MICROSOFTS ZWEITER FRÜHLING

Vor ein paar Jahren wurde Microsoft abgeschrieben. Doch nun geht es wieder bergauf. CEO Satya Nadellas Geheimrezept: ein Reset der Unternehmenskultur, der dem Softwareriesen neue Türen öffnete.

Zwei Jahre nach seinem Amtsantritt bei Microsoft, benötigte CEO Satya Nadella Ratschläge von ­einem neuen Mitarbeiter. Es handelte sich um den Mitbegründer eines App-Tool-Herstellers, den Microsoft gekauft hatte. Nadella stand kurz ­davor, die Übernahme von ­Linkedin im Wert von 27 Milliarden US-$ ­abzuschließen, doch zuerst ­wollte er über ein anderes Unternehmen sprechen: Github.

„Können wir es kaufen?“, ­fragte Nadella. „Haben wir das ­Vertrauen?“ Damals lautete die Antwort: Nein. Github ist der „­virtuelle Treffpunkt“ für Softwareentwickler, ein Ort, an dem Millionen von Programmierern miteinander sprechen und Programmiercodes austauschen. Microsoft hatte sich in den 90er-Jahren den zweifelhaften Ruf eines Softwareriesen auf Kriegsfuß erworben, Github war das genaue Gegenteil. Doch nachdem ­Githubs Führung Nadella zwei ­Jahre lang beobachtet hatte, sorgte Github für eine Überraschung: Man entschied sich im vergangenen Juni doch für Microsoft als Käufer – und nicht Google. Es war Nadellas jüngster Coup auf dem Weg, Microsoft zu seinen Anfängen zurückzuführen. „Bill hat mir beigebracht, dass es für jeden Dollar, den wir verdienen, fünf bis zehn weitere zu verdienen gibt“, erzählte Nadella Forbes in seinem ersten Interview seit dem Abschluss des 7,5-Milliarden-US-$-Deals. Nadellas Mission: Microsoft Stück für Stück neu aufzubauen. „Ich möchte, dass wir unsere Ursprünge wiederentdecken“, sagt er.

Porträtfoto: Satya Nadella, CEO, Microsoft, Interview

Überall sind Anzeichen von Nadellas Fortschritt zu finden. Von einem Microsoft-­Sprachassistenten, der sich in Amazons Alexa integrieren lässt, hin zu einer Vertiefung der Kooperation mit Samsung. Und, was am wichtigsten ist: Der Fortschritt zeigt sich in der Bilanz. Microsofts Umsatz betrug zuletzt 110 Milliarden US-$ – und wächst im zweistelligen Prozentbereich, nachdem er im letzten Jahrzehnt zumeist gefallen war. Zu einem ­großen Teil geht das Wachstum auf die ­margenstarke Cloud-Suite zurück, die das Unternehmen als Konkurrenz zu Amazon aufgebaut hat. Der ­Nettogewinn liegt bei 16,6 Milliarden US-$, ein zunehmender Anteil davon ist auf den Cloudservice Azure zurückzuführen, der jährlich um 91 Prozent wächst. Microsoft beendete den ­November als wertvollstes Unternehmen der Welt und übertraf ­somit Apple und Amazon. Der Konsens unter den Analysten ist, dass der Riese irgendwann im nächsten Jahr eine Marktkapitalisierung von einer Billion US-$ erreichen soll. Ein Großteil des Lobes gebührt Nadella, der fast sein ganzes berufliches Leben bei Microsoft verbrachte und 2014 das Ruder von Steve Ballmer übernahm. Gleich nach seinem Amtsantritt fing er an, Wände niederzureißen. Der ehemalige Software-Engineer sagt, dass er das Unternehmen auf ein einfaches Konzept ausgerichtet hat: „Ausgewogenes Wachstum.“

„Die Leute sagen endlich, es geht nicht nur um den Gewinn, sondern fragen: Wie geht es der Welt um uns herum?“, sagt Nadella. „Ich habe das Gefühl, dass wir da am ­besten sind.“

Ein paar Wochen nach seinem Amtsantritt als CEO ­brachte Microsoft Azure Cloud Service auf den Markt, um Entwicklern die ­Erstellung von iOS-Apps zu erleichtern. Im Jahr darauf nutzte ­Nadella ein iPhone auf der Bühne bei ­einem Event – undenkbar für ein Unternehmen, das 2010 mit dem Win­dows-Phone einen Flop auf den Markt gebracht und 2014 mehr als sieben Milliarden US-$ ­verbraten hatte, um die ­Mobilfunksparte von Nokia zu kaufen. Als Nadella CEO wurde, schrieb er den gesamten Deal als Verlust ab. Hinter den ­Kulissen begann er, an Microsofts Kultur von inneren Machtkämpfen und Konkurrenzdenken zu arbeiten.

