MULTIPLE HÖHEPUNKTE

Mit Amorelie hat Lea-Sophie Cramer eine anrüchige Branche revolutioniert und ihr einen weiblichen Anstrich verpasst. Neben der Rolle als CEO ist Cramer auch als Verwaltungsrätin, TV-Jurorin und Business Angel zu sehen.

Begonnen hat alles mit einem Delfin. Der „Mini Dolphin“-Vibrator von Fun Factory war das erste Produkt, welches auf amorelie.de über die Theke ging. Zuerst offline und in ­niedrigen Stückzahlen im Einzelhandel eingekauft, stellte man die Produkte später auf die Website. „Das hat den damaligen Markt widergespiegelt. E-Commerce war in diesem Bereich einfach noch nicht etabliert“, erklärt Lea-Sophie Cramer, Gründerin und CEO des E-Commerce-Start-ups. Die Sparte, welche sich Cramer für ihren Online-Versandhandel ausgesucht hatte: Sexspielzeug.

Eher zufällig, durch den Bestseller „50 Shades of Grey“ und die anschließende vergebliche Suche nach dem im Buch vorgestellten Spielzeug, kam Cramer schließlich die zündende Idee. Sie begeisterte ihren Freund Sebastian Pollok, der mit an Bord kam. Mit ihrem „Lifestyle-Start-up im Bereich Liebesleben“ war das Duo dann auch schnell Stadtgespräch. Familie und Bekanntenkreis begegneten der Idee mit gemischten Gefühlen. Dafür zeigten sich Investoren unerwartet offen: „Meist gab es bei den Meetings auf Investorenseite einen kleinen Moment der Schockstarre. Doch wenig später dachten die allermeisten sich: Ja, das macht schon Sinn.“ Ganz nach dem Motto „Sex sells“ gab es für Amorelie so bereits im Gründungsjahr 2013 ein Investment im siebenstelligen Bereich.

Amorelie, Lea-Sophie Cramer, Startup, Forbes DACH 2

Lea-Sophie Cramer
... studierte an der Universität Mannheim Betriebswirtschaftslehre, war ab 2010 für drei Jahre als Vice President International bei Groupon und gründete 2013 zusammen mit Sebastian Pollok Amorelie. Seit Januar 2014 ist sie zudem Mitglied des Verwaltungsrats bei Conrad Electronic International und Partnerin bei Starstrike Ventures.

Sex sells

Mit Produkten wie „Womanizer“, „Kink ­Seduction“ und „Rabbit Soraya“ erzielt Amorelie heute bereits Umsätze im zweistelligen Millionenbereich. Recht schnell erkannten Pollok und Cramer auch, was charakteristisch für Amorelie werden könnte – und bis heute auch ist: individuelle Boxen für verschiedene Anlässe und Bedürfnisse. „Wir sind an die Sache herangegangen, als wären wir selbst Kunden. Fakt ist, dass die meisten Menschen die Ware und den Umfang nicht kennen. Was ist ein Penisring? Was ist ein Paarvibrator? Was unterscheidet einen Dildo von einem Vibrator? Die meisten wollen einfach etwas für ihr Liebesleben tun und Neues ausprobieren. Dafür haben wir unsere Boxen entwickelt.“ Von der Einsteigerbox über die spielerischen Challenge-Boxen, in denen man Aufgaben zu „meistern“ hat, oder neuerdings auch eine Post-Baby-Box für die Zeit nach der Schwangerschaft stehen verschiedenste Modelle zur Auswahl. Der alljährliche Adventskalender, gewissermaßen auch eine Box, stellt dabei den beständigen Dauerbrenner dar, und das trotz der stolzen Preisspanne: Angefangen bei 120 € bis hin zur Luxusversion für 270 € ist dieser bereits nach kurzer Zeit – zumindest in der preisgünstigeren Variante – jedes Jahr ausverkauft. Durch dieses Produkt ergab sich ein weiterer Meilenstein: die Kooperation mit Douglas. „Ich hätte es mir vor knapp sieben Jahren niemals träumen lassen, dass unsere Produkte auf so große Akzeptanz stoßen, dass Douglas sie in sein Wellness-Sortiment aufnehmen will“, so Cramer.

