Nach dem Deal

© Beigestellt

Um für die Zukunft gut gerüstet zu sein, stehen beim deutschen Autozulieferer ZF Friedrichshafen dreierlei Dinge im Mittelpunkt: Sicheres Fahren, Automatisierung und die E-Mobilität.

Es war der Deal schlechthin in der Automobilbranche 2015: Durch den Kauf von TRW Automotive, dem amerikanischen Fahrzeugsicherheitsspezialisten, ­festigte der deutsche Autozulieferer ZF Friedrichshafen seine globale Spitzen­position. Dafür ließ man einiges springen: 12,4 Milliarden US-$ (9,6 Milliarden €) wurden nach Livonia, Michigan, überwiesen – dem Firmensitz von TRW Automotive. Heute operiert man gemeinsam unter dem Namen ZF Friedrichshafen AG. Bereits bisher galt ZF nach Umsätzen als einer der größten ­Autozulieferer der Welt – nach so prominenten Namen wie Bosch, Continental oder Denso. Nach der TRW-Übernahme erwirtschaftete man 2016 weltweit einen Umsatz von 35,2 Milliarden €. Hauptabsatzmarkt war mit rund 50 Prozent Europa, gefolgt von Nordamerika mit 27 Prozent. Die Mitarbeiterzahlen überstiegen 136.000 Personen. Damit wuchs ZF fast auf die doppelte Größe an.

Die Akquisition wurde bereits 2014 von ZF angekündigt, bis zur endgültigen Finalisierung dauerte es aber noch eine Weile. Denn für das grüne Licht mussten unter anderem kartellrechtliche Vorgaben erfüllt werden. ZF musste also seinen 50-prozentigen Anteil am ZF-Bosch-Gemeinschaftsunternehmen ZF Lenksysteme an die Bosch-Gruppe verkaufen – nunmehr Robert Bosch Automotive Steering. Die Fusion von ZF TRW wird gemeinhin als die größte seit 2007 ­bewertet: ­Damals kaufte der Hannoveraner ­Konzern Continental die Sparte VDO Automotive von Siemens für rund 11,4 Milliarden €.

Aufgrund der rasanten Entwicklung im Mobilitätssektor können wir nicht mehr alle Herausforderungen alleine lösen.

Der Deal war für ZF Teil der „Strategie 2025“, die eine zukunftsorientierte Antwort auf Urbanisierung, demografischen Wandel und den nachhaltigen Umgang mit Ressourcen sein soll. „Aufgrund der ­rasanten Entwicklung im Mobilitätssektor können wir nicht mehr alle Herausforderungen mit Eigenentwicklungen lösen. Vielmehr müssen wir Know-how über Zukäufe und Beteiligungen einsammeln“, erklärt ZF-Vorstandsvorsitzender Stefan Sommer. Vor fünf Jahren wurde der 54-­jährige studierte Maschinenbauer zum CEO des Konzerns in Friedrichshafen bestellt. Davor war Sommer etwa bei Continental Automotive Systems ­tätig – einem Geschäftsbereich des Continental-Konzerns, der für elektronisch gesteuerte Fahrzeugsicherheitssysteme ­zuständig ist. Also just jenes Unternehmens, das auch am letzten Megadeal 2007 beteiligt war.

TRW wurde als neue, fünfte Division in den ZF-Konzern eingegliedert. Unter der Bezeichnung „Aktive und Passive Sicherheitstechnik“ vereint sie die Teilgebiete Brems,- Lenkungs- und Insassenschutzsysteme. Der Spartenumsatz belief sich 2015 auf 8,9 Milliarden €. Insgesamt ist der ZF-Konzern in sieben Divisionen gegliedert, darunter Pkw-Antriebs- und Fahrwerktechnik, Nutzfahrtechnik und E-Mobility. Im fünften Geschäftsbereich will man vor allem brennende Zukunftsthemen in der Automobilbranche wie Sicherheit, ­Effizienz und autonomes Fahren vorantreiben. Bei Letzterem ergeben sich für das deutsch-amerikanische Doppel nun große Chancen. Denn ZF hinkte hier bisher nach eigenen Angaben hinterher.

Stefan Sommer
Stefan Sommer (54) studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Automatisierung an der Ruhr-Universität Bochum. 1997 kam er als Director „Electronics & Sensor Development“ zu Continental Automotive Systems nach Hannover. Seit 2008 ist Sommer in der ZF-Gruppe tätig, seit Mai 2012 Vorstandsvorsitzender der ZF Friedrichshafen AG.

