KANZLER DER INNOVATION

Thomas Bachem hat mit Anfang 30 geschafft, wofür andere ein Leben brauchen: eine Universität gegründet, dessen Kanzler er obendrein ist. Mit der Code University bildet der Kölner die digitalen Denker von morgen aus.

Überfüllte Hörsäle, starre Lehrpläne und schriftliche Prüfungen am Ende des Semesters gehören der Vergangenheit an – zumindest, wenn man Thomas Bachem und seinem Konzept der Code University in Berlin glaubt. Erst 2017 von Bachem, Manuel Dolderer und Jonathan Rüth gegründet, verzichtet die private, aber staatlich anerkannte Hochschule auf klassische Vorlesungen, Noten und schriftliche Prüfungen. Damit schreibt die Universität Geschichte im deutschen Bildungs­system. Die Idee: eine Institution für digitale Produktentwicklung zu kreieren, um Studenten zu digitalen Vordenkern auszubilden.

„Bei uns geht es darum, Pro­bleme in der Welt mit Hilfe digitaler Technologien zu lösen und dass die Produkte, die daraus entstehen, gerne genutzt werden“, so ­Bachem, der mit seinem schwarzen ­Hoodie und seiner Jeans nicht wirklich wie der Vorstand einer Universität wirkt. Bachem ist nicht nur Gründer, sondern auch „Kanzler“ der Code University und beschäftigt sich mit dem Bildungssystem schon seit seiner ­eigenen Schul- und Studentenzeit. Bachems Resümee lautet: Das Angebot und dessen Vermittlung sind zu wenig innovativ.

Bachem studierte selbst an der Cologne Business School International Business, gründete aber bereits währenddessen 2005 die Bild- und Videoplattform Sevenload. 2010 verkauften Bachem und sein Mitgründer Ibrahim Evsan den Mehrheitsanteil an Hubert Burda Media und schieden aus dem Unternehmen aus. Der Kaufpreis wurde nicht bekannt gegeben. Mit dem browserbasierten Onlinespiel Fliplife (welches Bachem 2012 an KaiserGames verkauft hatte), dem Lebenslauf-Editor Lebenslauf.com (2014 verkauft an Xing) und Scaling Technologies, die Webseiten betreibt und ihre Kunden zusätzlich berät, folgten drei weitere Unternehmensgründungen, inklusive zwei Exits. „Als ich ein weiteres meiner Unternehmen verkauft hatte, habe ich mich gefragt, was mich eigentlich wirklich antreibt. Ich habe mich dann für die Gründung der Hochschule entschieden. Dort habe ich die Möglichkeit, meine eigene Wirkungskraft zu skalieren, und kann andere dabei unterstützen, ihren Weg zu gehen“, erklärt Bachem seinen Wechsel vom Unternehmer zum Hochschul­gründer.

Für die Akkreditierung der Hochschule durchliefen Bachem und seine zwei Mitgründer ein mehrstufiges Verfahren: Nach einer im Sommer 2016 vom Land Berlin beauftragten Konzeptprüfung durch den Wissenschaftsrat, erteilte das Land Berlin im Sommer 2017 die staatliche Anerkennung als Hochschule. Daraufhin akkreditierte eine vom Akkreditierungsrat zugelassene Agentur die Studiengänge. Der Prozess dauerte rund 18 Monate. „Der Wissenschaftsrat ist grundsätzlich sehr offen für neue Konzepte und ich denke, das muss er auch sein. Denn wir hätten unsere Idee so oder so verwirklicht. Und wenn ein innovatives Konzept nicht innerhalb des Systems etabliert wird, läuft das System Gefahr, von der Innovation überfahren zu werden – so, wie man es derzeit in vielen Branchen beobachten kann“, so Bachem.

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Thomas Bachem
... gründete mit Anfang 20 die Video- und Bildplattform Sevenload, drei weitere Plattformen folgten. Mit Bachem Ventures investiert er seit 2009 in Unternehmen, 2017 gründete er die staatlich anerkannte private Code University in Berlin.

