Luxuriöse Gesundheit

Eduardo Greghi, ist der CEO der Kusnacht Practice in Zürich. Der Chef der „exklusivsten Suchtpraxis der Welt“ setzt bei der Therapie auf neue Technologie und Daten – und verspricht seinen vermögenden Kunden, dass auch mentale Gesundheit eine Frage des richtigen Investments ist.

Zollikon, am nördlichen Ende des Zürichsees. Banker, Oligarchen und Millionenerben resi­dieren hier in schönen Anwesen mit gepflegten Gärten. Die Schweizer „Goldküste“ steht für Geld, Ruhe und Idylle. Auch an diesem Sommertag schimmert der See in endlosen Blautönen, die Berge im Hintergrund. Eduardo Greghi, 40, sitzt in seiner Praxis in der Zollikerstraße und hat das alpine Panorama von seinem Büro aus im Blick. Der Mann ist der Chef der Kusnacht Practice, dem nach eigenen Angaben weltweit führenden und exklusivsten Zentrum zur Behandlung psychischer Leiden. Greghi erzählt, wie es um die Psyche der „UHNWI“, den Ultra-High-Net-Worth-Individuals, bestellt ist. Zu jenen Super­reichen zählen Personen, die über ein Netto­vermögen von mindestens 30 Millionen US-$ verfügen. Diese Menschen sind Greghis Patienten – oder Kunden, wie er sie stets nennt.

Greghi ist ein Mann mit schlanker Figur und aufmerksamen Augen. Er trägt ein graues Jackett und ein weißes Hemd, in seinem Gesicht hat sich viel von einem Jungen gehalten. Nie hatte der Unternehmer mehr zu tun als derzeit. Zwar ist durch die Coronakrise und den Boom am Aktienmarkt das Vermögen der Reichsten dieser Welt weiter gewachsen. Doch viele hat das nicht zwangsläufig glücklicher gemacht. „Egal, wie viel Geld die Menschen, die zu uns kommen, auf dem Konto haben: Sie alle stehen morgens auf und wollen sich von ihrer besten Seite zeigen“, sagt Greghi. Und das falle ihnen in Krisenzeiten genauso schwer wie Normalverdienern; viel­leicht sogar noch schwerer.

Gerade in der Pandemie hätten viele Un­ternehmer und Topmanager immensen Druck aushalten müssen und dadurch Depressionen, Burn-out oder Suchtkrankheiten entwickelt. Allerdings erkannten dadurch auch viele: Ihr wichtigstes Kapital ist nicht das Geld, sondern ihre (mentale) Gesundheit. Mental Health und psychisches Wohlbefinden sind Lifestylethemen. Doch sie sind auch Teil einer global stark wachsenden Wellnessindustrie, die sich zur Boombranche entwickelt hat und künftig viel Kapital anziehen wird. 1,5 Billionen US-$, wie das Beratungsunternehmen McKinsey in einer aktuellen Studie schätzt, ist der Markt schon heute schwer – und er könnte in Zukunft jährlich um bis zu zehn Prozent wachsen. Wie überall werden auch hier moderne Technologien und Daten immer bedeutender. „In der Kusnacht Practice wollen wir Pionierarbeit leisten und Innovationen einsetzen, die erst in einigen Jahren im Mainstream ankommen“, sagt Greghi.

In der Fünf-Sterne-Praxis werden nie mehr als sieben Patienten gleichzeitig betreut. Die Betroffenen leben in abgeschirmten Luxus­villen (auch ihre Familien sind willkommen) und reisen per Limousine direkt vom Flughafen an, wo meist ein Privatjet parkt. Die Kosten für die Therapie belaufen sich auf 97.000 CHF pro Woche. Nicht wenige lassen sich den Aufenthalt hier mehr als eine Million Franken kosten.

Greghis Klienten kommen zur Kusnacht Practice, weil sie abhängig sind: von Drogen, Alkohol, Sex oder Glücksspiel – bei manchen ist es alles zusammen. Auch Burn-out, Esssucht, Schlaflosigkeit oder Angststörungen sind typische Leiden. Jeder Patient hat einen individuellen Therapieplan, einen Leibkoch, eine Haushälterin und einen Case-Manager, der die Fortschritte überwacht und den Patienten während der Behandlung unterstützt. Nach den durch­schnittlich sechs bis acht Wochen Therapie in der Schweiz wird der Betroffene auch in seinem Alltag von Betreuern begleitet. Durch Nachsorge wird die Gefahr eines Rückfalls verringert.

