Künstlerische Freiheit

Der Kellermeister von Dom Pérignon, Richard Geoffroy, über seine Liebe zu Champangner - besonders dem schwierigen.

Kein Geschäftsmann oder Handwerker, auch kein Koch oder Sommelier sitzt einem bei einem Gespräch mit Richard Geoffroy gegenüber. Viel eher scheint es, als würde ein Künstler sprechen, der seine Werke in ein großes Ganzes einzuordnen versucht. Denn bereits die erste Frage – was denn einen guten Champagner eigentlich ausmache – bringt den Chef de Cave (Kellermeister) der Luxus-Champagnermarke Dom Pérignon zum Philosophieren.

„Guter Champagner macht sich in unterschiedlichen Ausprägungen bemerkbar. Es gibt einige Grund­elemente – aber die Frage ist trotzdem stets eine offene. Letztendlich geht es um Tonizität, Verspieltheit, Dynamik, Freude. Guter Inhalt mit Tiefe.“

Es dauert nicht lange, bis wir von der Champagner- auf die Metaebene wechseln und über Dinge sprechen, mit denen sich kreative Köpfe seit Jahrhunderten beschäftigen. „Für mich ist das Streben nach Perfektion, nach Harmonie universell. Das Streben nach Schönheit. Die Menschen erkennen es, wenn etwas schön ist. Das Gleiche gilt für die Perfektion bei Weinen – wir sprechen ja bei Wein auch von Schönheit.“

Sowohl die Meinungen zu Champagner an sich als auch jene zur Marke Dom Pérignon im Detail ­mögen auseinandergehen. Eines lässt sich aber wohl nicht bestreiten: Der Mann weiß, wovon er spricht. Seit 28 Jahren ist Geoffroy bei Dom Pérignon tätig, erst als stellvertretender Kellermeister, seit 1996 als Chef de Cave. Dabei ist der 63-jährige Franzose eigentlich ausgebildeter Arzt, 1982 schloss er sein Medizinstudium in Reims in der Champagne ab. Nach wenigen Jahren merkte er jedoch, dass er dem Familienschicksal – seine Familie stellt seit Generationen Champagner und Wein her – nicht entkommen kann. Statt jedoch in Frankreich zu bleiben, ging Geoffroy in die USA, zu Domaine Chandon, um unter anderem sein Englisch zu verbessern. 1990 kehrte er dann schließlich nach Frankreich zu Dom Pérignon zurück – und blieb dort bis heute.

Geoffroy gilt mit seinen fast drei Jahrzehnten Erfahrung in der Champagnerwelt als eigene Marke und ist quasi das Gesicht von Dom ­Pérignon. Bis zu 200 Tage im Jahr verkostet Geoffroy mit seinem Team Weine, um die richtige Mischung zu ­finden. Denn Champagner wird als ­Cuvée mehrerer Sorten gemischt, im Fall von Dom Pérignon sind die Bestandteile zumeist Chardonnay und Spätburgunder.

Inwiefern die wachsende Erfahrung des Kellermeisters zur steigenden Qualität der Weine beiträgt, ist offen. Geoffroy glaubt jedenfalls, dass manch guter Jahrgang ohne seine Erfahrung bei Dom Pérignon nicht möglich gewesen wäre: „Im Leben wird man immer besser bei dem, was man macht. Jeder neue Vintage hilft uns dabei. Im Gegensatz zu meinen Vorgängern – ohne sie schlechtreden zu wollen – gehen wir jetzt mehr Risiken ein. Denn sonst ist der Wein schlaff,
es fehlt ihm der gewisse Pfiff, die freche Art.“

Den Ursprung nahm die Frechheit an unerwarteter Stelle – bei einem Mönch: Dom Pérignon, der mit bürgerlichem Vornamen Pierre hieß, erfand zwar nicht den Champagner, wie oft fälschlich berichtet wird, er hob ihn jedoch auf eine neue Stufe. Er verbesserte die Produktionsverfahren und fand Mittel und Wege, die Kohlensäure länger im Getränk zu behalten.

