Nikolay Storonsky: 10X

Der Revolut-Gründer will die Finanzbranche erobern. Und muss dazu ein paar Riesen niederringen.  

Die Frage, was ihn denn nachts um den Schlaf bringt, quittiert Nikolay Storonsky mit einem (müden?) Lächeln. „Es ist eher so, dass ich andere Leute nicht schlafen lasse.“ Und dennoch beweisen die tiefen Augenringe des Russen, dass auch er nur so viel Zeit wie absolut nötig schlafend verbringt. Das, da Storonsky als Gründer von Revolut genug um die Ohren hat. Das britische Start-up gilt als eines der vielversprechendsten Fintechs Europas, erst kürzlich durchbrach Revolut in einer riesigen Finanzierungsrunde mit einer Bewertung von 1,7 Milliarden US-$ die Schwelle zum „Einhorn“. 250 Millionen US-$ holte sich das Unternehmen dabei in der Runde, die von DST Global angeführt wurde (das Unternehmen investierte zuvor bereits früh in Facebook und Spotify). Offiziell gelauncht wurde Revolut erst vor drei Jahren, im Juli 2015. Mitgründer war neben Storonsky Vlad Yatsenko, der heute als CTO fungiert. Zu Beginn beschränkte sich das Produkt vor allem auf eine Bankkarte, die niedrigste Gebühren bei Zahlungen im Ausland ermöglichte. Storonsky selbst hatte auf Reisen viel Geld für Wechselkursgebühren bezahlt. Doch der Dienst war erst der Anfang. Denn in den letzten drei Jahren baute Revolut ausgehend von dieser Prämisse – Finanzdienstleistungen zu niedrigsten Gebühren oder kostenlos anzubieten – zahlreiche weitere Produkte. Heute bietet die laut Eigenbeschreibung „digitale Banking-Alternative“ über seine Plattform Girokonten (Kosten je nach Leistungspaket), Versicherungsprodukte, das Handeln von Kryptowährungen etc. Zudem wurden zuletzt internationale Überweisungen und gebührenfreies Trading von Aktien und ETFs hinzugefügt. Das Ziel? Kunden sollen über Revolut ihr gesamtes Finanzleben organisieren können und nie wieder ihre Bank wechseln müssen.

Neben Privatkunden bietet das Start-up jedoch auch Produkte für Unternehmen an: Geschäftskonten, Überweisungen, Firmenkarten etc. Bisher dürfte die Strategie aufgehen, Revolut hat 400 Mitarbeiter, 2,1 Millionen registrierte Kunden und verarbeitet Transaktionen in der Höhe von zwei Milliarden € pro Monat. Der Service ist in Großbritannien, Frankreich, Polen, Spanien, Deutschland etc. verfügbar. Dieses Jahr sollen noch die USA, Kanada, Singapur, Hongkong, Indien und Russland folgen.

Scheint also alles blendend zu laufen. Doch der Markt ist knallhart: Neben Revolut bieten alleine in Großbritannien mittlerweile auch Transferwise, Monzo, Starling Bank und Atom digitale Banklösungen an, die von den Österreichern Valentin Stalf und Maximilian Tayenthal gegründete Digitalbank N26 tritt gerade in den britischen Markt ein. Und alle kämpfen um die gleiche Zielgruppe: oft – aber nicht immer – junge Menschen, die mit den Angeboten traditioneller Banken unzufrieden sind.

Angesprochen auf die direkte Konkurrenz zeigt sich Storonsky jedoch wenig beeindruckt: „Das sind kleine, süße Start-ups.“ Und Revolut? „Ich glaube, wir sind nicht mehr klein und süß.“ Die „Anderen“ würden laut Storonsky lokale Banken bauen, während Revolut an einer globalen Lösung arbeite. Man könnte Storonsky die Antwort als Arroganz auslegen. Doch der Russe beantwortet Fragen ehrlich und direkt, für ausschweifende Floskeln scheint er keine Zeit zu haben. Und in gewisser Weise hat er recht: Denn Revolut wächst nicht nur schneller als die Konkurrenz, man hat auch bezüglich der angebotenen Dienstleistungen ein breiteres Portfolio. Und Revolut macht seinen Wettbewerbern die eigenen Produkte quasi im Vorbeigehen streitig. So baute Transferwise sein Unternehmen ab 2011 vor allem rund um günstige internationale Überweisungen auf. Bis Revolut 2018 das gleiche Service launchte – kostenlos. Auch die gebührenfreie Möglichkeit zum Aktienhandel war ewig lang das Steckenpferd des US-Start-ups Robinhood. Auch da ist ein Wettbewerb mit Revolut ausgebrochen.

