LOKALMATADOR

Das von Markus Villig gegründete Start-up Bolt ist bereits jetzt einer der größten Ride-Hailing-Anbieter Europas. Doch das reicht Villig nicht – will er mit Bolt doch zu den den Weltmarkt dominierenden Tech-Riesen aufschließen.

Kurz bevor wir den Unternehmenssitz von Bolt in Tallinn betreten, huscht ein junger, groß gewachsener Mann vor uns durch die Eingangstür. Erst kurz davor von seinem Elektroscooter abgestiegen, begibt sich der Mann in das ­großräumige ­Gebäude, in dem der Ride-Hailing-Anbieter (Vermittlung von Mitfahrgelegenheiten, ähnlich wie Uber, Anm.) untergebracht ist. Doch der Unbekannte ist nicht irgendein Mitarbeiter von Bolt, wie sich kurz danach herausstellt, sondern Gründer und CEO Markus Villig. Ganz der Markenbotschafter, nutzt der Chef des rapide wachsenden Tech-Start-ups die eigenen Dienstleistungen wohl auch selbst. Denn erst kürzlich wurden Elektro­roller in die Bolt-Plattform integriert.

Markus Villig ist mit 25 Jahren einer der jüngsten CEOs eines europäischen Einhorns. Diesen Status erlangte das von ihm ­gegründete Start-up im Mai 2018 in einer Investmentrunde über 175 Millionen €, angeführt vom deutschen Auto­bauer Daimler. Vier Jahre zuvor hatte ­Taxify (­dieses Jahr erfolgte die Umbenennung in Bolt aufgrund eines breiter aufgestellten Portfolios) bereits die Transport-App auf den Weg gebracht. Die erste Version von Bolt startete Villig gemeinsam mit seinem Bruder Martin bereits im August 2013. Markus Villig studierte damals Informatik und musste sich ein halbes Jahr später entscheiden: Weiterstudieren oder sein ­Unternehmen weiter aufbauen? „Ich habe mich entschieden, die Universität zu verlassen. Wir sind damals pro ­Monat um 20 % gewachsen“, so Villig heute.

Bild: Markus Villig, Bolt, Taxify, Tallin, CEO, Start-up

Markus Villig
... arbeitete bereits mit 19 Jahren, im Jahr 2013, mit seinem Bruder Martin Villig an Taxify. Der CEO des heute unter Bolt firmierenden Transportvermittlers studierte ursprünglich Informatik. Das Studium brach er nach einem halben Jahr ab.

Es sollte sich auszahlen – denn Bolt zählt ­heute zu den größten On-Demand-Transportplattformen in Europa und Afrika. Auch in Aus­tralien und Mexiko ist das Unternehmen aktiv. Waren es zur Zeit der letzten ­Investmentrunde im Mai 2018 noch zehn Millionen ­registrierte Nutzer in 25 Ländern, stieg die Zahl ­mittlerweile auf 25 Millionen Nutzer in über 30 Ländern an. Die ­privaten Fahrzeuge (erkennbar am grün-­weißen Design) können per App zu einem festgelegten Preis bestellt werden. Dazu kommen mehr als 500.000 registrierte private Fahrer, 900 Mitarbeiter (Bolt betreibt etwa Büros in Tallinn, Warschau, Bukarest und Johannesburg) und ein im Jahr 2017 erwirtschafteter Umsatz von 17,8 Millionen €. Die ­Financial Times listete das Start-up erst kürzlich auf Platz drei der „FT 1.000“, Euro­pas am schnellsten wachsenden ­Unternehmen. Doch Bolt begreift sich breiter als nur als ­reine ­Onlinevermittlungsplattform für private ­Autos. Das Tech-Unternehmen hat erst kürzlich damit begonnen, unter der eigenen Marke Elektroroller in Paris anzubieten (weitere Städte sollen folgen), in Afrika können auch Motorräder bestellt werden. Dahinter steht die Vision des Unternehmens, den Stadtverkehr effizient, günstig, elek­trisch und so vor allem umweltfreundlich zu gestalten. Das rasche Wachstum liegt nicht zuletzt an Villigs Ambitionen. Denn der junge Este schraubt die Messlatte weiter hoch – wenngleich er auch dabei nüchtern und pragmatisch bleibt: „Das ist erst der Anfang unserer Reise. Wenn man das Geschäft in größerem Maßstab betrachtet, sieht man: Die dominierenden Tech-Unter­nehmen in den USA sind immer noch 50- oder 100-mal größer als wir. Ich versuche, uns mit ­ihnen zu vergleichen.“

