RIEGELWAHN

Daniel Lubetzky verfolgt eine größere Mission: Mit seinem 1,5 Milliarden US-$ schweren Unternehmen Kind Bars verkauft er soziales Bewusstsein – in Form von Nussriegeln.

“Wenn mir vor Kind jemand gesagt hätte, dass ich einmal im Lebensmittelgeschäft landen würde, hätte ich gedacht, dass die Person vermutlich auf Drogen ist”, sagt Daniel Lubetzky, Gründer und CEO von Kind Healthy Snacks. “Niemals hätte ich erwartet, dass ich Essen verkaufen würde.”

Lubetzky verkauft auch keine Lebensmittel per se. Eher sind es  Gesundheit und Altruismus, mit denen er handelt, versteckt in Schokolade überzogenen Obst-Nuss-Riegeln.  Und vor allem der Altruismus kommt auch in Lubetzkys Büro stark zum Vorschein: An einer Wand hängen gerahmte Fotos von ihm mit Papst Franziskus, dem ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten Barack Obama, und Shimon Peres, dem verstorbenen Präsidenten Israels. Eine andere Wand ist voll mit Büchern über den Nahen Osten. Und überall, wo sonst noch Platz ist, sind Zitate von Gandhi, Mutter Teresa und dem Dalai Lama zu lesen.

Lubetzkys Mission

Das zur Schau stellen des sozialen Bewusstseins ist der Kern der Geschäftsstrategie von Kind. Durch gesunde Ernährung und soziales Verantwortungsbewusstsein hat das Unternehmen seit seiner Gründung 2004 bereits über 2 Milliarden Riegel verkauft.

Das Prinzip funktioniert: Bis jetzt wurden rund 800 Millionen US-$ erwirtschaftet. Forbes schätzt, dass Kind rund 2,9 Milliarden US-$ wert ist. Davon hat Lubetzky als mehrheitlicher Eigentümer einen ansehnlichen Anteil von 1,5 Milliarden US-$.

Über diese Zahlen möchte er jedoch nicht offen sprechen. Lieber wendet er sich der Mission seines Unternehmens zu, von ihm “Kind Movement” genannt, die die Welt ein Stückchen gütiger machen soll. So fordert Kind Angestellte als auch Kunden dazu auf, anderen den Tag durch sogenannte “random acts of kindness” zu versüßen. In der Praxis bedeutet das, hunderte Angestellte mit #kindawesome-Karten (Gutscheine für einen kostenlosen Riegel) und der Aufgabe, jene an Passanten zu verteilen, auf die Straßen zu schicken.

Zählungen der Firma zufolge - gemessen an der Anzahl ausgegebener #kindawesome-Karten, ehrenamtlicher Arbeit der Mitarbeiter und Spenden von Riegel an Non-Profit-Organisationen - hat sie seit der Gründung 2004 11 Millionen “acts of kindness” vollbracht. In anderen Worten: 11 Millionen kleine Marketing-Kampagnen.

Die soziale Mission von Kind besteht ebenfalls praktisch nur aus Marketing. Zwischen 2013 und 2015 hat Kind nicht einmal eine halbe Million US-$ an Non-Profits gespendet - ein Kleinstbetrag für ein Unternehmen dieser Größe. Erst 2016 wurde die Kind Foundation gegründet, um “nettere und empathische Communities” aufzubauen. Den letzten Filings zufolge besitzt die Wohltätigkeitsstiftung 11 Millionen US-$ in Anlagen - 10 Millionen davon stammen von Lubetzky selbst. Trotzdem wurden im Namen der Stiftung nur 1,5 Millionen US-$ gespendet. Im Jahre 2017 versprach die Kind Foundation, über einen Zeitraum von mindestens drei Jahren 20 Millionen US-$ für die Vernetzung von Studenten auf der ganzen Welt auszugeben.

Die Einstellung zählt

Kind will, dass der Konsument denkt, dass er sich selbst mit den Riegeln etwas gutes tut. Die 24 verschiedenen Nuss-Riegel, verfeinert mit Schokolade oder Honig, sind in durchsichtigem Plastik verpackt - um zu zeigen, dass auch nur Inhaltsstoffe enthalten sind, die man “sehen und aussprechen kann”. Doch Ernährungswissenschaftler sind alles andere als überzeugt.

