OK statt K.O.

Sich abends amüsieren und tanzen gehen und nach dem Feiern wieder sicher nach Hause kommen: Besonders für Frauen ist das nicht immer gegeben. Kim Eisenmann will die Sicherheit beim Ausgehen erhöhen – dank ihrer Erfindung Xantus, dem weltweit ersten Armband, das K.o.-Tropfen in Getränken erkennt.

Kim Eisenmann war 2018 auf einem Dorffest in Geislingen an der Steige in Deutschland, als eine junge Frau völlig neben sich und unbekleidet im nahe gelegenen Stadtpark gefunden wurde. Ärzte fanden Spuren von GHB und GBL, besser bekannt als K.o.-Tropfen, in ihrem Blut. Für jede junge Frau im Umfeld, auch für Kim Eisenmann, ein Schock: „Ich dachte immer, so etwas passiert nur in einer Großstadt wie Berlin, auf irgendwelchen Raves – aber dann wurde mir bewusst, dass das auch in einer Kleinstadt wie dieser mit weniger als 30.000 Einwohnern geschehen kann.“

2018 entwickelten Eisenmann und ihr Mitgründer der bereits 2016 gegründeten Twinvay GmbH, Sven Häuser, die Idee zu Xantus, dem weltweit ersten Armband, mit dessen Hilfe man ein Getränk auf K.o.-Tropfen (ein Überbegriff für die meist illegalen Substanzen, die stark betäubend wirken) testen kann. Sie werden genutzt, um das Opfer wehrlos zu machen und dann entweder auszurauben oder, noch schlimmer, zu misshandeln.

Die Twinvay GmbH hatte 2016, kurz nach der Gründung, ihr erstes Produkt, den Flip Pen – einen 3-in-1-Fidget-Spinner – auf den Markt gebracht. Vom spielerischen Produkt ging es dann zu einem, das Leben retten kann. K.o.-Tropfen sind in der Partyszene seit Jahren gefürchtet: „Das Getränk beim Feiern niemals unbeaufsichtigt lassen“ – das bekommen junge Menschen, sobald sie alleine losziehen, eingetrichtert. Denn K.o.-Tropfen sieht und schmeckt man nicht. Sie werden meistens verabreicht, um ihre Opfer willenlos zu machen. Dabei kann eine Überdosis sogar zum Tod führen. Zudem sind K.o.-Tropfen nur etwa sechs bis zwölf Stunden lang nachweisbar, weshalb es keine verlässliche Statistik darüber gibt, wie viele Menschen jährlich zu Opfern dieser Substanzen werden.

Nach nur einem halben Jahr Entwicklungsphase war das Einweg-Armband Xantus bereit für den Vertrieb. Gemeinsam mit einem Spezialisten konzipiert funktioniert das Ganze, indem man mit dem Finger, einem Strohhalm oder einer Serviette zwei Tropfen des Getränks auf das vorgesehene kreisförmige Testfeld am Band aufträgt. Nach einigen Sekunden verfärbt sich dieses entweder hellgrün bis gelblich, wenn keine chemische Reaktion stattgefunden hat, oder blau, wenn K.o.-Tropfen nachge­wiesen wurden. Die Trefferquote liegt laut Eisenmann bei über 95 %.

Heute ist Xantus in Drogeriemärkten wie DM und Müller, in Apo­theken und im Xantus-Online­shop für 16 Länder innerhalb Europas erhältlich. Ein Armband kostet je nach Packung ca. 1 bis 3 €. Bisher wurden über 500.000 Stück verkauft. Das eigenfinanzierte Unternehmen Twinvay konnte bisher einen Umsatz von 13 Mio. € generieren, im Jahr 2023 erwartet das Unternehmen, den Umsatz auf 20 Mio. € zu erhöhen. Die Umsätze kommen dabei hauptsächlich aus den Jahren 2019 und 2022, „weil wir während der Pandemie zwei Jahre lang fast gar nichts verkauft haben“, so Eisenmann. Wegen der Covid-Restrik­tionen waren lange Zeit viele Lokale und Clubs geschlossen und die Nachfrage nach Xantus sank dementsprechend stark.

