Smartisierung – Wie geht es weiter?

Socken, die den Puls messen; Hosen, die Leistung tracken und Jacken, die die Navigation übernehmen können: Unsere Kleidung wird smart.

An intelligente Drucker, Kaffeemaschinen und Kühlschränke haben sich viele Menschen bereits gewöhnt, auch Smartwachtes sind mittlerweile Alltag. Allerdings hat sich gezeigt, dass die „Smartisierung“ damit noch lange kein Ende gefunden hat. Mehr und mehr Start-ups widmen sich dem Ziel, unsere Kleidung „smart“ zu machen. Durch den Einbau von Sensoren, Schaltungen und Lautsprechern gewähren sie nicht nur adaptive Wärmewirkung oder individuelles Design, sondern erweitern den Funktionsradius durch die Sammlung und Analyse von Daten und die Abgabe von Empfehlungen. Zwar ist der Markt für Smart Wearables mit einem erwarteten Umsatz von 387 Millionen Euro in Deutschland im Jahr 2020 (0,6% des gesamten deutschen Bekleidungsmarktes), noch sehr klein. Allerdings wird erwartet, dass diese Zahl im Jahr 2022 auf 703 Millionen Euro ansteigen wird. Und auch global zeigt sich dieser Trend. Während das weltweite Marktvolumen der “Smart Textiles” im Jahr 2017 noch 1,3 Milliarden Euro ausgemacht hat, so wird für 2022 ein Volumen von rund 4,7 Milliarden Euro erwartet. Insbesondere die USA werden hierbei Wachstumstreiber sein, was auch die große Anzahl amerikanischer Start-ups in diesem Bereich zeigt.

 

Sensoria

Die Produkte von Sensoria geben ihrem Träger nicht nur Auskunft, wie weit und wie schnell er läuft, sondern analysieren auch den Laufstil, um so in Echtzeit die sportliche Leistung zu steigern.

Während Sensoria-Oberteile den Pulsschlag des Sportlers messen, ermitteln smarte Socken die Schrittfrequenz, Fußlandung sowie Stoßkraft. Verbunden mit der „Sensoria Run App“ wird die Kleidung mittels Echtzeitaudio und -video zum Coach. Damit wird Läufern nicht nur ein Tool zur gezielten Leistungsverbesserung bereitgestellt, sondern auch Sportverletzungen präventiert.

Auch für die Zukunft hat sich Sensoria hohe Ziel gesetzt: Sie möchte ihre im Leistungssport bewährten Produkte in den Alltag zu bringen. Mit derselben Technologieplattform sollen Alltagslasten von den Schultern der senioren Bevölkerung genommen werden. Sei es die Unterstützung eines diabetischen Fußgeschwürs, Knieschienen für die Genesung nach Operationen oder die Unfallprävention, etwa bei dem plötzlichen “Einfrieren” von Bewegungsabläufen. All dies könnte bald Wirklichkeit werden.

 

Live Athos

Mit smarten T-shirts, Leggings und BodyKits hat Athos es geschafft, mit einem geschätzten jährlichen Umsatz von drei Millionen US-$, einer der Marktführer im Bereich „Human Performance“ zu werden. In Sportshirts bzw. -hosen eingebaute Elektromyographische-Sensoren (EMG) messen Muskelaktivität, hinzu kommen Herzfrequenz-Sensoren, die Aufschluss über wesentliche physiologische Abläufe des Organismus geben und Kalorienverbrauch sowie Sport- und Ruhezeiten berechnen. Diese Daten werden direkt an einen in der Kleidung integrierten Prozessor gesendet und von einer leistungsmessenden Software analysiert. Über eine kostenfreie App kann die Performance und Aktivität einzelner Muskeln des Oberkörpers sowie der Beine betrachtet werden. Neben der einfachen Vermeidung von Trainingsunfällen lernt der Sportler, wie er seinen Körper bewegen muss, um Übungen effektiv zu absolvieren.

