KANYES
IMPERIUM

Kanye West hat einen der größten Hits des Jahrzehnts gelandet – abseits der Musik. Denn Wests Sneakermarke Yeezy ist der größte Volltreffer, seit die Air Jordans auf den Markt kamen.

Jeder bemerkt es, wenn Kanye West ankommt. Denn sein mattschwarzer Lamborghini-­SUV brummt wie ein Erdbeben, als er durch die Einfahrt seines Hauses am Stadtrand von Los Angeles rollt. Und sobald Kanye aus dem Auto aussteigt, einfach gekleidet in ein weißes T-Shirt, merkt man, wie besessen der Mann von seinem Tun ist. Da ist zuerst das Haus: Die üppige Fassade des Anwesens steht in krassem Widerspruch zum ­Inneren. Das Zuhause von West, seiner Frau Kim Kardashian West sowie den vier Kindern (North, Saint, Chicago und Psalm) ist in schlichtem ­Alabaster gehalten. Die Böden bestehen aus einem belgischen Putz, der bei Abnutzung nur von einem Team repariert werden kann, das extra aus Europa eingeflogen werden muss.

„Die Einrichtung hat gänzlich er ­gestaltet“, erzählt uns Kim Kardashian West später. „Ich habe noch nie jemanden gesehen, der so viel Liebe zum Detail zeigt.“ Als ich das Foyer betrete, ­bittet mich ein Mitarbeiter, Stoffschuhe über meine Sneakers zu ziehen. Links von mir liegt Wests Bibliothek, deren Regale mit Werken des Designers Alexander McQueen und des japanischen Künstlers Takashi Murakami bestückt sind – Exzentriker durch und durch. West korrigiert die Position einiger Bücher, bevor er mich beäugt. „Der erste Schuh, an den ich eine Erinnerung habe, ist der Air Jordan, den Sie gerade tragen. Gott hat tatsächlich eine Gabe, die Dinge zusammenzu­fügen.“

Kanye West Cover August 1 Forbes US

Kanye West
... wurde 1977 in Atlanta geboren. Er wuchs in Chicago auf, brach sein Studium ab und fing an, Musik zu produzieren. Erste Bekanntheit erreichte er 2001 für seine Mitarbeit an Jay-Zs Album „The Blueprint“. West veröffentlichte insgesamt acht Soloalben. Seine Schuhkollektion Yeezy lancierte er erst bei Nike, den richtig großen Erfolg erzielte West aber 2013 nach dem Wechsel zu Adidas. West fällt immer wieder durch kontroverse Äußerungen auf.

Wests Liebe zum Detail machte ihn zu einem der populärsten Musiker der Welt. „Er hat seine Musik auf ein neues Level gehoben“, sagt der selbst höchst erfolgreiche Produzent DJ Khaled, der einige Zeit mit West im Studio verbracht hat. Doch wie bei Michael Jordan und dem Sport in den 90er-Jahren liegt die Quelle von Wests Reichtum nicht in seinem Kerngeschäft – sondern stammt von Turnschuhen. Seine ­Schuhlinie Yeezy, die er 2009 mit Nike lancierte, bevor er 2013 zu Adidas wechselte, könnte Jordans ­Sneaker-Imperium überholen. Das gilt sowohl bezüglich popkultureller Relevanz als auch hinsichtlich des finanziellen Erfolgs.

Die Jordan-Marke nimmt Schätzungen ­zufolge rund drei Milliarden US-$ pro Jahr ein, ­Yeezy wird 2019 rund 1,5 Milliarden US-$ erreichen – Tendenz steigend. Wie bei der Innenarchitektur und der Position von Büchern konzentriert sich West auch bei seinen Sneakern auf Details. Er folgt seinem Idol Steve Jobs mit ­einer begrenzten Anzahl an Produkten, die dann in ­vielen verschiedenen Farben angeboten werden. Wests iPod ist der enorm beliebte, etwas ­klobige Yeezy Boost 350s, der in Dutzenden Farbvarianten erhältlich ist. „Letztendlich bin ich ein Produktentwickler. Produkte herstellen, die den Menschen Freude bringen und Probleme lösen – das ist es, was ich gerne mache.“