Aber Eisenmann und Häuser begegnete auch Widerstand aus unvermuteten Ecken. Sie hätten anfangs viel negatives Feedback von der Polizei, Drogenanlauf­stellen und Frauenschutzbüros bekommen. „Teils standen Polizisten bei uns im Büro und meinten, dass es K.o.-Tropfen gar nicht gibt – Frauen hätten das erfunden, um betrunkenes Fremdgehen zu rechtfertigen.“ Eisenmann war entsetzt: „Ich dachte: Habe ich das jetzt richtig verstanden? Unfassbar, wie man so denken kann! Leider hören wir von sehr vielen Opfern, dass man ihnen nicht glaubt.“

Die Xantus-Erfinder haben sich gerade deswegen nicht von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Bereits lange vor ihrem Studium des Wirtschaftsingenieurwesens war Eisenmann klar, dass sie eines Tages ihr eigenes Unternehmen gründen will. „Ich wusste bereits seit der achten Klasse, dass ich mich selbst­ständig machen will“, erzählt sie.

Heute bestärkt Eisenmann vor allem das positive Feedback von Konsumenten darin, dass Xantus Menschen tatsächlich davor bewahren kann, zum Opfer einer Straftat zu werden. Beispielsweise berichtete eine Mutter, dass ihrer 17-jährigen Tochter in einem Club von Fremden Getränke angeboten wurden. Das Mädchen wurde misstrauisch, machte den Test – und das Armband schlug an. Die Männer nahmen Reißaus. Eine Überdosis des Wirkstoffs hätte sie sogar das Leben kosten können.

Dabei geht es bei Weitem nicht nur um junge Mädchen. Die Xantus-Nutzer sind hauptsächlich über 40-Jährige und zu 50 % männlich. Auch Männer sind von Raub und Übergriffen betroffen. Eisenmann: „Ich denke aber auch, es sind sehr viele Papas, Brüder, Ehemänner oder Freunde dabei, die Xantus für jemanden kaufen, den sie gerne haben, damit sie beruhigter schlafen und etwas zur Sicherheit dieser Person beitragen können.“

K.o.-Tropfen sind Geruchs- und geschmacklos. Der Frauennotruf in Wien hat in 2022 mehr Anrufe wegen verabreichter K.o. Tropfen erhalten als im Vorjahr.

Ziel sei es, in erster Linie Achtsamkeit zu schaffen, so Eisenmann. Durch das Armband soll nicht das Gefühl entstehen, nicht länger auf sein Getränk aufpassen zu müssen, sondern es soll ermög­lichen, im Zweifel die Option zu haben, einen Test durchführen zu können, um sich abzusichern. Außerdem sollen potenzielle Täter abgeschreckt werden, denn sie könnten durch das Armband leichter auffliegen.

In Zukunft soll Xantus nicht nur in Europa, sondern auch in den USA erhältlich sein. Die Produktion wurde bereits in die USA verlegt, somit werden die Armbänder nun in den Staaten produziert. „Wir haben einen Partner in den USA gefunden, der seit über 20 Jahren große Ein­zelhändler vor Ort beliefert“, so Eisenmann. Dennoch gibt es noch einige Fragezeichen, ob die Expansion den Vorstellungen des Unternehmens entsprechen wird – beispielsweise, ob Xantus in den USA genauso nachgefragt sein wird wie in Europa.

Kim Eisenmann hat Wirtschafts­ingenieurwesen studiert und bereits während ihres Studiums Geld für die Gründung ihres eigenen Unternehmens Twinvay GmbH gespart.

Fotos: Twinvay GmbH, Katharina Gossow

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