Raus aus dem „Tal des Todes“

Der Cyber Innovation Hub der Deutschen Bundeswehr soll Brücken zwischen der Privatwirtschaft und dem Militär des Landes bauen, sagt Sven Weizenegger. Seit 2020 leitet er den Hub. Der Krieg in der Ukraine hat für ihn deutlich gemacht: Deutschland muss nicht nur mehr Geld in die Verteidigung stecken, sondern auch technologische Innovationen im Verteidigungssektor fördern.

Es ist ein wolkenloser Tag im Osten Sibiriens. Der weite, blaue Himmel erstreckt sich über Städte, Dörfer und Straßen, als auf einer dieser Straßen aus einem Lkw Rauch aufsteigt. Das Dach des Fahrzeugs wird zurückgezogen – und Drohnen ­strömen heraus. Es sind Dutzende, die sich auf den Weg machen, um ­einen von Russlands Luftwaffen­stützpunkten anzugreifen.

Vier russische Militärflugplätze wurden am 1. Juni 2025 getroffen, einer davon über 4.000 Kilometer von Kiew entfernt. Der Angriff auf einen fünften schlug fehl, weil der Lkw mit den Drohnen dafür scheinbar Feuer gefangen hatte und explodiert war. 18 Monate hat der Sicherheitsdienst der Ukraine den Angriff mit dem Codenamen „Operation Spiderweb“ geplant. Der Angriff zeigt – erneut –, welche zentrale Rolle Drohnen in der modernen Kriegsführung einnehmen. Der gesamte Ukraine-Krieg macht klar, wie schnell sich Technologien im Ernstfall ver­ändern müssen: Hier werden viele Drohnen nicht mehr über Funk gesteuert, da die Signale vom Feind blockiert werden können, sondern über hauchdünne Glasfaser­kabel, die die Drohnen über Kilometer hinter sich herziehen.

Am 9. Juni schlug Russland als Revanche für den 150-Drohnen-Angriff der „Operation Spiderweb“ mit über 400 Drohnen zurück – der bisher größte Drohnenangriff des Kriegs. Die Armeen Deutschlands, ­Österreichs und der Schweiz ­sehen dagegen alt aus: Die Deutsche Bundeswehr „besitzt bisher weder Kampfdrohnen in nennenswerter Zahl noch ist sie in der Lage, sich gegen diese zu verteidigen“, stand kürzlich in der Zeit.

Militärexperten in Deutschland sind sich einig: Das Land muss in neue Technologien investieren, wenn es sich und europäische Verbündete gegen einen möglichen Angriff Russlands verteidigen möchte. Ein Akteur, der dabei neue Erfindungen auf die Beine stellen soll, ist der Cyber Innovation Hub der Bundeswehr. (In Österreich und der Schweiz ist die Lage aufgrund der Neutralität etwas anders, aber auch hier werden Stimmen nach höheren Verteidigungsausgaben lauter.)

„Wir fokussieren uns sehr stark auf das Thema Landes- und Bündnisverteidigung“, sagt Sven Weizenegger, der den Cyber Innovation Hub seit 2020 leitet. Mit ­einem Budget von zwölf Mio. € und einem Team von 50 bis 60 Mitarbeitern – die Zahl schwankt bewusst, da Soldaten und Reservisten regelmäßig rotieren – soll ­Weizenegger moderne Technologien in die Truppe bringen. 190 Innovationsvorhaben hat der Hub bisher ge­startet, 40 davon werden von der Bundeswehr genutzt.

Deutschland hat einiges aufzuholen, und die Beschaffungsprozesse dauern Jahre, manchmal Jahrzehnte. Während die Ukraine ihre ­Drohnentechnologie im Monatsrhythmus verbessert, müsse in Deutschland jedes Projekt über 25 Mio. € vom Haushalts­ausschuss genehmigt werden, erklärte Weizenegger in einem Interview mit Zeit Online. Bis neue Technologien endlich auf dem Kasernenhof landen, sind sie oft schon veraltet. Weizenegger nennt die Zeit zwischen der Entscheidung für eine Technologie und ihrer tatsächlichen Nutzung das „Tal des Todes“ – denn für Start-ups, die innovative ­Lösungen entwickeln wollen, ist diese Wartezeit oft zu lange.