Auch ein Alleinstellungsmerkmal: Revolut schrieb als erste Digitalbank schwarze Zahlen, der Break-even wurde im Dezember 2017 erreicht. Das sei wichtig gewesen, so Storonsky, um zu beweisen, dass man überhaupt in der Lage ist, Geld zu verdienen. Denn die gängige Meinung zu Fintechs – spannend, aber nicht nachhaltig – ist problematisch, wenn Kunden ihr Gehalt auf ein Konto überweisen sollen. Über Umsätze spricht Revolut jedoch nicht, denn der hochkompetitive Markt würde die Veröffentlichung jeglicher Information erschweren. Nach dem Erreichen des Break-even stehen nun nach der jüngsten Finanzierungsrunde bei Revolut aber wieder alle Zeichen auf Wachstum. Da kann es schon mal sein, dass die Profitabilität zulasten von neuen Mitarbeitern oder Märkten wieder geopfert wird. Denn das Unternehmen will möglichst viele Kunden in möglichst vielen Märkten gewinnen.

Storonsky ist sich durchaus bewusst, dass man sich dem intensiven Wettbewerb in der Finanzbranche nicht entziehen kann. Die gefährlichen Konkurrenten sind laut dem Russen aber nicht unbedingt jene, die man auf den ersten Blick vermuten würde. Denn der Grund, warum der Gründer uns beim Interview mit Augenringen begegnet, ist leicht erklärt: Er denkt, dass in Zukunft maximal drei bis vier große Player in der Finanzbranche überleben können – und Revolut soll einer dieser Überlebenden sein: „Wenn wir unsere Überlebenswahrscheinlichkeit maximieren wollen, müssen wir ein Höchstmaß an Energie und Zeit investieren. Es ist besser, 100 Prozent in etwas zu stecken, und dann in zwei Jahren zu scheitern, als heute nur 80 Prozent zu investieren und sich dann fragen zu müssen – was wäre wenn?“

Neben Revolut sieht Storonsky indes nicht N26 oder die Deutsche Bank, sondern viel eher branchenfremde Giganten wie Amazon oder Google als relevante Player der Finanz­industrie. Wenn die Techgiganten sich plötzlich entscheiden, in die Finanzbranche zu expandieren, wird die Luft auch für Revolut äußerst dünn. Doch denkt der Gründer tatsächlich, es mit Unternehmen wie Amazon oder Google – beides Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von rund 700 Milliarden US-$ – aufnehmen zu können? Storonsky antwortet auf die Frage, wie er es oft tut, mit: „Warum nicht?“ Und führt dann weiter aus: „Ich sehe viele Möglichkeiten, wie wir unsere Chancen nutzen und mit hoher Geschwindigkeit in verschiedene Märkte expandieren können.“

Revolut-Gründer Nikolay Stornosky

Dennoch wäre Amazon ein fast schon übermächtiger Gegner. Laut einem Bericht des Beratungsunternehmens Bain könnte das Unternehmen von Jeff Bezos, falls man sich dazu entscheidet, alleine in den USA in fünf Jahren rund 70 Millionen Kunden aufbauen. Damit würde Amazon laut Bain in kürzester Zeit zur drittgrößten Bank in den USA – noch vor Wells Fargo. Das Wissen um digitale Prozesse sowie die große Kundenbasis wären dann noch hilfreicher. Und: Amazon könnte sich dann rund 250 Millionen US-$ Kreditkartengebühren pro Jahr ersparen.

Nikolay Storonsky glaubt dennoch an seine Chance. Und fordert daher von seinem Team höchsten Einsatz, denn vom lockeren Start-up-Feeling ist in Revoluts Büro wenig zu sehen. Kein Tischfußballtisch, keine ausladenden Meetingräume. Die Mitarbeiter in London sitzen in einem Großraumbüro, Namensschilder sollen dem Team des schnell wachsenden Unternehmens dabei helfen, die neuen Kollegen kennenzulernen. Im Level39 in Canary Wharf gelegen, sitzt Revolut inmitten eines der bekanntesten Fintech-Inkubatoren mitten im Herzen des größten europäischen Finanzzentrums.

