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Seit 1996 kümmert sich Swissport – vom Check-in bis zur Gepäckausgabe – um Passagiere, Fluggesellschaften und Flughäfen. Um aus der Coronavirus-Krise zu kommen, steuert der weltgrößte Luftfahrtdienstleister jedoch ins Ungewisse. Auf dem Pilotensitz: Branchenveteran Christoph Müller – ein Manager, für den globale Krisen jedenfalls nichts Neues sind.

„Ich vergleiche das mit der Arbeit eines Arztes“, sagt Christoph Müller. „Es ist nicht immer ein gebrochener Knochen, manchmal handelt es sich um ein muskuläres oder sogar ein psychisches Problem. Wenn man stets mit der gleichen engen Checkliste arbeitet, wird man nie ein guter Arzt – weil man immer gleich behandelt.“ Die Analogie stammt vom Swissport-Chairman, der die letzten drei Jahrzehnte damit verbracht hat, Unternehmen (konkret: Fluggesellschaften) durch turbulente Zeiten zu navigieren. Darunter befanden sich die Anschläge am 11. September 2001, der Ausbruch des SARS-Virus sowie eine globale Finanzkrise. Müller hat also mehr als genug Zeit gehabt, sich das Etikett „Krisenmanager“ zu verdienen. „Ich war wirklich fasziniert von der Psychologie dieser Momente“, sagt er. „In Krisen kann man Dinge tun, die sonst unmöglich erscheinen.“

Die 1996 als eigenständige Tochtergesellschaft der Swissair (die ehemalige nationale Fluggesellschaft der Schweiz, bis 2002) ge­gründete Swissport ist der größte Ground- und Cargo-Handler weltweit. Das in Zürich ansässige Unternehmen bietet der Luftfahrtindustrie wichtige Dienstleistungen an: Gepäckabfertigung, Sicherheit, Passagiertransport, Check-in; bis hin zum Loungebetrieb. Als der Reisemarkt im vergangenen Jahr einbrach, halbierte sich Swissports Umsatz zum Jahr davor – 2019 hatte man noch 3,13 Milliarden € verdient. Gleichzeitig baute das Unternehmen über 20.000 Stellen ab und beschäftigt heute nur noch 45.000 Mitarbeiter. Doch Müller, der seinen Posten im Mai 2020 antrat, stellt eine Diagnose, die tiefer geht als die aktuelle Gesundheitskrise: „Swissport war schon in einem schlechten Zustand, bevor Covid-19 kam. Das Unternehmen war unterkapitalisiert, der Fokus war nicht da“, sagt er. „Man war eher mit Eigentumsfragen beschäftigt, statt sich auf das Geschäft zu konzentrieren. Für das Unter­nehmen stand jedenfalls eine große Umstrukturierung an.“

Die Ablenkung geht auf das Jahr 2015 zurück, als Swissport für 2,7 Milliarden CHF (2,5 Milliarden €) vom Konglomerat HNA Group übernommen wurde. Das chinesische Unternehmen gab mehr als 40 Milliarden US-$ (33 Milliarden €) aus, um Anteile an internationalen Hotels, Banken und Fluggesellschaften zu erwerben, bevor es schließlich hoch verschuldet war. Die Berichterstattung über die angeschlagene HNA lastete natürlich auch schwer auf dem Ruf von Swissport. So wurden Pläne, an die Schweizer Börse zu gehen, 2018 verworfen, es stellten sich Fragen zur langfristigen Stabilität im Unternehmen. Zu allem Überfluss bekam Swissport keine staatlichen Covid-19-Hilfsgelder, weil das Unternehmen in ausländischem Besitz ist. Nach monatelangen Verhandlungen mit den Gläubigern wurde Ende 2020 ein Rettungspaket von einer Gruppe von hauptsächlich US-amerikanischen und britischen Investoren (darunter SVP Global  und Apollo Global Management) angeboten. Im Rahmen des Debt-Equity-Swaps konnte der Luftfahrtkonzern Schulden in Höhe von 1,9 Mil­liarden € abbauen und sich damit auch von der inzwischen insolventen HNA trennen.

