Mit dem FORBES-NEWSLETTER bekommen Sie regelmässig die spannendsten Artikel sowie Eventankündigungen direkt in Ihr E-mail-Postfach geliefert.
Seit 2002 baut Dorli Muhr am Spitzerberg im niederösterreichischen Prellenkirchen Wein der Sorte Blaufränkisch an. Als erster österreichischer Rotwein überhaupt wurde einer ihrer Weine nun mit 98 Parker-Punkten ausgezeichnet. Sie führte uns mit ihrer Tochter Anna durch ihre Weingärten.
Die große Glasfront im Verkostungsraum der Weinmacherin Dorli Muhr gibt den Blick auf den in der Ferne liegenden Spitzerberg im niederösterreichischen Prellenkirchen frei. Im Garten direkt davor läuft ein Rebhuhn. Am Tisch stehen Gläser auf einer Landkarte – und zwar exakt dort, wo die jeweiligen Parzellen liegen, von denen die einzelnen Kostproben stammen. Dorli Muhr, das muss man wissen, ist ein Kommunikationsprofi – seit 1991 betreibt sie die Agentur für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit Wine + Partners, mit der sie Kommunikation rund um Wein, Genussprodukte und Kulinarik betreibt. In ihrem Verkostungsraum verbindet Muhr also das, was sie am besten kann: Wein machen, kommunizieren, erklären – und irgendwie auch verführen.
Während sie noch die Flaschen öffnet – so beginnt sie zu erzählen –, verbinden sich Menschen, die einander vorher noch gar nicht kannten. „Sie finden zueinander, weil sie über den gleichen Wein reden. Man nennt das Synchronisierung“, sagt Muhr. „Da passiert etwas in unseren Gehirnen, und letztlich auch mit unseren Hormonen“, grinst sie. Und dann merke man, dass „diese Wände, die sich oft zwischen Menschen befinden, die sich vorher nicht kannten, wegbrechen. Das ist meiner Meinung nach ein Element des Weins, das wir mehr kommunizieren und feiern müssen“, so Muhr weiter. „Und eine Flasche ist ja immer zu groß für nur eine Person. Sie ist zum Teilen gedacht.“ Man müsse sich vorstellen, dass der Spitzerberg, der heute auch kein Berg mehr sei, 6.000 Meter hoch und vom Urmeer umgeben war, holt sie zur Geschichte der Gegend aus. Kalk aus über die Jahrmillionen sedimentierten Fischen und Muscheln bildet den Boden, auf dem der Wein wächst, und verleiht diesem eine ganz spezifische Stilistik. „Kalk macht die Weine immer schlanker, präziser, dichter. Ich vergleiche unsere Stilistik gerne mit Seide, die sehr fein ist – und gleichzeitig sehr dicht“, so Muhr weiter.
Im August dieses Jahres wurde einer ihrer Weine, der Blaufränkisch „Ried Spitzerberg – Obere Spitzer 1 ÖTW 2022“, als erster österreichischer Rotwein überhaupt vom Robert Parker Wine Advocate mit 98 Punkten (von maximal 100) ausgezeichnet. Der Weinkritiker Stephan Reinhardt beschrieb ihn als „vollmundig, seidig und sehr elegant“, mit Toast- und Tabaknoten sowie salziger Würze. „Für mich ist das der Wein, den ich gerne mit einer Primaballerina vergleiche, die Pirouetten tanzt“, beginnt Dorli Muhr ihn zu beschreiben und wird dabei recht bildhaft: „Du hast ganz wenig Druck auf dem Boden, gleichzeitig aber viel Kraft und Spannung, die den Körper vertikal nach oben zieht.“ Der Wein habe Struktur, Kraft, aber „kein Gramm Fett“. Er sei weder laut noch mächtig, so Muhr weiter, er sei feinsinnig. Und nun gehört er zu den besten 300 Weinen des Jahrgangs – nach 23 Jahren, die sie nun Wein mache, sei dies auch eine Bestätigung für ihre Arbeit, sagt Muhr. Zum Zeitpunkt des Interviews gab es den Blaufränkisch nur auf Vorbestellung im Webshop; innerhalb kürzester Zeit waren 400 Flaschen – eine kostet 120 € – eingebucht.