West' berüchtigte Liebe zum Detail

Wests Kontrollzwang ist omnipräsent. Als Forbes ein Shooting für ein mögliches Cover­foto plante, bestand der Musiker darauf, ­einen schwarzen Hoodie zu tragen. Als wir ihn um ­einen zweiten Versuch am nächsten Tag ­baten, kam West zurück – und trug den exakt ­gleichen Hoodie wieder. Er ist dafür bekannt, Alben auch nach ihrem Veröffentlichungsdatum noch zu überarbeiten. Und als er das Gefühl hatte, dass ich den Einfluss von Religion auf seine Geschäftstätigkeit nicht ausreichend würdigte, rief er meinen Chefredakteur spontan an einem Samstagabend an, um ihm 90 Minuten lang die Relevanz dieses Aspekts einzubläuen. Doch der Erfolg gibt ihm recht. Forbes schätzt, dass Kanye in den letzten zwölf Monaten rund 150 Millionen US-$ verdiente. Sein Team insistiert, dass die Zahl zu ­niedrig ist. Jedenfalls schaffte es West auf Platz drei der bestverdienenden Celebritys der Welt (Nummer eins war Taylor Swift, Rang zwei belegte Kylie Jenner). Und das, obwohl West vor drei Jahren behauptete, 53 Millionen US-$ Schulden zu haben, bevor er eine lukrative Tour ab­sagte und sich selbst ins Krankenhaus einwies – mit Schlafentzug und vorübergehender Psychose. Sein Comeback schreibt West seinem Glauben zu – und manchmal seiner bipolaren Störung. Man darf ihn kreativ nennen oder chaotisch, aber niemals verrückt. Wie andere Unternehmer, die an ADHS oder Asperger-Syndrom leiden, sieht West seine Diagnose als Superkraft.

Produkte herstellen, die den Menschen Freude bringen und Probleme lösen – das ist es, was ich gerne mache.

„Verrückt ist ein Wort, das in Zukunft nicht mehr unbedacht verwendet werden wird“, sagt West. „Es ist ein Zustand, in den Menschen rutschen können, in den sie hineingeboren werden können, in den sie auch getrieben werden. Und viele Leute, die verrückt genannt wurden, haben es auf das Forbes-Cover geschafft.“

Musik, Sneakers und Lamborghinis

Wests Begeisterung für Design reicht ­genauso weit zurück wie seine Leidenschaft für Musik. Er wuchs in Chicago auf und geriet oft in Schwierigkeiten, weil er im Unterricht ständig Sneakers zeichnete. Er fand Inspiration in japanischen Cyberpunk-Filmen, aber auch bei Autos, etwa dem Lamborghini Countach. „In allem, was ich tue, steckt auch ein bisschen Lamborghini“, sagt West. „Der Yeezy ist der Lamborghini der Schuhwelt.“

Seine Musikkarriere begann, als er sich als Produzent für Jay-Zs Label Roc-A-Fella Records durchsetzte, nachdem er sein Studium abgebrochen hatte. Er war der Kopf hinter Jay-Zs legendärem Album „The Blueprint“. Wests Sound selbst war genreübergreifend. Die Lieder ­waren voll von Marvin-Gaye- und Daft-Punk-­Samples, er nahm Songs mit Coldplay auf und ging auf Tour mit U2. Auch thematisch unterschied er sich vom damaligen Rap: Statt Aggression ­zeigte er sich verletzlich, reflektierte über Rassendiskriminierung, statt Geschichten über Drogenhandel zu erzählen. Sein Ruhm führte ihn zurück zu seiner ersten großen Liebe: Sneakern. 2007 entwarf er den ersten Schuh für das japanische Label A Bathing Ape. West freundete sich mit dem französischen Designer Hedi Slimane, der ihm früh eine große Zukunft im Schuhdesign prophezeite, an. Als West sich kurz darauf mit Nike-CEO Mark Parker in einem Flugzeug befand, fielen Parker Wests Skizzen auf – Yeezy war geboren (eine Abkürzung des Spitznamens „Kanyeezy“).

Hip-Hop hat sich seit seinen Anfängen mit Sneakern beschäftigt. Aber West war der ­Erste, der es bei Nike zu Superstarruhm brachte. Zeitgleich mit den neuen Geschäftsinteressen fing West an, sich zu verändern. Seine Mutter starb 2007 wegen Komplikationen eines kosmetischen Eingriffs. Im Jahr darauf trennte er sich von seiner Verlobten Alexis Phifer. Dann wurde es bizarr: 2009 sprang West auf die Bühne, um Taylor Swifts Dankesrede bei den MTV Video Music Awards zu unterbrechen – Beyoncé hätte den Preis gewinnen müssen, meinte West. Die Kritik war groß, West zog nach Italien, um ein Praktikum bei Fendi zu machen. Zurück in den USA ­erklärte er auf seinem Album „Yeezus“ kurzerhand: „Ich bin ein Gott.“

 

Kanye West: Timeline
(Quelle: Forbes US)

 

2016 behauptete West in einem Tweet, dass er 53 Millionen US-$ Schulden hätte – und bat Facebook-Gründer Mark Zuckerberg um eine Milliarde US-$, um seine Ideen zu ­finanzieren. Auf der anschließenden Tour wurden Wests ­Äußerungen zunehmend erratisch. Während ­einer Show mutmaßte er, dass Jay-Z versuchen könnte, ihn ermorden zu lassen. 2016 endete mit seinem Krankenhausaufenthalt. Sein erster ­öffentlicher Auftritt danach fand übrigens an der Seite von Donald Trump statt.

