REVOLUTION AUF DER LETZTEN MEILE

Um die Zustellung von Lieferungen auf der letzten Meile zu perfektionieren, gründeten Aike Festini und Maite Mihm das Schweizer Start-up Luckabox – mit Erfolg: Inmitten der Pandemie verzeichnet das Unternehmen im Durchschnitt ein monatliches Umsatzwachstum von 22,47 %, die Anzahl der Lieferaufträge wuchs um das Fünfzehnfache. Das nächste Ziel: bis 2021 Marktführer in der Schweiz zu sein.

Einen Tag vor unserem In­terview lag Aike Festini noch im Krankenhaus – ein Mountainbikeunfall hatte sie außer Gefecht gesetzt. Lang hielt die Österreicherin die Ruhe im Krankenbett jedoch nicht aus, denn es gibt viel zu tun: Das von ihr und Maite Mihm 2017 gegründete Unternehmen Luckabox boomt, und zusätzlich haben sich die beiden für 2021 ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Marktführer im Last-­Mile-Digital-Forwarding – der Zustellung von Lieferungen auf der letzten Meile – in der Schweiz zu sein.

Die E-Commerce-­Branche ­gehört zu den wenigen ­Gewinnern der Pandemie. In einer Studie des britischen ­Verpackungsherstellers DS Smith gaben in Deutschland 59 % der Befragten an, aufgrund von ­Covid-19 mehr als zuvor online zu bestellen, 87 % wollen auch in Zukunft vermehrt darauf zurückgreifen – etwas, das Luckabox gelegen kommt, unterstützt das Start-up doch Händler dabei, ihre Produkte auf der letzten Meile schnell und zuverlässig an ihre Kunden zu liefern. Dafür hat Luckabox eine Technologie entwickelt, die verschiedenste Kurier- und Transportunternehmen der letzten Meile auf einer Plattform bündelt und es Händlern durch ­einen Algorithmus ermöglicht, den kürzesten Weg für die Lieferung zu finden sowie passende Kuriere und Transportdienste damit zu beauftragen. Luckabox kauft hierfür bestimmte Lieferkontingente bei ihren Zustellpartnern ein und beauftragt diese dann mit den gebuchten Lieferungen in Echtzeit. Die Unternehmerinnen verdienen transaktionsbasiert pro gebuchter Lieferung der Händler über ihre Plattform.

Mittlerweile zählt ­Luckabox 20 Großunternehmen als ­Kunden – etwa das Einkaufszentrum ­Jelmoli in Zürich und Ikea. Als Alleinstellungsmerkmal nennt Festini eine ­zeitlich exakte Zustellung nach Wunschtermin und Flexibilität – und das in der ganzen Schweiz. Das Angebot kommt an: Der Umsatz lag zuletzt im sechsstelligen Bereich, die Anzahl der Lieferungen ­konnte 2020 um das Fünfzehnfache gesteigert werden, und die monatliche Wachstumsrate des ­Umsatzes lag 2020 bis Ende Oktober durchschnittlich bei 22,47 %; bei den Transaktionen lag sie sogar bei 31,9 %.

Von der derzeitigen Pandemie lassen sich Festini und ihre mittlerweile neun Mitarbeiter also nicht ­unterkriegen, vielmehr profitiert das Start-up sogar von der Krise: „Manche Einzelhändler bieten ihren Kunden in den Shops an, die Ware nach Hause zu liefern. Das ist durch den Lockdown erst einmal weggebrochen. Die meisten wurden jedoch schnell kreativ und fanden andere Wege, ihre Waren zu verkaufen und anschließend über uns zu liefern“, so Festini. Und auch, dass die Pandemie genau in die Zeit der zweiten Finanzierungsrunde des Start-ups fiel, tat dem jungen Unternehmen keinen Abbruch: Einige Investoren seien zwar sehr vorsichtig geworden, ­bestehende hätten aber nachgelegt, auch der Staat unterstützte Luckabox – ins­gesamt erhielt das Unternehmen eine siebenstellige Finanzspritze.

Aike Festini fürchtet weder Herausforderungen noch Risiko: In ihrer Freizeit praktiziert sie Sportarten wie Downhill-Mountainbiking und Freeriding.

