Manhattans Metzger­sohn

Schaller & Weber ist das letzte deutsche Familienunternehmen, das im German Quarter auf der New Yorker Upper East Side überlebt hat. Auf dem Weg in die Moderne hat die Metzgerei viele Krisen gemeistert.

Früher war Schaller & Weber auf Manhattans Upper East Side als deutsches Geschäft in guter Gesellschaft, heute ist die kleine Metzgerei das letzte deutsche Business, das im German Quarter auf der 86. Straße – auch „Sauerkraut Boulevard“ genannt – übrig geblieben ist. Damals erstreckte sich das deutsche Viertel von der Second Avenue bis ans Ostende der Insel, bis zum East River.

An den Türen von Schaller & Weber ste­hen in goldenen Lettern die deutschen Wörter „Willkommen“ und „Auf Wiedersehen“. Drinnen säumt eine gläserne Theke den kleinen Shop, in der Auslage frische Fleischwaren, Würste und Aufschnitt, aber auch warme Speisen wie Kohlrouladen. Auf Kopfhöhe hängt Geräuchertes neben dekorativen Tannenzweigen, hinter der Theke ein halbes Dutzend Mitarbeitende, uni­formiert mit dem klassischen weißen Metzgerhut. Was Schaller & Weber ausmacht, ist, dass es ein Familienunternehmen ist: Über der Kasse hängen Bilder der Familie aus den vergangenen acht Jahrzehnten; ein Schwarz-Weiß-Bild von Gründer Ferdinand als junger Auszubildender in Stuttgart in schneeweißer Fleischerkluft, sein Sohn Frank hinter der Theke, dessen Sohn Jeremy und die Mutter auf der Straße vor dem Geschäft. Und schließlich auch ein Bild der jüngsten Schaller-Generation: Jeremys Sohn Wolfgang.

Jeremy und Frank Schaller, Junior und Senior, betreten das Geschäft, ohne große Aufmerksamkeit zu erregen; ein typisches Familienunternehmen. Wie lange er in der Stadt sei, fragt ein Angestellter den älteren Schaller – „nur ein paar Tage, dann geht es zurück an die Westküste“.

Jeremy und Frank Schaller sind die dritte und zweite Generation der Familie, die den Metzgereibetrieb an der 86. Straße errichtet hat. Das ganze Haus an der Second Avenue gehört der Familie – einfach zu erkennen am grünen Anstrich und der alpinen Blume, die auf die Hausfassade aufgemalt ist. Frank hat die Geschäfte vor einigen Jahren an seinen Sohn Jeremy übergeben und sich in Kalifornien zur Ruhe gesetzt. Neben dem Metzgereigeschäft gibt es die „Stube“, eine kleine Würstchenbude für Bratwurst und Hotdogs im Vorbeigehen, und die neueste Erweiterung: die Bar „Jeremy’s“.

Unsere Hauptprodukte und Bestseller, das sind klassische deutsche Produkte wie die Bratwurst oder der Schwarzwälder Schinken – dafür sind wir bekannt.

Jeremy Schaller

Jeremy’s ist klein, das Licht stimmungsvoll. Gut 30 Gäste können hier Platz nehmen. Das Ambiente ist hochwertig: Theke und Tische aus hellem Marmor, die Wände holzvertäfelt. Cocktails kosten um die 20 US-$. Dazu gibt es Austern, Shrimp-Cocktails und eine gemischte Platte mit Wurstwaren aus der Metzgerei neben­an. Jeremy’s ist das Herzensprojekt von Jeremy Schaller. Er und sein Vater Frank nehmen an einem der kleinen ovalen Bartische Platz. Die Polsterbank, dunkelblauer Samt, säumt sich um die kleinen Tische.

Im Gespräch blicken Vater und Sohn auf fast ein ganzes Jahrhundert zurück. Sie beschreiben ihr Business als „bewegliches Ziel“. Schaller & Weber musste viele Krisen meistern; neben der Pandemie auch das kontinuierliche Aussterben des German Quarter. Allem voran steht immer auch die Frage, wie man das Geschäft aufstellt: Setzt man auf Expansion oder Tradition – oder beides? Die Schnittstelle zwischen New York und Deutschland wirft für Schaller & Weber auch Identitätsfragen auf. Ist die Metzgerei nun ein deutsches Geschäft in New York oder ein New Yorker Geschäft mit deutschen Wurzeln? Eine Frage, die die Gründerfamilie umtreibt. Jeremy Schaller versucht dabei, eine gesunde Mischung auszutarieren: „Unsere Hauptprodukte und Bestseller, das sind klassische deutsche Produkte wie die Bratwurst oder der Schwarzwälder Schin­ken – dafür sind wir bekannt.“ Neue Ent­wicklungen orientieren sich aber auch an der New Yorker Deli-Kultur: Pastrami und Corned Beef sind neuere Produkte im Regal.

