KRÜMEL UND TORTEN

In der Finanzindustrie kennt sich Katharina Gehra bestens aus – und weiß daher auch, dass diese sich in einem grundlegenden Wandel befindet. Deshalb setzt die Deutsche auf neue Wege: Mit Immutable Insight bietet sie Blockchain-Analysen in Echtzeit an. Zudem ist sie für den ersten Bafin-registrierten Krypto-Hedgefonds verantwortlich. Ihr großes Ziel: die besten Analysen in der Token Economy anzubieten.

Die Welt der Kryptowährungen ist voller Skur­rilitäten. Während der „Dinosaurier“ Bitcoin in den vergangenen fünf Jahren bereits um mehr als 10.000 % zulegte – Mitte April erreichte Bitcoin sein bisheriges Rekordhoch von fast 65.000 US-$ –, mauserte sich in letzter Zeit auch die von IBM-Programmierer Billy Markus und Adobe-Softwaremann Jackson Palmer aus Spaß entwickelte Dogecoin von einer technischen Spielerei zu einer ernst zu nehmenden Kryptowährung: Seit Jahresbeginn legte das Asset um 8.000 % zu. Der Hype ist real – wie auch die zahlreichen neuen Krypto-Milliar­däre. Geht es nach Katharina Gehra, Managing Director bei Immutable Insight, wird die derzeitige Entwicklung nicht abbrechen: „Kryptowährungen werden bleiben, der Wachstumstrend ist haltbar.“ Jedoch: „Ich sage immer: Kryptowährungen sind nur ein paar Krümel – Token sind die Torte.“

Diese Token bilden den Baustein der Krypto-Transaktionen, denn nur wer ein gültiges Token besitzt, kann beispielsweise Zahlungen ausführen. Dabei geht ihre Funktion weit über Kryptowährungen hinaus: Mittels Equity Token können Beteiligungsrechte an Unternehmen geregelt werden, Asset-backed Token regeln Ansprüche an Vermögenswerten wie etwa Gold, Security Token dienen als Hardwarekomponente zur Identifizierung und Authentifizierung von Nutzern und Utility Token weisen eine bestimmte Funktion innerhalb eines Netzwerks auf, bieten beispielsweise Zugang zu einer Plattform.

Generell finden alle Token-Aktivitäten auf einer Blockchain statt – dezentralen Ressourcen, deren Transaktionen fälschungssicher, unveränderlich und in zeitlicher Reihenfolge protokolliert sind. „Es gibt keine Branche, in der es nicht schon heute Anwendungen und Fortschritte damit gibt“, so Gehra über das Potenzial der Blockchain. „Man kann die Chancen erst ansatzweise begreifen. Wir sind erst am Beginn einer großen Reise.“ Neben dem Zahlungsdienstleister Paypal beschäftigen sich auch der Flugzeughersteller Boeing oder der Ölkonzern Aramco mit Anwendungsfällen der Blockchain. Laut dem Marktforschungsunter­nehmen Markets and Markets wird das Volumen von Blockchain-Anwendungen von drei Milliarden US-$ im Jahr 2020 bis 2025 auf 39,7 Milliarden US-$ ansteigen.

Man kann das Potenzial der Blockchain erst ansatzweise begreifen. Wir stehen am Anfang einer großen Reise.

Auch auf Staatsseite denkt man groß – zumindest in China: Erst letztes Jahr startete das Land sein Blockchain Service Network (BSN), um es Unternehmern und Softwareentwicklern zu erleichtern, blockchainbasierte Anwendungen zu entwickeln. BSN fungiert sozusagen als Betriebssystem für Blockchain-­Programme, quasi ein Blockchain-Internet. Und Europa? „Ich tue mir schwer, zu werten“, so Gehra. „In Weltregionen gedacht würde ich sagen, Europa befindet sich auf Platz vier (hinter Asien, Nordamerika und Afrika, Anm.), aber da können wir uns nicht auf die Schulter klopfen und uns ausruhen.“

Deshalb möchte Gehra mit ihrem Unter­nehmen Immutable Insight die Entwicklung in Deutschland maßgeblich vorantreiben. Mittels Echtzeitanalysen von Blockchains will sie das Potenzial sowie Lösungen für strukturelle Probleme aufzeigen. Dabei kommen die Analysen ihres Unternehmens in drei Feldern zum Einsatz: Geldwäscheprävention, indem in Echtzeit Block­chain-Tätigkeiten auf verdächtige Aktivitäten gescannt werden; industrielle Anwendungen der Blockchain – hierbei arbeitet Immutable Insight mit anderen Unternehmen an gemeinsamen Projekten (Namen nennt Gehra keine) – und Assetmanagement. Im Bereich Geldwäsche arbeitet Immutable Insight mit einer Art „Analytics as a Service“-Modell. Dabei wird der Umfang oder die Anzahl der pro Tag getätigten Analysen verkauft. Bei den industriellen Anwendungen arbeitet und entwickelt das Unternehmen zu­sammen mit seinen Auftraggebern an skalier­baren Modellen. Und im Assetmanagement setzt Gehra einen Blockchainfonds auf, der bis zu 100 Millionen € schwer werden könnte. Die Management Fee beträgt 1,6 %, eine Performance Fee von 20 % wird zudem erhoben (bei einer Rendite von über 6 %). Die eine Hälfte davon fließt in Krypto­währungen, die andere in Tokens, also Blockchain-Anwendungen. Der Vorgänger des Fonds war der erste Bafin-registrierte Krypto-Hedgefonds, der sich an professionelle und institutio­nelle Investoren richtet.

