Milch statt Cola:
The new normal

China hat die Krise überstanden – so scheint es zumindest. Es ist eine neue Normalität eingekehrt, doch sie birgt Veränderungen zu dem Leben, das früher war. Ein Gastkommentar von Damian Maib.

Online-Handel wächst, aber nicht alle Kategorien profitieren

Während die deutsche Wirtschaft langsam aus ihrem Lockdown-Schlaf erwacht, ist in China beinahe wieder Normalität eingekehrt. Zumindest eine neue Normalität. Eine, in der Fieberthermometer, Standort-Tracking und Abstand halten den Alltag bestimmen. Die Wirtschaft lässt sich davon wenig beeindrucken. Die Exporte steigen wieder, lediglich die Importe schwächeln. Das sollte europäische Händler hellhörig machen, denn der Markt ist gerade offen und chinesische Kunden dem Onlinehandel zugewandt wie nie zuvor.

Der Onlinehandel hat viele Chinesen durch die Krise gebracht. Von Milchpulver über Toilettenpapier bis Yogamatte – alles wurde online gekauft, und der Trend könnte sich fortsetzen. Trotz Verlusten von bis zu 30 Prozent in Kategorien wie Kleidung, Schmuck und Möbel wuchs der Online-Einzelhandel von Januar auf Februar 2020 um 3 Prozent, laut Angaben des statistischen chinesischen Bundesamtes. Und das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft: Staatlichen Angaben zufolge gibt es in China derzeit 904 Millionen Online-Nutzer, die Internet-Nutzungsrate liegt damit bei nur 64,5 Prozent.

Gesundheitsbewusstsein steigt, damit auch der Milch-Absatz
Beinahe alle Branchen werden vom Wachstum des Online-Handels profitieren können, doch für manche Händler ist genau jetzt der beste Zeitpunkt einzusteigen. Ein gutes Beispiel ist die Fitness- und Gesundheitsbranche, denn das Gesundheitsbewusstsein von Chinesen nahm in der Krise zu. So stiegen die Umsätze von Fitnessgeräten für den Innenraum. Statistiken des chinesischen E-Commerce-Riesen JD.com zufolge ist der Verkauf von Springseilen und Kurzhanteln während des chinesischen Neujahrsfestes gegenüber dem Vorjahr um mehr als 50 Prozent gestiegen ist, während bei Rudergeräten und Yogamatten ein Anstieg von mehr als 100 Prozent verzeichnet wurde. Einerseits als Beschäftigung, andererseits um fit und damit gesund zu bleiben. Auch die Nachfrage nach gesunden Nahrungsmitteln stieg an. Konsumenten begannen mehr darauf zu achten, was sie essen und vor allem wo ihr Essen herkommt. Dieser Trend lässt sich auch aufgrund der vermehrten Beschäftigung mit der Zubereitung von Essen erklären. Gegen Ende des Lockdowns stieg auch die Nachfrage nach Nahrungsergänzungsmitteln.

Einhergehend mit einem erhöhten Gesundheitsbewusstsein stieg auch die Nachfrage nach Milchprodukten. Während in Deutschland der Trend zum (kuh-)milchfreien Lebensstil gefeiert wird und nicht-tierische Milchprodukte an jeder Ecke zu finden sind, genießt Milch in China einen regelrechten Hype. Bereits seit einigen Jahren steigt die Nachfrage in dieser Produktkategorie, denn Milch gilt als Statussymbol und gleichzeitig als gesundheitsfördernd. Besonders Milchpulver aus deutscher Herstellung ist seit Jahren ein stark nachgefragtes Gut. Aufgrund der Krise stieg die Nachfrage weiter an, nicht nur bei Eltern, die Milchpulver für ihre Kinder kaufen. Personen, die vor Beginn der Krise keine Milch getrunken haben, begannen Milch zu trinken, auch stieg die durchschnittliche Menge an Milch, die konsumiert wurde. Ein ungewöhnlicher Trend: Milch wurde anstelle von Erfrischungsgetränken gekauft.

