Mr. Roboto

Der „Bad Boy der Robotik", Hiroshi Ishiguro, im Interview über seinen Roboter-Zwilling.

Hiroshi Ishiguro hat einen Androiden nach seinem Ebenbild erschaffen. In den „Geminoid“ hat der Doktor der Robotik und Computerwissenschaften bis jetzt neun Jahre investiert. Ein kontinuierlicher Prozess, den er als Direktor des Robotik-Labors am Department of Adaptive Machine Systems an der Universität von Osaka vorantreibt. Androiden sind eine große Herausforderung die Suche nach der nächsten Aufgabe ist schwierig, hat aber schon begonnen. Als Nächstes möchte Ishiguro ein soziales Netzwerk entwickeln.

Viele Mythen ranken sich um den hageren 54-jährigen Forscher aus Japan. Er ist ganz in Schwarz gekleidet, als wir ihn im Rahmen der Robophilosophy-Konferenz der Fakultät für Bildung und Philosophie an der Uni Wien treffen. Er blickt beim Sprechen selten in die Augen des Gegenübers. Stattdessen ist sein Blick auf eine Münze gerichtet, die er spielerisch durch seine Finger gleiten lässt. Stellenweise wirkt Ishiguro etwas erschöpft; womöglich liegt das an den Interviewmarathons, die er regelmäßig absolviert, so auch an jenem Tag.

Die Medien haben großes Interesse am Robotergenie Hiroshi Ishiguro. Es rührt vor allem daher, dass er ein Roboter-Ebenbild seiner selbst geschaffen hat den Geminoid. Er vertritt Ishiguro angeblich, etwa bei Vorlesungen an der Universität in Osaka. Vor rund zehn Jahren begann Ishiguro, ihn zu bauen um sich selbst besser zu verstehen, wie er im Interview erzählt. Der Roboterzwilling ist seinem Ich mit Anfang 40 nachempfunden. Um optisch mitzuhalten, hat sich Ishiguro selbst schon unters Messer gelegt und „die Methoden der plastischen Chirurgie“ angewandt, wie er sagt. Damit verifiziert er zumindest einen der vielen Mythen, die über ihn in Umlauf sind. Ishiguro ist nicht unumstritten; bei ihm fallen oft Begriffe wie Narzissmus oder Exzentrik. Und dass das, was er tue, gesellschaftlich wenig Relevanz habe. Gleichzeitig dient er als Galionsfigur einer Zukunftsvision, in der Androiden im Gegensatz zu heute mitten in der Gesellschaft sein werden, und das in weitaus größerer Anzahl. Prophezeiungen, wonach Androiden bald mitten unter uns sein würden, hört man oft. Humanoide Roboter sollen demnach als Gefährten oder Helfer neben uns leben, die Wirtschaft durch ihre billige Arbeitskraft ankurbeln und dort auch stellenweise Menschen ersetzen.

Auch Hanson Robotics, ein Roboterproduzent aus Hongkong, verkündete Ende 2016, sein Modell „Sophia“ werde 2017 in größerer Menge verfügbar und in der Wirtschaft etwa im Einzelhandel im Einsatz sein. Eingetreten ist das bis jetzt noch nicht absehbar ist diese Entwicklung ebenso wenig. Womöglich haben solche Bekundungen mit der Kostenintensität der Entwicklung zu tun, die bis auf Weiteres von Mitteln aus öffentlicher und privater Hand lebt. Verkaufserlöse sind als Refinanzierungsstrom noch nicht in Sicht und auch die Entwicklung stößt vorerst an ihre Grenzen, wie auch Ishiguro im Interview bestätigt. Ob im Feld der humanoiden Roboter nun Schöpferfantasien oder wissenschaftliche Neugier kostspielig ausgelebt werden oder ob hier etwas für Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft Relevantes entwickelt wird, sei dahingestellt. Bewegend ist das Thema allemal.

Wie lange haben Sie an Ihrem „Zwilling“, dem Geminoid, gearbeitet?
Ich habe 2009 mit diesem Projekt begonnen, also arbeite ich seit neun Jahren daran.

Ist man mit so einem Projekt eigentlich irgendwann fertig?
Nein, nie. Wir müssen die Software laufend verbessern, wie die Konversationsfähigkeiten des Roboters zum Beispiel.