Nikolay Storonsky ist Wettbewerb und Erfolgsdruck gewohnt. Aufgewachsen in einem Vorort von Moskau, übte er schon in seiner Kindheit das Kräftemessen. Damals jedoch im sportlichen Sinne, denn der Russe boxte in seiner Jugend und fing dann mit dem Schwimmen an. Nach der Schule studierte Storonsky Physik am renommierten Moscow Institute of Physics and Technology und holte als Student einen Staatsmeistertitel im Schwimmen. Heute sagt er, dass er nicht das Gefühl hat, dass es unbedingt seine Erfahrung im Sport sei, die seine Arbeitseinstellung dominiert: „Wenn ich mit erfolgreichen Menschen spreche, geht es immer nur um eines: Gewinnen. Es ist egal, ob im Sport oder im Geschäftsleben, es geht darum, die Nummer eins sein zu wollen.“ Seinen ersten Job fand Storonsky als Trader bei Lehman Brothers. Zeitgleich zu diesem Job absolvierte er einen zweiten Master in Volkswirtschaft an der New Economic School in Moskau. Es dauerte dann nicht lange, bevor Storonsky Lehman Brothers wieder verließ – wenig später kollabierte das Finanz­unternehmen in sich selbst und löste 2008 die globale Finanzkrise aus (nein, die Ereignisse haben nichts miteinander zu tun). Der Russe heuerte bei Credit Suisse an, wo auch sein späterer Mitgründer Vlad Yatsenko als Entwickler tätig war. Ab 2013 widmeten sich die beiden voll und ganz Revolut.

Den Erfolg von Revolut führt Storonsky heute auf Prinzipien zurück, die sich nur unzufriedenstellend ins Deutsche übersetzen lassen: Open-Mindedness und Execution. Man müsse für alle neuen Möglichkeiten zugänglich sein, die Projekte dann aber auch umsetzen. Als Vorbilder nennt er wiederum Amazon und Google. „Amazon ist offen für Neues – führt die eigenen Projekte dann aber auch durch. Das ist selten. Sehen Sie sich doch die verschiedenen Bereiche an: E-Commerce, Amazon Web Services, Consumer Electronics etc.“ Doch diese Offenheit brachte Amazon auch einige Fehlschläge ein. Das Fire Phone floppte gewaltig und kostete den Konzern alleine im dritten Quartal des Jahres 2014 rund 170 Millionen US-$. Wie das passieren konnte? Ein ausführlicher Bericht des US-Magazins Fast Company kommt zu dem Schluss, dass das Unternehmen und Gründer Jeff Bezos beim Fire Phone den Fokus verloren hatten. Doch ist diese Gefahr auch bei Revolut vorhanden? Anders gefragt: Was könnte Revoluts Fire Phone sein? Storonsky: „Wir haben auch schon Fehler gemacht. Wir launchten ein Office-Produkt, das scheiterte. Auch unsere Wealth-Plattform (gebührenfreier Handel von Aktien, Anm.) hätte bereits sieben Monate früher launchen sollen. Da gab es aber Schwierigkeiten mit dem Partner.“

Dennoch: Einen echten Rückschlag hatte Revolut bisher noch nicht zu verzeichnen. Was Storonsky und seine Mitarbeiter möglicherweise vor die erste große Zerreißprobe stellen könnte. Apropos Mitarbeiter: Da gibt es bezüglich Revolut viele Meinungen. Dass Bewertungen auf der Jobplattform „Glassdoor“ nicht immer ernst genommen werden dürfen, liegt in der Natur der Sache. Mitarbeiter verlassen Unternehmen auch mal im Schlechten – und lassen dann kein gutes Haar am ehemaligen Arbeitgeber.

Nikolay Storonsky

…wuchs in einem Vorort von Moskau auf. Storonsky studierte Physik und Volkswirtschaft und wurde Staatsmeister im Schwimmen. Er war als Trader bei Lehman Brothers und anschließend bei der Credit Suisse tätig. 2013 gründete er mit Vlad Yatsenko in London Revolut.

