JULIA UND DIE SCHOKOFABRIK

Über 500 Schokoladensorten, ein Jahresumsatz von 24 Millionen € und die Auszeichnung als „beste Milchschokolade der Welt“: In den letzten 20 Jahren hat Familie Zotter mit ihrer Schokoladenfabrik so einiges erreicht – trotz oder vor allem wegen des ungewöhnlichen Herstellungsprozesses und der teils ausgefallenen Kreationen, die Gründertochter Julia Zotter maßgeblich mitbestimmt.

Dass das Schokoladenimperium der Zotters in ­seiner Geschichte bereits bittere Zeiten erlebt hat, würde man nicht unbedingt erwarten. Denn auf einem kleinen Berg in der Steiermark gelegen, führt die Familie seit 21 Jahren ihre Manufaktur mit mittlerweile 200 Mitarbeitern und ­einem Jahresumsatz von 24 Millionen €. Vor 26 ­Jahren jedoch stand das Unternehmen kurz vor dem Aus: Josef Zotter, gelernter Koch und Konditor ­sowie Gründer der Schokoladenfabrik, machte sich als Konditor selbstständig – nach einer ­voreiligen ­Expansion an mehreren Standorten ging er 1996 jedoch pleite. Lediglich sein eigenes Lokal blieb übrig. Aus Geldnot zog er zu seinen Eltern nach Bergl in Riegersburg – der heutige Firmensitz – im ­österreichischen Bundesland Steiermark. ­Seine Tochter Julia Zotter, damals neun Jahre alt, ­erinnert sich: „Der Konkurs hat uns ­geprägt – wir sind vorsichtiger geworden und rückten als Familie stärker zusammen. Jeder hat mitgearbeitet.“

Vor dem Beginn unseres Interviews steht sie lächelnd am Eingang der ­Schokoladenfabrik. ­Weder ihre legere Kleidung – Jeans, T-Shirt und eine „Zotter“-Weste – noch ihre Attitüde lassen vermuten, dass sie jene Frau ist, die ein millionen­­schweres Unternehmen entscheidend mitführt und zusammen mit ihrem Vater die kreativen Schokoladenkreationen verantwortet. „1992 führten wir in unserer Konditorei zum ersten Mal ­eigene Schokolade. Wir hätten jedoch niemals ­gedacht, dass daraus eine ganze Fabrik ­entstehen würde“, so Zotter. Dass sich das Unternehmen später dennoch einen Namen als Schokoladen­hersteller machte, war quasi dem Zufall geschuldet, wie sie wenig später erzählt. 1992 bestellte eine Bank bei den Zotters kurzfristig Hunderte von Punschwürfeln – innerhalb von 24 Stunden sollten sie liefern. Weil die Zeit dafür zu knapp war, überzeugte Josef Zotter den Kunden, stattdessen 400 Tafeln Schokolade zu kaufen. Wie Zotter jedoch feststellte, hatte er für diese Menge nicht genug Gussformen. Um die ­geforderte Menge dann doch noch anfertigen zu können, fuhr das Ehepaar in den Baumarkt, kaufte sich Vorhangstangen und baute daraus auf einem Tisch eine Schokoladenform. Zuerst wurde in der gesamten Form eine dünne Schicht Schokolade verteilt wurde, worauf dann Schicht für Schicht die Füllungen verstrichen wurden. Zuletzt werden die Schichten mit einem Schokoladenguss ummandelt. Zotter nennt diese höchst eigene Vorgehensweise „handgeschöpft“. In kleinen Schachteln verpackt, überbrachte Josef Zotter wenig später schließlich der Bank die händisch geschnittenen und somit ungleichmäßigen Schokoladentafeln.

Als am nächsten Tag der Auftraggeber in der Konditorei vorbeischaute, erwartete sich ­Josef Zotter Kritik an der Form der Schokoladen­tafeln. Doch das Gegenteil war der Fall – der Kunde war begeistert. „Das war der Punkt, an dem wir realisierten, dass Schokolade als Produkt funktioniert. Sie muss nicht einmal die klassisch ­industrielle Form haben, damit sie gefällt“, schildert ­Julia ­Zotter. Ein zweite Begebenheit, die die Familie bestärkte, ihren Fokus auf Schokolade zu legen, war die Begegnung mit einer älteren Dame: Sie war Stammkundin der Konditorei – und bekannt für ihre Sparsamkeit. Doch trotz – oder gerade wegen – des stolzen Preises von damals 20 Schilling pro Tafel war die Antwort da­rauf: „Die müssen was Besonderes sein, also nehme ich gleich zwei!“ 1999 startete dann die Schokoladenmanu­faktur im Stall des Bauernhofs der Zotters. Im Lauf der Zeit machte sich die Familie vor allem aufgrund ihrer verspielten – manche nennen sie verrückt, wie Zotter erzählt – Schokoladenfüllungen wie „Brennholz Hackschnitzel“ oder „Cola-Popcorn“ einen Namen. Zotter selbst hilft seit ihrer Kindheit im Betrieb mit, mittlerweile teilt sie sich mit ihrem Vater die Aufgabe, neue Sorten zu kreieren.

Die Manufaktur der Zotters entstand ursprünglich im Stall des familieneigenen Bauernhofs. Mittlerweile bietet das Unternehmen über 500 Schokoladensorten an.
Die Zotter-Tafeln werden von Hand geschichtet statt gegossen.
Schokoladensorten, die es nicht mehr im Sortiment gibt, erhalten einen Grabstein auf dem „Schokoladenfriedhof“.