„Das autonome Fahren bringt viele neue technische Herausforderungen. Wir bei ZF haben uns dazu die Leitlinie „See – Think – Act“ gegeben, denn sie beschreibt einfach und präzise die drei wesentlichen Handlungsfelder auf dem Weg zum autonomen Fahren. Für uns ­bedeutet das, im Bereich der Sensorik und der Car-to-X-Kommunikation (Kommunikation von Fahrzeugen mit ihrer Umgebung, Anm.) neue Produkte zu entwickeln und deren Signale miteinander zu verknüpfen“, sagt Sommer. Dadurch könne man den Herstellern komplette Systeme anbieten, die auch elektrische Antriebskomponenten und aktive und passive Sicherheitssysteme umfassen können – wenn gewünscht. Bereits jetzt ist es möglich, dass Sensoren exakt darauf reagieren, was um das Fahrzeug herum passiert. Gleichzeitig überwachen Kameras die Fahrbahn und registrieren etwa auch Verkehrsschilder. Aus diesen Informationen errechnet eine eigenständige Steuereinheit im Kfz ideale Fahrmanöver und betätigt Lenkung, Bremse und Antrieb eigenständig.

Wie sich die vollkommene Eingliederung von TRW gestalten wird, bleibt indes abzuwarten. Sommer hierzu: „Eine große Integration wie die von TRW Automotive verlangt überdurchschnittliches Engagement von allen Beteiligten. Wir sind hier aber sehr gut unterwegs und ­können die Integration in diesem Jahr im Wesentlichen abschließen.“

An der Konzeptstudie des „Advanced Urban Vehicle“ (AUV) 2015 arbeiteten bereits Ingenieure von ZF und der Division Aktive & Passive Sicherheitstechnik zusammen. Der Kern des Fahrzeuges: Ein extremer Einschlagwinkel der Vorderachse macht besonders enge Wende- und Einparkmanöver möglich. Genutzt werden soll dies von der Funktion „Smart Parking Assist“, anhand derer das Einparkmanöver gänzlich autonom erfolgt. Mittels „PreVision Cloud Assist“ holt sich das Fahrzeug Streckeninformationen aus der Cloud und soll damit sicherer und sparsamer fahren.

Einen ersten Fertigungsauftrag für die „Aktive & Passive Sicherheits­technik“ gab es auch bereits: Ab 2018 soll das integrierte Bremssystem (IBC – Integrated Brake Control) in hoher Stückzahl bei einem großen Fahrzeughersteller in Serie gehen. Nach Unternehmensangaben reicht die Kompatibilität vom ­Kleinstwagen des A-Segments bis zum großen SUV – sowohl bei Hybrid- als auch bei Elektrofahrzeugen.

Neben automatisiertem Fahren steht auch E-Mobility auf der verstärkten Zukunftsagenda von ZF Friedrichshafen. Dafür hat man erst kürzlich einen neuen Entwicklungsstandort in Japan aufgebaut (ZF Japan gibt es offiziell bereits seit 1980): Im neuen Tech Center nahe Yokohama entwickelt das Unternehmen elektrische Antriebslösungen – speziell für den asiatischen Markt. Dabei ist das Unternehmen eigentlich nach wie vor stark auf Verbrennungsmotoren spezialisiert. Von Experten wird die nachhaltige Zukunft der Mobilität aber in leistungsstarken Batterien gesehen. Ein Widerspruch also?

„Elektroautos sind nicht neu für uns. Wir waren 2008 die Ersten, die Elektromotoren für S-Klasse-­Hybridautos in Europa gebaut ­haben. Heute sind wir einer der größten ­Hybrid-Ausstatter überhaupt. Mit der Teilelektrifizierung von Verbrenner­autos bestimmt das Getriebe noch stärker den Fahreindruck. Denn es entscheidet dann darüber, wie viel im Elektromodus gefahren wird. Es gibt aber keine Überlegungen, in die Batteriefertigung einzusteigen, hier gibt es etablierte Anbieter im Markt“, sagt Sommer.