Doch insbesondere Revoluts Arbeitsklima ist seit langem Gegenstand von Diskussionen. Ehemalige Mitarbeiter sprechen von langen Arbeitstagen, wenig Freizeit und hohem Druck im Job. Storonsky winkt ab, sagt, die Mitarbeiter wollen selbst Projekte – und arbeiten freiwillig lang und hart. 70- bis 80-Stunden-Wochen sind beim Fintech nicht ungewöhnlich. Doch Storonsky zeigt sich auch selbstkritisch. Denn über die Jahre haben zahlreiche Mitarbeiter das Unternehmen verlassen, auch viele aus der Führungsriege. Hohe Fluktuation ist für ein schnell wachsendes Start-up zwar nicht unbedingt unüblich, dennoch war das Thema bei Revolut äußerst präsent. Storonsky hat eine Erklärung: „Wir geben uns nicht mit mittelmäßiger Qualität zufrieden. Wir geben uns generell nie zufrieden. Großartige Mitarbeiter machen vielleicht ein Prozent aller Menschen aus. Es ist schwierig, diese ‚A-Player‘ zu finden.“

Hat Revolut sich in der Vergangenheit zu oft mit der B-Klasse zufriedengegeben? „Manchmal weiß man, dass ein Mitarbeiter nicht passt und nicht mitskalieren kann. Man denkt dann, dass es für ein Jahr schon gutgeht, eben weil man gerade keine Zeit hat, jemand anders zu finden. Das funktioniert aber nicht.“ Neue Managementansätze, die Home Office, Work-Life-Balance und Mitarbeiterzufriedenheit ganz oben auf der Agenda haben, würden Revoluts Modell vermutlich kritisieren. Doch der Gedanke, dass Techriesen einem im Nacken sitzen, dürfte Revoluts Mitarbeiter vorantreiben. Oder, positiver formuliert: Der Wunsch, die Finanzbranche tatsächlich eines Tages zu dominieren.

Mittlerweile wurde der Recruiting-Prozess überarbeitet. Denn der zahlenaffine Russe, der bei Revolut „sicher über 1.000“ Bewerbungsgespräche geführt hat, will nichts mehr dem Zufall überlassen. Potenzielle Kandidaten werden anhand von drei Faktoren bewertet: „Intelligenz“, „Culture Fit“ und „Skillset“. Ersteres wird mit einem „Hometask“ überprüft, Culture Fit und Skillset über spezifische Fragen und Aufgaben. Bis Jahresende will Revolut so 50 Mitarbeiter monatlich einstellen, Ende 2018 werden aus den 400 also rund 700 Mitarbeiter werden. Stationiert sind diese in London, Krakau, Sankt Petersburg und New York. In größeren europäischen Städten bestehen nur kleine Büros, in Berlin sucht Revolut aktuell zwei Mitarbeiter für den gesamten deutschen Markt.

Storonsky verfolgt Ziele grundsätzlich nach der „10×-Regel“. Diese geht auf Grant Cardones gleichnamiges Buch zurück und besagt, dass man sich Ziele setzen muss, die zehnmal größer sind als das, was man sich aktuell vorstellen kann zu erreichen. Diese Denkweise würde laut Cardone erfolgreiche Start-ups von jenen unterscheiden, die scheitern. Doch ob Revolut, Storonsky – und insbesondere seine Mitarbeiter – das enorm hohe Tempo, das aktuell an den Tag gelegt wird, tatsächlich aufrechterhalten können, muss sich erst zeigen. Zudem wird interessant sein zu sehen, wie auf den ersten echten Rückschlag – also quasi Revoluts Fire Phone – reagiert wird. Kann Revolut es mit allen Challengerbanken, allen traditionellen Banken und zusätzlich den Riesen Amazon und Google aufnehmen? Kann Revolut seine 10×-Strategie auch umsetzen, wenn der Widerstand von den Konkurrenten größer wird? Was Nikolay Storonsky auf all diese Fragen antworten würde, ist klar: „Warum nicht?“ Augenringe hin oder her.

Dieser Artikel ist in unserer Juli-Ausgabe 2018 „Wettbewerb“ erschienen.

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