Lindt & Sprüngli

CEO Dieter Weisskopf muss auf einem gesättigten Markt Wachstum erzielen.

Es klingt ein wenig nach der Fantasie eines Kleinkinds, im Schweizer Kilchberg wird es aber schon bald Realität sein: die Errichtung des größten Schokoladebrunnens der Welt. Stehen wird die acht Meter hohe Skulptur beim Traditionsunternehmen Lindt & Sprüngli, das auch ohne den Brunnen für alles, was mit Schokolade zu tun hat, weit über die Grenzen der Schweiz hinaus bekannt ist. Der Brunnen ist aber keine Spielerei; nicht nur jedenfalls. Viel eher wird er den Eingangsbereich des 2020 fertig werdenden Chocolate Competence Centers des Unternehmens aufpeppen. 80 Millionen Schweizer Franken (CHF) (68 Millionen €) soll das Center kosten, 350.000 Be­sucher werden jährlich erwartet.

Es scheint, als könnte und wollte sich Lindt & Sprüngli solche – die Marke stärkenden – ­Extravaganzen derzeit leisten. Die Zahlen aus dem Jahr 2017 ­können sich sehen ­lassen, mit 4,1 Milliarden CHF (3,5 Milliarden €) Umsatz wuchs das „­Schoggiproduzent“ genannte Unternehmen erneut. Dennoch musste sich CEO Dieter Weisskopf quasi entschuldigen, als er die Jahreszahlen nannte. Denn obwohl viele Unternehmensleiter ihn wohl um das Wachstum von 4,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr beneiden würden, blieb das Plus letztendlich hinter den vom Unternehmen ausgegebenen Zielen zurück. Denn da war stets die Rede von einem jährlichen Zuwachs zwischen sechs und acht Prozent – und das schaffte Lindt & Sprüngli ganz eindeutig nicht.

Dennoch: Es läuft gut für den Schokoladehersteller. Die Umsätze steigen seit Jahren kontinuierlich, die großen Märkte wie die USA, Russland, Brasilien und die Schweiz sind gut ­besetzt und die Marke ist welt­bekannt. Doch warum schlägt man sich dann mit (zu) optimistischen Prognosen herum – und schmälert quasi die Freude am Ergebnis? Weisskopf: „Man muss festhalten, dass wir unsere Ziele über die letzten Jahre stets erfüllt haben. Von dieser Regel gab es in den letzten Jahren eine einzige Ausnahme, das war 2009. Nun haben wir aber 2017 unser Ziel leicht verfehlt und wollen daher für 2018 eine Vorgabe nennen, die wir auch mit annähernder Sicherheit erreichen.“ Weisskopf setzte das Wachstumsziel für das kommende Jahr also auf fünf Prozent hinunter – und nimmt sich und dem Team damit wohl ein wenig den Druck, auf Krampf noch die letzten Prozentpunkte herausquetschen zu müssen. Mittelfristig beharrt Weisskopf jedoch auf dem Ziel von sechs bis acht Prozent ­Umsatzwachstum. Zudem soll die Profitabilität um 20 Basispunkte pro Jahr gesteigert werden.

Dennoch sind es Luxusprobleme, mit denen sich der CEO herumschlagen muss. Denn letztendlich geht es Lindt & Sprüngli geschäftlich blendend, was auch ein Blick in die jüngste Vergangenheit verdeutlicht.

Doch zuerst braucht es einen Blick über den Tellerrand: Denn was für die meisten von uns ein ungesunder, leckerer Zwischensnack ist, dem wir nach dem Verzehr meist keine weiteren Gedanken schenken, ist ein globales Milliardengeschäft. Der weltweite Schokolademarkt umfasst laut Schätzungen ein Volumen von rund 100 Milliarden US-$ (81 Milliarden €), alleine ein Fünftel davon wird in den USA verdient. Zudem konsumierte jeder Schweizer und Österreicher 2017 durchschnittlich pro Kopf acht Kilogramm Schokolade. China alleine produzierte im abgelaufenen Kalenderjahr Schokolade im Wert von 18 Milliarden US-$ (15 Milliarden €). Doch wo Geld ist, ist auch Konkurrenz, und mit 4,1 Milliarden CHF Umsatz ist Lindt laut der International Cocoa Organization zwar ein großer Player, aber lediglich der siebtgrößte Schokolade­produzent der Welt. Davor finden sich Schwergewichte wie die Mars Group (Umsatz: 18 Milliarden ­US-$), Ferrero (12 Milliarden US-$) sowie Mondelez (11,5 Milliarden ­US-$) auf den Plätzen eins bis drei – gefolgt von Meiji (Japan), Nestlé (Schweiz), Hershey’s (USA) und eben Lindt & Sprüngli (Schweiz).