Der Clou: Die Echtzeitanalysen von Im­mutable Insight greifen Gehra dabei stark unter die Arme, denn sie entscheiden, wo der Fonds einsteigt. „Historisch weiß man zwar, wo die großen Wachstumsbereiche bisher lagen – wir schauen jedoch in Real Time, was genutzt wird. Das, was stärker wächst als der Markt, kommt ins Portfolio“, so Gehra.

Zudem geht es ihr aber auch um die Auf­klärung von Mythen und die Mündigkeit der Bevölkerung: „Es gibt drei vermeintliche ‚Todesengel-Argumente‘, wenn es um Blockchain geht: dass sie für Geldwäsche genutzt wird, viel Energie verbraucht und sie kein Mensch benötigt“, sagt Gehra. „Dabei ist der erste Vorwurf in Relation zum globalen Markt der Geldwäsche faktisch nicht relevant; zudem ist es die dümmste Idee, gerade auf der Blockchain Geld zu waschen – ­früher oder später wird man gefunden, weil sie aus einer ewigen und unveränderbaren Datenstruktur besteht. Zum anderen Argument: Die Bitcoin-Blockchain ist zwar tatsächlich energie­intensiv, aber es gibt bereits 800 verschiedene Blockchains – bei vielen ist der Mechanismus anders konstruiert und sie sind sehr effizient.“

Katharina Gehra stammt ursprünglich aus Ulm, studierte im Master International Political Economy an der London School of Economics (LSE) mit Schwerpunkt Währungsökonomie und stieg 2008 als Beraterin bei der Boston Consulting Group (BCG) ein. Später wechselte sie zur Com­merz­bank, bevor sie 2014 als CEO zur Private-Equity-Firma Interritus Limited ging. „Als die Blockchain-Technologie aufkam, hat mich das zunächst nicht interessiert. Erst als die Techno­logie begann, das Paradigma, dass nur der Staat Geld organisieren kann, anzugreifen, fand ich das spannend“, so Gehra. Sie fing Feuer: „Ich muss immer alles ausprobieren, wenn es etwas Neues gibt. Und ich war bereits zehn Jahre lang einen klassischen Karriereweg gegangen; es war alles so vorhersehbar. Das fand ich beengend.“ Also beschloss sie, ihr eigenes Ding zu machen, und gründete 2018 Immutable Insight. Mitgrün­der waren Giyun Jeong, eine Spezialistin im Bereich forensische Analysen in der Geldwäscheverhin­derung, und Volker-Henning Winterer, ein Ex­perte in den Bereichen Data Science, dezentrale Rechennetzwerke und Physik, der vor rund 30 Jahren am CERN in Elementarteilchenphysik promovierte. „Wir saßen damals in Lindau (Stadt in Süddeutschland, Anm.) in einem alten Café inmitten von Touristen und Rentnern, als Volker seine Algorithmen für eine Blockchain-Analyse in Echtzeit erklärte. Ich dachte mir: ‚Wenn nur die Hälfte davon funktioniert, dann ist das unglaublich – dann müssen wir das unbedingt machen!‘“

Katharina Gehra
...absolvierte an der London School of Economics (LSE) einen Master in International Political Economy und war anschließend als Beraterin bei der Boston Consulting Group tätig. Später wechselte sie zur Commerzbank, bevor sie 2014 als CEO bei der Private-Equity-Firma Interritus Limited tätig wurde und 2018 Immutable Insight gründete.

Mittlerweile agiert Gehra auch als Mitglied des Aufsichtsrats der Fürstlich Castell’schen Bank, als Host des Blockchain-Podcasts Block52 und als Sachverständige des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags. Gehra: „Wir versuchen, Aufklärungsarbeit zu leisten und im Bundestag charmant, aber pointiert Stellung zu nehmen. Ich möchte, dass wir verstehen, dass unsere Systeme aus der Zeit gefallen sind.“ Ihr Fazit fällt jedoch ernüchternd aus: „Wenn man von den über 700 Abgeordneten mehr als zehn findet, die Blockchain sauber buchstabieren können und mehr wissen, als dass Bitcoin eine Blockchain hat, hat man schon viel Glück.“

Seit der Gründung von Immutable Insight wuchs das in München gemeldete Unternehmen, das auf eine Remote-Organisationsform setzt, auf 20 Mitarbeiter. Zu den Umsatzzahlen hält sich Gehra bedeckt, nicht jedoch zu weiteren Plänen: Im Bereich der industriellen Anwendungen wer­den die derzeit sieben Projekte in den Spät­sommer verschoben, der Fokus liegt aktuell auf dem Bereich Assetmanagement. Bis Jahresende sollen nämlich noch fünf weitere Anlageprodukte gelauncht werden; genauere Infos rückt Gehra jedoch auch hier nicht heraus. Nur so viel: „Wir agieren in einem sehr regulierten Bereich, da darf ich bis dato noch nicht viel erzählen.“ Um die Pläne umsetzen zu können, hilft jedenfalls die im März beurkundete Finanzspritze in Höhe eines einstelligen Millionenbetrags von Investoren wie etwa Daniel Hopp, dem Sohn des SAP-Gründers Dietmar Hopp. Das Ziel steht für Gehra fest: „Wir versuchen weiterhin, neue Standards zu setzen und wollen die besten Analysen im Zeitalter der Token Economy anbieten.“

Text: Andrea Gläsemann
Fotos: Thomas Dashuber

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 4–21 zum Thema „Geld“.

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