Hinzu kommt auch die tiefe Verwurzelung von Schaller & Weber in seiner Heimatstadt: „Wir sind seit 85 Jahren in New York City. Des­wegen verstehen wir die Deli-Kultur hier auch, und was es heißt, selbst ein New Yorker Deli zu sein.“ „Tricky“ nennt Jeremy die Relation von deutschen Traditionen und der großen Stadt. Während Frank Schaller noch gutes Deutsch spricht, reicht es für Jeremy für Small Talk mit ein paar Gästen, sagt er. „Ich habe meine Wochenenden früher meist auf dem Baseballplatz verbracht“, verteidigt er sich schmunzelnd.

Auch ein Cateringservice gehört zum Ge­schäft – mit prominenten Kunden aus Deutschland, zum Beispiel dem Generalkonsulat, das manchmal deutsche Journalisten in die Residenz des Konsuls einlädt. Gereicht werden deutscher Wein, Bitburger und Würstchen und Kartoffel­salat. „Die (das Generalkonsulat, Anm.) sind gute Kunden“, bestätigt Jeremy.

Die Produkte, das sind in erster Linie deutsche Wurstwaren; Bratwurst, Knackwurst, Leberwurst. Aber auch einige amerikanische Editionen sind dazugekommen: Wurst mit Cheddarkäse und Rührei zum Frühstück – eine behutsame Union aus Deutschland und New York wieder, die Schaller & Weber ausmacht.

Der erste Schaller, Ferdinand, gelernter Metzger aus Stuttgart, eröffnete das Geschäft im Jahr 1937 mit seinem Geschäftspartner Tony Weber. Fast 100 Jahre später laufen die Geschäfte immer noch gut, bestätigt Jeremy. Neben der Gastronomie und dem Geschäft auf der 86. Straße vertreibt Schaller & Weber seine Produkte auch in vielen Supermärkten im ganzen Land. Kürzlich sei Lebensmittelriese Kroger dazu­gekommen, erzählt Frank; sieben Schaller-&-­Weber-Produkte sind nun in mehr als 1.000 Shops im ganzen Land zu kaufen. „Massive!“, sagt er, mit typisch amerikanischem Akzent.

Bis in die 1960er-Jahre produzierte Schaller noch in den Hinterzimmern des Geschäfts. Dann zog die Fleischerei in die Außenbezirke, die Ge­schäftsfläche auf der Second Avenue verdoppelte sich. Neben den klassischen Fleischprodukten zogen mit der Übernahme durch Jeremy auch andere Waren ein: deutsche Biersorten, deutscher Wein, abgepackte Wurst und Käse, Manner-­Waffeln, Milka-Kekse, Maggi-fix-Tüten, Gewürz­gurken, Eingemachtes und Gourmet-Senfsorten.

Seine Hauptzielgruppe beschreibt Jeremy als Leute, die sich als „Foodie“ sehen: „Deutsche Immigranten oder Leute mit einem deutschen Hintergrund – oder Leute, bei denen Essen eine persönliche Rolle spielt.“ Und dann sind da natürlich auch die New Yorker: „Jeder, der innerhalb von zehn Blocks vom Geschäft entfernt wohnt, hat hier schon mal eingekauft oder kennt den Shop.“ , so Jeremy.

Die Sinnsuche führte für Schaller & Weber zeitweise auch auf den Weg der Expansion, zunächst nur in New York selbst, später wurde auch ein Foodtruck in Austin, Texas, betrieben. Alle Außenposten mussten im Laufe der Coronapandemie jedoch schließen. Die Gründe, warum es mit der Expansion nicht geklappt hat, seien jedoch vielseitig, sagt Jeremy. Teil davon war auch die Erkenntnis, so Jeremy, „dass wir eine kleine Firma sind, die nur eine bestimmte Band­breite hat. Und vielleicht wurde unsere Expan­sion zu schwierig und zu stressig, weil wir sehr schnell sehr weit expandiert haben und gleichzeitig keine Kompromisse bei der Qualität der Produkte machen wollten.“ Im Ergebnis stand das Learning, sich lieber weiter auf den Shop zu konzentrieren. „Die Büros sind direkt im Stockwerk darüber und wir haben gelernt, dass wir das Geschäft besser führen können, wenn wir alles in Reichweite haben.“, erklärt Jeremy.

Und dann war da noch die Pandemie. Was viele Geschäfte in ernste Existenznöte brachte, stellte sich für Schaller & Weber als eine der lukrativsten Zeiten heraus. „Das Geschäft wurde als für den täglichen Bedarf notwendig eingestuft, deswegen durften wir geöffnet bleiben und hatten eines unserer besten Jahre überhaupt“, schildert Jeremy.

