Keine Zeit für Konsum

Wir besitzen zu viel – zu viel Kleidung, zu viele Möbel, zu viel Ramsch. Der Konsum und somit auch der Besitz in den reichen Industrieländern ist in den letzten Jahren um ein Vielfaches gestiegen. Welche Auswirkungen das auf unsere Abfallwirtschaft und unsere Umwelt hat und warum Konsum auch nachhaltig sein kann, erklärt Professor Helmut Rechberger im Gespräch.

Schon nach den ersten paar Sätzen von Helmut Rechberger wird klar: Ressourcenmanagement ist kom­plizierter als angenommen. Rechberger erforscht, wo wir Menschen jeden Tag Ressourcen verbrauchen, ohne dass wir es merken – vom Haus, in dem wir ­wohnen, über die Kleidung, die wir tragen, bis hin zum Essen, das wir konsumieren. Zum Leben brauchen wir Res­sourcen; wie genau diese zu uns gelangen und was passiert, nachdem ihre Hauptauf­gabe erfüllt wurde, wird von Wissenschaftlern wie Rechberger untersucht.

„Von Anfang an hat mich die Tatsache sehr fas­ziniert, dass man den Material­haushalt einer Volkswirtschaft so betrachtet wie Mediziner den Stoffhaushalt des menschlichen Körpers“, so Rech­berger. Einfach gesagt werden alle Ressourcen, die sich zum Beispiel in einer Stadt befinden, als ein großer Materialhaushalt beschrieben. Für das Ressourcenmanagement ist es ausschlaggebend, zu wissen, welche Produkte aus diesen Mate­rialien gemacht werden, wie diese dann genutzt und am Ende wieder zurück in die Kreislaufwirtschaft geführt werden. Eine Stadt kann somit als eine Art „Materialrucksack“ be­trachtet werden, der Rohstoffe speichert und von Städten „ge­tragen“ wird.

„Tatsächlich werden unsere Städte immer größer und schwerer, da die Produkte und Ressourcen, die wir nutzen, enorm zunehmen“, erklärt Rechberger. Statistisch gesehen besitzt jeder Mensch im Durchschnitt 400 Tonnen an Material. Diese Zahl inkludiert all die Ressourcen, die wir anteils­mäßig an Gebäuden, Infrastruktur und industriellen Anlagen mit­­benutzen, aber auch die Menge an persönlichen Gütern wird bei diesen 400 Tonnen mit eingerechnet und wächst stetig weiter. „Wir schätzen, dass sich diese Zahl in 30 bis 40 Jahren verdoppeln wird, dass wir dann also durchschnittlich 800 ­Tonnen pro Kopf besitzen“, erklärt Rechberger weiter. Grund dafür könnte das Wachstum unseres Konsums sein. „Viele Produkte werden heutzutage produziert, bei denen man sich fragen muss, ob das wirklich nötig ist“, so der Wissenschaftler. Laut ihm ist die Frage nach dem „Was“ fast genauso wichtig wie die Frage nach dem „Wie viel“.

Kleine Gegenstände wie Handys sind zwar wegen der Vielzahl an weltweit benötigten Ressourcen in der Gesellschaft verpönt, machen aber im großen Bild nicht so einen Unterschied wie beispielsweise riesige Gebäude. Rechberger meint dazu: „Ein Gebäude, das heutzutage gebaut wird, ist in der materiellen Zusammensetzung um einiges komplizierter als beispielsweise ein Biedermeierhaus.“

Spätestens wenn moder­ne Gebäude wieder abgerissen wer­den, stellt sich dann die Frage, was überhaupt als Baumaterialien benutzt wurde und wie diese am besten recycelt werden können. Rechberger: „Jetzt stehen wir gerade vor dem Problem, dass große Gebäude aus den 1970er- und 1980er-Jahren langsam verfallen oder abgerissen werden. In denen steckt viel Aluminium. Dafür muss unser Recyclingsystem erst vor­bereitet werden.“ Konsum und Ressourcenmanagement spielen also nicht nur bei unseren täglichen kleinen Einkäufen eine wichtige Rolle, sondern auch beim Bau unserer Häuser. Wichtig dabei ist, Ressourcen, die verwendet werden, klar aufzuschlüsseln und Materia­lien, die verarbeitet werden, zu recyceln oder wieder in den Kreislauf zurückfließen zu lassen.

Helmut Rechberger
...studierte ursprünglich Verfahrenstechnik und Maschinenbau an der TU Wien. Nach seinem Doktorat forschte er sowohl an der Yale University als auch an der ETH Zürich, bevor er als Professor für Ressourcenmanagement an die TU Wien zurückkehrte.

Eine Konsumgesellschaft ist nun mal eine Wohlstandsgesellschaft. Unser Wohlstand wächst – und mit ihm unser Hab und Gut und unsere Häuser und Wohnungen. Wichtig ist es dennoch, auf die Nachhaltigkeit zu achten. Doch kann Konsum überhaupt nachhaltig sein?

„Wenn man Nachhaltigkeit sehr streng betrachtet, dann dürfte der Mensch eigentlich fast nichts. Viele Rohstoffe wachsen gar nicht nach oder sind unmöglich zu recyceln, die dürften wir dann gar nicht mehr benutzen – dafür bin ich nicht unbedingt“, erklärt Rech­berger. Laut ihm ist Nachhaltigkeit vor allem eine Frage der persön­lichen Kultur: „Der Mensch hat ein Recht, auf dieser Erde zu leben, aber er ist auch ein mit Vernunft ausgestattetes Wesen. Daher können wir einiges, was wir heute machen, viel effizienter tun, also mit weniger Rohstoffverbrauch und Emissionen. Für mich gibt es so etwas wie eine Kultur des Rohstoffverbrauchs.“

Konsum ist aber nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage der Zeit. Heutzutage wird gekauft, ohne zu konsumieren: Der Nutzer zahlt monatlich für den Onlinemusikanbieter Spotify, hört aber nur einen Bruchteil der 16 Millionen Titel; Verbraucher kaufen Kleidung, die dann für Jahre im Kleiderschrank hängt – das alles, weil der Mensch in der Industrie­gesellschaft immer weniger Zeit hat. „Je mehr Dinge wir besitzen, desto mehr Zeit brauchen wir, um sie zu benutzen“, erklärt Rechberger.

Was Recycling und Effizienz in der Produktionskette angeht, ist der DACH-Raum ziemlich weit vorne, so eine EU-Statistik. Dennoch sollte sich laut Rechberger jeder beim nächsten Einkauf fragen: Brauche ich das wirklich? Denn womöglich bleibt am Ende bei all dem Geldausgeben keine Zeit mehr für den Konsum …

Text: Lela Thun
Fotos: David Visnjic

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 1–22 zum Thema „Ressourcen“.

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