Wer über Ride-Hailing spricht, kommt an Uber nicht vorbei. Und von der „Mutter“ ­aller Fahrdienstvermittler sind die Esten tatsächlich noch meilenweit entfernt. Denn der US-amerikanische Fahrdienstvermittler brach in den vergangenen Jahren – trotz einiger Skandale – einen ­Rekord nach dem anderen. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen einen Umsatz von 11,3 Milliarden US-$ (9,8 Milliarden €), hat aktuell monatlich 91 Millionen aktive ­Nutzer sowie 3,9 Millionen Fahrer. Dennoch schreibt Uber nach wie vor Verluste: 2018 ­waren es 1,8 Milli­arden US-$ (1,6 Milliarden €), 2017 ­waren es noch 2,2 Milliarden US-$ (1,96 Milliarden €). ­Anfang Mai wagten die US-­Amerikaner den Gang an die Börse, doch der IPO verlief ­alles andere als glatt. Die angestrebte Bewertung von 90 Milliarden US-$ (80,3 Milliarden €) bei einem Ausgabe­preis von 45 US-$ (40,1 €) erreichte der Fahrdienstvermittler nicht. Nicht mal den ersten Handelstag hielt der Techkonzern durch, schloss mit einem Kurs von 41,57 US-$ (37,1 €). Gegenwärtig kommt Uber auf eine Marktkapitalisierung von 70 Milliarden US-$ (62,4 Milliarden €). Indes schrumpft der Marktanteil von Uber in den USA: Laut dem US-amerikanischen Beratungsunternehmen Kruze Consulting betrug dieser im ­ersten Quartal 2019 64 %, während Konkurrent Lyft auf 36 % zulegte (im ersten Quartal 2017 waren es noch 79 % bzw. 21 %).

Es geht nicht darum, der Erste zu sein – es geht darum, der Beste zu sein.

Auch global betrachtet dominiert Uber den Markt bei Weitem nicht mehr so stark wie noch vor ein paar Jahren. Laut Forbes-Kontributor Nicolas Colin bildet sich weltweit ein zunehmend fragmentierter Markt heraus, in dem jeweils ein lokaler Akteur dominiert. In China heißt der ­lokale Champion Didi Chuxing (das Unternehmen kaufte 2018 alle Anteile von Uber ­China, ­zudem ist es in Bolt investiert), in Südostasien ist es Grab (Uber verkaufte sein Geschäft in dieser ­Region), dazu kommen Yandex Taxi in Russland (­fusionierte 2017 mit Uber im Rahmen eines Joint Venture) und Ola in Indien. Das rasche Aufkommen verschiedenster Anbieter resultiert in rosigen Marktaussichten: Laut Datenanbieter ­Statista wird der weltweite Markt bis 2023 ein Volumen von 118,2 Milliarden € erreichen – bei einer jährlichen Wachstumsrate von 12,8 % (zwischen 2019 und 2023). Die Zahl der Fahrzeuge von Ride-Hailing-Anbietern wird bis 2025 auf 17,5 Millionen Stück ansteigen.

Bolt-CEO Villig erkannte bereits früh das ­Potenzial eines riesigen Marktes: Afrika. Den ersten Fahrdienst bot das Unternehmen in Johannes­burg und Kapstadt (Südafrika) im April 2016 an. „Wir betrachten das Transportwesen so: Je ­größer das Problem, desto größer die Chancen. Durch ­Ride-Hailing kann man Millionen arbeitslose Menschen, die ein zusätzliches Einkommen erzielen möchten, mit Millionen von Menschen, die ein Transportmittel benötigen, verbinden.“ Heute sind Bolt-Fahrer in 23 afrikanischen Städten unterwegs, der größte Teil davon in Südafrika. Die Esten haben in Afrika bereits Uber und den ­kenianischen Lokalmatador Little hinter sich gelassen. Villig will in Afrika auch in Zukunft stark wachsen. Das nötige Geld dafür wird höchstwahrscheinlich bald bereitstehen: Der Bolt-CEO kündigte für dieses Jahr eine neue Finanzierungs­runde an.

Und in Europa? Hier scheint Bolt zunehmend das Feld aufzuräumen. Daimler-­Tochter MyTaxi (per App können Taxis bestellt werden) hat nach eigenen Angaben 100.000 ­Fahrer auf der Plattform. Uber hat zwar in zahlreichen europäischen Ländern mit der Regulierung zu kämpfen, dennoch bleibt das US-Unternehmen auch in Europa der härteste Konkurrent. Indes hat Villig mit Bolt keinerlei Ambitionen, global ­tätig zu sein. „Wir verfolgen einen lokalen Ansatz. Für uns ist es sinnvoller, uns auf Europa und Afrika zu konzentrieren, da beide Kontinente bereits einen riesigen Markt vereinen. In diesen beiden Regionen die beste Transportplattform aufzubauen würde es uns alleine schon ermöglichen, ­eines der größten Technologieunternehmen der Welt zu werden.“ Wer gewinnt also das „Match um ­Europa“?