2017 setzte Amorelie 56,1 Millionen € um – eine klare Steigerung zu den 36,6 Millionen € 2016. Auch die EBITDA-Entwicklung von 9,6 Millionen € stellt einen ordentlichen Sprung zu den 457.000 € 2016 beziehungsweise gar dem Jahresfehlbetrag von 5,5 Millionen € 2015 dar. Die Produkte kommen an, nicht zuletzt wegen ihrer ästhetischen Aufmachung und dem weiblich orientierten Design. Nach starken Jahren des Wachstums setzte Amorelie 2018 auf Neustrukturierung, deren Finanzierung zur Gänze aus dem operativen Geschäft stammt. Dies begründet Cramer damit, dass es das Wachstum zu organisieren und kanalisieren gelte. Denn mittlerweile ist das B2B-Geschäft mit anderen Händlern wie beispielsweise Edeka, DM, Bipa, Galeries Lafayette oder bald Douglas die am stärksten wachsende Säule. Neben dem B2B-Geschäft erzielt Amorelie aber noch durch drei weitere Kanäle seinen Umsatz: den Online-Versandhandel, der bislang auf Deutschland, Österreich, die Schweiz, Frankreich und Belgien ausgerichtet ist, den Vertrieb auf E-Commerce-Marktplätzen wie Amazon und die Amorelie-Toypartys, welche von Amorelie-Toyparty-Beraterinnen durchgeführt werden.

Meist gab es bei Meetings auf Investorenseite einen kleinen Moment der Schockstarre.

Beate Uhse als Inspirationsquelle

Dabei will Cramer ausschließlich Produkte anbieten, hinter denen sie steht. Ein achtköpfiges Team ist unter den gesamt 120 Mitarbeitern ausschließlich für Produktdesign und Forschung verantwortlich. „Wir hantieren mit Silikon­formen und 3D-Druckern und machen auch Interviews mit Fokusgruppen.“ Die Krönung des Ganzen liegt für Cramer in der Lancierung der hauseigenen gleichnamigen Toymarke. „Wir sprühen alle vor Innovationskraft und Kreativität und freuen uns daher sehr auf den bevorstehenden Launch.“ Innovationskraft ist auch notwendig, da die Konkurrenz nicht schläft: Der derzeit größte Kontrahent auf dem Markt ist die Bielefelder Eis GmbH. Bereits 2006 gegründet, katapultierte sich das Unternehmen in den letzten Jahren durch Marketingstrategien wie dem Song „Es rappelt im Karton“ in seinen Werbeclips auf einen Jahresertrag von 110 Millionen € (2017). Im Gegensatz zu den Produkten und Marken im mittel- bis hochpreisigen Segment bei Amorelie bedient sich Eis extremer Dumpingpreise und Rabattcodes. Oftmals sind angepriesene Produkte auch gratis auf der Seite zu finden, sozusagen als „Deal of the day“.

Bedroht fühlt sich Cramer von der Konkurrenz jedoch nicht. „Ich glaube, wir teilen uns den Markt ganz gut, haben andere Qualitäts­ansprüche und sprechen auch andere Zielgruppen an. Je mehr Aufmerksamkeit auf unsere Branche gelenkt wird, desto größer wird der Kuchen für uns alle.“ Von der Blue-Ocean- zur Red-Ocean-Strategie – also zum Niederkämpfen der Konkurrenz am Markt statt des Entwickelns dauerhaft profitablen Geschäfts – sieht sich Cramer somit noch nicht umschwenken. Auch die Beate Uhse AG – die 2001 verstorbene Gründerin hält Cramer für inspirierend – ist für die gebürtige Berlinerin nie ein wahrer Nebenbuhler gewesen. Die einstigen Geschäfte der Beate Uhse AG, welche kürzlich erneut Insolvenz anmeldete, waren Cramer dabei eher ein Anreiz, den Markt selbst aufzumischen. „Wir haben uns damals natürlich auch den vorhandenen Wettbewerb angesehen – on- wie offline. Und da haben wir schnell erkannt: Das ist alles sehr klischeebehaftet. Die Zielgruppe sind Männer, und wirklich Lust, dort einzukaufen, machen die Bahnhofsshops, bei denen man mit einer braunen Papiertüte rauskommt, nicht“, lacht Cramer.