Luxus-Rehab ist ein umkämpfter Markt. Ebenfalls in Zürich betreuen Paracelsus Recovery und die Calda Clinic vermögende Kunden – zu ähnlich hohen Preisen. Andere Suchtkranke, die sich fünfstellige Therapierechnungen leisten können, suchen Hilfe in Kalifornien – in der legendären Betty-Ford-Klinik oder im Promises Malibu, wo vor allem Filmstars und Prominente einchecken.

Was macht Kusnacht anders und besser? „Zu uns kommen Menschen, die den Höhepunkt ihrer Krise schon erlebt haben und erkennen müssen, dass sie ihr Leben nachhaltig verändern sollten“, sagt Greghi. Seine Therapeuten sind hochqualifizierte Psychiater, Biochemiker, Sucht- und Ernährungsexperten oder Physiologen. Sie setzen auf klassische Methoden (Yoga, Akupunktur, Massagen, gesunde Ernährung, Mineralien und Vitamine, Spaziergänge und Workouts) sowie auf innovative Therapieansätze und Technologien. Dazu gehört der „Limbic Chair“, entwickelt vom Schweizer Neurologen Dr. Patrik Künzler. Der Stuhl besteht aus zwei beweglichen Sitzschalen, die eine Erfahrung von Leichtigkeit auslösen und so das limbische System des Gehirns aktivieren. Negative Emotionen wie Angst oder Hass sollen sich damit quasi „aussitzen“ lassen – und durch Glücksgefühle und Kreativität ersetzt werden.

Auch Innovationen wie die „transkranielle Gleichstromstimulation“ kommen in der Kusnacht Practice zum Einsatz (dabei werden zur ­Behandlung von Depressionen oder Alkoholsucht Gehirn­regionen durch einen schwachen Stromimpuls aktiviert), oder „Biohacks“ wie die auch unter Leistungssportlern angesagte Intermittierende Hypoxie-Hyperoxie-Therapie (IHHT). Dabei wird Höhentraining simuliert – der Kör­per lernt, Sauerstoff besser aufzunehmen, der Stoffwechsel wird effektiver und das Energie­level im Körper steigt. Für eine „neue Ära in der psychischen Diagnostik“ steht ein digitales Tool des Schweizer Start-ups Klenico: Psychische Störungen und deren Schweregrad lassen sich durch einen Fragebogen bestimmen und visu­alisieren. Der Algorithmus macht auch Veränderungen und Therapieerfolge sichtbar; Symptom-Maps machen die Behandlung effizienter. In der Schweiz ist das System bereits als medizinisches Produkt zugelassen. Auch Unternehmen, darunter Siemens, nutzen das Tool, um die psychische Gesundheit ihrer Angestellten zu erfassen.

Healthtech wird künftig die gesamte Medizinbranche revolutionieren, glauben Experten wie Greghi. Dank Daten und Technologien wird weniger Zeit für die Diagnose verwendet. Die eigentliche Herausforderung ist die auf den Betroffenen zugeschnittene Behandlung. Es klingt nach Zukunftsmusik: Indikatoren für die mentale Verfassung werden analysiert und etwa per Computer sichtbar gemacht, wie der Kalorienverbrauch nach einem Workout. In der Kusnacht Practice ist das aber keine Zukunfts­musik, hier ist das schon Realität. Doch Daten und Technologie allein machen noch nicht den Unterschied: „Wir wollen unseren Kunden ein Zuhause geben“, sagt Greghi. Es gehe um einen langfristigen „holistischen Ansatz“.

Nicht die Sucht oder die depressive Phase sollen kurzfristig abgestellt werden. Es geht darum, dem Leben eine neue Richtung zu geben, es gesünder und glücklicher und damit produk­tiver zu machen – indem grundlegende Sucht­faktoren behandelt werden, darunter vor allem die Ernährung und der Lebensstil.

Die Praxis verschreibt keine Medikamente, nutzt aber Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamine, Mineralien oder Spurenelemente und lässt den Patienten bei der Fitness schwitzen. Den biochemischen Haushalt des Kranken in Einklang zu bringen und zu optimieren – das ist das Grundrezept. Aber es gibt auch Fälle, wo diese Ansätze nicht wirken, gibt Greghi zu – und wo eine Behand­lung in einer Psychiatrie nicht zu ver­meiden ist.