Weizenegger bewarb sich nach dem Realschulabschluss 2002 bei der Deutschen Telekom als „Pene­tration Tester“, sprich: Hacker. „Das wurde damals zum ersten Mal ausgeschrieben“, erinnert er sich. 13 Jahre blieb er im Konzern und trieb die Cybersicherheit dort voran. Ein persönliches Highlight: Für einen Kongress organisierte er Howard Schmidt, den damaligen Security Advisor der Barack-Obama-Administration, als Keynote-Speaker, erzählt er. Weizenegger: „Auf einmal war ich bekannt im Laden.“

2015 wechselte er zu Kreditech, einem erst erfolgreichen, dann umstrittenen Fintech, dessen Nachfolger Monedo 2020 insolvent wurde. Weizenegger wechselte aber schon zuvor, im Jahr 2019, zum Cyber Innovation Hub. Anfang des Jahres hatte er den Hub als Gast besucht und sich gedacht: „Hier könnte ich mir vorstellen, zu arbeiten.“ Ein paar Monate später kam tatsächlich der Anruf vom Headhunter.

Der Hub ist formal Teil der BWI GmbH, einer Tochter der Bundeswehr mit rund 6.000 Mitarbeitern. Doch Weizenegger und sein Team dürfen sehr frei arbeiten, sagt er – er entscheidet selbst über Personal, Strategie und Projekte. Niemand kann den Hub beauftragen – ein „unfairer Vorteil“ gegenüber anderen behördlichen Organisationen, wie Weizenegger sagt; der aber nötig sei, um wirklich innovativ sein zu können.

Einige Vorgaben haben er und sein Team aber doch. Alle drei bis vier Monate berichtet ­Weizenegger ­direkt an den Staatssekretär und ­einen Drei-Sterne-General. Sechs Monate nach einem Projektlaunch muss ein „Minimum Viable Product“ vorgestellt werden. Nach zwölf Monaten sollten die meisten Projekte abgeschlossen sein. 20 bis 25 neue Projekte pro Jahr, das ist das Ziel. Trotzdem gelte „Wirkung vor Anzahl“, betont ­Weizenegger – lieber 18 funktionierende Lösungen als 25 Konzepte, die in der Schublade verschwinden. Dabei verfolgt der Hub seit einigen Jahren ­einen klaren Fokus: „Alles, was auf dem Gefechtsfeld Überlegenheit ­sicherstellt“, so Weizenegger, daran arbeitet der Hub.

Die Mitarbeiter – eine Mischung aus Zivilisten, aktiven Soldaten und Reservisten – bringen dabei unterschiedliche Perspektiven ein. Besonders bei Reservedienstleistenden besteht eine gewollt hohe Fluktuation, sagt Weizenegger: Soldaten bleiben zwei bis drei Jahre, Reservisten maximal zehn Monate. „So kriege ich ständig neuen Input, neue Impulse.“ Die Reservisten gehen danach zurück in die Wirtschaft, tragen ihre Erfahrungen weiter, so der Gedanke. Es ist ein bewusster Austausch zwischen militärischer und ziviler Welt.

Welche Art von Projekten im Hub entstehen? Weizenegger nennt „Minesweeper“, in dessen ­Rahmen eine Drohne entwickelt wird, mit der Minen aus der Luft detektiert werden können. „Zwischen Leben und Tod eines Soldaten sind normalerweise rund 90 ­Zentimeter – die Minensuch­nadel“, erklärt Weizenegger. Mittels KI soll die Drohne Minen erkennen und ­einen Weg zeichnen, über den Soldaten und ihre Gefährte das ­Minenfeld überqueren können. „Wir ­erhöhen so den Abstand von 90 Zentimetern auf zwei Kilometer“, sagt Weizenegger. Die Software für „Minesweeper“ wird gemeinsam mit dem Start-up Asdro entwickelt; aktuell wird das System noch getestet.

Ein weiteres Beispiel, das Weizenegger nennt, ist „Sonic AI“. Das System soll feindliche Drohnen mittels Akustik aus mehreren Kilo­metern Entfernung erkennen. „Die Lehre aus der Ukraine ist: Man hört die Drohne, bevor man sie sieht“, so Weizenegger.