Bereits 2016 kürte der ­Weltpostverein nach den Krite­rien Zuverlässigkeit, Relevanz, Reichweite und Ausfallsicherheit die Schweiz zum Land mit dem besten Postdienst. Wie überzeugt man bei dieser Ausgangslage Investoren, in ein Unternehmen zu investieren, das auf die ohnehin schon gut ­funktionierende Branche setzt? „Der Schweizer Qualitätssinn ist höher als das, was uns die Post bietet“, so Festini. Sie fügt hinzu: „Wir haben auch die kleinsten Zustelldienste im Land aufgenommen und können deshalb kurzfristig sehr flexibel agieren. Das kann die Post in ihrer Größe nicht.“

Festini wuchs im österreichischen Bregenzerwald auf und studierte Anglistik und Publizistik an der Hauptuniversität Wien. Nach dem Studium arbeitete sie eine Zeit lang in einer Burgerbar in ­Südafrika. Über einen Gast fand sie ­schließlich einen Job im Projektmanagement, 2007 nahm sie dann eine Stelle als Projektmanagerin und schließlich Abteilungsleiterin bei Bwin an; 2013 folgte der Wechsel zum größten Kabelnetzbetreiber der Schweiz, UPC. Dort als Abteilungsleiterin tätig, absolvierte Festini währenddessen ihren Master in Business Administration am International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne. Zu dieser Zeit erkannte sie für sich, dass sie in ihrer Karriere bisher immer das gemacht hatte, worin sie gut war, aber nie das, was sie wirklich wollte: ein Unternehmen gründen.

Gemeinsam mit ihrer damaligen Arbeitskollegin Maite Mihm beschloss die Österreicherin, sich selbstständig zu machen. Mit ihrem Tech-Know-how und Mihms Logistikverständnis – ihr Vater besaß eine Speditionsfirma – entstand die Idee zu Luckabox. „Wir ergänzen uns insofern auch gut, da ­Maite die Ruhe mitbringt, die ich nicht habe“, so Festini, die, wie sie selbst sagt, Risiko und Herausforderungen nicht fürchtet: Von klein auf praktiziert sie Sportarten wie Downhill-Mountainbiking und Freeriding. „Ich mag Sportarten, bei denen man keine Fehler machen darf und ­daher sehr fokussiert im Hier und Jetzt sein muss“, so die Österreicherin.

Aike Festini
...absolvierte einen Master in Business Administration an der IMD Business School. Von 2007 bis 2012 war sie bei Bwin als Projektmanagerin tätig, bevor sie anschließend als Abteilungsleiterin bei UPC arbeitete. 2017 gründete sie mit Maite Mihm Luckabox.

Festini setzt mit Luckabox auf verantwortungsvolles Wirtschaften: Der Algorithmus ist ­beispielsweise so programmiert, dass er stets die nachhaltigste Option bevorzugt. ­Faire Löhne für die Kuriere sieht Festini als Selbstverständlichkeit, wie sie sagt. Mit diesen ­Ansprüchen auf einem Markt mit Giganten wie DPD, DHL oder Hermes ­mithalten zu können scheint schwierig, doch: „Den Händlern, mit denen wir zusammenarbeiten, ist es wichtig, grün und sozial nachhaltig zu arbeiten – dafür zahlen sie auch gerne mehr“, so Festini.

Ob Unternehmen wie ­ihres in Zukunft am Markt bestehen ­können, hänge auch von der Zahlungsbereitschaft und dem moralischen Kompass der Endkonsumenten ab, erzählt Festini weiter. Deren Ansprüche sind generell hoch: 80 % der Kunden verzeihen es nicht, wenn die Lieferung beschädigt ist oder zu spät ankommt. Als Problem sieht Festini zudem ­Unternehmen wie Zalando, die ­einen kostenlosen ­Versand und Rückversand ­anbieten: „Wenn wir die Gesellschaft so ­erziehen, dass Logistik nichts kostet, haben wir irgendwann ein Problem.“ Deutsche Paket­dienste wie Hermes und DPD erhöhten in den letzten Jahren ihre Preise und damit die Mindestlöhne – bei Hermes auf 9,50 € die Stunde, bis in drei Jahren sollen es 12 € sein. Diese Entwicklung begrüßt Festini. Sie ist ­davon überzeugt, auch in Zukunft nachhaltig und sozial verantwortlich arbeiten und trotzdem mithalten zu können – und das nicht nur als Marktführer in der Schweiz, ­sondern in sämtlichen Ländern, die sie mit Luckabox betreten wird.

Text: Sophie Ströbitzer
Fotos: Sandra Marusic

Dieser Artikel erschien in unserer Ausgabe 10–20 zum Thema „Handel“.

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