Bild: Bolt, Unternehmen, Tech, Hauptsitz, Tallin

Bolt setzt im Rahmen seiner ­Strategie mehrere Schwerpunkte. Dabei steht und fällt ­alles mit dem richtigen Umgang mit Kunden und Fahrern, wie Villig immer wieder betont. „­Sobald ­Unternehmen erfolgreich werden, ­machen die meisten hier Fehler. Doch in dem Moment, wo sie sich nicht mehr auf den Kunden fokussieren, wird sie ein anderer einholen.“ Der ­bedeutendste Wettbewerbsfaktor ist hier nach wie vor der Preis. Beispiel Tallinn: Bolt verlangt laut dem englischen Dienst des estnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ERR) einen Kilometerpreis von 39 Cent sowie einen Preis pro Minute von 14 Cent – genauso wie Uber. Der Mindestpreis ­beträgt bei Bolt jedoch 2,50 € (wenn der Preis für eine Distanz 2,20 € beträgt, wird dieser auf das Minimum von 2,50 € aufgerundet). Bei Uber sind es 3,50 €. Fahrer müssen zudem pro Fahrt durchschnittlich 15 % Provision an Bolt abgeben. Laut Unternehmensangaben ist dies deutlich weniger als bei anderen Anbietern, bei Uber liegt die Zahl bei 25 %. Doch nicht nur damit lockt Bolt Fahrer, sondern auch mit Schulungen, Bonus­zahlungen sowie emotionalen Komponenten, so Villig, wie der Interaktion in Community-Foren sowie einem geeigneten Kundendienst.

Bolt sieht sich als umfassender Transportanbieter, der die Veränderungen im Mobilitätsverhalten der Menschen aktiv mitgestalten will. „Unsere Vision für die urbane Mobilität ist klar: Man kann nicht alles mit nur einem Fahrzeug lösen. Wir müssen verschiedene Transportmöglichkeiten auf unserer Plattform haben. Und wir müssen herausfinden, wie wir all diese kombinieren können; um zum Beispiel mit einem ­Roller zur U-Bahn-Station zu fahren, dann mit dem ­öffentlichen Verkehr zu reisen und die Reise
dann mit dem Auto zu beenden.“

Kleinere Fahrzeuge wie Elektroroller oder auch „Ein-Mann-Autos“ seien geeigneter, um die Herausforderungen in Städten mitsamt ­Abgasen und CO2-Emissionen zu lösen. Ebenso schließt der Bolt-CEO nicht aus, autonom ­fahrende Verkehrsmittel an die Plattform anzuschließen. ­Dennoch werde dies aufgrund der langsam ­fortschreitenden Technologie noch einige Zeit dauern, so Villig.

Bolt in Zahlen (Quelle: Unternehmensangaben)

Infografik: Bolt in Zahlen, Kunden, Mitarbeiter, registrierte Fahrer

Doch nicht nur bei der Auswahl der Transportmittel will Villig ganz gezielt vorgehen, sondern auch bei der Expansion des Unternehmens. Denn anstatt eines aggressiven Kurses wählen die Esten ihre Internationalisierungsschritte mit ­Bedacht. Erst, wenn Anbieter wie Uber in einem Markt für längere Zeit aktiv sind und das regulatorische Umfeld geklärt ist, erfolgt der Markteintritt. Deshalb ist Bolt auch (noch) nicht in Deutschland tätig, wo Uber derzeit etwa in Berlin oder München verfügbar ist. „Ride-­Hailing funktioniert als Service in jeder Stadt der Welt. Bei diesem Geschäft geht es also nicht um die Größe einer Stadt. Die größte Hürde ist die ­Regulierung“, sagt Villig. „Uns geht es nicht darum, der Erste zu sein. Uns geht es darum, der ­Beste zu sein. Wir konzentrieren uns darauf, wie wir das weltweit beste Netzwerk für das ­richtige ­Ride-Hailing aufbauen können.“ Laut Villig habe Bolt in Europa noch keine Probleme mit den Regulierungsbehörden gehabt, vielmehr ­versuche das Unternehmen, eng mit Regierungen und Städten zusammenzuarbeiten.

Einzig in London, einem der größten Ride-­Hailing-Märkte Europas, musste Bolt einen Rückschlag erleiden. Damals noch als Taxify startete der Dienst 2017 in der britischen Hauptstadt, musste diesen in weiterer Folge aber einstellen, da die örtliche Transportbehörde die erforderliche Lizenz nicht erteilte. Bolt launchte daraufhin in Paris und Lissabon – und schaffte schließlich auch in London Anfang 2019 unter der Marke „Hopp“ ein Comeback.

Trotz seines jungen Alters scheint ­Villig dem Druck, der von seinen großen Ambitionen ausgeht, gewachsen zu sein. Der Este strahlt genau jene Ruhe aus, die (weiterhin) ­notwendig sein wird, um im harten Wettbewerb zu bestehen. Zum Schluss verrät er noch die Ziele für 2019: „Wir wollen uns dieses Jahr verdoppeln. Die wichtigste Messgröße ist bei uns die Anzahl der Fahrten und der Kunden.“

Der Artikel ist in unserer Mai-Ausgabe 2019 „Europa“ erschienen.

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