Mit einer Stimme sprechen

Guntram Wolff, Direktor des renommierten Thinktanks Bruegel, über die Handelsbeziehungen der EU mit Ost und West, die geplante europäische Digitalsteuer und Bereiche, in denen er besonderen Investitionsbedarf sieht.

Das Thema eines Handelskriegs mit den USA dominiert zurzeit die wirtschaftspolitische Berichterstattung. Wie schätzen Sie die Situation für die europäische Wirtschaft ein?
In der Tat sind Handelsthemen wieder absolute Priorität und ein echtes Sorgenkind geworden – nur kommt es diesmal nicht aus Europa, sondern aus den USA und China. Es ist eine sehr komplexe Situation: Zum einen haben wir eine US-Regierung, deren Präsident zu glauben scheint, dass ein bilaterales ­Handelssystem besser ist als ein multilaterales, das um die ­Welthandelsorganisation WTO herum aufgebaut ist. Wir wissen aber – sowohl aus der ­Theorie als auch der Praxis –, dass Zweiteres dem Handel und der Wohlfahrt der Bürger am meisten zugutekommt. Ein von starken Institutionen gestütztes System ist für schwache Mitspieler – zu denen Europa aus geostrategischer Sicht nun einmal gehört – immer vorteilhaft. Denn so können sich kleinere Player darauf verlassen, dass gewisse Regeln eingehalten werden. Insofern ist der Vorstoß von US-Präsident Trump, die WTO ­untergraben zu wollen, sehr problematisch. Zwar sind seine Androhungen, ­bilaterale ­Zölle einzuführen, dank des Deals mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorläufig vom Tisch. Doch das heißt nicht, dass das Thema nicht sehr bald wieder auf der Agenda landen ­könnte. Wir befinden uns hier in einem ­gefährlichen Spannungsfeld.

Wie würden Sie dieses Spannungsfeld im Bezug auf China beschreiben?
Auch die Beziehungen zu China sind in vielerlei Hinsicht kompliziert. Zum einen halte ich den mangelnden Marktzugang für europäische Unternehmen für äußerst problematisch. Zum anderen ist die staatliche Praxis, chinesische Unternehmen, die gezielt Technologie im Ausland aufkaufen sollen – vor allem in Europa –, zu subventionieren, sehr kritisch zu betrachten. Kurzum: Die starke Rolle des Staates in der chinesischen Wirtschaft gestaltet Verhandlungen über günstige, faire Handelsbeziehungen aus europäischer Sicht schwierig. Und da man in Peking in den vergangenen Jahren nicht dazu bereit war, diese Vorgehensweise zu ändern, haben nun europäische Investoren ihr Engagement in China tatsächlich drastisch zurückgefahren.

Guntram Wolff
…studierte Volkswirtschaft in Deutschland, Frankreich und den USA.
Er war für die Europäische Kommission und die Deutsche Bundesbank tätig. Seit 2013 ist er Direktor des
Thinktanks Bruegel.

Das klingt ernst. Wie schlecht muss es dann erst um die Handelsbeziehungen zwischen China und den USA stehen?
In diesem Spannungsfeld ist eine Art Handelskrieg sicherlich am sichtbarsten. Hier haben wir es in der Tat mit einer erheblichen Eskalation wirtschaftspolitischer Spannungen zu tun, die sich negativ auf europäische Unternehmen auswirken kann. Und sollte diese in einem geostrategischen Konflikt ­aufgehen, in dem es letztendlich um Vorherrschaft geht – also um die ­Frage, ob die USA stärkste Macht der Welt bleiben oder nicht –, dann ­würde Europa wohl keine große Rolle mehr spielen und schnell unter die Räder kommen. Denn in Handelsfragen müssten wir uns gezwungenermaßen stark an den USA orientieren.

