MAX UND DIE MONETEN

Dem Österreicher Max Luger kam vor Jahren eine Idee: in einem Container Geld zu verschenken. Sein Motto lautet „Fair Share“ – die, die Geld übrig haben, verschenken es über ihn als Mittelsmann an jene, die davon zu wenig haben. Noch bis 2024 stellt die Stadt Salzburg dafür ein kostenloses Grundstück bereit. Und was geschieht dann?

Gerne hätten wir uns mit dem Wohl­täter Max Luger auf dem Salzburger Mirabellplatz in seinen Container gesetzt und gewartet, was passiert. Das ist in Zeiten von coronabedingten Lockdowns leider nicht möglich – es dürfen keine Menschen in den Container kommen. Wir sprechen trotzdem mit Luger: Uns interessiert, welche ­Menschen in seinen Container kommen, wenn kein Lockdown herrscht, und welche Sorgen diese Leute um den Schlaf bringen – aber natürlich auch der Blick auf den generösen Geldgeber. Weshalb verschenkt Luger Geld – freiwillig und un­bezahlt?

Oft seien es die „hohen Stromrechnungen“, die Menschen dazu bringen, scheu auf dem Stuhl vor ihm Platz zu nehmen, erzählt Luger. Dabei gibt es eine Hierarchie: Zuerst seien „Alleinerziehende“ an der Reihe, dann „Ältere und Kranke“ und „zuletzt Alleinstehende“. Mon­tags hebt der Rentner 2.000 € ab, die er dann bis Donnerstag verteilt. Bleibt etwas übrig, landet das Geld am Ende der Arbeitswoche wieder auf dem Konto. Interessierte können stets einsehen, was mit dem Geld passiert. Eingenommen hat ­Luger bis Mitte April 2021 exakt 433.618,23 €; an die, die bedürftig sind, reichte er 367.210,00 € weiter – ergibt einen aktuell stattlichen Saldo von 66.408,23 €. So rosig stand es um das Sozialprojekt, das der Mann seit den 70er-Jahren alleine betreibt, nicht immer: „Ich kann mich erinnern“, erzählt Luger, „dass ich einmal einen Zettel an die Tür hängte, auf dem stand: ‚Wegen Spendenflaute geschlossen.‘ Obwohl an jenem Tag zehn Leute vor meiner Tür standen, konnte ich nur einmal 100 € her­geben. Die anderen musste ich wegschicken.“ Heute sagt er über den Spendenstand: „So viel hatte ich noch nie.“ Das liegt auch daran, dass Lugers Containerpforte im Coronalockdown geschlossen bleibt. Er hofft, Mitte Mai wieder an den Start gehen zu können.

Auf dem Aufsteller, den er sonst immer aufs Trottoir stellt, steht: „Haben Sie mehr, als Sie brauchen? Wollen Sie helfen? Oder brauchen Sie Hilfe? Kommen Sie herein und erfahren Sie mehr.“ Und auf dem Container finden sich die Worte „FAIR SHAR€“ in großen Versalien. Verhängt ist der Ort des Nehmens und Gebens bis auf die Tür mit einer Art weißer Lkw-­Plane, auf der „Fairteilen“ steht. Zu sehen ist ein Foto, auf dem eine Hand einer zweiten – sichtbar älteren – Hand ein Stück Brot reicht.

Laut Luger ist seine Arbeit weltweit einzigartig. Nur: Wie treten ihm die Menschen gegenüber? „Sie klopfen und treten ein. Dann füllen sie mein Stammdatenblatt aus: Wie groß ihre Wohnung ist, wie hoch die gezahlte Miete … die liegt übrigens im Schnitt bei 500 €. 900 € bekommt man als Sozialhilfe im Monat, 350 € bleiben dann nach Abzug des Stroms übrig. Dann gebe ich ihnen Geld. Der Strom ist oft ein Thema“, so Luger. Wenn zu ihm jedoch Menschen kommen, die beispielsweise einen Mietrückstand haben, gibt er kein Geld: Es gebe strenge Richtlinien, die eingehalten werden müssen – „sonst wäre das Konto sofort leer“. Seine Gäste treten ihm beschämt gegenüber. Luger: „Denen geht es schlecht. Ich bin ihr letzter Ausweg. Ich bin auch eine Stütze, weil ich zuhöre und helfe.“ Trotz Richtlinien verlässt sich Luger auch auf seine Intuition: „Mir hilft auch mein Bauchgefühl.“ Denn es gebe auch Schlitzohren.

„Ich möchte, dass die Reichen am Rande (der Gesellschaft, Anm.) sind und die Armen in der Mitte“, sagt Max Luger.