Bruch mit Nike und Wechsel zu Adidas

Seine Karriere blieb von den Zwischenfällen stets unberührt. Als die Umsätze der Yeezy-­Kollektion Nikes Kassen füllten, fühlte sich West nicht ausreichend wertgeschätzt: „Nike ­weigerte sich, prominenten Partnern Lizenz­gebühren zu bezahlen“, sagt West. (Nike wollte das nicht ­kommentieren – zwei mit der Sache betraute Quellen ­bestätigen aber Wests Version der ­Geschichte.) Doch West wollte die Rechte an seiner Marke behalten. Und als der Adidas-Vorstand 2013 von Wests Unzufriedenheit erfuhr, handelte er: West wurde mit 15 % an Großhandelsumsätzen beteiligt, plus ­einer Zahlung für Marketing. Zum Vergleich: Michael Jordan bekommt angeblich 5 % (dem Sportler gehören aber auch die Markenrechte nicht selbst).

2015 kam der Yeezy Season heraus, West nutzte den Release seines Albums im Jahr danach für Promozwecke. Sein größter Coup war aber das 350-Modell: West verband ­seine ­Liebe zum Detail mit Adidas-Boost-­Technologie, um den ersten Sneaker zu kreieren, der in den Haute-Couture-Bereich vordrang. Trotz des Preises von 200 US-$ verriet West 2016, dass die 40.000 Stück pro Release in Minuten ausverkauft waren. Auch Kim Kardashian West hatte ­ihren Anteil daran, bewirbt sie die Yeezy-Schuhe doch regelmäßig auf ihren Social-Media-Kanälen mit mehreren Millionen Followern.

Kanye West Cover August 2 Forbes US

Exklusivität als Erfolgsrezept

Als ich mich einige Tage später noch mal mit West treffe, ist er mit seinem nächsten Projekt beschäftigt. Auf einem Parkplatz hinter seinem Büro hat er in konzentrischen Kreisen sein gesamtes kreatives Schaffen bei Adidas aufgelegt: Es ist eine unfassbare Menge an Sneaker-Prototypen, die in der Mittagssonne liegen. Der ­Yeezy 350 ist in all seinen Farbvarianten in der Abfolge eines Regenbogens aufgelegt. Es sind rund 1.000 Paar Schuhe, aber als ich West frage, wie viele es genau sind, reagiert er fast beleidigt – ­beleidigt, dass sein kreatives Schaffen auf eine stinknormale Zahl reduziert werden sollte. „Man kann Liebe nicht beziffern“, sagt West. „Die Dinger sollen Freude bringen. Das in Zahlen zu fassen wäre, als würdest du deine Oma, die dir einen Überraschungskuchen gebacken hat, nach dem genauen Rezept fragen.“ West behauptet, kein „Zahlenmensch“ zu sein. Doch irgendjemand muss die Zahlen im Auge ­behalten. Denn genau wie Air Jordan zu Beginn lebt ­Yeezy von seinen überraschenden Releases („Drops“ ­genannt). Doch zu große Zahlen nehmen den Schuhen ihre Exklusivität.

Adidas ist sich dessen bewusst. „Wir steuern das Volumen weiterhin sehr streng. Der Umsatz, den wir durch Yeezy erzielen, wird auch 2019 keinen signifikanten Anteil an unserem ­Gesamtumsatz haben“, sagt Adidas-CEO Kasper Rørsted. „Nicht, weil die Marke nicht mehr heiß wäre, sondern, weil wir bei den Mengen und Produktionszyklen diszipliniert bleiben wollen.“ Der Umsatz soll also nicht auf Kosten des Images steigen. Die Marke zieht jedenfalls weiterhin: Der neue 350s, der im Dunkeln leuchtet, war trotz des ­Verkaufsbeginns um 6 Uhr morgens sofort ausverkauft, in Moskau waren die Schlangen etwa mehrere Häuserblocks lang. Auch ein Schuh, der aus Algen gefertigt wird, ist in Planung.

Das Beeindruckendste an dieser ­ganzen Geschichte ist wohl, dass Kanye West noch ­immer 100 % der Anteile an Yeezy besitzt. Vor allem deshalb wurde er auch viel schneller zum Multimillionär als Michael Jordan. Angesichts des Erfolgs könnte West dem Basketballer bald in den Milliardärsklub – wie auch Schwägerin Kylie Jenner und Mentor Jay-Z – folgen. West selbst sieht sich dort vermutlich schon längst angekommen. Und nicht nur dort: „Wir haben erst einen kleinen Schimmer der ganzen Schönheit dieser Partnerschaft (zwischen West und Adidas, Anm.) gesehen.“

Text: Zack O’Malley Greenburg / Forbes US
Fotos: Jamel Toppin / Forbes US

Der Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe 2019 „Handel“ erschienen.

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.