Marketing-Trend Livestreaming: Modernes Teleshopping
Lebensmittel, wie Milch werden immer gekauft, und da aus Angst vor einer Ansteckung viele Chinesen den Weg in den Supermarkt meiden wollten, kauften sie ihr Essen online. Der Bedarf war ohnehin vorhanden, daher bedurfte es keiner intensiven Marketing-Kampagnen. Für andere Branchen waren die geschlossenen Geschäfte ein großes Problem. Viele Händler machten aus der Not online verkaufen zu müssen eine Tugend. Online-Plattformen schafften Anreize für stationäre Händlern, wie beispielsweise den Erlass von üblichen Gebühren und initialen Kosten, sowie Provisionen auf den Verkauf. Die Handelsplattform Alibaba unterstützte die lokalen Händler und bot ihnen kostenlose technische Hilfe und Werbung an. Doch statt lediglich auf den klassischen E-Commerce zu bauen, setzten manche Unternehmen auf eine andere Variante: Das Livestreaming.

Livestreaming ist im Prinzip Teleshopping, nur dass es über die gängigen Social Media Apps wie Douyin (chinesisches TikTok), kuaishou und WeChat oder die bekannten Online-Plattformen, wie JD und Taobao, betrieben wird. Livestreaming entpuppte sich in der Krise zu der Verkaufsstrategie Nummer eins und Livestreaming-Events werden auch jetzt noch fortgeführt. Mittlerweile führen beispielsweise InTime-Verkäufer auf Taobao über 200 Livestreams am Tag durch.

Ein besonders erfolgreiches Beispiel ist Linqingxuan. Die chinesische Kosmetikmarke hatte mit Umsatzeinbußen von bis zu 90 Prozent kämpfen.  Aufgrund des Virus musste das Unternehmen außerdem einen Großteil ihrer Stores schließen. Mithilfe einer Digitalstrategie in elf Punkten konnten sie nicht nur überleben, sondern ihren Umsatz um 400 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern. Der Hauptgrund für diesen Erfolg war ihr erfolgreicher Ansatz im Livestreaming. Alle Mitarbeiter, die nicht im Einzelhandel eingesetzt werden konnten, wurden zu Influencern ausgebildet und begannen auf Tmall und Mogujie mit dem Livestreaming. Auch der Gründer von Linqingxuan begann per Livestreaming Produkte zu verkaufen. Seinem ersten Stream folgten 60.000 Personen und er kreierte einen Umsatz von 400.000 Yuan (52.265 Euro).

Corona hat langfristige Auswirkungen
Die erhöhte Nachfrage im Onlinehandel war bedingt durch die geschlossenen Geschäfte. Viele Kunden hatten keine andere Wahl. Mit der Öffnung der Geschäfte nahm die große Nachfrage erwartungsgemäß wieder leicht ab. Im Vergleich zur Vor-Krisenzeit ist der Online-Handel dennoch gewachsen. Der Trend setzt sich fort.  Auch nachdem Läden wiedereröffneten und Malls ihre Absperrungen beseitigten, war der Andrang noch verhalten.

Das Virus mag zwar größtenteils eingedämmt sein, doch seine Auswirkungen werden wir noch lange spüren. Manche werden hoffentlich wieder verschwinden, wie das Fiebermessen bei jedem Restaurantbesuch oder die Pflicht ein Gesundheitszertifikat mitzuführen. Andere könnten zur Gewohnheit werden, dazu gehört das Livestreaming als Verkaufsplattform und die generell hohe Nachfrage im Online-Handel. Die Krise hat also schon jetzt das Verhalten der Konsumenten verändert und wird auch nachhaltig Einflüsse darauf haben, wie eingekauft und gehandelt wird.

Damian Maib
...ist Gründer der Agentur Genuine German und Experte für Onlinehandel in China. Mit seinem Unternehmen unterstützt er deutsche Firmen dabei, in China Fuß zu fassen. Zu seinen Kunden gehören bekannte deutsche Unternehmen wie dm und Beiersdorf, sowie late Stage StartUps wie foodspring. Die Agentur ist offizieller Alibaba-Tmall Partner.

Text: Damian Maib
Fotos: Ling Tang; beigestellt

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