MIT DEM RAUCHEN AUFHÖREN

Eine Milliarde Raucher gibt es weltweit – an ihnen hat sich Philip Morris International in den letzten Jahren eine goldene Nase verdient. Doch nun verfolgt das Unternehmen einen Transformationskurs, der eine „rauchfreie Zukunft“ bewirbt. Ist das glaubwürdig? Wir haben bei CEO André Calantzopoulos und COO Jacek Olczak nachgefragt.

Schätzungen zufolge leben auf der Welt rund eine Milliarde Raucher. Während die gesundheitlichen Folgen davon nur allzu bekannt sind – jedes Jahr sterben acht Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens – und Ziga­retten aus Film, Fernsehen und Restaurants nahezu verschwunden sind, scheint die Lust am Rauchen weiterhin ungebrochen. Insbesondere Europa und ­Asien sind Hotspots. Darin steckt natürlich auch ein enormes wirtschaftliches Potenzial: 2018 wurden 5,3 Billionen Zigaretten weltweit verkauft, die Zigarettenindustrie setzte rund 814 Milliarden US-$ um. Ein Zehntel davon, fast 80 Milliarden US-$ Umsatz, entfiel auf den größten privatwirtschaftlichen Hersteller von Zigaretten weltweit, Philip Morris International (PMI). Mit seinem Sitz in Lausanne ist PMI einer der größten in der Schweiz ansässigen Konzerne.

Das Unternehmen ist hochprofitabel – 2019 wurde ein operativer Gewinn von über elf Milliarden US-$ erzielt. Gleichzeitig steht PMI wie wohl kein zweites Unternehmen für die ­profitorientierte Tabakbranche, die jahrzehntelang gegen Restriktionen lobbyierte und die Folgen des Rauchens herunterspielte. Doch ­André ­Calantzopoulos, CEO von Philip Morris, brach mit der Tradition seiner Vorgänger: Ab der Jahrtausendwende fing er an, die Gefahren des Rauchens zu benennen. Und 2016 hat sich PMI dann ein milliardenschweres Transformations­programm unter dem Motto „Delivering A Smoke-Free Future“ auferlegt, das den Konzern – und die Welt – in eine rauchfreie Zukunft führen soll.

PMI will seine Kunden mit Iqos – einem „Heated Tobacco Product“ – zum Umsteigen bewegen. Das betont der CEO im Doppelinterview mit PMI-COO Jacek Olczak im Forbes-­Interview: „Unsere Botschaft ist klar“, sagt Calantzopoulos gleich zu Beginn des Gesprächs. „Diejenigen, die sich um ihre Gesundheit sorgen, sollten gänzlich auf Tabak-und Nikotinprodukte verzichten. Wenn sie nicht aufhören, sollten sie einen Wechsel zu besseren Alternativen als die konventionelle Zigarette in Betracht ziehen.“ Nicht alle glauben solchen Versprechungen: ­Viele werfen PMI Heuchelei vor – während marketingwirksam eine Alternative beworben wird, verdient sich der Konzern mit dem Verkauf von Zi­ga­retten weiterhin eine goldene Nase. Viele institutionelle Investoren machen einen Bogen um die Aktie, da sie gegen die ESG-Richtlinien („Environmental Social Governance“) großer Anlagehäuser verstößt, und das Vertrauen der Kunden ist aufgebraucht.

Was man Rauchern oft rät – von einem Tag auf den anderen aufzuhören –, kann PMI selbst jedenfalls nicht tun. Den Verkauf von Zigaretten über Nacht einfach zu beenden würde Calantzopoulos und Olczak den Job kosten. PMI serviert seinen Aktionären seit Jahren konsequent hohe Gewinne – auch und vor allem, weil Zigaretten ein äußerst gutes Geschäft sind. Wie glaubwürdig ist dieser Neuanfang also tatsächlich?

Wir fokussieren unser gesamtes Unternehmen und verfolgen den Erfolg von Iqos als unser primäres Ziel.

„Die Menschen hören seit 50 Jahren, dass sie aufhören sollen zu rauchen. Wir haben aber heute weiterhin eine ­Milliarde Raucher weltweit. Was ist also die Lösung?“, fragt Calantzopoulos rhetorisch. Dass diese für ­Calantzopoulos Iqos heißt, ist nicht verwunderlich. Die elektronischen Zigaretten werden per USB-Anschluss geladen und mit einer Tabakrolle befüllt, die wie eine kurze Zigarette aussieht. Die Produkte erhitzen den Tabak zwar, verbrennen ihn aber nicht – daher der Name Heated ­Tobacco Product.

Ob Iqos tatsächlich gesünder ist, ist um­stritten. PMI hat zahlreiche Studien in ­Auftrag gegeben, die beweisen sollen, dass Iqos viel ­weniger schädlich als normale Zigaretten ist. ­Da­raus geht hervor, dass die toxikologischen Sub­stanzen gegenüber herkömmlichen Zigaretten um bis zu 95 % verringert werden können. Dass der Großteil der bisher publizierten Studien von der Tabakbranche selbst in Auftrag ­gegeben wurde, sorgt bei Kritikern für Kopfschütteln. Die Schwierigkeit: Langfristige Gesundheitsfolgen neuer Produkte lassen sich nur mit langfristigen Studien ermitteln – das könnte ­Jahrzehnte dauern. Die Grundidee ist laut Calantzopoulos aber schnell erklärt: Demnach gehe die echte Gefahr beim Rauchen vom Verbrennungsprozess aus. „Die Gesundheitsbehörden zahlreicher Staaten, darunter die US-amerikanische FDA, haben bestätigt, dass Nikotin zwar abhängig macht, aber nicht der primäre Krankheitsauslöser beim Rauchen ist“, so Olczak. Wenn Tabak erhitzt, aber nicht verbrannt wird, ist das deutlich gesünder, so die Logik.