 

Pilotangel

Dem litauischen Start-up „Pilot Angel“ ist es gelungen, eine Technologie zu entwickeln, die Unfälle, die durch Müdigkeit verursacht werden, drastisch vermindern könnte. Das Unternehmen hat hierfür ein Headset zur Messung der Gehirnaktivität entwickelt. Eine integrierte Software ermöglicht es anschließend, die aufgezeichneten Daten zu analysieren und so potentiellen Sekundenschlaf vorherzusehen. Über eine App, die einen Signalton und haptische Benachrichtigungen erzeugt, kann der Nutzer des Headsets rechtzeitig vor einem plötzlichen Einschlafen gewarnt und damit ein möglicher Unfall vorgebeugt werden. Bisher zählt das Unternehmen insbesondere LKW-Fahrer, Ärzte und Piloten zu seiner Zielgruppe. In den kommenden Jahren soll aber eine Expansion in unerschlossene Bereiche erfolgen und neue Zielgruppen erreicht werden.

 

Visseiro

Die Gesundheit der Großmutter auf einen Blick? Dies ermöglicht die neue Technologie von Visseiro im Bereich „Smart Furnitures“. Besonders auf pflegebedürftige ältere Menschen zugeschnitten, messen Sensoren die Vitaldaten von Herz und Lunge sowie das Sitzverhalten. Dies geschieht schon beim Sitzen auf einem Kissen oder (Pflege-)Sessel mit integrierter Software. Die fortgeschrittenen Algorithmen analysieren die erhobenen Daten und berechnen einen individuellen Gesundheitswert. In leicht verständlicher Weise mittels App und Webplattform aufbereitet, können die Angehörigen sowie das Pflegepersonal so jederzeit online den objektiv ermittelten Gesundheitszustand verfolgen.

 

Wearable X

Wearable X vereint Mode und Technologie. Was mit Dessous namens „Fundawear“ für Pärchen mit Fernbeziehungen angefangen hat, ging schnell auf die Straße: Die Jacke „Navigate“ dient als persönlicher Guide und navigiert ihren Träger durch Vibrationen am Rücken zum zuvor eingegebenen Ziel an. Spürt man zwei Vibrationen zwischen den Schulterblättern, ist das Ziel erreicht. Ein Rock, der per Knopfdruck die Farbe wechselt, erweitert zudem die Garderobe um einige farbenfrohe Alternativen.

Im nächsten Schritt wagte sich Wearable X auch in die Welt des Footballs. Auf dem Feld machten für Zuschauer mit dem T-Shirt „Jersey X“ live die Gefühlswelt des jeweiligen Lieblingsspieler direkt auf dem Footballfeld erfahrbar. So konnten die Fans die Emotionen ihrer Idole – etwa den Herzschlag oder die Aufregung bei einem Touchdown – am eigenen Körper nacherleben und damit erfahren, wie es sich anfühlt, mitten am Feld zu stehen.

Doch Wearable X ist noch weiter in den Sport eingetaucht und hat die smarte Yogahose namens „Nadi X“ geschaffen. Als persönlicher Coach leitet sie durch verschiedene Yoga-Übungen. Bei falscher Ausführung korrigieren sanfte Vibrationen und Audio-Anweisungen, damit der Träger die richtige Position einnimmt. Überraschenderweise überzeugte Nadi X auch die Männerwelt. So kauften ungefähr gleich viele Männer wie Frauen die intelligente Yogahose – und dies bei einem stolzen Stückpreis von 250 US-$ und einem monatlichen App-Abonnenment von zehn US-$. Beim nächsten Projekt soll es jedoch nicht in den herabschauenden Hund, sondern in die Lüfte gehen: Die „BIG AIR“ Snowboarding Flying Jacket soll Snowboardern die Flughöhe wie auch -zeit beim Springen verlängern.

Wie sich zeigt, hat Smart-Clothing Stück für Stück neue Anwendungsfelder erschlossen. Ein kurzer Blick auf die aktuellen Entwicklungen eröffnet, dass die Smart-Clothing Unternehmen bisher den Fokus eher auf den Gesundheits- und Fitnessbereich, einem Nischenmarkt, gelegt haben.

Allerdings könnte diese Entwicklung mit zunehmender Praktikabilität der intelligenten Kleidung und immer stärker werdendem Fokus auf Design, bald auch im kommerziellen Bekleidungsmarkt Anklang finden.

 

Text: Martin Meister, Gudrun Zechner
Fotos: Sensoria, Athos, Pilotangel, Visseiro, Wearable X, Filip Mroz / Unsplash

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