Denn in der Pandemie widmeten sich viele New Yorker einer in der Stadt sehr exotischen Aktivität: dem Kochen in den eigenen vier Wänden. Schaller & Weber verkaufte dafür die Roh­stoffe, im Shop, aber auch über Lieferdienste, die das gesamte Gebiet rund um New York ver­sorgten. „Sie lieferten nach Brooklyn, Queens, Jersey City – in so viele Gebiete, die wir vor der Pandemie nicht erreicht haben.“

„Der Shop ist wundervoll“, sagt Jeremy, auch, wenn er seit der Pandemie seine Aufs und Abs erlebt habe. Aber das eigentliche Zugpferd des Geschäfts sei der Großhandel. Dort sieht Jeremy auch das meiste Potenzial für die Zukunft. Seit er die Geschäfte übernommen hat, hat er auch großes Augenmerk auf Nachhaltigkeitsfaktoren gelegt – entgegen anderslautender Ratschläge. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern war Jeremy nicht von Anfang an im Wurst­business, sondern begann seine Karriere in der Modeindustrie; eine gute Schule, wie er heute findet: „Weil ich ursprünglich aus einer anderen Welt kam, hatte ich vielleicht auch einen anderen Blick für Trends. Zulieferer und Kunden, ei­gent­lich alle, haben gesagt, dieser Natürlichkeitstrend beim Essen sei Bullshit: ‚Zu teuer – wird sich nicht durchsetzen!‘“ Jeremy hat trotzdem darauf gesetzt, während auch der Einzelhandel stetig strengere Nachhaltigkeitskriterien forderte. Damit stellte sich auch die Produktion stück­weise um, was es Schaller & Weber wie­derum erlaubte, zu realistischen Preisen nach­haltiger
zu produzieren.

Im Fall des Wurst­business geht es für Jeremy Schaller bei der Nachhaltigkeit vor allem um Fragen nach Nitraten und Konservierungsstoffen. Die in­tensive Auseinandersetzung mit diesem Thema scheint sich gelohnt zu haben: Schaller-&-Weber-Produkte sollen im Lauf des Jahres auch in der Supermarktkette Whole Foods in den Verkauf gehen. Der Bio-Supermarkt (Mutterkonzern ist Amazon) setzt noch immer mit die höchsten Standards für Lebensmittel, wenn es um Natürlichkeit und Nachhaltigkeit geht. „Whole-Foods-Certified“ ist demnach ein Gütesiegel, was auch Schaller & Weber sichtlich mit Stolz erfüllt.

Auch sonst mangelt es den Produkten des Betriebs aus dem German Quarter nicht an Güte­siegeln: Viele Wurstwaren sind mit pres­tigeträchtigen Medaillen aus Europa dekoriert; die Würste gehören zu den besten Gourmet­produkten der USA. Sie sollen Europäern schmecken, aber eben auch Ameri­kanern.

Jeremys Hoffnung war es, den Altersdurchschnitt im Geschäft nebenan durch die neue Bar zu senken – und eine neue Generation an Kunden zu gewinnen. Denn Jeremy’s bringt einen Old-New-York-Vibe zurück an die Upper East Side und demonstriert damit auch, was den Erfolg von Schaller & Weber ausmacht: die Fusion aus dem Neuen und dem Alten als erfolgreiches Geschäfts­modell.

Angelehnt an alte Bars aus Wien macht die neue Cocktailbar einen sehr hochwertigen Eindruck; durchgestylt, aber nicht zu modern. Serviert werden klassische Drinks, am Wochenende spielt eine Jazzband. Jeremy läuft die Wände der Bar ab und erzählt etwas zu den Kunstwerken, die er ausgewählt hat. Oftmals sind es Kunstdrucke von deutschen Motiven, künst­lerisch verfremdet.

In der kleinen Bar zeigt sich die DNA von Schaller & Weber: Ein Familienunternehmen zwischen deutscher Tradition und der Upper East Side – wo es den „Sauerkraut Boulevard“ schon lange nicht mehr gibt. Neben der Kunst finden auch Produktinnovationen meist aus Deutschland den Weg in das Geschäft: Mindestens zweimal im Jahr versucht Jeremy, zurück nach Deutschland zu reisen, „um Innovationen und Trends aufzuspüren“, als Erweiterung der klassischen Schaller-&-Weber-Produkte. Für die richtige Mischung stiftet die „80:20-Regel im Business“ Orientierung: So seien die traditio­nellen Produkte wichtig für die Marke, aber nicht zwangsläufig für den Umsatz.

„Business ist ein bewegliches Ziel“, wiederholt Frank Schaller. Um Tradition zu bewahren, brauche es eben immer auch etwas, „das wächst“.

Schaller & Weber verkaufen seit 1937 deutsche Wurstwaren auf der Upper East Side in Manhattan. Neben dem Geschäft auf der Second Avenue, Höhe 86. Straße, führt das Familienunternehmen auch eine Snack-Bude, eine Bar, einen Catering-Service und vertreiben ihre Produkte in Supermärkten im ganzen Land. Jeremy Schaller führt das Unternehmen in der dritten Generation.

Text: Sarah Sendner
Fotos: Jamel Toppin

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