Kinderleichtes Coden

Während im Silicon Valley mit künstlicher Intelligenz und virtueller Realität experimentiert wird, hinkt Mitteleuropa bei der Digitalisierung hinterher. Antonia Schein, Amanda Maiwald und Nikolaj Bewer wollen nicht abwarten, bis die Digitalisierung in deutschen Schulen ankommt – statt­dessen nehmen sie das Problem mit ihrer Plattform Codary selbst in die Hand.

Drei junge Erwachsene sitzen uns am Bildschirm gegenüber, zwei Frauen und ein Mann, zugeschaltet aus Berlin. Es sind die drei Founder von Codary, einem Start-up, das Online-Programmierkurse für Kinder und Jugendliche anbietet. Bereits im Interview merkt man, dass die drei ein seit Jahren eingespieltes Team sind – sie wechseln sich beim Beantworten der Fragen ab, spielen sich gegenseitig den Ball zu, damit die jeweils anderen ihre Fach­gebiete vorstellen können. Dabei schaffen sie es mit ihrer ruhigen und freundlichen Art, dass ihre Begeisterung fürs Programmieren und ihr Tatendrang förmlich ansteckend auf uns wirken.

Der deutsche Branchenverband der Informations- und Telekommu­ni­kationsbranche, Bitkom, meldete 2022 137.000 unbesetzte Stellen im IT-Bereich, in Österreich sind es laut Wirtschaftskammer bis zu 24.000. In einer Umfrage des Statistischen Bundesamts gaben drei Viertel aller Unternehmen, die 2021 nach IT-Fachkräften suchten, an, Probleme bei der Stellenbesetzung gehabt zu haben. Demgegenüber steht ein Jahr verpflichtender Informatikunterricht in der neunten Schulstufe in Österreich. In Deutschland wie in der Schweiz findet sich noch kein bundesweiter verpflichtender Informatikunterricht – je nach Schulart gibt es Wahlangebote, doch verbindlicher Unterricht ist regional sowie auf einzelne Jahrgangsstufen beschränkt. „Wir kämpfen dafür, dass das irgendwann in den Schulen ankommt“, sagt Codary-Mit­gründerin Antonia Schein. Das Ziel des Unternehmens ist, dass jedes Kind in Kontakt mit Informatik kommt, um zu verstehen, was hinter dem Bildschirm passiert.

Codary wurde im November 2020 von drei jungen Berlinern gegründet, die sich bereits vor acht Jahren im Bachelorstudium an der TU Berlin kennengelernt haben. Dort studierten sie gemeinsam nachhaltiges Management, bevor es sie in verschiedene Richtungen verschlug: Während sich Antonia Schein auf Wirtschaftswissen­schaften fokussierte und einen Masterstudiengang in Kopenhagen und Lissabon absolvierte, vertieften sich Amanda Maiwald und Nikolaj Bewer in die Welt der Informatik. Die Freundschaft der drei blieb aber weiterhin bestehen; durch ihre ähnlichen Interessen arbeiteten sie gern zusammen und setzten auch schon vor der Codary-Gründung gemeinsam Projekte um. Für Antonia Schein ist dieser Aspekt ihrer Zusammenarbeit besonders wichtig: „Die Freundschaft und das Vertrauen standen, lange bevor wir die Idee hatten, zu gründen.“

Schein ist heute Chief Growth Officer (CGO) im Start-up. Damit ist sie für die Bereiche Marketing, Sales und Finance verantwortlich – „also alles, was irgendwie mit Wachstum zu tun hat“. Chief Technology Officer Nikolaj Bewer kümmert sich neben dem technischen Bereich um die Kurse und ist für das Curriculum zuständig. Operations und People and Culture werden von CEO Amanda Maiwald betreut, die auch den zündenden Gedanken hatte, der zur Gründung von Codary führen sollte. „In meinem Informatik­studium war ich eine der wenigen Frauen“, sagt sie – viele ihrer männlichen Kommilitonen fingen schon im Jugendalter an, zu programmieren, was sie meist übers Gaming entdeckten. „Ich habe mir dann gedacht: Warum machen das nicht mehr Mädchen, warum kommt man damit nicht schon früher in Kontakt?“, so Maiwald.

In Deutschland sind im laufenden Wintersemester 253.530 Informatikstudierende eingeschrieben, davon 55.341 Frauen; die TU Wien zählte für das Winter­semester 2020/21 einen Frauenanteil von 16,8 %. Experten begründen dies mit den konservativen Strukturen in Mitteleuropa: IT werde als tech­nischer Beruf dem männlichen Stereotyp zugeordnet; durch die Vorbildfunktion, die von männlichen Informatiklehrern und -dozenten eingenommen wird, wird der Effekt noch verstärkt.

Die drei Gründer von Codary möchten diese Problematik angehen, denn ihnen ist besonders wichtig, mit ihrer Gründung einen gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Der Ansporn, Codary zu gründen, entstand daraus, mehr Kindern – und insbesondere Mädchen – mehr Zugang zu Informatik und Pro­grammieren zu geben. CTO Nikolaj Bewer: „Wir merken, dass dieses spielerische Lernen unglaublich gut funktioniert. Minecraft hat auch einen guten Pullfaktor für Mädchen, weil das kein typisches Computerspiel ist. Bei den 50 %, die wir an­streben, sind wir aber noch nicht.“

Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern ist nicht das einzige Bestreben von Codary: Von über 17.000 erreichten Kindern kamen 800 aus einkommens­schwachen Haushalten, denen in Partnerschaft mit der Roland Berger Stiftung und der Deutschen Kinderhilfe Kurse angeboten werden konnten. Um die Chancengerech­tigkeit auch weiterhin zu wahren, bekennt sich Codary zum Online­unterricht: „Wir wollen Kindern unabhängig von ihrem Wohnort ermöglichen, mit uns programmieren zu lernen.“ Kursteilnehmer benötigen nur einen Computer und eine Internetverbindung – da man beim Programmieren sowieso am Computer arbeitet, funktioniert das Onlineformat gut.

Mittlerweile beschäftigen die drei Founder, die mit einem Gründungsstipendium der TU Ber­lin begannen, 30 Mitarbeiter und konnten vier Mio. € Fremdfinanzierung einsammeln. Sie wollen weiter wachsen und planen, langfristig nicht nur weitere Programmier­sprachen, sondern auch andere „21st Century Skills“ in ihre Kurse aufzunehmen. Neben Computerthemen sind damit auch logisches und kritisches Denken sowie der richtige Umgang mit Medien gemeint. Zudem hoffen sie, dass Informatik in der Schule bald einen höheren Stellenwert einnimmt: „Wir würden uns wünschen, dass die Schulen die Grundlagen der Informatik an die Kinder bringen. Wir als Anbieter sind dann dazu da, die Praxis zu vermitteln.“

Codary wurde 2020 von Antonia Schein, Amanda Maiwald und Nikolaj Bewer gegründet. Mit seinen 16 Coaches bietet das Unternehmen Online-Programmier­kurse für Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 16 Jahren an. In einer Seed-Runde im Frühjahr 2022 konnte Codary 3,5 Mio. € einholen.

Fotos: Dominik Tryba

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