Wie kamen Sie auf diese Idee, sich selbst zu kopieren, und was lässt Sie an Ihrer Vision festhalten?
Ich habe zuerst Computerwissenschaften studiert und kam dann zu Artificial Intelligence und Robotics, dann habe ich mich mit humanoiden Robotern beschäftigt und erst danach habe ich begonnen, an meiner Kopie zu arbeiten. Es war für mich ein natürlicher Prozess und es gibt noch vieles zu tun. Wir verbessern die Technologie laufend. Die fortgeschrittenste momentan sind Brain-Machine-Interfaces. Sie ermöglichen es, Androiden mit Gedanken zu steuern. Wir können so unser Gehirn mit einem Androiden-Körper verbinden. Das ist ziemlich interessant. Querschnittgelähmte könnten so über ihre Gedanken einen Androiden steuern. Das funktioniert momentan aber nur sehr limitiert.

Was ist die Motivation dahinter?
Ich möchte mich selbst und die Menschen verstehen. Meine Neugier gilt immer mir selbst und den Menschen rund um mich. Die Roboter sind mir eigentlich gar nicht so wichtig.

Was haben Sie in den rund 20 Jahren Forschung an Robotik und KI denn so über den Menschen herausgefunden?
Da möchte ich Ihnen eine Frage stellen: Was ist Ihre Motivation für Ihren Beruf? Ihre Neugier bezüglich Menschen, richtig?

Ja, so könnte man das sagen.
Ich habe die gleiche Motivation.

Was hat Ihnen der Roboter denn nun über Sie selbst aufgezeigt?
Vieles über kognitive Wissenschaften wie Psychologie, die sich ja auch mit dem Menschen beschäftigen. Ich studiere ja auch den Menschen, aber aus einer anderen Perspektive. Der Roboter ist ein Testobjekt, um geistige Funktionen und komplexes soziales Verhalten beim Menschen zu verstehen. Der Roboter ist ein Werkzeug.

Gelangen Sie so zu anderen Erkenntnissen als andere Wissenschafter oder zu ganz neuen?
Ja, ich erkenne viele neue Dinge. Nehmen Sie zum Beispiel unsere Kommunikation her: Eine komplexe Situation zwischen drei Menschen, anhand der wir unsere Funktionsweise, unsere Aufmerksamkeit und unseren Fokus beobachten können. Dann könnte ich Sie durch einen Roboter ersetzen, ihn steuern dann könnten wir untersuchen, was passiert.

Wann haben Sie realisiert, dass Sie Roboter studieren wollen, um mehr über den Menschen herauszufinden?
Ich war in der Grundschule und ungefähr zehn Jahre alt. Damals sagte ein Erwachsener zu mir: „Denk doch auch bitte einmal daran, was andere Leute denken könnten!“ Das war ein Schlüsselerlebnis und hat mich komplett überrascht. Dass andere Menschen einen Verstand haben und denken, daran habe ich bis dorthin nie gedacht. Als ich dann selbst erwachsen war, hatte ich begriffen, was das für mich bedeutete.

Menschen über Roboter zu erforschen ist ein ungewöhnlicher Ansatz …
Nein. Das ist sehr natürlich. Es hat ja auch jeder dieselben fundamentalen Fragen: Wie funktioniert das Herz, der Verstand, das Denken? Dass ich diesen Fragen durch Roboter nachgehe, ist nur der Fall, weil ich zufällig Computerwissenschaften studiert habe. Zu meiner Zeit an der Universität war das Fach gerade sehr beliebt.

Wie einwandfrei funktionieren Ihre Androiden?
Wir verwenden sehr viele Sensoren in unseren Androiden, also funktionieren sie schon sehr gut. Dennoch sind sie natürlich sehr unterschiedlich zu dem, wie Menschen erleben und wahrnehmen. Die menschliche Gefühlswelt und das Erleben sind sehr hoch entwickelt. Wir versuchen, sie bei den Androiden zu mimen. Wir glauben, seine wichtigsten Features sind die kommunikativen Fähigkeiten. Auf die fokussieren wir uns. Auch wenn wir den Robotern Sensoren, Wahrnehmungen und Gefühle geben: Ohne kommunikative Fähigkeiten können wir sie nicht als menschenartig erkennen. Wir könnten noch mehr investieren und mehr Sensoren in Roboter und Androiden einbauen. Das wäre aber eine Verschwendung, weil wir, um die Fähigkeiten der Androiden zu verbessern, vorher noch fundamentale Erkenntnisse gewinnen müssen.

Meinen Sie damit auch Restriktionen durch die vorhandene Hardware?
Die Hardware ist in vielen Dingen ganz okay. Die Software müssen wir verbessern.