Dass der im gemütlichen Kilchberg beheimatete Betrieb überhaupt in dieser Riege mitmischt, hat er der beispiellosen Entwicklung der letzten Jahre zu verdanken. Dabei stand aber nicht Weisskopf, sondern sein Vorgänger Ernst Tanner an der Spitze des Erfolgsritts. Tanner, der Lindt & Sprüngli zwischen 1993 und 2016 insgesamt 23 Jahre als CEO und 22 Jahre lang zudem als Verwaltungsratspräsident führte, machte aus dem verschlafenen Schokoladeproduzenten nämlich einen Nahrungsgiganten.

Der Bauernsohn Tanner übernahm den Betrieb nach 25 Jahren in verschiedenen Management­positionen 1993 vom „Schokoladebaron“ Rudolph R. Sprüngli, Erbe des Namensgebers und Gründers. ­Damals galt das Unternehmen als Übernahme­kandidat, ­erwirtschaftete lediglich eine knappe Milliarde CHF Umsatz. Zudem hatten vor ­Tanner in kürzester Zeit vier CEOs den ­Posten angenommen – und prompt wieder abgegeben oder verloren. Doch Tanner ließ sich davon nicht ­beirren, trimmte das Unternehmen auf Wachstum und vervierfachte den Umsatz in seinen 23 Jahren an der Macht. Die Kurse der Namens­aktien und Partizipations- scheine stiegen außerdem in den über 20 Jahren um mehr als das 25-Fache – auf zuletzt 69.500 bzw. 5.695 CHF (59.000 bzw. 4.856 €). Damit ist die Aktie des Schokoladeproduzenten die zweitteuerste der Welt – direkt nach Warren Buffetts Berkshire Hathaway. „An der Macht“ ist in dem Fall übrigens die richtige Beschreibung: Denn während Tanners Verkaufs- und Marketingexpertise sowie sein geschäftlicher Erfolg unter Experten stets unumstritten schienen, war sein Einfluss auf das Unternehmen ein oftmals geäußerter Kritikpunkt.

Tanners Doppelrolle als CEO und Verwaltungsratspräsident, die er 22 seiner 23 „CEO-Jahre“ innehatte, wurde von der zweigeteilten Aktien­struktur (Namensaktien und Partizi­pationsscheine) unterstützt. Doch von diesen Vorwürfen befreite sich Lindt & Sprüngli 2016, als sich ­Tanner nur mehr auf seine Rolle als Verwaltungsratspräsident konzen­trierte – in der er bis heute arbeitet. Der ehemalige CFO Dieter Weisskopf übernahm die Leitung.

Der globale Schokolademarkt umfasst rund 100 Milliarden US-$, alleine ein Fünftel davon wird in den USA verdient.

Doch während Weisskopf ein funktionierendes Unternehmen erbt, warten auch zahlreiche Herausforderungen auf ihn. Denn der Schoko­lademarkt gilt in vielen Ländern als gesättigt, Wachstumsmärkte wie Russland oder Brasilien schwächeln konjunkturell – und China ist für Lindt & Sprüngli ein heikles Pflaster, sodass man sich nur mit Minischritten in den Markt vorwagt. Europa plagt sich wiederum mit politischen Unsicherheiten und einem geringen Wirtschaftswachstum herum.

Dass die Ziele nicht erreicht wurden, liegt aber vor allem auch an der US-Tochter Russell ­Stover. ­Neben dem US-Hersteller Ghirardelli und dem italienischen Produzenten Caffarel ist Russell ­Stover die dritte große Tochtermarke des Lindt-&-Sprüngli-Konzerns. Im Juli 2014 zugekauft, verlief die Inte­gration der in Denver ansässigen Tochter aber von Anfang an problematisch. Seit drei Jahren schlägt man sich nun damit herum. Die Bank Vontobel berichtet jedenfalls, dass Investo­ren unruhig würden: „Obwohl die Anleger mit einem schwierigen Umfeld in den USA gerechnet haben, wird ihre Geduld mit Russell Stover allmählich überstrapaziert.“ Trotz zwei Jahren der Restrukturierung lasse die Performance weiter zu wünschen übrig, so Vontobel.