“Auf einer Skala von eins bis zehn, auf der eins Coca-Cola und zehn Vollwertkost ist, liegen Kind Riegel wahrscheinlich bei vier”, meint Dr. Robert Lustig, Professor für Kinderendokrinologie an der University of California, San Francisco. “Nur weil die Riegel weniger ungesund sind als andere, sind sie dadurch nicht automatisch gesund.”

“Daniel Lubetzky ist ein brillanter Vermarkter”, sagt Marion Nestle, Professorin für Ernährungswissenschaften und öffentliches Gesundheitswesen an der New York University. “Die Darstellung von Kind-Riegeln als gesund, hat diese zum weltweiten Verkaufshit werden lassen.”

Der Erfolg der kleinen Riegel erregte auch die Aufmerksamkeit des Süßwarenriesen Mars. Der Hersteller von M&M’s, Snickers und Co. hat 2017 eine rund 40%ige Beteiligung an Kind erworben - der genaue Kaufpreis ist nicht bekannt. Das Wachstum von Kind hatte sich verlangsamt, als neue Wettbewerber auftauchten und Ernährungswissenschaftler den angepriesenen Nährwert der Kind-Riegel hinterfragten. Trotzdem ließ sich Lubetzky nicht abschrecken.

Ups and downs

2007 feierte Kind einen großen Erfolg, nur um ihn im Laufe des Jahres wieder zu verlieren: Walmart, eine der größten Supermarktketten der USA, wollte Kind-Riegel in über 1000 Filialen in ihr Sortiment holen/aufnehmen. Die Logistik Kinds war jedoch nicht ausgereift - Lieferungen gingen verloren und Walmart bestellte ab 2008 keine Riegel mehr nach.

Im selben Jahr kam die Finanzkrise. Kind war am Weg, den persönlichen Rekordgewinn zu erreichen, doch es scheiterte an der Liquidität des Unternehmens. “Profitable Unternehmen können schnell alles verlieren, wenn sie ihr Geld nicht richtig verwalten”, schreibt Lubetzky in seiner 2015 erschienenen Autobiografie “Do the Kind Thing”. Das Timing war schlecht: Lubetzky’s Frau erwartete das erste Kind des Paares. Lubetzky musste handeln, und verkaufte im Dezember 2008, drei Tage nach der Geburt seines Sohnes, ein Drittel von Kind für 15 Millionen US-$ an die Gründer von Vitaminwater und die Beteiligungsgesellschaft VMG Partners.

Wie es sich herausstellt, war der Verkauf genau das, was Kind gebraucht hatte - ab 2009 begann Kinds Höhenflug. Als Grund für den damaligen Wachstum nennt Lubetzky den Ausbau des Free-Sample-Programmes. Im Jahr 2008 gab Kind 800 US-$ für das Verteilen von kostenfreien Riegeln aus. 2009 hingegen, mit einem Schubs durch Investoren, erweiterte Kind das Budget für Sampling und Außenmarketing auf 800.000 US-$. Mittlerweile beträgt das Sampling Budget des Unternehmens stolze 20 Millionen US-$, mit dem die kostenlosen Riegel und die Promoter, die diese verteilen, finanziert werden. “Rückblickend klingt es einfach nach gesundem Menschenverstand, aber das, was wir wirklich gebraucht hatten, war, dass mehr Leute unsere Riegel probieren”, meint Lubetzky.

2009 nahm Starbucks Kind-Riegel in sein Sortiment auf. 2012 gab Walmart den Snackbars eine zweite Chance, seit 2013 sind sie auch bei Target erhältlich. “Es gab Monate, in denen wir ein Wachstum von 100% verzeichnen konnten”, erzählt ein ehemaliger Mitarbeiter. “Plötzlich hatten wir einen Gewinn von 100 Millionen, dann 150 Millionen, dann 200 Millionen US-$.”

2014, als das Unternehmen mit beiden Füßen am Boden zu stehen schien, organisierte Lubetzky einen Deal, um die Minderheitsbeteiligung von VMG für 220 Millionen US-$ zurückzukaufen. Finanzieren wollte er das Ganze mit einem Kredit.