Aufgrund des rückwärts orientierten Fokus auf Windows – ­lange Zeit die Geldmaschine des Unternehmens – war Microsoft vom Cloud-Boom und dem Modell von Abosoftware überrascht worden. Nadella, der 1988 aus Indien nach ­Amerika emigriert war, war aber ein ­Insider, der das aufkommende Cloud-­Geschäft des Unternehmens ­leitete, bevor er CEO wurde. Er ­installierte schnell neue Führungskräfte und riss die Barrieren zwischen Micro­soft und dem Open-Source-Rivalen Linux, das von seinem Vorgänger Steve Ballmer als „Krebs“ bezeichnet worden war, ein. Nadella und Scott Guthrie, der neue Cloud-Boss, holten Linux in das IT-Framework von Azure, wo es inzwischen von der Hälfte aller Computersysteme verwendet wird, die mit Microsofts Cloud arbeiten. „Als wir das erreicht hatten, kam mit diesem Erfolg die Besserwisserei“, sagt Nadella. „Ich sagte: Lassen wir das.“ Um den massiven Vorsprung von Amazon im Cloud­geschäft zu schmälern (Amazon Web Services erzielt pro Jahr fast 27 Milliarden US-$ Umsatz, verglichen mit geschätzten zehn Milliarden US-$ bei Microsoft und drei Milliarden US-$ bei Google), wandte sich Microsoft an seine ­Partner. Vertriebsmitarbeiter werden nun bezahlt, wenn ein Geschäft mit ­einem wichtigen Partner zu mehr Aktivität in der Cloud führt.

Ich möchte, dass wir unsere Ursprünge wiederentdecken.

Unternehmen, die mit Azure arbeiten, kommen leicht an Millionendeals. „Wir alle waren fassungslos, dass das so gut klappt“, sagt Bob Muglia, CEO des Softwareherstellers Snowflake aus San Mateo, der selbst 23 Jahre bei Microsoft verbracht hatte. „Satya hat erkannt, dass wir in einer serviceorientierten Welt leben.“ Starbucks verwendet Microsoft, um seine Bestell-App zu unterstützen. Die ­Kaffeekette schickte ein Dutzend Software-­Engineers zum von Microsoft veranstalteten größten geschlossenen ­Hackathon der Welt – auch eine Idee aus der Nadella-Ära. „Es ist ein anderer Ansatz als bei traditionellen Softwareunternehmen“, sagt Starbucks-CTO Gerri Martin-Flickinger.

Doch es gibt ein paar Fußnoten, die mit diesem Aufschwung verbunden sind. Ein Großteil des Erfolgs von Microsoft ist darauf zurückzuführen, dass bestehende Kunden in seine Cloud-Services und die überarbeitete Office-365-Work-Software-Suite überführt werden konnten. Das lasse aber die Befürchtung aufkommen, dass das ­Unternehmen es sich zu einfach macht, sagt Dan Ives, Analyst bei der Investmentfirma Wedbush in Los ­Angeles. ­Obwohl die Breite des Microsoft-­Portfolios, zu dem auch Spiele, Suchmaschinen und Geräte wie Surface-Tablets gehören, eine Stärke ist, könnte es durch den Erfolg wieder ins Straucheln kommen. „Das ­Risiko besteht darin, dass sie in die alten Muster zurück verfallen“, sagt Raimo Lenschow, Analyst bei Barclays. (Beide sind in Bezug auf die ­Aktie dennoch positiv gestimmt.) Nach der Übernahme von Github und den Übernahmen des Minecraft-Her­stellers (2,5 Milliarden US-$, 2014), des App-Building-Tool-­Anbieters Xamarin (berichtet wurden 400 Millionen US-$, 2016) und von Linkedin muss das Team von Nadella es vermeiden, in schlechte Gewohnheiten zu verfallen. Die Integration all dieser Käufe wird auch für Nadella eine harte Probe. Um die Herausforderungen zu meistern, stützt er sich auf seine Vision von zufriedeneren Mitarbeitern, Kunden und Partnern. „Ein erfolgreiches Produkt ist nur ein Faktor, der Erfolg bringt“, sagt er. Um das zu erreichen, muss Nadella auf neue ­Führungskräfte wie Nat Friedman vertrauen, den Mitbegründer von Xamarin.

Friedman, dessen neuer Job darin besteht, Microsofts Botschaft unter die 31 Millionen Entwickler von Github zu bringen, erklärt es so: „Aktuell geben die Leute Microsoft noch eine Schonfrist.“

Text: Alex Konrad / Forbes US
Foto: Jamel Toppin / Forbes US
Übersetzung: Wolfgang Steinhauer

Dieser Artikel ist in unserer Jänner-Ausgabe 2019 „Growth-Innovation-Forschung“ erschienen.

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