Lose-Lose-Situation

Von Handelszöllen und Sanktionen, die den Handel hemmen, profitiert langfristig niemand. Trotzdem gibt es Länder, Branchen und Unternehmen, die von einem solchen Szenario kurzfristig gepusht werden könnten.

„Ein deftiger Handelskrieg und Strafzölle sind wohl das Letzte, was sich Unternehmer, aber auch Anleger auf diesem Globus gewünscht haben. Die Gefahr, dass die Weltwirtschaft in einen Abwärtsstrudel gerissen wird, nachdem man eben die Finanzkrise verdaut hat, ist zu groß. Langfristig profitiert niemand von einem Handelskrieg, auch nicht einzelne Branchen. Handelsschranken führen über die Zeit zu einem geringeren Wirtschaftswachstum, das mögliche kurzfristige Vorteile einzelner Branchen in einzelnen Ländern überkompensiert“, sagt Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz SE.

Zölle, die die aktuelle US-Regierung eingeführt hat, bezogen sich zunächst auf Stahl und Aluminium, Zölle auf andere Produkte folgten, und auch solche auf Autoimporte sind weiter im Gespräch, weiß auch Markus Müller, Global Head of Chief Investment Office der Deutschen Bank. Und das Karussell hat bereits begonnen, sich zu drehen: „Die von den US-Zöllen betroffenen Länder haben überwiegend bereits reagiert und mit Gegenzöllen geantwortet“, so Müller.

Dass die Ideen des US-Präsidenten auch noch nicht ganz ausgegoren sind, erläutert Johannes Müller, Head Macro Research des Fondsriesen DWS: „Wir kennen die neue Liste der Produkte, die mit Strafzöllen der USA belegt werden. Aber welche Unternehmen davon dann betroffen sind, kann man daraus noch nicht ableiten – sogar bei Branchen wird das sehr schwierig.“ Was man jedoch sagen könne, so Johannes Müller, ist, dass diesmal auch Indus­triegüter mit von der Partie sind. „Das sind rund 40 Prozent der Güter, die dann tatsächlich die Konsumenten betreffen, wie zum Beispiel Komponenten aus dem Fahrzeugbau, die Fahrzeuge verteuern und dann auch die Exporteure betreffen werden.“

„A priori“, sagt Markus Müller von der Deutschen Bank, „werden die Produzenten der Güter, auf die Zölle erhoben werden, im importierenden Land von den Preiseingriffen profitieren. Die durch die Zölle zu erwartenden höheren Preise sollten die Einnahmensituation der inländischen Wettbewerber verbessern. Dies gilt jedoch nur bei direkten Wettbewerbern, also Unternehmen, die entsprechende Produkte gleicher Qualität und Güte herstellen können und bislang nur durch eine ungünstigere Kostenstruktur im Wettbewerb benachteiligt waren. Diese Fälle sind aber eher selten; durch die Zölle werden tendenziell lediglich Unternehmen gestützt, die im Produktlebenszyklus bereits weiter fortgeschritten sind respektive andere Wettbewerbsnachteile aufweisen, die durch Importzölle nur vorübergehend überdeckt werden.“

Doch es gibt Bereiche, die einen Schub durch diese an sich unerquickliche Situation erfahren werden. „Bei neuen Zöllen ändert sich zunächst das Marktvolumen nicht und es kommt zu Substitutions­effekten mit Gewinnern und Verlierern in jeder Branche“, sagt Allianz-­Experte Heise. Auch für Heise sind die „natürlichen“ Gewinner die inländischen Produzenten in den Sektoren, in denen die Einfuhrzölle gelten, da die Zölle ihre Produktion im Vergleich zu Importen wettbewerbsfähiger machen: „In den USA zählen die Hersteller von Waschmaschinen, Solarpaneelen sowie die Stahl- und Aluminiumhersteller zu den Gewinnern. Insbesondere die Hersteller von Solarpaneelen könnten bei weiteren Zöllen deutlich profitieren. Allerdings dürfte dieser Vorteil nur kurz währen, da die Marktpreise sich sehr schnell anpassen und fallen werden.“ Vergeltungsmaßnahmen und eine Eskalation des Handelskonflikts mit China könnten für Produzenten aus Drittstaaten vorteilhaft sein, meint der Allianz-Chefvolkswirt: „Im Energiesektor könnten Exporteure aus Russland oder aus Staaten wie dem Iran gewinnen. Wenn China Zölle auf US-amerikanische Energieprodukte erhebt, werden Importe aus dem Iran und anderen weniger stabilen Ländern für China attraktiver.“ Auch australische Gasexporteure könnten von einer höheren Nachfrage aus China profitieren, meint Michael Heise: „Im Maschinen- und Anlagenbau könnten deutsche und schweizerische Hersteller vor allem von der Substitution von US-Produkten in China und in geringerem Maße auch von der Substitution chinesischer Produkte in den USA profitieren.“