Zu Fall gebracht

Dann kam plötzlich ein Albtraum. Im März 2015 erhielt Kind ein Warnschreiben der FDA (Food and Drug Administration, Anm.) dessen Inhalt besagte, dass das Unternehmen seine Produkte falsch gekennzeichnet und somit die Konsumenten irregeführt habe. Was zur Folge hatte, dass die Produkte nicht mehr als “gesund” vermarktet werden durften. Schuld war der Fettgehalt der Riegel: Diese enthielten ganze Mandeln, deren Fettanteil der ausschlaggebende Grund für die Forderung waren. Kind hörte sofort damit auf, das Wort “healthy” auf Verpackungen und der Website zu verwenden. “Es war ein herber Rückschlag.”, erinnert sich Lubetzky. “Ich weiß noch, damals waren Leute da, die viel klüger waren als ich, die sagten mir, ich solle loslassen.” Doch Lubetzky begann, mit Ärzten, Forschern und Ernährungswissenschaftlern zusammenzuarbeiten. “Durch die Aufbereitung der Tatbestände haben wir erkannt, dass das Schreiben der FDA keinen Sinn machte”, so Lubetzky. Denn den FDA-Regeln zufolge, entdeckte das Team, sei auch eine Avocado nicht als gesund zu betiteln, weil sie einen hohen Fettanteil hat.

Lubetzky gab nicht auf. Im April 2015 fuhr er mit seinem Team nach Washington D.C., um die Forschungsergebnisse und das damit verbundene Anliegen, Kind wieder als “gesund” vermarkten zu können, vorzubringen. Durch eine Bürgerinitiative wurde die FDA aufgefordert, die festgelegte Definition von “healthy” zu ändern. Über ein Jahr später folgte endlich eine Rückmeldung: Im Mai 2016 erklärte die FDA den Beschluss für obsolet. Kind durfte wieder mit dem Wort “gesund” werben.

Der Blick nach vorne

Die nächste Herausforderung folgte jedoch bald: Der Markt der Snackriegel-Industrie lag 2004 noch bei 6 Milliarden US-$, heute sind es 13,6 Milliarden US-$. Konkurrenten wie RXBar wuchsen stetig, die Nachfrage nach Proteinriegel ebenso. Diese werden mittlerweile mit Inhaltsstoffen wie Grasmolkenprotein und Chiasamen hergestellt. Dagegen stand Kind in den Augen der Gesundheitsexperten schlecht da, die anders als die FDA das größte Problem im Zuckergehalt sahen. Kind-Riegel sind mit Süßstoff überzogen, um sie in Form zu halten - das fügt bis zu 9 Gramm Zucker hinzu. Die Folge davon war, dass Kind’s Umsatzwachstum von geschätzten 11,6% im Jahre 2016 auf 5,4% im Jahre 2017 sank.

Doch auch dann schmiss Lubetzky nicht das Handtuch und Kind brachte neue Riegel ohne Zuckerzusatz auf den Markt. Im Zuge dessen ließ das Unternehmen am New York Times Square Skulpturen aufstellen: Statuen von Kindern aus künstlichem Zucker, um zu veranschaulichen, dass das durchschnittliche Kind in den USA täglich 19 Teelöffel Zuckerzusatz in Nahrungsmitteln konsumiert. Rund um die Statuen wurden - typisch für Kind - Promoter positioniert, die Kostproben des neuesten Produktes Kind Fruit Bites zu verteilen.

Basierend auf den jüngsten Entwicklungen im Snackriegel-Geschäft wäre es nicht verwunderlich, wenn Mars Kind zur Gänze aufkaufen würde, meint Janica Lane, Managing Director bei Piper Jaffray. Ein Verkauf des Unternehmens würde Lubetzky Zeit geben, sich auf auf seine Mission zu fokussieren: “Ich habe mit dem Wachstum und dem Erfolg von Kind ein großes Geschenk bekommen. Jetzt möchte ich dadurch neue Ideen umsetzen, tolle Menschen fördern und einen maximalen Einfluss auf der Welt haben.”

Text: Angel Au-Yeung
Foto: Jamel Toppin / Forbes US

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