Als Fehler will Weisskopf die Akquisition dennoch nicht bezeichnen: „Russell Stover hat es uns erlaubt, in die Geschenkmärkte – Valentinstag, Ostern, Weihnachten – in den USA zu kommen. Der Zukauf hat uns zudem ermöglicht, in den Markt mit ‚Assorted‘-Pralinen ­vorzudringen. Dort waren wir in den USA nicht präsent. Und zu guter Letzt sind wir in den zuckerfreien Markt gekommen, das wäre auch alleine nicht zu schaffen gewesen.“ Die schlechte Performance dürfte vor allem Filmfans irritieren, ist Russell Stover doch jener Schokoladehersteller, aus dessen Box Forrest Gump seine Pralinen verspeist – inklusive Kultzitat: „Das Leben ist wie eine Schachtel Prali­nen – man weiß nie, was man kriegt.“

Fest steht, dass Lindt & Sprüngli das Problem bald in den Griff bekommen muss. Denn mit 40 Prozent Anteil am Konzernumsatz sind die USA der wichtigste Markt, weshalb sich auch politische Probleme er­geben ­könnten. Denn sollte US-Präsident ­Donald Trump mit seinen Importzöllen auf ausländische Güter ernst machen, könnte auch Lindt Schwierigkeiten bekommen. Doch Weisskopf winkt auch hier stoisch ab: „Ghirardelli und Russell Stover beliefern wir vollständig aus der in den USA angesiedelten Produktion, Lindt zum grössten Teil. Einzig spezielle Produkte aus dem Saison-Bereich stammen aus Europa. Die Diskussion ist für uns kein Problem.“ Und auch eine mögliche Korrektur an den ­Finanzmärkten bereitet dem CEO keine schlaflosen Nächte. Denn ­obwohl 2009 als schlechtestes Jahr in der jüngeren Vergangenheit von Lindt & Sprüngli gilt, ist eine möglicherweise drohende Marktkorrektur für Weisskopf kein Thema. Also widmet er sich lieber anderen Themen, etwa dem sich ändernden Geschmack der Kunden: „Hier zeigen sich einige Trends. So nimmt der Konsum an dunkler Schokolade zu. Auch die Verpackungsgröße ist ein Thema, es geht in Richtung Snacks und kleinere Packungen. Und drittens beobachten wir ebenfalls das Thema Zucker: Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber zu beachten, dass der Verzicht auf Zucker nicht zulasten des Geschmacks gehen darf.“

Überhaupt scheint der Geschmack für den Schweizer ­Traditionsbetrieb ein wichtiges Thema zu sein. Und damit sind wir wieder beim Anfang: Denn um die eigene Schokolade ­potenziellen Kunden ­näherzubringen, bastelt man in Kilchberg gerade an dem bereits erwähnten ­Chocolate Competence Center und dem besagten weltgrößten Schokoladebrunnen. Das Center wird von einer in Lindt & Sprünglis Besitz befindlichen Stiftung gebaut und soll mehreren Zwecken dienen. Weisskopf: „In das Chocolate Competence Center wird zuallererst ein Museum integriert, das den Besuchern verschiedene ­Aspekte zeigen wird; etwa woher der Kakao kommt und wie er verarbeitet wird.“ Zudem sollen, wenig über­raschend, Verkostungen stattfinden und Einblicke in die Produktion gewährt werden.

Ob das Projekt bei Erfolg auch in anderen Ländern umgesetzt werden könnte, will Weisskopf nicht sagen. „Rein theoretisch ist das möglich. Aber das ist ein großes Projekt, ich sehe also aktuell nicht, dass wir das auf andere Länder ausweiten.“ Neben Tastings und Museum soll das Competence Center auch ein Verständnis dafür vermitteln, wie die Schweiz auch in Zukunft ein Hotspot für Schokoladeproduktion sein kann. Doch auch in dieser Hinsicht spielen mehrere Aspekte eine Rolle. Nicht zuletzt die zunehmende Möglichkeit, Produktionsprozesse zu automatisieren. Denn auch das wäre natürlich eine Möglichkeit, das Geschäftsergebnis selbst bei schwachen Umsatzzahlen zu verschönern: Kostenreduktion durch Maschinen. Weisskopf: „Die in der Produktion tätigen Menschen durch Roboter zu ersetzen ist bei einem Lebensmittel nicht ganz so einfach. Es wird auch noch vieles von Hand gemacht und erfordert komplexe Tätigkeiten. Wir haben in allen Produktionsgesellschaften topmoderne Maschinenparks, doch natürlich sind wir noch nicht am Effizienzmaximum.“

Bleibt also in der nahen Zukunft doch nur das Umsatzwachstum, um Aktionäre und Investoren zufriedenzustellen. Und da gibt es wohl einfachere Aufgaben, als das in einem gesättigten Markt voller Konkurrenten zu erreichen. Zumindest über die nötige Erfahrung verfügt Weisskopf jedenfalls. Und wer weiß – vielleicht hilft ja der Schokoladebrunnen mit dem einen oder anderen Prozent Wachstum.

Dieser Artikel ist in unserer März-Ausgabe 2018 „Food“ erschienen.

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