Die Kusnacht Practice gibt es seit 2007, laut Greghi setzt sie aber eine viel längere Tra­di­tion fort. Schon der berühmte Psychoanalytiker C. G. Jung forschte und praktizierte gleich nebenan, in der Seestraße. In seinem Institut, einer Prachtvilla mit Turm, behandelte der Begründer der analytischen Psychologie auch den alkoholsüchtigen amerikanischen Geschäftsmann und Senator Rowland Hazard – dieser war später bei der Entstehung der Anonymen Alkoholiker (AA) beteiligt. Ähnlich entstand die Kusnacht Practice: Der in der Schweiz ansässige kanadische Manager Lowell Monkhouse holte den drogensüchtigen Sohn einer befreundeten Familie in die Alpenrepublik. Die Begegnung veränderte das Leben des Unternehmers: Er studierte Psycho­logie, wurde Suchttherapeut und gründete das Therapiezentrum. In Zürich begegnete er Greghi, dem heutigen Besitzer.

Die Kusnacht Practice ist auch Kurhotel und Netzwerk. Dieser Ansatz rechtfertigt Greghis hohe Preise. Bezüglich seiner Kunden zeigt er sich verschwiegen; sein Vorgänger erzählte ein­mal der englischen Times, welche Charaktere es in die Praxis verschlägt: Medien kolportierten Besuche von Modedesigner John Galliano und Musiker George Michael – Kusnacht äußerte sich naturgemäß nie zu diesen Spekulationen. Viele Kunden halten über Jahre Kontakt zur Praxis, zu Greghi und zu ihrem persönlichen Case-Manager. Manchmal werden die Bindungen fast zu eng: Das macht Verträge nötig, die festlegen, dass Patienten keine Mitarbeiter abwerben dürfen, und dass umgekehrt das Personal nicht bei Patienten anheuern darf.

Wie viele seiner Kunden kann auch Greghi eine beeindruckende Aufsteigergeschichte er­zählen. Er wuchs in der Nähe von São Paulo
in bescheidenen Verhältnissen auf. Seine Familie arbeitete zunächst auf einer brasilianischen Farm, sein Vater hütete als Gaucho Rinder, Greghis Zukunft schien vorbestimmt. Einen großen Teil seiner Kindheit und Jugend verbrachte er im Sattel, eine Hochschulausbildung schien für den Jungen vom Land unerreichbar. So hat Greghi auch keine klassische medizinische Ausbildung. Doch er hat ein Team von führenden Spezialisten um sich versammelt. „Ich hatte immer Organi­sationstalent und Unternehmergeist“, sagt er. Als Teenager verkaufte er am Straßenrand Gemüse, um sich ein Fahrrad leisten zu können. In London, wo er Englisch lernen und sein Glück in Europa versuchen wollte, jobbte er zunächst für einen Pizzalieferdienst; schnell wurde er Manager des gesamten Betriebs. Die Liebe zu einer Frau führte ihn schließlich in die Schweiz, wo er ein erfolgreiches Unternehmen in der Gastronomie aufbaute.

Greghi, der auch die italienische Staats­bürgerschaft besitzt, sagt: „Wir sind ein klassischer Familienbetrieb.“ Inzwischen hat er seine Eltern und Geschwister in die Schweiz geholt, sie übernehmen in der Klinik Hausmeister­dienste oder feuern den Grill an, wenn sich die Mitarbeiter einen Barbecue-Abend wünschen. Greghi blickt aus seinem Fenster auf den See und die Alpengipfel. Die Berge, das Wasser, die Wälder – alles leuchtet an diesem Nachmittag in Pastellfarben – ein gewaltiger Kontrast zu einer Farm im ländlichen Brasilien. Heute besitzt Greghi sieben Pferde; das Reiten ist nicht mehr Arbeit, sondern Hobby.

Der Umgang mit den Tieren, sagt der CEO, habe ihn eine wichtige Lektion gelehrt: Nur durch Empathie und Vertrauen lassen sich Pferde führen – und mit Menschen verhält es sich im Prinzip genauso. Aber nicht nur deshalb hat sich bezahlt gemacht, dass Greghi in seiner Jugend viele Stunden im Sattel saß: Im Poloklub an der Goldküste des Zürichsees gehört er zu den Besten.

Text: Reinhard Keck
Fotos: Johann Sauty

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 9–21 zum Thema „Handel“.

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