Die neue Eigentümerschaft und die finan­zielle Umstrukturierung verschaffen Swissport einen Neuanfang – und hier kommen Müllers Erfahrungen zum Tragen. „Wir haben ein Unternehmen im Krisenmodus, und das ganze Team ist bereit, es dort wieder herauszuholen“, erklärt er aus Swissports neuen Büros in Brüssel. „Jede Krise in den letzten 30 Jahren war ein Katalysator für die Konsolidierung der Branche – bei den Fluggesellschaften, den Flugzeugherstellern, aber auch in der Bodenabfertigungs- und Cateringbranche. Das wird dieses Mal nicht anders sein.“

Swissport war schon in einem schlechten Zustand, bevor Covid-19 kam. Für das Unternehmen stand jedenfalls eine Umstrukturierung an.

Brüssel, Dublin, Kuala Lumpur, Dubai: Man ist geneigt, Müllers Berufsweg mit einem Langstreckenflug zu vergleichen. „Ich war mein ganzes Leben lang süchtig nach dem Fliegen“, sagt der gebürtige Wuppertaler. Sogar mit dem Gedanken, Berufspilot zu werden, hat der passionierte Segelflieger gespielt. Doch wollte er eigentlich selbst fliegen – oder Geschäftsmann werden? „Das war eine lange interne Debatte, die ich mit mir selbst geführt habe“, erinnert er sich. Wie sich herausstellte, waren die Lüfte aber nie weit: Nach seinem MBA-Studium an der Universität Köln schnupperte Müller bei der Lufthansa in das Geschäft. Von da an hob seine Karriere ab.

Bis zum Jahr 2001 führte Müller Sabena, die ehemalige nationale Fluggesellschaft Belgiens, als CEO. Nach dem 11. September 2001 -meldete die Airline schließlich Konkurs an, was der 59-Jährige bis heute als seinen „traurigsten Moment“ bezeichnet. „Ich habe mich schon immer mit Krisenmanagement beschäftigt. Natürlich gibt es in jeder Krise Momente, die man nie vergessen wird“, sagt er. Nachdem er seit 2009 als CEO von Aer Lingus, der nationalen Fluggesellschaft Irlands, bei dieser die Rückkehr zur Profitabilität vorangetrieben hatte, wurde Müller mit der Leitung von Malaysia Airlines in 2015 beauftragt. Die Airline hatte nach zwei Katastrophen im Jahr 2014 immer noch zu kämpfen – nach dem Verschwinden von Flug 370 und dem Abschuss von Flug 17 nur wenige Monate später. Müller verließ das Unternehmen abrupt nach nur einem Jahr eines Dreijahresvertrags, nachdem er die gesamte Boeing-777-Flotte in den Ruhestand versetzt und rund 6.000 Stellen gestrichen hatte.

Jetzt, als Chairman von Swissport, hat Müller einen pragmatischen Ansatz, um die Bilanz des Unternehmens zu verbessern: „Stoppt die Blutung“, sagt er, ohne zu zögern. Swissport hat damit begonnen, die einfachsten Dinge anzugehen, etwa, die zehn Flughäfen mit den schlechtesten Ergebnissen zu identifizieren. „In den letzten vier Monaten haben wir bereits gute Fortschritte gemacht, um unseren Cash-Burn zu verringern, was in der Luftfahrtbranche während der Coronapandemie von größter Bedeutung ist“, sagt Müller. „Das liegt an einer einfachen Tat­sache: Wir sind schlank und haben im Gegensatz zu Flughäfen, Fluggesellschaften oder Flugzeugherstellern sehr wenige Assets.“ Er bezeichnet dies als eine „sehr einfache Management­aufgabe“. Schließlich hat das Unternehmen weder leere Flugzeuge noch muss es in der Krise für die Instandhaltung ungenutzter Start- und Landebahnen aufkommen.