Neben traditionellen Champag­nersorten werden in ­besonderen Jahrgängen auch Vintages herge­stellt. Mit einem solchen Glas – einem 2009er – sitzt uns Geoffroy an diesem Freitagabend in der Villa Principe Leopoldo in Lugano gegenüber. Ob es denn sein Lieblingsjahrgang sei, wollen wir von dem Kellermeister wissen. Doch Geoffroy wehrt ab: „Nein. 2009 hat einen hohen Stellenwert, doch es gab so viele großartige Vintages in den letzten Jahren. Den 2009er haben wir in einem sehr reifen Jahr gemacht, mit sehr reifen Aromen. Das macht ihn zu einem eher unkonventionellen Champagner, der die Grenzen der Reife ausdehnt. Ich habe zuvor über Verspieltheit gesprochen. Sie muss gegeben sein, um einen fertigen Wein herzustellen.“

Viel eher hat Geoffroy einen anderen, etwas älteren Liebling: „2003, das war die größte Herausforderung. Ich sage aber nicht, dass er der beste ist, ich beurteile meine Weine nicht. Es geht um Herausforderungen, Emotionen, Zweifel, Fehler, Erfolge – alles. 2003 war in den 28 Jahren, die ich arbeite, der spannendste Jahrgang.“ Das ist wenig überraschend: 2003 litt Frankreich unter einer historischen Hitzewelle, im Süden des Landes wurden 44,1 Grad Celsius gemessen. Der Landwirtschaft fügten diese Extremsituation und die damit einhergehenden Dürren Verluste zu. Ebendieser Jahrgang steht damit auch sinnbildlich für die Herausforderungen, die dem Weinbau im Allgemeinen, den Champagnerherstellern in Frankreich jedoch im Speziellen bevorstehen. Denn die Prognosen verheißen nichts Gutes. Der Klimawandel führt nicht nur zu steigenden Temperaturen, sondern auch zu einer höheren Wahrscheinlichkeit von Unwettern. Beides ist nicht unbedingt förderlich für den Anbau einer Traube, die besonders sensibel auf Umweltbedingungen reagiert. Dabei ist Frankreich besonders stark von den ­Änderungen betroffen – und wird es auch weiter­hin sein. Laut einem Beitrag in der Fachzeitschrift Environmental Research Letters sollen in dem Land bis zum Jahr 2100 Hitzewellen mit über 50 Grad vorkommen, der durchschnittliche Temperaturanstieg soll im Nord­osten Frankreichs mit im Schnitt rund zwölf Prozent am höchsten ausfallen. Und die Champagne liegt, erraten, ebendort.

Doch Geoffroy lässt sich davon offensichtlich nicht beirren. Der Klimawandel sei schon länger ein Thema, es sei aber immer noch kühl genug, um guten Champagner zu machen. Und wer sich die wirklich guten Jahrgänge der letzten Jahrzehnte ansieht, merkt, dass der Kellermeister mit seiner Gelassenheit vielleicht gar nicht so unrecht hat. Es gab drei Perioden, in denen Dom Pérignon drei aufeinanderfolgende Vintages produzierte: 1969 bis 1971, 1999 bis 2000 und 2002 bis 2004.

Geoffroy ist sich aber bewusst, dass er bei seiner Arbeit der Natur bis zu einem gewissen Grad ausgeliefert ist: „Das Kreative arbeitet auf der Plattform, die die Natur bietet. Ich sage immer, dass ich die Herausforderung der Produktion von Vintages annehme, solange die Frucht reif ist. Ich bin kein Magier, ich kann nicht etwas aus nichts produzieren. Als Zeugin der Natur und der Jahreszeiten kommt die Kreativität zum Tragen. Wir müssen eine Mission haben und immer Geschichten erzählen.“

