Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen Sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.
Die psychische Gesundheit von Männern können wir aus zwei Blickwinkeln betrachten. Da wäre einerseits der statistische Blick, also wie die Verteilung von psychischen Erkrankungen bei den Geschlechtern aussieht. Hier sind recht schnell Problemzonen zu erkennen, etwa in der höheren Suchtrate, vermehrtem Alkoholkonsum, größerem Suizidrisiko oder auch verstärkten Burnout-Gefahren. Woran das liegt, lässt sich mit der zweiten Sicht erhellen, nämlich der Frage danach, welche Auswirkungen gängige Vorstellungen von Mann-Sein auf die Psyche der Männer haben: In unserer Gesellschaft sind nach wie vor Erzählungen und Normen wirksam, die eine erfolgreiche psychische Selbstfürsorge für Männer erschweren. Härte, Unerschrockenheit, Mut zum Risiko und Freude an der Gefahr werden überbetont und lassen die psychischen Belastungen, die das mit sich bringt, unbeachtet.
Inwiefern gilt dies nun auch für Unternehmer oder Führungskräfte? Und wie kann Selbstfürsorge in einer Zeit aussehen, die ökonomisch gerade viele Herausforderungen bereithält? Beginnen wir mit den Ressourcen, die in den Männerbildern liegen. Ich erlebe es immer wieder als persönliche Stärke, wenn Männer (und Frauen natürlich auch) in belastenden Situationen einen kühlen Kopf bewahren, breite Schultern haben und große Verantwortung tapfer und geduldig tragen. Daraus lassen sich in der Tat Selbstwert, Stolz und Kraft schöpfen. Diese psychische Resilienz, also Widerstandskraft, kommt aber nur dort zur vollen Entfaltung, wo auch das andere Standbein der psychischen Gesundheit gut gefestigt ist. Dieses liegt in einem verständnisvollen Blick auf sich und andere, auf dem Mut, die eigenen Grenzen realistisch zu erkennen, dem Aussteigen aus schädlichen Männerritualen – vor allem Alkohol zur kurzfristigen psychischen Kompensation und Belohnung – und einem liebevollen Bezug zu anderen Menschen. Ich halte dabei übrigens eine gleichberechtigte Gesellschaft, in der sich nicht nur Frauen, sondern auch Männer von überkommenen Geschlechterrollenbildern emanzipieren, als wesentlich dafür, dass dies gut gelingen kann.
Aktuell ist gerade viel von der männlichen Einsamkeit – einer „male loneliness epidemic“ – die Rede. Ob das ein tatsächlich haltbarer Befund ist, ist aktuell umstritten. Unzweifelhaft ist aber, dass Personen, die in einem hohen Leistungs- und Verantwortungsbereich agieren, auch ein erhöhtes Risiko haben, sozial isoliert zu leben und kaum Zeit für Freundschaften, Beziehungen oder Familie zu haben. Materielle Konsumgüter und Statussymbole schaffen vielleicht kurzfristig einen gewissen Ausgleich, sind aber kein echter Ersatz für liebevolle Begegnungen mit anderen Menschen. Eine Untersuchung von Equimundo erhob für Männer in den USA, dass für viele die Online-Welten mittlerweile befriedigender sind als das reale Leben. Das zeigt, wie wichtig es ist, sich selbst gut zu „führen“ – und das unsichtbare (aber dennoch sehr reale) Organ der Psyche mit allen Nährstoffen zu versorgen, die es braucht: Freude an Leistung ebenso wie Loslassen, Schutz, Raum für Verletzlichkeit und Geborgenheit. Und es braucht gesellschaftlich Männer, die sich aktiv für einen Abschied von psychisch schädigenden Männerbildern einsetzen.
Romeo Bissuti
Klinischer Psychologe und Psychotherapeut
Männerberatung Wien