Meinen Sie künstliche Intelligenz?
Ja. Nehmen Sie zum Beispiel die Sprache. Sie manipulieren Symbole im Gehirn und wenden sie als Sprache an. Diesen menschlichen Gedankenprozess können wir mit Deep Learning nicht nachbilden.

Wir wissen ja auch noch nicht genug über das menschliche Gehirn, um es nachbilden zu können …
Ja, es gibt noch so vieles, was wir nicht wissen. Manches können wir, eins nach dem anderen, nachbauen, aber die Schlüsselfaktoren des menschlichen Gehirns und seine Funktionsweise kennt keiner. Was wir wissen, ist, dass wir noch sehr viele Dinge erforschen müssen. Momentan konzentrieren wir uns auf die Intelligenz. Bewusstsein ist womöglich wichtiger, genauso wie Embodiment (eine These aus den Kognitionswissenschaften, nach der Bewusstsein eine physikalische Interaktion voraussetzt, Anm.).

Werden wir jemals alles wissen?
Nein. Nie.

Im April soll laut BBC einer Ihrer Androiden, Erica, eine japanische Nachrichtensendung moderieren. Stimmt das?
Ja, das stimmt. Eigentlich war das noch unter Verschluss, der Reporter war so ein guter Interviewer und womöglich habe ich dann vertrauliche Informationen weitergegeben. (lacht) Aber jetzt ist es ohnehin schon bekannt. Wir werden Nachrichtenmoderatoren nicht ersetzen die Androiden werden die Moderatoren unterstützen.

Was wird Erica dann machen?
Das kann ich noch nicht sagen. Erica hat aber einen eigenen Youtube-Channel, auf dem man viele Videos von ihr sehen kann.

In einem anderen Artikel wird behauptet, Sie hätten gesagt, Erica habe eine Seele. Stimmt das?
Nein. Es liegt an jedem Einzelnen, für sich zu bestimmen, ob Erica eine Seele hat oder nicht. Wenn Sie so empfinden, dann ja, hat sie eine. Eine Seele ist nicht objektiv, sie ist etwas Subjektives, finde ich. Aber natürlich brauchen Menschen und Roboter auch so einen Mechanismus, um dieses Gefühl zu entwickeln. (Ishiguro zeigt auf seinen Laptop.) Man fühlt die Seele dieses Computers nicht, aber der Mensch ist so komplex und möchte das Gefühl dieser Beseelung haben.

Es scheint, als würde es mehr weibliche als männliche Androiden geben. Woran liegt das?
Das stimmt so nicht. Ihr Reporter schreibt immer über die schönen weiblichen Androiden. Warum schreibt ihr nicht über die männlichen? Ich habe fünf männliche Androiden gebaut, die einander ähnlich sehen. Ich habe sogar mehr als fünf männliche und einen Transgender. Und ich habe weniger weibliche.

Warum verzerrt die Presse hier das Bild?
Die Reporter sind meistens Männer.

Kommen wir noch einmal auf die Kreativität zurück. Glauben Sie, es wird einmal eine kreative KI geben?
Nach dem Bewusstsein müssen wir uns mit der Kreativität von KIs und Robotern beschäftigen. Wir können uns hier inspirieren lassen – wenn wir uns die Top-Kreativköpfe anschauen, dieses Level an Kreativität werden wir mit einem Roboter wohl schwer erreichen können. Im Vergleich zu durchschnittlich kreativen Menschen könnte der Roboter aber, mithalten, denke ich.

Welche Erwartungen hatten Sie, als Sie Ihr Projekt gestartet haben, und was waren die prägendsten Erkenntnisse der letzten 20 Jahre?
Ich hatte keine Erwartungen. Wir finden immer etwas Neues heraus und erweitern das Projekt.

Sie werden von Vielen ja für einen der besten Robotik-Forscher weltweit gehalten ... Was sagen Sie dazu?
Und? Ich schaue nicht auf das, was ich gemacht habe, sondern immer nach vorne. Ich bin auch noch nicht alt. Ich bin ja noch jung. Ich denke immer daran, was ich als Nächstes machen könnte, und nicht daran, was ich bis jetzt getan habe. Ich bin ja noch nicht in Pension.

Teilen Sie die Beobachtung, dass in Japan Androiden und Roboter mehr akzeptiert sind als anderswo auf der Welt?
Ja.

Warum, glauben Sie, ist das so?
Da habe ich wieder eine Frage an Sie: Warum müssen Sie zwischen Menschen und anderen unterscheiden? Warum akzeptieren Sie Roboter nicht wie Menschen? Ich verstehe diese Denkweise nicht. Wenn Sie mir erklären, warum Sie so denken in Österreich, kann ich Ihnen den Unterschied zu Japan erklären. Warum denken Sie so?