Dabei scheint es vor allem der Kellermeister zu sein, der das Image der Marke wieder verbessert. Die Konkurrenz schläft nicht, auch Häuser wie Louis Roederer (Cristal), Krug oder Veuve Clicquot wissen, wie man exzellenten Schaumwein produziert. Und eine Zeit lang schien es, als ob Dom Pérignons Mutterhaus Moët auch das Image der Tochter ankratzen würde. So schreibt etwa die Financial Times: „Moët, das größte Champagnerhaus, hatte lange Zeit den Ruf, eher gewöhnlichen, süßen Champagner herzustellen.“ Doch wie gesagt, Geoffroy sowie Moëts Kellermeister Benoît Gouez scheinen erfolgreich gegen diesen Ruf anzukämpfen, denn die Times relativiert noch im gleichen Satz: „Das Team rund um Richard Geoffroy und Benoît Gouez hat sich deutlich weiterentwickelt, diese Meinung ist somit veraltet.“ Trotz der jüngsten Erfolge im Hause Moët ergibt sich über die allgemeine Lust am Champagnertrinken jedoch ein differenziertes Bild. Der globale Umsatz steigt – zumindest anhand des Verkaufswerts – zwar recht munter: 2016 betrug der globale Verkaufswert rund 4,7 Milliarden US-$ bei rund 306 Millionen verkauften Flaschen. Doch die Herausforderungen für Frankreichs Exportgut sind auch abseits des Klimawandels vorhanden: Der größte Exportmarkt, Großbritannien, knickte 2016 inmitten von Währungs­turbulenzen nach dem Brexit-Votum um satte 14 Prozent ein.

Gleichzeitig wächst die Konkurrenz durch italienischen Prosecco an. Zudem scheint der Riese im Osten, China, nicht so recht auf den Geschmack des sprudelnden Getränks kommen zu wollen – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Chinesen fragen sprudelnde, kalte, alkoholische Getränke nicht allzu stark nach.

Doch es gibt auch positive Entwicklungen für die Hersteller des luxuriösen Schaumweins. Die Wachstumsraten in gewissen Regionen können sich sehen lassen: Champagnerexporte nach Neuseeland (plus 25 Prozent), Mexiko (plus 31 Prozent), Südafrika (plus 22 Prozent) oder Südkorea (plus 16 Prozent) ziehen deutlich an. Bei 300 Millionen verkauften Flaschen ist Dom Pérignon jedenfalls nur ein (edler) Tropfen auf dem heißen Stein. Offizielle Zahlen gibt es zwar keine – diese gelten als gut gehütetes ­Geheimnis. Experten schätzen die jährliche Produktion der Marke jedoch auf ein bis zwei Millionen Flaschen.

Inwiefern Geoffroy und sein Team es auch in Zukunft schaffen, Qualität bei steigenden Mengen zu sichern, wird sich erst zeigen. Die Herausforderungen sind jedenfalls vorhanden und vielfältig – und die Natur hat bekanntlich ihren eigenen Willen. Doch wenn Geoffroy das ist, was er zu sein scheint, nämlich ein Künstler, dürfte ihm das keine großen Probleme bereiten. Denn wie sagte es der deutsche Dichter Friedrich von Schiller so schön? „Kunst ist die rechte Hand der Natur. Diese hat nur Geschöpfe, jene hat Menschen gemacht.“ In diesem Fall eher: Diese hat nur Trauben, jene Champagner gemacht.

Richard Geoffroy

Der Franzose, dessen Familie eine lange Geschichte im Weinbau hat, wurde 1954 in Vertus im Herzen der Champagne geboren. Entgegen der Familientradition studierte er Medizin in Reims. Kurz nach seinem Abschluss fügte er sich jedoch seinem Schicksal und ging in das kalifornische Napa Valley, um als Verbindung zwischen der Champagne und den USA zu fungieren. 1990 kam er dann zurück nach Frankreich und heuerte bei Dom Pérignon an, erst als stellvertretender, ab 1996 als Kellermeister. Seitdem übt Geoffroy diesen Job aus und wurde zum Aushängeschild der Luxusmarke.

Dieser Artikel ist in unserer Dezember-Ausgabe 2017 „Kapitalismus“ erschienen.

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