MIT HAUSVERSTAND GELD SPAREN

Wendy De La Rosa wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Heute hilft die ehemalige Goldman-Sachs-Mitarbeiterin Fintech-Start-ups dabei, besser zu verstehen, wie Menschen mit ihrem Geld umgehen.

Vor einigen Jahren machte ­Wendy De La Rosa ein Experiment: Einer Gruppe von Nutzern der App Digit wurde damals ein SMS gesendet, kurz bevor sie eine Steuerrückzahlung erhielten. Wollten Sie einen Teil davon eventuell sparen? Eine zweite Gruppe erhielt eine ähnliche Botschaft, nachdem das Geld auf dem Konto eingelangt war. Diejenigen, die auf die frühere Nachricht reagierten, sparten durchschnittlich 27 Prozent des Geldes – verglichen mit 17 Prozent bei jenen, die das SMS erst später erhalten hatten.

Bei einer durchschnittlichen Rückerstattung von 2.900 US-$ ist das ein Unterschied von 290 US-$. „Bei jedem Cent, der unser Girokonto verlässt, spüren wir mehr als nur einen ökonomischen Verlust“, erklärt De La Rosa, die Mitgründerin des Common Cents Lab. Sprich: Es ist leichter, Geld zu sparen, das nie auf dem eigenen Konto war.

De La Rosa ist einer der Gurus eines der neuesten Trends im ­Fintech-Bereich. Denn Start-ups erarbeiten oder optimieren zunehmend Spar-, Anlage-, Versicherungs- und Gehaltslösungen, basierend auf Verhaltensökonomie. Das Start-up Chime transferiert beispielsweise zehn Prozent der Gehaltszahlung automatisch auf ein Sparkonto. Warum zehn Prozent? „Immer in runden Zahlen denken“, sagt De La Rosa, die 2018 auf der „Forbes 30 under 30“-Liste war.

2015 gründete De La Rosa das Common Cents Lab, eine Non-Profit-Organisation, die Haushalten mit niedrigem bis mittlerem Einkommen hilft, ihre finanzielle Situation zu verbessern. Common Cents Lab arbeitet unter dem Dach des Center for Advanced Hindsight an der Duke University, das von dem ­bekannten Psychologen Dan Ariely geleitet wird. De La Rosa arbeitet jedoch in Palo Alto, wo sie an der University Stanford einen PhD im Bereich Verhaltenswissenschaften absolviert.

De La Rosas Leben drehte sich stets ums Geld – insbesondere das nicht vorhandene Geld. Im Alter von neun Jahren kam sie mit ihrer Mutter aus der Dominikanischen Republik in die USA. Sie wohnte zusammen mit zehn weiteren Verwandten in der kleinen Wohnung ihrer Großmutter in New York. De La Rosa lernte schnell Englisch (durch die Schule und Zeichentrickfilme), musste sich jedoch stets ins Badezimmer zurückziehen, um ihre Hausaufgaben in Ruhe zu erledigen. Es sollte sich auszahlen: Sie war in der Schule Klassenbeste.

Inzwischen nahm De La ­Rosas Mutter, eine ausgebildete ­Psychologin, jene Arbeit an, die sie finden konnte – als Hotelmädchen. „Es war schwer zu sehen, wie deine gebildete Mutter Zimmer putzt. Sie musste wegen mir viel opfern“, sagt De La Rosa. „Ich glaube, das war jener Moment, in dem ich mich in Finanzthemen verliebt habe. Denn wenn man unter Umständen lebt, in denen jeder Cent wichtig ist, ist Geld ständig Gesprächsthema.“

De La Rosa ging an die Universität in Wharton, wo sie Finance and Management studierte und summa cum laude abschloss. Ihre Belohnung: ein Job bei Goldman Sachs. Sie war arm – und wollte ihrer Familie helfen. „Die Arbeit an der Wall Street war der einfachste und schnellste Weg, Geld zu machen“, sagt sie. Schnell ja – befriedigend nein: Daher ging De La Rosa 2014 zu Google, um mit Ariely an einer neuen Abteilung für Verhaltensökonomie zu arbeiten. Im Jahr darauf hatten Ariely, De La Rosa und zwei weitere Kollegen die Idee für das Common Cents Lab – und bekamen zudem ausreichend Geld von der MetLife-Stiftung.