Dorli Muhr baut fast ausschließlich Rotwein an – Blaufränkisch, der unter Kennern als sehr anspruchsvolle Sorte gilt. „Hohe Ernteerträge tun ihm nicht gut“, sagt sie, weshalb er sich für Billigwein ganz und gar nicht anbiete. „Normalerweise“, holt sie erklärend aus, „kannst du in Österreich laut Weingesetz für Qualitätswein zwischen 8.000 und 9.000 Kilogramm Trauben pro Hektar ernten. Am Spitzerberg haben wir nie mehr als dreieinhalbtausend Kilo.“
Am Spitzerberg selbst, erklärt Muhr, während sie uns in ihrem Wagen zu ihren Parzellen fährt, gebe es ungefähr 100 Hektar Weinberge und rund 15 Produzenten, die selbst Flaschen abfüllen – „die anderen 20 oder 25 verkaufen ihre Trauben“. Sie kauft von zwei Produzenten zu, die genau wie die Trauben biozertifiziert sein müssen. Zum Teil arbeitet sie selbst an den Rebstöcken und macht die Lese selbst, um die Kontrolle über das Produkt zu haben.
Muhr selbst bewirtschaftet zwölf Hektar am Spitzerberg und produziert rund 70.000 Flaschen Wein im Jahr. „Das klingt erst mal viel, ist aber klein“, sagt sie. Wenn man als Familienbetrieb eine Familie mit zwei Kindern erhalten müsse, müsse man in Österreich durchschnittlich zwischen 100.000 und 150.000 Flaschen produzieren, gibt sie eine Größenordnung. Alles, was sie verdiene, auch mit ihrer Agentur, reinvestiere sie in den Weinbau. Und mit dem Blick auf die Landkarte, auf der die aktuell 40 Parzellen der Winzerin eingezeichnet sind, verdeutlicht sich die Leidenschaft der 60-Jährigen.
Kalk macht die Weine schlanker, präziser, dichter. Ich vergleiche die Stilistik gerne mit Seide.
Dorli Muhr
Seit mehr als 100 Jahren ist die Familie von Muhr mit der Gegend rund um den Spitzerberg verbunden. Mit dem 0,17 Hektar großen Weingarten auf der Ried Roterd ihrer Großmutter Katharina nahm die heute professionelle Weinproduktion in der Familie ihren Anfang. Man traf dort Freunde und Familie zur Weinernte, füllte ein paar kleine Fässer ab, die im familiären Kreis geleert wurden. So wollte es Muhr, als sie den brachliegenden Weingarten 1995 wieder bepflanzte, ursprünglich auch weiterführen – als Freizeitvergnügen.
„Ich hatte zuerst nur diese eine Parzelle und dachte, ich mache einfach ein bisschen Wein für mich und meine Freunde, so wie mein Vater das gemacht hat“, so Muhr. Bis sich herausstellte, dass der selbst produzierte Wein nicht nur sehr, sehr gut war, sondern Weltklasseniveau hatte, so die Weinmacherin weiter. „Damals habe ich mir gesagt: ‚Okay, da muss ich jetzt weiter daran arbeiten.‘“ 2002 begann Muhr mit ihrem damaligen Ehemann Dirk van der Niepoort, einem Weinproduzenten aus Portugal und Vater ihrer Tochter Anna, die professionelle Weinproduktion am Spitzerberg. Seitdem kauft sie alte Weingärten mit bis zu 70 Jahre alten Rebstöcken auf. „Ich sehe meine Aufgabe auch darin, den Wert der Weingärten am Spitzerberg zu steigern“, sagt Muhr. „Ich habe den Quadratmeter um 1,50 € gekauft, heute ist er 10 € wert. Mehr als eine Verfsechsfachung des Werts dieses Grunds ist schon einmal nicht schlecht“, sagt sie.
Bei unserer Begehung der einzelnen Parzellen ist auch Anna van der Niepoort mit von der Partie. Die 21-Jährige absolviert aktuell zwei Einzelstudien rund um die Weinproduktion im niederösterreichischen Krems (International Wine Business) und in Bordeaux (Wine & Spirits Management), Frankreich. Kurz zuvor hat sie ein mehrmonatiges Praktikum bei einem Weinhändler in Irland absolviert. Die Wahl sei auf den Händler gefallen, erzählt sie, weil er sowohl die Weine ihres Vaters als auch jene ihrer Mutter vertreibt – in dieser Hinsicht lasse sie sich nichts nachsagen, lacht sie. Auch helfe sie im väterlichen Weingut in Portugal als auch im mütterlichen in Prellenkirchen gleichermaßen gerne aus; und das, obwohl sie anfangs gar nichts mit dem Weinbau zu tun haben wollte: Sie versuchte sich nach dem Gymnasium in der Gastronomie und wollte ursprünglich Marketing in den Niederlanden studieren, erklärt sie. Irgendwann führte sie dann doch der Weg zu einem Weingut in Südafrika, wo sie gewissermaßen Feuer gefangen habe.
