genau in jenem Alter, in dem man die guten Beförderungen machen kann.“

In der DACH-Region läuft’s für Westwing ziemlich rund. 2018 wuchs der Umsatz in der Region um 36 % auf 133 Millionen €, verglichen zu 16 % für die gesamte Westwing-Gruppe. Auch die Marge ist eng, aber deutlich besser, sie liegt auf EBITDA-Basis für Deutschland, Österreich und die Schweiz bei 4 %, verglichen mit 1 % gesamt.

Die Internationalisierung von Westwing funktioniert nicht ganz wie gewünscht. Im September gab man bekannt, sich von den Geschäften in Brasilien, Russland und Kasachstan zu trennen, die Mitarbeiterzahl schrumpfte von ihrem Höchststand von 1.600 (Ende 2016) auf heute rund 1.100. Graham Renwick, Analyst bei der Berenberg Bank, bezeichnet die Internationalisierung in frühen Jahren als „Überexpansion“. So kam der Home-&-Living-Konzern auch in Italien in Schwierigkeiten: Wegen einer falschen Markenpositionierung zog Westwing in Italien eher Schnäppchenjäger als loyale Kunden an. Doch das sowieso knapp kalkulierte Geschäftsmodell funktioniert nur, wenn der Großteil der Kunden wiederkommt und mehrmals kauft. Zudem – das mag absurd klingen – machte das Wetter Westwing in Italien einen Strich durch die Rechnung. Denn es war ungewöhnlich warm, was die Menschen eher zum Rausgehen animierte, als online ihre Wohnung einzurichten.

 

Kundschaft: Loyal und weiblich
(Quelle: Westwing, Euromonitor)

Infografik: Delia Fischer, Westwing, Marktpotenzial, Kundschaft

Fischer: „Der Interior-Markt ist sehr lokal, der Geschmack in verschiedenen Regionen oft anders. In Italien sind beispielsweise die Wohnungen kleiner, da kommen multifunktionale Möbel sehr gut an.“ Um sich der Situation besser anzupassen, wird nun in Italien ein Rebranding durchgeführt. Die Internationalisierung an sich ­stehe jedoch nicht infrage, so Fischer. Neben neuen Märkten setzt Westwing strategisch auch auf den Ableger Westwing Now. Denn während auf der originalen Webseite Ideen kommen und gehen, gibt es auch Kunden, die ab und zu genau wissen, was sie wollen – und nicht suchen möchten. Ein solches permanentes Sortiment (ähnlich regulären Möbelhändlern) soll Westwing Now bieten. Zudem setzen Fischer, Smalla und Drabeck zunehmend auf eigene „Private Label“-Produkte. Das zahlt nicht nur auf die Relevanz der Marke Westwing ein, sondern steigert auch die Margen.

Westwing steht und fällt mit dem Wachstum an loyalen Kunden. 2018 waren es fast eine Million Menschen, die 2,4 Millionen Bestellungen machten. Und obwohl das Wachstum sich nicht ganz dynamisch entwickelte, ist noch viel Luft nach oben: Nur 5 % des insgesamt 117 Milliarden € umfassenden Home-&-Living-Marktes in Westwings Märkten passieren online. Es ist in den Ländern Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien, Frankreich, Spanien, Niederlande, Belgien, Polen, Tschechien und Slowakei also durchaus noch Raum zum Wachsen da.

Obwohl der Börsengang holprig verlief – zum Ausgabekurs von 26 € verlor Westwing bis dato über 50 % –, sind die Analysten wieder positiver gestimmt. So schreibt Berenberg-Mann Renwick, dass die ansteigenden Private-Label-Verkäufe, geringe Marketingquote (nur rund sieben Prozent des Umsatzes) sowie operative Effizienz durchaus Grund zu Optimismus gäben. Das Kursziel von 23 € zeigt ein Potenzial von fast 50 %.

Andere Gründer würden unter Druck wohl Excel-Sheets erstellen, Businesspläne überarbeiten oder an Profit Forecasts basteln. Fischer hingegen denkt wohl schlicht an ihre Anfangs­tage und die Männer mittleren Alters zurück – und lässt sich inspirieren.

Der Artikel ist in unserer April-Ausgabe 2019 „Geld“ erschienen.

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