Es sind Innovationen, die auf ­einer fundierten Firmengeschichte aufbauen können. Denn die ­Gründung von ZF liegt mehr als 100 Jahre zurück: 1915 erfolgte sie als Zahnradfabrik GmbH in ­Friedrichshafen durch die Luftschiffbau Zeppelin GmbH. Anfangs spezialisierte sich der Betrieb auf die Herstellung von Zahnrädern und Getrieben für Luftfahrzeuge, Motorwagen und -boote. Die Internationalisierung erfolgte etwa 40 Jahre später. „Diese ist für ZF gelebte Realität und eine Voraussetzung für unsere erfolgreiche Entwicklung“, so CEO Sommer. 1958 wurde die erste ausländische Gesellschaft ZF do Brasil S. A. in São Caetano do Sul (Brasilien) gegründet. In den USA wurde der erste Standort 1979 in Illinois aufgebaut. Heute ist die ZF-Gruppe an rund 230 Standorten in 40 Ländern vertreten – darunter Frankreich, Russland, Japan und Südafrika.

Etwas eigentümlich für ­moderne Verhältnisse mutet die gewählte ­Eigentümerstruktur der ZF Aktien­gesellschaft an. Das ­Unternehmen liegt nämlich in der Hand von zwei Stiftungen, der Zeppelin-Stiftung (93,8 Prozent) und der Dr.-Jürgen-­und-Irmgard-Ulderup-Stiftung (6,2 Prozent). Bei der Zeppelin-­Stiftung stellt das Vermögen ein ­städtisches Sondervermögen dar. Für welche Zwecke die Finanzmittel verwendet werden, entscheidet somit der Gemeinderat der Stadt Friedrichshafen. Bedeutet: Die jährlichen Dividenden der ZF ­Friedrichshafen AG kommen der Stiftung zugute – und damit letztlich nur gemeinnützigen Zwecken. „Die beiden Stiftungen geben uns Stabilität und erlauben uns einen längeren Atem bei dem einen oder anderen Projekt. Doch diese Stabilität darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir am Markt mindestens die gleiche Geschwindigkeit wie unsere Wettbewerber brauchen. Wir haben immer wieder bewiesen, dass wir flexibel und auch schnell sind“, so Sommer. Und diese Konkurrenten gibt es. Mit Tech-­Unternehmen wie Google, Uber oder Amazon kämpfen gleich mehrere internationale Konzerne um den ersten Platz beim Thema autonomes Fahren. Amazon richtete 2017 etwa eine eigene Arbeitsgruppe speziell für den Warenverkehr ein. Von Google ist bereits länger bekannt, dass sich der IT-Riese damit beschäftigt – wie etwa auch mit Ridesharing-Diensten. Die Konkurrenz schläft also nicht.

Allzu große Sorgen bereitet das Sommer aber anscheinend nicht: „­Digitalität kann Mechanik nicht ersetzen. Wir können mit unseren Technologien Autos und Nutzfahrzeugen das Sehen, Denken und Handeln beibringen. Ob ein Fahrzeug autonom fährt oder von einem Fahrer gesteuert wird, ob es elektrisch oder von einem Verbrennungsmotor angetrieben wird: Ohne Fahrwerk geht es nicht. Wir gehen vielmehr davon aus, dass beim automatisierten Fahren die Fahrwerksqualität eine noch höhere Rolle spielen wird.“ So werde man sich besonders im Bereich der Sensorik und der Algorithmen an Start-ups beteiligen oder mit Unternehmen wie Nvidia (Entwickler von Grafikprozessoren und Chipsätzen, Anm.) kooperieren, um die notwendigen Technologien zu stärken.

In Zukunft werden auf ZF Friedrichshafen zahlreiche Herausforderungen zukommen. Diese betreffen auch die Marktentwicklungen. Im Geschäftsbericht 2015 ist ­besonders China als langfristig wachsender Markt ausgewiesen – speziell die Elektromobilität wird dort groß­geschrieben. So hat ZF erst 2017 ein neues Entwicklungszentrum in Schanghai eröffnet. Dieses soll auf eine Gesamtgröße von 54.000 Quadratmetern ausgebaut werden. Bis 2022 werde auch das Personal um 600 zusätzliche Stellen aufgestockt, so das Unternehmen. Gesamte Investitionskosten: 50 Millionen €.

Auch das Potenzial Indiens hat man in Friedrichshafen erkannt. So wurde in Hyderabad ein Kompetenzzentrum für Artificial Intelligence und Big Data errichtet: „Wir sind heute schon global aufgestellt – und das wird sich auch in den nächsten Jahren in den Bereichen Software und IT widerspiegeln, die wir derzeit massiv ausbauen. Bei solchen Standortentscheidungen müssen wir uns daran orientieren, wo wir entsprechendes Know-how finden“, sagt Sommer.

Dieser Artikel ist in unserer Sommer-Ausgabe 2017 „Keep it movin'!“ erschienen.

,
Chefredakteur

Up to Date

Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.