Es scheint, als hätte Lugers Werdegang ihn auf die heutige Aufgabe vorbereitet. Von 1966 bis 1977 arbeitete er bei einer Bank. Dann langweilt ihn die Arbeit jedoch, er geht für vier Jahre ins Kloster. Sein Studium der Fachtheologie und der Selbstständigen Religions­pädagogik beendet er 1984. Bei seiner späteren Arbeit als Pastoralassistent für soziale Notfälle sieht er viele arme Menschen. Als Antwort darauf gründet der 1949 Geborene das Projekt „ArMUT“. Er erinnert sich: „Wir haben den Menschen einmal im Jahr Geld gegeben.“

Ende November hängte er Plakate auf, um die Menschen darauf hinzuweisen, dass sie sich Geld abholen können, wenn sie in Not sind. So wird das über die Monate gespendete Geld verteilt. 2004 kommen nur sieben Bittsteller, Jahre später sind Summe und Anzahl der Menschen um den Faktor zehn gewachsen. Als Luger 2010 in Pension geht, will er die Idee in den öffentlichen Raum holen. Mit seinem Konzept marschiert er zu Salzburgs Bürgermeister und erklärt seinen Plan. Der kann sich darunter zwar nichts vorstellen, stimmt aber dennoch zu. Den prominenten Mirabellplatz mitten im Herzen der Metropole weist ihm ein Stadtrat zu. Der zentrale Standort ist für Luger auch eine Botschaft. „Ich hasse es, wenn man ‚die Menschen am Rande der Gesellschaft‘ sagt und dann von den Armen spricht. Ich möchte, dass die Reichen am Rande sind und die Armen in der Mitte, sodass man sieht: Die Reichen nehmen die Armen und tragen sie mit.“

Jene Armut, die der Einzelkämpfer im Kleinen sehr beharrlich bekämpft, zeigt auch Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen. Das deutsche Robert-Koch-Institut ermittelte 2019, dass 13 % der Frauen und 27 % der Männer in der niedrigsten Einkommensgruppe bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahrs sterben. Müsste es also nicht viel mehr Menschen wie Max Luger geben? Ein Mal taucht so etwas wie ein Kompagnon im Geiste auf: 2014 gibt der schwerreiche US-Immobi­lieninvestor Jason Buzi per Twitter Hinweise auf seine Aktion „Hidden Cash“ – dahinter verbergen sich Umschläge mit bis zu 200 US-$ Bargeld. Dutzende von Menschen gehen auf die Suche. Die spontane Aktion des US-Amerikaners ist mit dem jahrzehntelangen Streben Lugers aber nicht vergleichbar.

Max Luger
... arbeitete zehn Jahre lang bei einer Bank, bevor er 1977 in ein Kloster ging. Er studierte Fachtheologie und Selbstständige Religionspädagogik und arbeitete später als Pastoralassistent. Seit 2010 betreibt er sein Sozialprojekt „Fair Shar€“ in Salzburg, das Geld an Bedürftige verteilt.

Dem Salzburger geht die Arbeit dabei durchaus an die Sub­stanz: „Am Donnerstag bin ich im­mer total erschöpft, weil mein Tun sehr anstrengend ist.“ Doch er habe das Glück, bald zu seiner Lebens­gefährtin an den Traunsee zu fahren. „Dort schaue ich auf den See, steige auf die Berge und bin vollkommen erholt, wenn ich am Montag wieder im Container bin.“

Ähnliche Gedanken beschäf­tigen übrigens auch Zentralbanker und Politiker: Beim sogenannten „Helikoptergeld“ springt der Staat in die Bresche – und schüttet an jeden Bürger die Summe X aus, die dieser dann zur freien Verfügung hat. Mit dieser Idee soll der Konsum angeheizt werden. Die Idee ist ein halbes Jahrhundert alt und geht auf den Ökonomen Milton Friedman zurück. Der Unterschied zum – oft gefor­derten – bedingungslosen Grund­einkommen: Das Helikoptergeld soll punktuell vergeben werden und so die Konjunktur ankurbeln.

Nicht alle freuen sich über Lugers Arbeit. Dem Architekten­komitee, das sehr auf das Stadtbild achtet, ist der Container ein Dorn im Auge. Nun soll Efeu das Minibauwerk überwuchern, die Pflanzen wachsen bereits. Eigentlich wollte Luger das Sozialexperiment sowieso schon beenden – jetzt macht er bis zum Sommer 2024 weiter. Dann sei für ihn Schluss, denn in jenem Jahr endet auch die offizielle Bewilligung für den Container.

Die Nachfolgeregelung könnte er aber noch vor seinem Abschied klären: Unlängst meldete sich eine Frau bei ihm, die „Fair Shar€“ wei­terführen möchte. Der Salz­burger Gönner wäre darüber sehr glücklich. Ob es wirklich klappt, steht in den Sternen, denn: „Bei mir hat sich schon einmal jemand gemeldet“ – nach zwei Tagen sagte der Mann jedoch ab. Begründung: Er wusste nicht, wie er Menschen abweisen soll, wenn er nichts geben kann. Luger: „Das ist das Schwierige – und daran ist er gescheitert.“

Text: Matthias Lauerer
Fotos: beigestellt

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 4–21 zum Thema „Geld“.

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