Vielleicht, weil es in unserem Alltag noch nicht so viele Roboter gibt. Vielleicht auch, weil Menschen sich den Robotern überlegen fühlen…
Warum? Wir Japaner denken nicht so. Wir unterscheiden nicht zwischen Menschen und anderen. Wir sind eine homogene Gesellschaft. Der Taxifahrer ist gleichwertig mit dem Assistenzprofessor. Wir sind alle wie Familienmitglieder. Japan ist da ziemlich anders.

Würden Entwicklungen wie die, für die Sie verantwortlich zeichnen, auch woanders auf der Welt in dieser Form passieren können?
Nein. Ich hatte Angebote von amerikanischen Universitäten, wollte dort aber nicht arbeiten, weil es schwierig ist, Forschungsgelder für Roboter zu bekommen. Das liegt auch an der Regierung. Dort will man diese Hierarchie erhalten. Was ist besser der Mensch oder der Roboter? Damit beschäftigen wir uns in Japan nicht Maschinen und Roboter sind überall in Japan, genauso wie die Automatisierung.

Welche Rolle werden Roboter in der Gesellschaft dann einnehmen?
Alle möglichen. Meine Frage ist: Was ist die Rolle des Menschen in der Gesellschaft? Wissen Sie, was der Unterschied zwischen dem Menschen und dem Affen ist? Technologie. Ohne Technologie wären wir keine Menschen. Affen würden nie Devices verwenden.

Heißt das, Sie hatten kein konkretes Ziel, als Sie begonnen haben, Roboter zu entwickeln …?
Nein. Es war einfach nur Neugierde. Hätte ich ein konkretes Ziel oder Vorhaben gehabt, würde ich wahrscheinlich Waffen entwickeln nein, natürlich nicht. Aber wir sollten kein konkretes Ziel haben, in den menschenähnlichen Bereichen. Das ist zu gefährlich. Wir sind Wissenschafter. Unsere wichtigste Funktion ist, neues Wissen über Menschen zu generieren.

Werden Androiden wirtschaftlich relevant werden?
Ja. Sie werden der Wirtschaft insgesamt helfen. Neue Technologie hilft immer. Das ist ein Prinzip unserer Gesellschaft. Neues Wissen und neue Technologien machen unser Leben immer besser.

Könnten Androiden es jemals in die Massenproduktion schaffen?
Dafür müsste jemand 10.000 An­droiden bestellen. Dann ja. Dann könnten wir die Massenfertigung etablieren.

Sie haben ja auch einmal einen Geminoid einer Fünfjährigen gebaut und dem Mädchen gegenübergestellt. Wie war die Reaktion?
Das war meine Tochter und sie hat geweint. Das war der erste Android und die Bewegungen waren noch nicht so flüssig, etwas zombieartig.

Haben Sie mehr Kinder?
Nein, nur eine Tochter. Sie studiert heute Robotik in Osaka. Sie ist 21.

Sind Sie stolz auf sie, haben Sie geahnt, dass Ihre Tochter dasselbe Fach wie Sie belegen wird?
Nein. Ich hatte keine Ahnung. Meine Belegschaft war verwirrt. Sie wollen meine Tochter nicht unterrichten, weil sie mir von Fehlern erzählen würde, wenn sie welche machen, und davor haben sie Angst.

Was glauben Sie, was andere Wissenschafter über Sie denken – Sie gelten als exzentrischer Mensch …
Ich bin ganz normal. Ich kümmere mich um mich, mein Leben und meine Familie. Alles andere interessiert mich nicht so sehr.

Und woran werden Sie als Nächstes arbeiten, oder bleiben Sie dabei, Androiden zu entwickeln?
Ich weiß es nicht. Ich schaue mich gerade nach einem anderen Ansatz um. Ich würde gerne so etwas wie ein soziales Netzwerk machen. Der Impact von Androiden ist so groß, es ist schwierig, eine größere Herausforderung zu finden. Ich überlege, wie ich mehr Menschen und den menschlichen Aspekt aus einer anderen Perspektive bearbeiten kann. Androiden sind individuell. Der Mensch ist aber sozial. Und ich frage mich, wie ich diesen sozialen Aspekt noch besser erforschen kann.

Text: Heidi Aichinger und Elisabeth Woditschka.

Dieser Artikel ist in unserer Februar-Ausgabe 2018 „Künstliche Intelligenz“ erschienen.

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