psychedelika: kein Allheilmittel, kein Fallstrick

Während sich die Ära des Kriegs gegen die Drogen ihrem Ende nähert, richten Wissenschaftler und Mediziner ihre Aufmerksamkeit heute auf psychedelische Substanzen als Mittel zur Behandlung einer Reihe von psychischen Problemen. Wir sprachen mit Sergio R. Pérez Rosal, Gründer und Geschäftsführer der Ovid Clinic Berlin, der ersten Klinik in Deutschland, die psychedelisch unterstützte Psychotherapie mit Ketamin anbietet.

Psychedelische Substanzen, die die menschliche Wahrnehmung verändern, haben neue Wege in der Behandlung von psychischen Erkrankungen eröffnet. Wenn beispielsweise das dissoziative Anästhetikum Ketamin in sorg­fältig dosierten, subnarkotischen Mengen verabreicht wird, hilft es bei der Behandlung von Depres­sionen, Angststörungen und posttrauma­tischen Belastungsstörungen.

Diese „bewusstseins­erweiternden“ Substanzen haben einen bemerkenswerten Weg hinter sich – von der Stigmatisierung und Kriminalisierung bis hin zum paradigmaverändernden Durchbruch in der Behandlung psychischer Erkrankungen. Heute krempeln Wissenschaft und Wirtschaft die Ärmel hoch, um das Potenzial dieser einst tabuisierten Substanzen zu erschließen.

Es wird erwartet, dass der weltweite Markt für psychedelische Sub­stanzen bis 2027 auf 10,75 Mrd. US-$ wachsen wird. 2022 gab es allein in den USA mehr als 50 börsennotierte Unternehmen, die sich mit der Entwicklung oder Verabreichung psychedelischer Substanzen befassten; zwei davon, das 2018 gegründete deutsche Unternehmen Atai Life Sciences, das mehrere Psychedelika-Entwickler besitzt, und das 2016 gegründete Compass Pathways PLC mit Sitz in London, das synthetisches Psilocybin zur Behandlung von Depressionen entwickelt, haben Marktkapitalisierungen von 522 Mio. bzw. 422 Mio. US-$. Trotz des großen Hypes um diese „magischen Substanzen“ ist es jedoch wichtig, zu bedenken, dass sie vor allem ein weiteres Werkzeug im Instrumentarium des Arztes sind – nicht mehr und nicht weniger.

„Das Stigma, das mit psychede­lischen Substanzen verbunden wird, ist eine große Herausforderung. Aber die Wahrnehmung ändert sich all­mählich“, sagt Sergio Pérez Rosal, in Guatemala geborener und in Deutschland ansässiger Facharzt und Gründer der Ovid Clinic Berlin, der ersten Klinik in Deutschland, die psychedelisch unterstützte Psychotherapie anbietet. Dabei muss man aufpassen, dass man nicht vorschnell handelt, ohne die Unterschiede zwischen Entkriminalisierung, Legalisierung und Medikalisierung zu berücksichtigen. „Nur weil es legal ist, etwa psilocybinhaltige Trüffel in den Niederlanden zu kaufen, bedeutet das nicht automatisch, dass sie im therapeutischen Kontext verwendet werden dürfen“, so Pérez Rosal.

Heute wird psychedelisch augmentierte Therapie in Berlin, an verschiedenen Orten in Großbritannien und in einigen Kliniken in den USA angeboten. „Es gibt Ausnahmeregelungen für klassische Psyche­delika, darunter LSD und Psilocybin. Dazu gehören die Schweizer Aus­nahmebewilligung bei begründeten Einzelfällen oder das kanadische Special Access Program. Auch Oregon hat kürzlich ein Gesetz ein­geführt, das die therapeutische Ver­wendung von psilocybinhaltigen Pilzen erlaubt; Australien gab be­kannt, Psilocybin und MDMA ab 1. Juli 2023 für medizinische Anwendungen freizugeben“, so der Arzt.

Die im Februar 2021 eröffnete Ovid Clinic hat bisher über 1.000 Patienten betreut und mehr als 1.800 Sitzungen mit psychedelisch unterstützter Therapie durchgeführt. „Etwa 70 bis 80 % der Patienten berichten von einer deutlichen Verringerung der Symptome, manche werden dadurch sogar langfristig symptomfrei“, erklärt Pérez Rosal. „Einige Personen verspüren zwar immer noch Symptome von De­pressionen oder haben Angst­zustände, fühlen sich aber besser
in der Lage, damit umzugehen.“

Zudem können diese Wirkstoffe zu einer Kostenreduzierung in der Therapie führen. In einem Artikel aus dem Jahr 2020 haben Forscher ein Modell erstellt, um die Kosten der Behandlung von Patienten mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) mit MDMA-Assisted Psychotherapy (MAP) darzustellen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass MAP Nettokosten in Höhe von 7,6 Mio. US-$ verursachen würde, während es über einen Zeitraum von 30 Jahren zu diskontierten Netto­einsparungen von 103,2 Mio. US-$ käme.

