REIBUNG, WÄRME, ENERGIE

Bei CNH Industrial war Andreas Klauser für 60.000 Mitarbeiter verantwortlich und arbeitete mit Fiat-Legende Sergio Marchionne zusammen. Im Juni 2018 übernahm er die Führung des Salzburger Kranherstellers Palfinger.

Sergio Marchionne als legendären Manager zu bezeichnen wäre wahrscheinlich noch untertrieben. Als er im Juli dieses Jahres verstarb, bezeichneten die Medien den Fiat-Chrysler-CEO wahlweise als „einen der mutigsten Wirtschaftsführer seiner Generation“ (Financial Times), als „wahres Genie der Autobranche“ (Quartz) oder als „Retter von Fiat und Chrysler“ (CNN). Kurz gesagt: Der Italo-Kanadier war ein Superstar unter den internationalen CEOs. Aber manchmal fand er sich auch nur spätnachts im Landgasthof Mayr in der kleinen oberösterreichischen Gemeinde St. Ulrich bei Steyr ein – um Marillenpalatschinken zu essen. „Wenn wir in Österreich waren und er etwas besonders gut gemacht hatte, dann wollte er zur Belohnung keinen Drink, sondern Marillenpalatschinken“, erzählt Andreas Klauser. „Da war es auch schon einmal ein Uhr in der Früh, als Marchionne die Wirtin fragte, ob sie ihm noch Palatschinken macht.“

Klauser als Retter von Palfinger

Klauser war zu der Zeit Vorstandsmitglied des Nutzfahrzeugherstellers CNH Industrial und gleichzeitig Brand President bei den CNH-Traktormarken Steyr und Case IH. Der Europasitz von CNH Industrial liegt nur unweit von Steyr, in St. Valentin. Klauser ist dort mittlerweile aber nicht mehr anzutreffen – nach 28 Jahren bei Steyr und CNH hat er die Unternehmensgruppe verlassen und steht nun als Konzernchef von Palfinger vor einer neuen Aufgabe. Beim Salzburger Hersteller von Hebevorrichtungen lief trotz hervorragender Auftragslage zuletzt nicht alles rund: Nach einer Gewinnwarnung im vergangenen Dezember senkte das Unternehmen im Juli seine Prognose für 2018 erneut. Ein Restrukturierungsprogramm läuft bereits seit 2016. Klausers Aufgabe ist es, das Unternehmen wieder auf die Erfolgsspur zu bringen. Als uns Klauser am Unternehmenssitz in der direkt an die Stadt Salzburg grenzenden Gemeinde Bergheim empfängt, ist er rund sechs ­Monate­ im Amt. Die ersten drei davon verbrachte er damit, die Situation zu analysieren. „Ich möchte die globale Organisation jetzt so aufstellen, dass wir wieder näher ans Tagesgeschäft, näher an den Kunden kommen“, sagt Klauser. Ein entsprechendes Konzept ist im September weltweit Palfinger-Managern vorgestellt und erklärt worden. Inspiration holte er sich auch hier bei seinem Ex-Chef Marchionne: „Er hat immer gesagt, bei einem Drittel der Arbeitszeit muss der Fokus im Tagesgeschäft liegen. Das ist auch meine Philosophie.“ Beim Amtsantritt war Klauser davon überrascht, dass Palfinger nach den vielen Zukäufen der vergangenen Jahre eher wie eine Holding als ein integriertes Unternehmen funktionierte. Das soll sich nun ändern.

Am Land und zur See

Zu den Fakten: Palfinger beschäftigt 11.000 Mitarbeiter, ist in 130 Ländern engagiert und machte 2017 einen Jahresumsatz von 1,47 Mrd. €. Gegründet wurde das Unternehmen 1933, seit 1999 notiert es an der Wiener Börse. 59 Prozent der Unternehmensgruppe sind im Besitz der Familie Palfinger, an der Börse wird das Unternehmen mit rund 800 Mio. € bewertet. Das sind um über 40 Prozent weniger als im Sommer 2017 – damals kam Palfinger auf einen Börsenwert von über 1,5 Mrd. €. Beim Umsatz erreichte das Unternehmen im Vorjahr zwar das siebente Jahr in Folge einen neuen Höchstwert. Das Problem liegt aber anderswo: in der Marinesparte. Palfinger ist im Wesentlichen in zwei Geschäftsbereiche unterteilt: Die „Land“-Sparte, für die Palfinger hauptsächlich bekannt ist – dazu gehören unter anderem Lade-, Forst- und Recyclingkrane, Hubarbeitsbühnen und Brückeninspektionsgeräte. Dann gibt es aber auch noch die „Sea“- oder Marinesparte. In diesen Bereich ist Palfinger erst 2010 eingestiegen. Klausers Vorgänger Herbert Ortner wollte damit ein zweites Standbein für das Unternehmen schaffen. Der Bereich ist deutlich kleiner, 2017 machte er etwa 15 Prozent des Gesamtumsatzes aus. Prominentester Zukauf war 2016 der norwegische Rettungsausrüster Harding – die größte Übernahme der Unternehmensgeschichte. Die hohen Erwartungen hat sie bisher nicht erfüllt. Erst vor wenigen Wochen kam die Österreichische Prüfstelle für Rechnungslegung (OePR) zu dem Schluss, dass in der Marinesparte vor allem wegen Harding „wesentlicher Berichtigungsbedarf“ des Firmenwerts bestünde. Etwas prägnanter ausgedrückt: Harding ist mittlerweile weit weniger wert als in den Büchern von ­Palfinger. Anstatt der bilanzierten 156,5 Mio. € dürfte es nach Schätzung des Vorstands nur rund die Hälfte sein.