Keine Noten, dafür individuelles Abschlussprojekt

Die Code University verzichtet auf Noten, ganz ohne ein Bewertungssystem kommt die ­Institution aber dennoch nicht aus: Jeder Student wählt am Anfang des Semesters jene Fähigkeiten aus einem Kompetenzraster aus, die er trainieren möchte, und sucht sich dazu ein entsprechendes Projekt aus oder kreiert es selbst. Am Ende des Semesters werden die ausgewählten Kompetenzen in mündlichen Prüfungen beurteilt. „Wir wollen reine Wissensvermittlung nicht neu erfinden. Vielmehr sollen die ­Studenten aktiv zwischenmenschliche und handwerkliche Soft Skills trainieren. Das ist schwer aus Büchern ­erlernbar.“

Für die Projekte arbeitet die Code University eng mit Partnern zusammen, darunter etwa Porsche, Xing und Facebook. Insgesamt sollen in 70 Modulen wie Blockchain-Technologie, Projektmanagement, Datenbankentwicklung oder Grafikdesign Kompetenzen erworben werden. Zusätzlich gibt es das sogenannte „Science, Technology & Society Programm“ (STS), welches sich mit gesellschaftlich relevanten Fragen und den sozialen Auswirkungen digitaler Technologie beschäftigt. Das erste Semester gilt dabei als Orientierung; jeder Student besucht alle drei Studiengänge, bevor er sich für die restlichen Semester auf ein Gebiet fokussiert.

Mit ihrem Studienangebot und dem innovativen Konzept trifft die Code University den Nerv der Zeit: Laut dem Digitalverband Bitkom sind aktuell 82.000 Arbeitsstellen für IT-Fachkräfte in Deutschland unbesetzt (das sind um knapp 50 % mehr als noch 2018). Zudem fordert eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, dass der Erwerb eines Portfolios von Fähigkeiten und Kompetenzen in Bildungseinrichtungen gefördert wird. Die Stiftung betont, dass große Bildungsinstitutionen mit der digitalen Transformation kaum Schritt halten können. Bachem stimmt zu: „Eta­blierte Universitäten versuchen gar nicht erst, es innovativ auf die ­Spitze zu treiben – sie machen, was sie schon immer gemacht haben. Innovation wird meistens schon innerhalb der Einrichtung gestoppt, und nicht vom System, das darüberliegt.“

Aufbau kostete fünf Millionen €

Insgesamt sind derzeit 360 ­Studierende an der Code Univer­sity eingeschrieben – die ­ersten Studierenden werden demnächst ihre Bachelorabschlüsse machen. Deutschlandweit gibt es laut der Hochschul­rektorenkonferenz (HRK; freiwilliger Zusammenschluss von staatlich anerkannten Hochschulen) 2,9 Millionen Studierende an 394 staatlich anerkannten Hochschulen – 115 davon sind privat.

Für jeden geschaffenen Studienplatz erhalten die Länder vom Bund Fördergelder in der Höhe von 13.000 € vom Bund aus dem Hochschulpakt – egal, ob der Studienplatz an einer staatlichen oder privaten Hochschule entsteht. Bachem hat davon jedoch laut eigenen ­Aussagen nichts: Die knapp fünf Millionen € Investitionssumme, die er für den Aufbau der Universität benötigte, erhielt er von Unternehmern. Geld verdienen soll die Code ­University über Studiengebühren, die pro ­Student insgesamt 29.581 € ausmachen – egal, wie lange das ­Studium dauert. Den Studenten stehen dabei zwei Zahlungsmodelle zur Verfügung: eine monatliche Ratenzahlung oder eine einkommensbasierte Späterzahlung. Bei Zweiterem zahlt ein Student ab einem Nettojahreseinkommen von 21.000 € zehn Jahre lang zwischen 7 und 9 % an die Universität zurück. Dadurch können natürlich bei entsprechendem Gehalt auch Gebühren entstehen, die über 29.581 € hinausgehen. Die maximale Summe liegt jedoch bei den doppelten Studiengebühren, also bei 59.162 €.

Bachem ist optimistisch, dass sich die Hochschule innerhalb des nächsten Jahres finanziell tragen kann – auch, weil er ­zukünftig auf weitere Konzepte setzen will. So sollen zusätzlich Masterstudiengänge und Angebote für Weiterbildungen von Einzelpersonen und Unternehmen angeboten werden. „Auch digitale Unternehmen müssen sich weiterbilden, denn die ehemaligen Fachkräfte merken, dass sie in eine Reifephase gelangen und sich ihr Wissen und ihre Fähigkeiten langsam abgenutzt haben“, so Bachem. Auch Beratung für andere Hochschulen liegt laut dem Kanzler im Bereich des Möglichen. Was den Standort ­Berlin betrifft, scheint Bachem jedenfalls zufrieden: „Höchstwahrscheinlich werden wir uns weiterhin auf Berlin konzentrieren. Vielleicht sind wir aber auch irgendwann zusätzlich in Hotspots wie dem Silicon Valley.“ Bachem folgt also auch in Zukunft dem Lockruf der Innovation.

Text: Andrea Gläsemann
Fotos: Jörg Klaus

Der Artikel ist in unserer November-Ausgabe 2019 „Next“ erschienen.

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