Van der Niepoort hat ihre ganz eigene Vorstellung davon, wie Wein – vor allem für ihre Generation – sein soll. Vieles habe damit zu tun, sagt sie, „dass die jüngere Generation keine schweren Weine, sondern spritzige, leichte Weine trinken möchte“. Auch ihre Bachelorarbeit handle davon, wie der Einfluss des Klimawandels den Alkoholgehalt des Weins in die Höhe schraube, und darüber, wie man diesen reduzieren könne: Einerseits müsse man darauf achten, dass nicht zu viele Blätter auf dem Weinstock seien, weil die Photosynthese die Zuckerproduktion antreibe, sagt sie. Andererseits aber sei es wichtig, dass die Trauben durch die zunehmend höher werdenden Temperaturen ausreichend beschattet würden, so die junge Weinmacherin. „Am besten ist es, wenn jede Traube einen kleinen eigenen ‚Umbrella‘ bekommt“, so van der Niepoort. (Durch das viele Reisen kämen ihr manchmal die Sprachen durcheinander, sagt sie.) Gemeinsam mit Dorli Muhrs Kellermeister Lukas Brandstätter hat van der Niepoort auch schon ihren eigenen Wein gemacht: „Pas de deux“ heißt die Kreation. Irgendwann werde sie sicher auch mehr machen, sagt van der Niepoort; allerdings erst, wenn sie selbst sicher sei, dass sie ihre Fähigkeiten meisterhaft beherrsche.
Die Latte liege hoch, sagt Anna van der Niepoort mit großem Respekt vor den Leistungen ihrer Mutter, die das Weinmachen neben ihrer Agentur als Alleinerziehende hochgezogen hat. „Was ich wahrscheinlich am meisten bewundere, ist“, so van der Niepoort, „dass sie in diesen Weingärten, die zum Teil schrecklich ausgeschaut haben, Potenzial erkannt hat und drangeblieben ist.“ In vielerlei Hinsicht habe ihre Mutter sicherlich Pionierarbeit geleistet, sagt sie. Es sei eine harte Zeit gewesen, bestätigt auch Muhr: „Man muss auch sagen, dass die Stilistik an Wein, die ich gemacht habe, damals nicht gerade Mainstream war – und das ist sie wahrscheinlich heute auch nicht. Wenn das heute der Anna schmeckt, kann man sich vorstellen, dass das damals fast schon ein wenig avantgardistisch war“, lacht Muhr.
Die Nachfolge für die Weingüter in Portugal und Österreich scheint im Großen und Ganzen geregelt zu sein. Einer von van der Niepoorts Brüdern steht mitten im Übergabeprozess des Weinguts in Portugal, der andere betreibt eine Weinmarketing-Plattform in Deutschland. „Wir sind alle drei so unterschiedlich“, so van der Niepoort, „dass ich es schon spannend finden würde, irgendwann einmal auch etwas gemeinsam zu unternehmen.“ Wichtig sei ihr nur, sagt sie, dass man sich gut verstehe – wenn sich alle zerstreiten würden, so wie das in Familienbetrieben doch öfter der Fall sei, würde sie lieber die Finger vom gemeinsamen Business lassen, sagt sie überzeugt: „Wir müssen gut miteinander bleiben. Wenn das Unternehmen dazu führt, dass sich die Familie zerstreitet, dann ist alles falsch.“
Bei ihrer Mutter ist aber noch lange nicht ans Aufhören oder Übergeben zu denken. Ihre Bekannten und Freunde nähern sich langsam dem offiziellen Pensionsalter an; und scheinen mit dem Gedanken ans Aufhören gut zu können, erzählt Muhr. Das sei für sie keine Option – schließlich gebe es noch einige alte Weingärten am Spitzerberg zu kaufen.
Fotos: Gianmaria Gava