Grundsätzlich sei es jedoch wegen der globalen Präsenz vieler Unternehmen und der Komplexität der Lieferketten schwer vorherzusagen, wer zu den Gewinnern zählen wird, so Heise: „Der Automobilsektor ist eines der besten Beispiele: US-amerikanische Autohersteller profitieren von höheren Importzöllen für Mexi­ko, Kanada, China und möglicherweise Japan und Europa auf dem Heimatmarkt, doch sie leiden bereits unter den gestiegenen Kosten für Stahl und Aluminium durch die US-­Zölle.“ Zudem leiden ­Autoexporte aus US-Produktion, insbesondere nach China: „Einige US-Autohersteller denken bereits darüber nach, einen Teil ihrer US-Produktion in die Exportmärkte zu verlagern.“

Wer tatsächlich profitiert, hänge davon ab, welche der vielen inzwischen aktivierten US-Zölle man betrachtet, meint Valentin Hofstätter, Head of Market Strategy der österreichischen Raiffeisen Bank International (RBI): „Von den US-Zöllen auf Stahl und Aluminium profitieren die Produzenten in den USA (­höhere Produktpreise innerhalb der USA, Anm.), während die Produzenten außerhalb der USA leiden (schlechterer Marktzugang, Anm.). Die US-Zölle auf chinesische Produkte und deren Gegenzölle sind dagegen auf so viele Produzenten – in Kürze wahrscheinlich alle – verteilt, dass ein spezieller Brancheneffekt schwer auszumachen ist“, sagt Hofstätter. Hier ist der Effekt eher länderbezogen: „Firmen in den USA verlieren, Firmen in China noch deutlich mehr. Und Drittländer, in die die Produktion à la longue ausgelagert wird, um die Zollschranken zu umgehen, profitieren“, so der RBI-Experte. Für den US-Markt wären das insbesondere Mexiko, zumal das betreffende Handelsabkommen erneuert wurde, und asiatische Schwellenländer wie Vietnam.

DWS-Experte Johannes Müller ist überzeugt, dass nur in Ausnahmefällen ein Profit aus der Zollsituation zu schlagen sein wird: „Das sind Unternehmen, die ohnehin einen hohen Teil der Wertschöpfungskette in den USA haben.“ China, so Müller, sei dabei „nur der Staubsauger, der die Vorprodukte in der Region aufsaugt, etwas weiterverarbeitet und dann in die USA weiterschickt“.

Der DWS-Fachmann ortet ­jedoch einen Vorteil für japanische Unter­nehmen: „Und zwar in jenen Branchen, in denen japanische Unternehmen direkt mit Chinesen konkurrieren – weil sie bisher nicht von Zöllen betroffen sind.“ Auch Marc Brütsch, Chief Economist von Swiss Life, sieht den Inselstaat als Profiteur: „Der Handelsstreit USA–China könnte Japan zugutekommen. Solange die US-Handelspolitik auf China konzentriert bleibt, könnten Japans Maschinen- und Chemikalienexporteure von umgeleiteten Handelsströmen profitieren.“ Ob die US-amerikanischen Konsumenten tatsächlich etwas von den Importzöllen spüren werden, ist fraglich: „Die Auswirkung auf die Inflation durch höhere Zölle auf chinesische Güter dürfte bei nicht mehr als 0,2 Prozent liegen. Die Zölle und die hartnäckig hohen Energiepreise stellen jedoch für die Inflation kurzfristig ein Aufwärtsrisiko dar“, meint Brütsch.

Forbes hat neben Japan noch ein weiteres Land identifiziert, das von Handelssanktionen profitieren könnte: Russland. Das Land reibt sich angesichts der Maßnahmen gegen den Iran bereits die Hände. Einerseits ist der Handel zwischen Moskau und Teheran seit Abschluss des Wiener Abkommens in die Knie gegangen, auch wenn er 2017 noch umgerechnet etwa 1,4 Milliarden € betrug. Hier könnte durch die neuen Sanktionen, die vor allem westliche Industrieländer betreffen, ein Revival vor der Tür stehen. Und schließlich ist Russland ein Ölförderland – und schneidet kräftig bei den derzeit hohen Ölpreisen mit. Für die staatlichen Riesen wie Gazprom oder Rosneft ein gefundenes Fressen.

Und schließlich profitieren von den US-Strafzöllen auf Stahl und Aluminium US-Unternehmen wie AK Steel, aber auch ­internationale Unternehmen mit Produktionstöchtern in den USA wie die australische Bluescope Steel. Die japanische Yamato Kogyo könnte sich ein Stück vom Kuchen abschneiden, weil das Unternehmen mit dem großen US-Stahlkonzern Nucor kooperiert. Besonders aber die US-Aluminiumkonzerne Alcoa und Century Aluminum wären Gewinner der Handelszölle – und überraschenderweise auch ein Unternehmen aus Deutschland: Bei der auf den Stahlhandel spezialisierten SDax-Aktie Klöckner (im US-Geschäft stammen 95 Prozent von dort ansässigen Unternehmen) erwarten Experten von Hauck & Aufhäuser Sondergewinne durch Lagerabverkäufe nach gestiegenen Preisen. Auch Wacker Chemie, das in Tennessee eine Produktionsstätte für polykristallines Silizium betreibt, sollte man im Auge behalten. Denn auch in Situ­ationen mit vielen Verlierern lässt sich Geld verdienen.

Text: Reinhard Krémer
Illustration: Valentin Berger

Dieser Artikel ist in unserer Oktober-Ausgabe 2018 „Handel“ erschienen.

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