 

Rauchen in Zahlen
(Quelle: Institute for Health Metrics and Evaluation, WHO)

Tatsächlich hat die FDA (Food and Drug ­Administration, Anm.) Iqos im April 2019 zum Vertrieb in den USA zugelassen – mit strengen Restriktionen: PMI darf in Werbungen etwa nicht behaupten, dass Iqos Rauchern dabei hilft, aufzuhören. Dass die FDA diesen Schritt überhaupt ging, kam dennoch überraschend: 2019 erhielten E-Zigaretten in den USA viel negative Aufmerksamkeit. Insbesondere „Vaping“ kam in Verruf, wobei beim Vapen anders als bei Iqos oder dem Konkurrenzprodukt Juul eine mit synthetischem Nikotin versetzte Flüssigkeit erhitzt wird. Calan­tzopoulos: „Es gab so viele sensationelle Headlines und Studien, die allesamt völlig ohne Grundlage waren. Es wurde versucht zu beweisen, dass E-Vape-Produkte oder Alternativen zum Rauchen genauso schlimm oder schlimmer als Zigaretten sind. Dies ist für Raucher jedoch verwirrend. Damit wird es nur noch schwerer die Leute vom Rauchen wegzubekommen. Und das ist sowieso schon schwer genug.“

Satte sechs Milliarden US-$ steckte PMI in die Entwicklung von Iqos. Bis 2030 soll eine weitere Milliarde US-$ in das Marketing des Produkts fließen. Ende 2019 wurden weltweit rund 59,7 Milliarden Iqos-Einheiten verkauft, 13,6 Millionen Menschen nutzten das Produkt. Davon hatten laut PMI 9,7 Millionen (rund 71 %) wegen Iqos aufgehört zu rauchen. 2019 generierten rauchfreie Produkte für PMI einen Umsatz von 5,6 Milliarden US-$ – 39 % mehr als im Vorjahr, angesichts eines Gesamtumsatzes von 80 Milliarden US-$ aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Doch laut Olczak ist Iqos eine Langzeit­wette: „Wir fokussieren unser gesamtes Unternehmen darauf und verfolgen den Erfolg von Iqos als unser primäres Ziel. Sonst schaffen wir das nicht – zumindest nicht sehr bald.“ PMI will sich ein neues Image ­verpassen. Iqos soll als Tech-, nicht als Konsumprodukt wahrgenommen werden, vergleichbar mit ­einem Smartphone. Die E-Zigaretten erlauben es dem Unternehmen, über Reparaturen und Wartung ­regelmäßig mit den Kunden in Kontakt zu sein und Zusatzangebote rund um die E-Zigarette anzubieten. Auch sonst positioniert man sich neu, die Stores finden sich etwa vorrangig in Einkaufszentren. Und intern wird umgebaut: PMI organisiert sein Unternehmen neuerdings in multifunktionalen Projektteams, außerdem wurden neue vertikale Funktionen eingeführt – etwa Electronics oder Product Development. Tech-Unternehmen eben.

 

Menschen über 15 Jahren, die rauchen
(Quelle: Institute for Health Metrics and Evaluation)

Doch auch Tech-Unternehmen kämpfen um Vertrauen. Dieses aufzubauen ist hart, es zurückzugewinnen ist für PMI noch schwieriger. Denn Vertrauen basiert auf Kommunikation – und da sind Restriktionen in der Ansprache der ­Kunden keine Hilfe. Calantzopoulos: „Die Frage ist: Welche Art der Kommunikation zum Konsumenten sollte man für ein solches Produkt erlauben? Wir denken, dass es für rauchfreie Alternativen mehr Information benötigt, als bei normalen Zigaretten. Ansonsten können wir das Produkt, samt seiner Risiken und Vorteile nicht ausreichend erklären.“ Olczak: „Die Informationen, die wir Konsumenten zukommen lassen, sind wissenschaftlich bewiesen.“ Die derzeitige Pandemie eines Virus, das die Atemwege attackiert, wirkt sich laut Olczak ebenfalls aus: „Wir haben 2020 bisher ein langsameres Wachstum von Neukunden erlebt. Wir konnten unsere Verkaufsgeschäfte nicht öffnen, konnten unsere Coaches nicht physisch in Kontakt mit Menschen bringen.“

Calantzopoulos und Olczak sind PMI-­Urgesteine. Der Grieche Calantzopoulos, der ­bereits seit seinem 18. Lebensjahr in der Westschweiz lebt, ist seit 1985 bei PMI tätig; seit 2013 ist er CEO des Unternehmens. Olczak schloss sich PMI 1993 an, seit 2018 ist er COO. Die beiden ­kennen somit jeden Vorwurf, den man sich vorstellen kann. Auch auf kritische Fragen im Interview reagieren sie gelassen. Calantzopoulos: „Man kann PMI gerne attackieren. Das mag für manche emotional erfüllend sein. Wer aber glaubt, dass damit auch nur ein einziger Raucher zum Aufhören gebracht wird, irrt sich.“ Er glaubt, dass Zigaretten in manchen Ländern in zehn bis 15 Jahren eliminiert sein könnten – wenn alle mitmachen. Auf die Glaubwürdigkeit angesprochen, reagiert Calantzopulos schließlich so: „Wenn unsere Aussagen nicht stimmen würden, wäre unser Schicksal bereits besiegelt. Warum sollten wir dann einen milliardenschweren Transformationsprozess umsetzen?“

Text: Klaus Fiala
Fotos: Philip Morris International

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 10–20 zum Thema „Handel“.

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