Vieles von De La Rosas Arbeit dreht sich um scheinbar offensichtliche Beobachtungen des menschlichen Verhaltens. Der ­Finder für Bankgebühren von ­Chime basiert etwa auf Untersuchungen von Common Cents, die zeigen, dass Menschen ihre Bankgebühren drastisch unterschätzen. Benutzer gehen dazu auf die Website von Chime, verknüpfen ihr Bankkonto – und erhalten eine genaue Abrechnung der Beträge, die sie im vergangenen Jahr bezahlt haben. Der Durchschnitt – rund 300 US-$ – ist ein leistungsstarkes Marketing für Chime, ganz ohne Gebühr.

Bild: Wendy De La Rosa, Start-up, Goldman-Sachs, Common Cents Lab

Wendy De La Rosa
... studierte in Wharton Finance and Management, bevor sie bei Goldman Sachs an­heuerte. 2014 wechselte sie zu einer verhaltensökonomisch orientierten Abteilung von Google, bevor sie gemeinsam mit dem Starpsychologen Dan Ariely die Non-Profit-Organisation Common Cents Lab gründete.

Im September bekam Common Cents Konkurrenz. Acorns, ein Mitglied der „Forbes Fintech 50“-­Liste, gründete gemeinsam mit Shlomo Benartzi, einem Professor für Behavioral Finance an der UCLA, ein „Money Lab“.

Sie forderten ­Wissenschafter auf, Vorschläge für Verhaltenstests der 4,5 Millionen Nutzer ihrer Spar-Apps vorzulegen. Die Ergebnisse dieses gemeinnützigen ­Unternehmens werden auch den Wettbewerbern von Acorns zugänglich sein (Acorns arbeitete übrigens auch mit dem Nobelpreisträger und Verhaltensökonomen Richard ­Thaler von der University of ­Chicago zusammen).

Dan Ariely sagt, es gebe einen guten Grund, warum Start-ups bei verhaltensorientierten Innovationen Vorreiter sind, und nicht traditionelle Banken: „Die Anreize bestehen darin, die Menschen dazu zu bringen, zu viel Geld auszugeben und sich zu viel Geld zu borgen. Das schafft keinen Anreiz für Innovationen oder für bessere Entscheidungen.“

Gleichzeitig darf man nicht glauben, dass alle Fintechs, die Hunderte Millionen an Investoren­geldern rechtfertigen müssen, Unschuldslämmer sind. De La Rosa weist auf ein Problem mit kostenlosen Fintech-Diensten hin: „Wenn Sie ein kostenloses Produkt haben, ist das einzige Geschäftsmodell die Werbung“, sagt sie. „So kommt man in Versuchung, Menschen Dinge zu verkaufen, die sie nicht unbedingt brauchen.“

Eine heikle Aussage angesichts der Tatsache, dass Credit Karma, ein kostenloser Service, der Hunderte von Millionen an Überweisungsgebühren für Kreditkarten verdient, einer ihrer vielen Partner ist. Egal, denn für De La Rosa ist ihr Auftrag eine persönliche Geschichte: „Ich sehe quasi meine Familie in jedem einzelnen Experiment, das ich durchführe. Ich habe das selbst ­erlebt. Ich weiß genau, was es bedeutet, von der Hand in den Mund zu leben.“

Text: Kristin Stoller / Forbes US
Foto: Timothy Archibald / Forbes US

Dieser Artikel ist in unserer Februar Ausgabe 2019 „Gaming – Wettbewerb“ erschienen.

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