Bedeutet das, dass Europa den USA und China wirtschaftspolitisch so oder so hinterherhinkt und in jedem Fall auf einen der beiden angewiesen ist?
Nicht unbedingt. Wenn wir das Geopolitische außen vor lassen und uns auf die rein wirtschaftlichen Aspekte konzentrieren, dann ist unsere Volkswirtschaft ungefähr so groß wie jene der Amerikaner und der Chine­sen – unsere Handelsströme ­haben ähnlich große Volumina. Auch, was unsere Fähigkeit betrifft, internationale Regeln zu setzen, sind wir sehr gut aufgestellt. So ist das jüngste Freihandels­abkommen zwischen der EU und Japan, das nun ratifiziert wird, ein sehr starkes, das immerhin ein Drittel des gesamten Weltwirtschaftsproduktes umfassen wird. Als Handelsmacht hat Europa ­viele Fähigkeiten. Das Entscheidende ist aber, dass wir mit einer gemein­samen Stimme sprechen. Natürlich haben einzelne Mitgliedsstaaten bei einigen Themen verschiedene Meinungen. Aber wenn wir es schaffen, diese im Vorhinein vernünftig zu diskutieren und zu koordinieren, um sie dann von unserem Handelskommissar vertreten zu lassen, dann führt das auch zu Erfolgen, wie man es am Beispiel des Trump-Juncker-Deals erkennen kann.

Dieser Deal dreht sich in erster Linie um Güter aus Industrie und Landwirtschaft. Wäre es nicht an der Zeit, digitale Güter in die Debatte miteinzubeziehen?
Das stimmt, die Handelsverhandlungen sind größtenteils auf traditio­nelle Güter bezogen, teilweise auch auf Dienstleistungen. Aber das heißt nicht, dass der digitale Bereich keine Rolle in den Diskussionen spielt. Da wäre etwa die von vielen ­geforderte Digitalsteuer, durch die amerikanische Onlinekonzerne ihre in Europa erwirtschafteten Gewinne ordentlich versteuern sollen. Diese werden zwar teilweise als Exporte gelistet, doch der Gutteil wird tatsächlich in Europa „produziert“. Insofern halte ich eine Digitalsteuer für einen Schritt in die richtige Richtung. Andererseits muss man diese auch so ausgestalten, dass andere Länder sie nicht als willkommenen Anlass nutzen, um ähnlich Gewinne von europäischen Unternehmen abzuschöpfen. Dann bestünde die Gefahr, dass es zu einer Art (sektorenübergreifenden, Anm.) ­Besteuerungswettlauf kommt.

Als Handelsmacht hat Europa viele Fähigkeiten. Das Entscheidende
ist aber, dass wir mit einer gemeinsamen Stimme sprechen

In welchen Bereichen sehen Sie den größten Investitionsbedarf, damit die EU in Zukunft nicht den USA und China hinterherhinkt?
Erstens müssen wir in kritischen ­Infrastrukturbereichen global glaubwürdige Player haben. Beispielsweise bin ich dagegen, ausländische Unternehmen völlig vom Wettbewerb rund um den Ausbau von 5G auszuschließen. Fest steht aber auch, dass europäische Betriebe, die in diesem Feld tätig werden wollen, viel mehr Unterstützung im Innovationsprozess benötigen. Hier müssen unsere Forschungs- und Entwicklungsausgaben massiv angehoben werden. Generell müssen wir im Digitalbereich viel mehr Geld in die Hand nehmen. Unsere Breitbandstruktur ist immer noch enorm unterentwickelt. Zweitens ist unser Binnenmarkt nach wie vor zu fragmentiert, insbesondere im Dienstleistungsbereich. Das Versenden von Gütern innerhalb der EU ist immer noch ein sehr teurer Prozess, weil wir nach wie vor mit unterschiedlichen Regulierungen und Standards – zum Beispiel bei Gesundheitsprodukten – zu kämpfen haben. Zu guter Letzt ist unser Ausbildungssystem, vor allem im universitären Bereich, nicht gut genug. Es gibt noch immer nicht ausreichend europäische Spitzenuniversitäten. Aber auch bei den Schulen haben wir es bei einigen Ländern mit gravierenden Defiziten zu tun. Da müssen wir noch sehr viel investieren.

Text: Florian Peschl

Dieser Artikel ist in unserer November-Ausgabe 2018 „Europa“ erschienen.

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