Ein Produkt, das in der ­Uk­raine zum Einsatz kommt, ist „Falke“, kurz für „Flexibel adaptierbare Lichtversorgung für mobile Kräfte im Einsatz“. Das Problem, das „Falke“ löst, klingt fast banal: Bei der Versorgung von Verwundeten sind die Lichtverhältnisse oft zu schlecht, um gute medizinische Hilfe zu leisten – besonders nachts und ohne Stromnetz. Gemeinsam mit einem Hamburger Start-up hat der Cyber Innovation Hub einen LED-Lichtteppich entwickelt, der sich falten und einrollen lässt und so kompakt verstaut werden kann. 2023 hat das ukrainische Verteidigungsministerium 2.000 Exemplare des Lichtteppichs bestellt.

Bei der Umsetzung der zahlreichen Projekte arbeitet der Hub eng mit Start-ups zusammen. Entweder kommt die Truppe mit ­einem Problem auf den Hub zu – dann sucht dieser nach Unternehmen, die die passende Lösung ent­wickeln könnten; oder Weizenegger und sein Team entdecken eine vielversprechende Technologie und treten an die Bundeswehr heran, die beurteilen kann, ob sie tatsächlich sinnvoll ist. Im Idealfall, so Weizenegger, lässt sich das Produkt auch in der zivilen Welt einsetzen. Der LED-Teppich etwa wird laut Weizenegger von Filmteams verwendet.

Es fällt auf, dass der Cyber Innovation Hub nicht an wirklich großen Projekten wie einem „deutschen Starlink“ arbeitet. „Unser Auftrag ist Cyber-IT, also softwarebasiert. Wir bringen keine Raketensysteme nach oben“, sagt Weizenegger. Der Hub würde die Software für Satelliten entwickeln, nicht die Hardware. Mit zwölf Mio. € Budget lassen sich wohl auch keine Moon­shots auf die Beine stellen.

Deshalb kämpft Weizenegger für eine Erweiterung seines Mandats. Bisher darf der Hub nur Proto­typen entwickeln, die eigent­liche Beschaffung übernimmt das Beschaffungsamt – viele ­Pro­jekte landen im „Tal des Todes“. Wei­zen­eggers Vorschlag: Der Hub soll auch die Anschub­finanzierungen tätigen können, also zum Beispiel 50 Drohnen statt nur zwei Prototypen kaufen. „Für einen Konzern sind zwei bis zehn Mio. € Umsatz wenig. Für ein Start-up ist das transformativ.“

Friedrich Merz hat angekündigt, Deutschland solle langfristig 3,5 % des BIPs für Verteidigung ausgeben. Das ist mehr als Österreich (2024 lagen die Verteidigungsausgaben bei rund 1 % des BIPs) oder die Schweiz (0,72 %) ausgeben, aber weniger als andere europäische Staaten (siehe Infografik auf der nächsten Seite). Auch auf EU-Ebene tut sich etwas, angetrieben durch US-Präsident Donald Trumps Androhungen, Europa solle in puncto Verteidigung endlich auf eigenen Beinen stehen und sich nicht mehr auf die Verteidigung durch andere NATO-Staaten (in erster Linie die USA) verlassen. 800 Mrd. € möchte Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, über die nächsten vier Jahre mobilisieren und dafür möglicherweise auch die Schuldenregeln der EU lockern. Zum Vergleich: Im Jahr 2024 haben die USA 997 Mrd. US-$ oder 3,42 % des BIPs in ihr Militär investiert.

Doch Geld allein reicht nicht. „Wir haben genug Leute, die bei uns arbeiten wollen“, so Weizenegger. „Wir sind attraktiv, wir sind eine Marke.“ Was fehle, seien schnellere Prozesse, sagt er. Die Dringlichkeit in der Ukraine sei natürlich eine andere – es geht ums Über­leben. Deutschland lebe noch im ­Frieden, die Prozesse seien dementsprechend ausgelegt. „Aber realistisch betrachtet sind wir in einer hybriden Situation“, warnt Weizenegger. „Aus der Perspektive des Feindes sind wir in einem Konflikt. Und mittlerweile ist auch hierzulande die Notwendigkeit angekommen.“

Sven Weizenegger begann seine Karriere als erster professioneller Hacker bei T-Systems. Nach Stationen beim Fin­tech-Unicorn Kreditech und einem eigenen Start-up leitet er seit 2020 den Cyber Innovation Hub der Bundeswehr. Dieser entwickelt mit einem Budget von zwölf Mio. € und rund 60 Mitar­beitern innovative Verteidigungstechnologien.

Fotos: Cyber Innovation Hub der Bundeswehr

Erik Fleischmann,
Redakteur

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