Psychedelika haben eine lange Vergangenheit, aber eine kurze Geschichte (wie der deutsche Psychologe Hermann Ebbinghaus über die Psychologie sagte). Be­wusstseinsverändernde Substanzen wurden in verschiedenen Kulturen verwendet, einschließlich der alten Amazonas-Stämme und der Maya-­Zivilisation. Und sie sind nicht auf den Menschen beschränkt: Delfine sind dafür bekannt, dass sie mit Kugelfischen interagieren, die Giftstoffe freisetzen können, die einen tranceähnlichen Zustand hervorrufen.

Nur weil es legal ist, etwa psilocybinhaltige Trüffel in den Niederlanden zu kaufen, bedeutet das nicht automatisch, dass sie im therapeutischen Kontext verwendet werden

so Sergio Pérez Rosal, Leiter der Ovid Clinic in Berlin

Das moderne Kapitel psychedelischer Substanzen begann 1938, als Albert Hofmann auf der Suche nach Blutgefäßerweiterern versehentlich LSD synthetisierte. Der entscheidende Meilenstein kam 1943, als Hofmann absichtlich LSD einnahm und die erste bewusste psychedelische Reise auf seinem Fahrrad in den Straßen von Basel unternahm, bekannt als „Bicycle Day“. Hofmann stufte die Psychedelika als „psychotomimetische“ Substanzen ein, die Aspekte der Psychose imitieren. Diese Sichtweise ist heute überholt; der moderne Begriff „psychedelisch“ wurde 1957 von Humphry Osmond geprägt, abgeleitet von griechischen Wörtern, die „Geistesmanifestation“ bedeuten.

In den 50er- und 60er-­Jahren war das Potenzial psy­chede­lischer Substanzen bei der Behandlung von Drogenkonsum, Alkoholismus und Depressionen Gegenstand wissenschaftlicher Studien an angesehenen US-Universitäten. Doch nach der Pro-LSD-Bewegung von Timothy Leary in den 60er-Jahren unterzeichnete Richard Nixon 1970 den Controlled Substance Act; er beendete die wissenschaftliche Forschung an diesen Substanzen und stufte sie als Wirkstoffe „ohne anerkannten medizinischen Nutzen“ ein. Dies zeichnete jedoch ein verzerrtes Bild dieser Substanzen und ließ die sich abzeichnenden wissenschaftlichen Erkenntnisse außer Acht, die diese Schilderung infrage stellten.

„Während die psychologische Abhängigkeit ein potenzielles Pro­blem darstellt, ist das Risiko einer physiologischen Abhängigkeit vernachlässigbar“, erklärt Pérez Rosal. Wenn die Substanzen mehrere Tage hintereinander eingenommen werden, lässt ihre Wirkung schnell nach, was die Konsumenten davon abhält, einem unerreichbaren Rausch nachzujagen. „Darüber hinaus ist diese Art von Erfahrungen so intensiv und manchmal sehr anspruchsvoll in der Integration, dass die meisten Menschen Zeit brauchen, bis sie bereit sind, diese Zustände wieder zu erfahren“, so Pérez Rosal. Die Behauptung, dass die alleinige und einmalige Einnahme dieser Substanzen psychische Störungen heilen könne, sei aber ebenfalls inkorrekt.

Die Landschaft rund um Psychedelika verändert sich deutlich, insbesondere seit Roland Griffiths von der Johns Hopkins University in den 2010er-Jahren versuchte, Psilocybin in klinischen Studien zur Raucherentwöhnung einzusetzen. „Damit begann, was heute als die ‚Psychedelische Renaissance‘ bekannt ist“, erklärt Pérez Rosal. „Mit dem Aufkommen neuer Instrumente wie dem funktionellen MRT, methodo­logischen Fortschritten und einer systematischen Herangehensweise an wissenschaftliche Untersuchungen wurde die Landschaft der psychede­lischen Forschung neu belebt.“ Was dies für die Zukunft des Marktes für psychische Gesundheit bedeuten wird, bleibt abzuwarten; allerdings entstehen in diesem Bereich bereits Unternehmen – während sich der globale Krieg gegen die Drogen langsam seinem Ende nähert.

Sergio Pérez Rosal wurde in Guatemala geboren und ist in Deutschland als Arzt tätig. Seine Karriere widmet er der Förderung der integrativen Gesundheit. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Ovid Clinic Berlin, Mitglied des Vorstands der Mind Foundation und Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychedelische Forschung und Therapie.

Text: Ekin Deniz Dere
Fotos: Bret Kavanaugh (Unsplash), Tatjana Dachsel

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