Doch wie kam es zu den Schwierigkeiten in der Marinesparte? „In diesem Bereich wurde einiges zugekauft, bei dem man sich als österreichischer Mutterkonzern vielleicht etwas schwertut, grundsätzlich das Thema Marine zu verstehen“, sagt Klauser. Sein Plan ist, die beiden Palfinger-Sparten näher aneinanderzuführen. „Ein Schiffskran und ein klassischer Ladekran sind von Anwendung, Entwicklung und Technik sehr ähnlich.“ Beide Seiten sollen in Kompetenzzentren organisiert werden, um Synergien zu nutzen. „Das Kompetenzzentrum Hydraulikpumpe ist dann für sämtliche Hydraulikpumpen und deren Anwendung in der gesamten Gruppe verantwortlich“, sagt Klauser. Er rechnet dadurch mit Kosteneinsparungen von vier Prozent in den nächsten zwei bis drei Jahren. Ab 2019 soll der Marinebereich dann operativ wieder positiv wirtschaften.

Mehr organisches Wachstum

Kritiker haben Klausers Vorgänger Ortner mitunter attestiert, die vielen Zukäufe seien ohne richtigen Plan erfolgt. Klauser sieht das nicht so. „Die Qualität der Zukäufe hat zum Schluss unter dem Wunsch nach Größe vielleicht etwas gelitten, aber auf der anderen Seite sind wir alle stolz, dass wir diese Unternehmensgröße erreicht haben. Das wäre ohne die Übernahmen nicht möglich gewesen.“ Was er aber einräumt: dass die zugekauften Geschäftsbereiche bisher nicht ausreichend integriert wurden. Das steht nun an – und hier steht Klauser vor einer ähnlichen Aufgabe wie vor einigen Jahren bei CNH. Damals musste er die unterschiedlichen Marken des Konzerns unter einem Dach zusammenführen. Palfinger soll nun vor allem wieder organisch wachsen. „Ich brauche keine großen Akquisitionen und neuen Geschäftsfelder, nur um Volumen zu generieren. Unternehmensgröße bedeutet für mich nicht alles“, sagt Klauser und meint damit: Jemand mit seinem Werdegang, der Unternehmen mit 60.000 Mitarbeitern gemanagt hat, muss niemandem etwas beweisen.

Portrait: Andreas Klauser, CEO, Palfinger

Klausers Werdegang

Tatsächlich legte Klauser eine steile Karriere hin. Der Manager stammt aus Molln, einer kleinen Gemeinde im oberösterreichischen Traunviertel. Der 3.500-Einwohner-Ort war lange Zeit für den Skischuh- und Bergschuhhersteller Dachstein bekannt. Der langjährige Unternehmenschef Anton Lintner übernahm 1947 von seinem Vater einen Schuhmacherbetrieb mit sieben Angestellten und machte daraus bis in die 1980er-Jahre einen weltweit führenden Skischuhhersteller mit zwischenzeitlich mehreren Hundert Mitarbeitern. Dies hinterließ bei Klauser Eindruck, der eine technische Schule abschloss und einen Lehrgang zum Exportkaufmann absolvierte.

Prägend war für Klauser dann auch ein Erlebnis früh in seiner Berufslaufbahn: Der Landmaschinenhersteller Vakuumat schickte Klauser nach Nigeria, um dort eine Werkstätte zu managen. Dort gab es aber weder Maschinen noch Mitarbeiter. Für Klauser gab nun zwei Möglichkeiten: Er hätte zurückfahren können, entschied sich aber für die andere Variante: Er blieb und begann, gebrauchte Geräte zu finden. Das Projekt war schließlich erfolgreich. „Da habe ich gelernt, Dinge zu bewegen“, sagt Klauser. Genau diese Haltung erwartet der Manager auch von seinen Mitarbeitern: „Mir ist es lieber, es ergreift jemand Initiative und macht einen Fehler, als es passiert nichts und wir verschlafen etwas.“