Unternehmenskennzahlen
(Quelle: Amorelie)

ProSiebenSat.1 Media hält 98 Prozent

Aber auch die interne Aufstellung hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Im börsen­notierten Medienunternehmen ProSiebenSat1, das von Beginn an einer der größten Investoren war, hatte man bereits 2015 einen Anteils­käufer gefunden, 75 % gingen damals an das deutsche Medienhaus. Im Frühjahr 2019 wurde auf 98 % aufgestockt. Mitgründer Sebastian Pollok hatte schon 2018 seine Anteile abgegeben und Amorelie wegen des Drangs nach Neuland verlassen. Somit liegen nur mehr 2 % der Anteile bei Cramer selbst. Aushängeschild der Marke Amorelie bleibt Cramer aber nach wie vor: „Der große Umbruch passiert eigentlich dann, wenn man die Mehrheit verkauft, was bereits 2015 der Fall war. Am Arbeitsgefühl hat sich für mich rein gar nichts verändert. Ich behandle das Unternehmen noch immer so, als wäre es zu 100 % mein eigenes. Ich finde es gut, mit dem Verkauf auch einen Teil des Risikos abgegeben zu haben. Als Gründerin eines Start-ups hat man ja wahnsinnig limitierte Ressourcen und kann keine großartigen Rücklagen ansparen. Es ist schön, sich um gewisse Dinge nun weniger Sorgen machen zu müssen“, so Cramer.

Genug andere Aufgaben und Verpflichtungen hat die Unternehmerin ohnedies. Von der modernen Unternehmensphilosophie Cramers und dem starken Kontrast zum eigenen Traditionsunternehmen war auch Werner Conrad angetan. So berief er 2014 die damals erst 26-Jährige in den Verwaltungsrat des 1923 in Berlin gegründeten Elektronik-Versandhandels Conrad Electronic CE, wo sie bis heute zu Themen wie New Work und Digitalisierung berät: „Auch das war wieder ein Sprung ins kalte Wasser für mich. Ich liebe kaltes Wasser. Nur in echt nicht, da bin ich die absolute Warmduscherin.“ Die metaphorische kalte Dusche verpasste sich Cramer zuvor bereits einige Male: Kurz nach dem BWL-Studium an der Universität Mannheim bot Oliver Samwer, Vorstandschef des börsennotierten Beteiligungsunternehmens und Start-up-Inkubators Rocket Internet, ihr die Position der Vice President International bei Groupon an. Cramer leitete drei Jahre lang elf asiatische Märkte, darunter Taiwan, Indonesien und Singapur, und war dabei für über 1.000 Mitarbeiter zuständig.

Amorelie, Lea-Sophie Cramer, Startup, Forbes DACH 3

Den Rest der Zeit, der Cramer noch bleibt und der von ihr als „Magic Time“ bezeichnet wird, investiert sie im wahrsten Sinne des Wortes – und zwar in Starstrike Ventures. Ihr selbst standen in der Frühphase von Amorelie rund 20 Business Angels zur Seite. Zu Starstrike Ventures zählt auch Sebastian Pollok, der heute mit seinem Anfang des Jahres gegründeten Risiko­kapitalfonds Visionaries Club namhafte Start-ups wie Runtastic oder Trivago mit Mikrofonds finanziert. Mittlerweile belaufen sich diese auf 80 Millionen €. „Mittlerweile habe ich um die zehn Beteiligungen, pro Quartal kommt circa eine neue dazu, je nachdem, wie die Arbeits­belastung bei mir gerade ist. Es ist schade, dass ich manchmal aus Zeitmangel absagen muss, aber wir haben auch schon viel umgesetzt“, sagt Cramer. Darunter fallen Start-ups wie die Frankfurter Babycare-Marke Lillydoo, Sunshine Smile – die unsichtbare Zahnspange – oder die Münchner Secondhand-Plattform Catchys. Und begonnen hat all das mit einem Delfin.

Text: Chloé Lau
Fotos: Peter Rigaud

Der Artikel ist in unserer September-Ausgabe 2019 „Women“ erschienen.

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