Der ausschlaggebende Grund dafür, wieso Zotter Erfolg hat, sind nicht die Maschinen oder teure Roboter in der Fabrik. Vielmehr liegt es an der knapp 200 Jahre alten Handarbeit, nämlich dem Schichten der Schokolade und Füllungen – Letztere werden am Ende dann mit einem Schokoguss überzogen –, die das ­Unternehmen so besonders macht und von anderen Herstellern unterscheidet. „Wir verwenden bei ­unserer Schokolade einen ähnlichen Prozess wie bei der Konfektherstellung“, so Zotter über die Produktion. Die handgeschöpften Schokoladen sind mit 60 % Anteil am Gesamtumsatz der Schokoladenproduktion das Zugpferd der Firma; der Rest stammt vom Verkauf der ­herkömmlichen Schokolade ohne Füllung, von Kuver­türen und Trinkschokoladen. „Der Vorteil ­dieser handgeschöpften Schokolade gegenüber der Fließbandproduktion ist die Möglichkeit, sehr ­zügig die Rezeptur wechseln zu können, da man die Maschinen nicht für die neuen Zutaten umrüsten muss, und dass die verschiedensten Texturen miteinander verbunden werden können“, erklärt Zotter. Mit der besonderen Herangehensweise habe ­Zotter ­mittlerweile 500 Schokoladensorten auf den Markt gebracht – mehr als jede andere Schoko­ladenfirma auf der Welt, so die Tochter des Gründers. Gerade aufgrund der besonderen Herstellungsweise baute die Harvard University 2010 Zotter als Studycase in den Lehrplan ein – trotz oder vielleicht auch gerade wegen des Produktionsprozesses, der, wie Zotter lachend kommentiert, so viele Bottlenecks (­organisatorische ­Schwachstelle, die den Arbeitsablauf hemmt, Anm.) beinhalte, dass „jeder Lean Production ­Manager wahnsinnig werden würde“. 2002 kreierten die Zotters eine Running-Chocolate-Verkostungsstation für die ­Besucher, seit 2007 können diese im sogenannten „Schoko-Laden-Theater“ live in die ­Produktion sehen und Zwischenprodukte sowie die fertigen Tafeln verkosten. Um die 200.000 Besucher lockt das Angebot jährlich an. 48 % des Umsatzes werden ­jedoch über den Onlineshop, den werkseigenen Laden und die circa 4.000 Vertriebsstellen erwirtschaftet. Ersterer wächst jährlich um bis zu 10 %, dabei stammen die Einnahmen zu 58 % aus Österreich, zu 35 % aus Deutschland – der Rest kommt aus dem EU-Raum, China und den USA.

Wir orientieren uns nicht am Markt, sondern legen ihm etwas vor – in der Hoffnung auf Annahme.

Eigentlich hatte Zotter im ­Kindesalter Astronautin werden wollen. Doch je intensiver sie in die Geschäfte miteinbezogen wurde, desto größer wurde auch die Faszination für das Unternehmen. Als sich die Familie Anfang der 2000er schließlich darauf spezialisierte, die gesamten Produkte mit bio- und Fair-Trade-zertifizierten Zutaten herzustellen, stand für Zotter – die Wert auf nachhaltiges und faires Wirtschaften legt – fest, sich ganz dem Unternehmen zu verschreiben. „Jeder in der Familie kann schwer etwas tun, wovon er nicht überzeugt ist. Wir würden nichts in die Produkte mischen, was wir nicht selbst ­essen würden. Anfangs hat die Umstellung auf biozertifizierte Zutaten die Hälfte unseres Sortiments ausgelöscht, weil wir diese nicht mit einem Biolabel auftreiben konnten. Damals gab es so etwas einfach noch nicht wirklich – wir waren unter den ­Ersten, denen das wichtig war“, erzählt Zotter. Als sich ihre Familie 2014 nach einer Expansion nach China umsah, übernahm die damals 25-Jährige die Verantwortung für das Projekt: Auf 2.400 Quadratmetern wurde in Shanghai eine Schokoladen-Erlebniswelt nach steirischem Vorbild aus dem Boden gestampft. „China war ­sicher die härteste Zeit in meinem Leben. Ich musste ­alles selbst aufbauen; Leute kommen und gehen, und dann funktionieren 1.000 Sachen nicht. Das ist im Familienverband anders, da bist du nicht ­allein“, so Zotter, die mittlerweile auch in Österreich mit ihrem Bruder Michael mehr und mehr die Führung des Betriebs übernimmt. Generell beinhaltet ihr Verständnis einer ­guten Unternehmensführung keine Profitmaximierung wider Willen, und Zotter ist auch keinem rasanten Wachstumskurs unterworfen – vielmehr sollen die Einnahmen einen schrittweisen Ausbau der Fabrik, den Mitarbeitern einen sicheren Arbeitsplatz und ihr und ihrer Familie ein gutes ­Leben ermöglichen, so Zotter, die zudem ein eigenes Fair-Trade-Siegel entwickelt hat, das über die gängigen Fair-Trade-Mindeststandards hinausgeht. Dass die „Extrameilen“, die das Unternehmen seit jeher geht, zudem einen Wettbewerbsvorteil schaffen, ist ein Plus: „Wir orientieren uns nicht am Markt, sondern legen ihm etwas vor – in der Hoffnung auf Annahme. Denn wenn man tut, was der Markt einem vorgibt, dann konkurriert man mit jedem, der sich auch daran orientiert“, erläutert ­Zotter. Auf die Frage, was sie denn von ihrem ­Vater ­unterscheide, antwortet sie: „Wir sind beide verrückt, streiten oft leidenschaftlich um die geschmackvolleren Rezepturen, aber unsere Werte sind unverrückbar.“ Es scheinen wohl unter anderem diese Eigenschaften zu sein, die das Familienunternehmen so erfolgreich machen.

Text: Muamer Bećirović
Fotos: David Visnjic

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 10–20 zum Thema „Handel“.

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