Sein eigener Stil

1990 wechselte er zum Traktorenhersteller Steyr, der 1996 vom US-Konkurrenten Case Corporation übernommen wurde. Klauser zog nach dem Zusammenschluss innerhalb von sechs Monaten ins europäische Management in Paris ein. „Dort habe ich gesehen, wie wichtig es ist, dass es in einem großen Konzern klare Strukturen und Prozesse gibt, aber dass teilweise auch langsame Entscheidungsprozesse bestehen.“ Ein Gegensatz zum flexiblen österreichischen Stil, wie ihn Klauser kennengelernt hatte. Im Jahr 2000 wurde Case von Fiat übernommen und zu CNH Industrial verschmolzen. Nach dem österreichischen und dem amerikanischen Managementstil kam der italienische dazu: „Aus einer gewissen ‚Unorganisation‘ kann Kreativität entstehen“, sagt Klauser.

Aus den unterschiedlichen Erfahrungen hat Klauser seinen eigenen Stil entwickelt. Dessen Eckpunkte: Die täglichen Abläufe verstehen, das Erreichen kurzfristiger Ziele sicherstellen, aber dennoch eine Vision haben; nicht mit dem Status quo zufrieden sein. Und vor allem: Als Führungskraft mit gutem Beispiel vorangehen – etwas, auf das auch Sergio Marchionne immer großen Wert gelegt hat. Marchionne machte Klauser 2009 zum Brand President Global von CNH Industrial mit Sitz in Wisconsin. Zwischenzeitlich pendelten Marchionne und Klauser wöchentlich zwischen den USA und Europa hin und her. Von 2012 und 2015 arbeitete der Oberösterreicher in Turin.

Palfinger wird digital

Jetzt ist Klauser zurück in Österreich – und muss eine grundlegende Frage beantworten: Wie geht das Industrieunternehmen Palfinger mit der wohl größten Herausforderung des 21. Jahrhunderts um – der Digitalisierung? „Unsere Kunden erwarten gleichzeitig Innovation und Zuverlässigkeit“, sagt Klauser. Palfinger misst diesen Themen einen hohen Stellenwert bei. In der Unternehmensstrategie wurde den bestehenden drei Säulen Innovation, Internationalisierung und Flexibilisierung Ende vergangenen Jahres – also noch vor Klausers Amtsantritt – unter dem Titel „Palfinger 21st“ eine weitere hinzugefügt.

Insgesamt sind es laut Klauser vor allem drei Themen, bei denen die Digitalisierung für das Unternehmen relevant ist: das Customer Relationship Management (CRM), also die Beziehung zum Kunden, dann Telematics (hier geht es vor allem um die Frage, wann welches Gerät welchen Service braucht) und: Daten – im Wesentlichen, wie Kunden Produkte verwenden, aus denen sich Rückschlüsse ziehen lassen. Zusammengenommen soll damit die Automatisierung bei Palfinger vorangetrieben werden.

Palfingers Zukunft mit Klauser

Ein anderes Zukunftsthema ist die Sharing Economy. Palfinger ist selbst im Verleihgeschäft tätig. Klauser sieht die Zukunft hier vor allem in der Vernetzung: Anstatt dass Kräne bei ihren Besitzern Leerlaufzeiten haben, könnten sie über Apps an andere vermittelt werden. Speziell in den USA ist das ein Thema. Palfinger könnte dort die Hälfte seines Geschäfts über Verleih abwickeln. Das Problem: der oft niedrige Rückkaufswert. „Das Verleihgeschäft generiert Volumen und Marktpräsenz, aber ist profitmäßig nicht unbedingt ein Highlight“, sagt Klauser. Mehr Hoffnung für die Zukunft dürfte dagegen Palfingers Beteiligung am Wiener Start-up-Hub weXelerate machen. Einzelne Projekte sind schon entstanden – etwa eines zum Einsatz von Drohnen in der Brückeninspektion.

Auch mit der eingangs erwähnten neuen ­Organisationsstruktur will der neue Chef das Unternehmen aus der Komfortzone holen. Sein Ziel: Diskutiert werden soll künftig nicht nur vom Management, sondern auch in der Organisation selbst. „Da entsteht Reibung, Reibung erzeugt Wärme und Wärme erzeugt Energie. Das Management ist aber dafür verantwortlich, dass nichts verbrennt.“ Klar ist, dass Klauser auch von seinen Führungskräften Leistung verlangt. „Bei mir kann sich niemand hinter einer Hierarchie verstecken, bei mir zählt ‚Leading by example‘ und letztendlich die gesetzten Ziele zu erreichen.“ Ganz im Sinne Sergio Marchionnes.

Text: Dominik Meisinger
Fotos: Thomas Dashuber

Dieser Artikel ist in unserer Dezember-Ausgabe 2018 „Sharing Economy“ erschienen.

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