Das zweite Gegenmittel ist die Standardi­sierung der weltweiten Aktivitäten des Unter­nehmens. Seit seiner Gründung hat Swissport sein anorganisches Wachstum genutzt, um seine Präsenz auf 47 Länder auszudehnen; im Wesentlichen durch den Kauf von externen Anbietern und deren Verschmelzung mit dem Unternehmen, indem dieselben Uniformen und Standards eingeführt wurden. „Das ist nicht mit ganzem Herzen gemacht worden, weil die Leute offensichtlich abgelenkt waren. Wir operieren in einigen Ländern unter dem Namen Swissport, aber wir haben die Standardverfahren noch nicht übernommen“, sagt Müller. Er vergleicht die Strategie mit der von McDonald’s oder Starbucks: „Die müssen sich darauf verlassen, dass jeder Kaffee und jeder Hamburger gleich schmeckt, egal, wo auf der Welt man sich befindet“, fährt er fort. „Wenn man mit dieser Denkweise an die Sache herangeht, weiß man, worauf man sich einlässt.“

„Wir müssen uns auf die Prognosen der Fluggesellschaften verlassen, und die sehen nicht gut aus, vor allem in Europa“, so Christoph Müller, Chairman von Swissport.

Selbst mit einem Plan im Ärmel hat ­Swissport noch immer mit einem holprigen Weg zur Erholung zu kämpfen. Nach Angaben der International Air Transport Association (IATA) ist die weltweite Passagiernachfrage 2020 um rund 75 % eingebrochen – das schlechteste Jahr in der Geschichte der Branche. Für 2021 erwartet die Organisation eine Verbesserung um 50 %. Erst kürzlich hat die Airline Swiss angekündigt, ihre Flotte um 15 % zu verkleinern und bis Ende 2021 rund 1.700 Stellen abzubauen. Die Auswirkungen wirken sich unweigerlich auf Dienstleistungs­unternehmen wie Swissport aus. „Wir sind die Passagiere in diesem Zug“, sagt Müller. „Wir müssen uns auf die Prognosen der Fluggesellschaften verlassen, und die sehen nicht gut aus, vor allem in Europa.“ Allgemeiner Konsens in der Branche ist, dass sich die großen Inlandsmärkte zuerst erholen werden – China, Australien, die USA. Nicht zu vergessen ist im Zuge dessen natürlich der Nachholbedarf im Tourismus und beim Besuch von Familie und Freunden.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Richtlinien für Reisen uneinheitlich sind – die Testanforderungen und medizinischen Bescheinigungen variieren von Land zu Land. Müller selbst ist frustriert, dass er immer noch keine verlässliche Quelle findet, die die Reiserichtlinien vergleicht. Die Weltgesundheitsorganisation, die Europäische Kommission und die Schweiz arbeiten alle getrennt an Covid-19-Bescheinigungen für diejenigen, die geimpft bzw. negativ getestet wurden oder sich von dem Virus erholt haben. Müller sieht keine einfache Möglichkeit, alle Unterlagen zu koordinieren, betont aber: „Reiseausweise sollten Pflicht werden, denn dies wird nicht die letzte Pandemie sein. Wir hatten SARS, wir hatten Ebola.“ Swissport hat unter­dessen am Flughafen Heathrow in London und am Flughafen Zürich bereits PCR-Tests vor Ort eingerichtet.

Vor diesem Hintergrund erstellt Swissport derzeit seinen Fünfjahresplan. „Wir sind sicherlich am besten kapitalisiert, wenn es um das Coronavirus geht“, sagt Müller. Im Rahmen der Restrukturierung hat Swissport eine Finanz­spritze von 500 Millionen € erhalten. „Für uns wird die Krise kürzer sein als für andere in der Branche“, so Müller. Das Unternehmen hat kürzlich neue Verträge mit Easyjet für sein Drehkreuz am Flughafen Berlin Brandenburg geschlossen und Partnerschaften mit Lufthansa und Cathay Pacific in Südkorea unterzeichnet. Inzwischen plant Swissport auch, von seinem Lager für pharmazeutische Luftfracht in Brüssel aus Impfstoffe weltweit zu vertreiben. Für den Moment laufen die Motoren und eine Erholung scheint in Sicht. „Turnaround-Management ist sehr lohnend“, sagt Müller. „Denn wenn es funktioniert, schafft man Teams, die für den Rest ihres Lebens zusammenhalten. Es ist ein Moment der gemeinsamen Leistung.“

Text: Olivia Chang
Fotos: Sander de Wilde

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 5–21 zum Thema „Travel & Tourism“.

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